Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22.02.2007
Untertitel: am 22. Februar 2007 in Berlin
Anrede: Sehr geehrte Frau Bundesministerin, liebe Frau Wieczorek-Zeul, sehr geehrter Herr Vizepräsident der Weltbank, liebe Kollegen,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/2007-02-22-rede-merkel-high-level-conference,layoutVariant=Druckansicht.html
sofern es Regierungsverantwortliche sind,
meine Damen und meine Herren,
ich freue mich sehr, heute bei der Eröffnung dieser Konferenz dabei zu sein. Ich begrüße es sehr, dass Deutschland und die Weltbank eng zusammenarbeiten und gemeinsam mit der OECD, unseren britischen, dänischen und norwegischen Freunden diese Konferenz möglich gemacht haben. Ich freue mich natürlich, dass sie so viel Anklang gefunden hat und Vertreterinnen und Vertreter aus allen Teilen der Welt daran teilnehmen.
Ich möchte mit meiner Anwesenheit dokumentieren, dass ich als Bundeskanzlerin die Umsetzung des "Gender Aktionsplans" voll unterstütze‑ in diesem Halbjahr auch als EU-Ratspräsidentin und als G8 -Vorsitzende im ganzen Jahr. Insofern haben wir uns in der Bundesregierung gemeinsam ‑das darf ich, wie ich glaube, sagen‑ eine ganze Menge vorgenommen.
Dass das Jahr 2007 nun auch noch das "europäische Jahr der Chancengleichheit" genannt wird, fügt sich natürlich gut ein. Es ermuntert uns als Bundesregierung dazu, auch mit den anderen europäischen Partnern ganz besonders für die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen einzutreten, und zwar, wie es Frau Wieczorek-Zeul eben schon gesagt hat, in Deutschland, in Europa und in der Welt.
Lassen Sie mich zunächst einen Blick auf Deutschland werfen. Wir haben, seitdem die Bundesrepublik Deutschland besteht, die Gleichstellung von Mann und Frau in Artikel3 unseres Grundgesetzes verankert. Männer und Frauen sind gleichberechtigt‑ dies war ohne jede Einschränkung gemeint. Dennoch ist man nach einer breiten Diskussion dazu gekommen, 45 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes diesen Artikel3 um einen Satz zu erweitern. Im deutschen Grundgesetz, also in unserer Verfassung, steht heute geschrieben: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Das heißt also, 45 Jahre nach Inkraftsetzen des Grundgesetzes hat man die ganze Sache einer Realitätsbetrachtung unterzogen und implizit zugegeben, dass es Nachteile gibt. Man hat sich sozusagen eine aktive Politik auferlegt. Das heißt, wir haben jetzt auch ein programmatisches Staatsziel.
Damit ist aber immer noch nicht gewährleistet, dass im alltäglichen, praktischen Leben die Gleichstellung auch so funktioniert, wie wir uns das vorstellen. Wir wissen alle, dass dies auch eine Aufgabe der Gesellschaft insgesamt ist, dass dies im Übrigen immer auch eine Veränderung der Rolle der Männer mit sich zieht ‑ich würde sagen: eher zum Guten als zum Schlechten. Aber Gleichstellung kann nicht isoliert als Frauenpolitik betrachtet werden, als würde sie sich nur auf die Hälfte der Gesellschaft beziehen, sondern sie hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.
Wenn ich sage, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dann heißt das nicht, dass die Politik sie irgendwie wegdrücken kann, sondern sie muss natürlich ihren Teil dazu beitragen, dass die Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass Gleichstellung möglich ist. Ich glaube, dass die Bundesregierung um diese Verantwortung weiß. Wir haben eine ganze Reihe von Gleichstellungsgesetzen in der Bundesverwaltung. Wir haben bei der Gremienbesetzung erhebliche Fortschritte gemacht. Frau Wieczorek-Zeul hat von ihrem Weg von 8 % auf 27 % berichtet. So findet es in vielen Bundesministerien statt.
Ich will nicht verhehlen, dass sich hinsichtlich des Begriffes "Gender Mainstreaming" zwischen der Zeit, als ich Frauenministerin war ‑von 1990 bis 1994 ‑ , und dem Beginn des 21. Jahrhunderts eine sprachliche Veränderung vollzogen hat. Ob sie für die allgemeine Verständlichkeit von Gleichstellungspolitik nun ein Fortschritt ist oder nicht, sei einmal dahin gestellt. Ich spüre an mir, dass ich beginne, mich an den Begriff zu gewöhnen. Aber bis wir ihn ganz ins Land hineingetragen haben, dauert es, glaube ich, noch eine Weile. Er beschreibt jedenfalls ein Leit- und Handlungsprinzip. Das heißt, wir wollen bei allen Vorhaben, die wir durchführen, die unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen und Männern beachten. Es ist damit eine Daueraufgabe, die in alle Bereiche der politischen Arbeit einfließt.
Wir wissen, dass dies nicht überall ‑ich sage nicht "gar nicht", aber auf gar keinen Fall überall‑ durch Gesetze geschafft werden kann. Es ist manchmal sogar so, dass Gesetze nicht unbedingt die organische Weiterentwicklung fördern, sondern es besteht immer eine gewisse Tendenz, am Ende minimal am Gesetz vorbeizuschrammen. Deshalb glaube ich, dass freiheitliche Gesellschaften auch so viel Selbstbewusstsein haben sollten, neben dem rechtlichen Regelwerk auch auf die Bereitschaft der Gesellschaft zu zählen. Die Bereitschaft sollte man aber auch nicht so überbewerten, dass man nie wieder darüber spricht. Das wäre ein großer Fehler. Aber "benchmarking","best practises", Erfahrungsaustausch ‑all das sind Möglichkeiten. Es ist inzwischen ein Klima entstanden, in dem man sich mit einer Situation, wie sie Anfang der 90er Jahre noch der Fall war, nämlich dass es z. B. in einem Bundesministerium keine einzige Referatsleiterin, sondern nur männliche Referatsleiter gab, nicht mehr sehen lassen kann.
Nun ist das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherlich eines der Kernthemen, das etwas mit der Gleichstellung von Frauen und Männern in einer Gesellschaft zu tun hat. Wir haben als Bundesregierung im letzten Jahr das Elterngeld eingeführt, auch etwas angelehnt an skandinavische Vorbilder. Wir hatten neulich in meiner Partei den schwedischen Premierminister zu Gast, der uns gesagt hat, dass in Schweden ‑aber ich glaube, das darf man so nicht verallgemeinern‑ die Vätermonate beim Elterngeld vorrangig während der Fußballweltmeisterschaft genommen worden seien. Das kann doch nicht die Lösung des Prinzips der Gleichstellung von Männern und Frauen sein. Auf jeden Fall ist die Fußballweltmeisterschaft vorbei und das Elterngeld bei uns in Deutschland gerade erst in Kraft getreten.
Es geht um die, wie ich finde, ganz interessante Sache, die bei uns die größte gesellschaftliche Diskussion über das Elterngeld hervorgerufen hat, nämlich dass auch Väter die Möglichkeit bekommen, sich ‑je nach Wahl‑ zwei Monate bis zwölf Monate lang um die Erziehung der kleinen Kinder zu kümmern. Das ist ein unglaublicher gesellschaftlicher Wandlungsprozess, weil nun plötzlich Väter zu Arbeitgebern gehen und nachfragen, ob sie freigestellt werden, was für Väter eine größere Mutprobe als für die Mütter in unserer Gesellschaft ist. Es ist ja nicht so, dass Gleichstellung in jeglicher Hinsicht bedeutet, dass sie für die Frauen schwerer und für die Männer leichter ist, sondern es ist immer dann leichter zu agieren, wenn man im "mainstream" ist. Wir wollen hier einen Wandel durchaus forcieren. Ich glaube, dass das der Gesellschaft insgesamt gut tut.
Ein zweites Thema, über das gerade in diesen Tagen diskutiert wird, ist die Frage der Kinderbetreuung. Wir haben in den letzten zehn Jahren ein allgemeines gesellschaftliches Verständnis dafür entwickelt, dass ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder über drei Jahren richtig ist. Wir haben jetzt eine Diskussion: Wie sieht es mit der Betreuung der Kinder unter drei Jahren aus?
Wir haben ein Prinzip, das auch parteiübergreifend gilt, nämlich Wahlfreiheit. Eltern sollen entscheiden können, wie sie sich in der Phase der Kleinkindererziehung mit Beruf und Familie arrangieren. Wahlfreiheit heißt eben auch Freiheit der Wahl. Und Freiheit der Wahl setzt die Möglichkeit der Wahl voraus. Wenn es innerhalb der alten Bundesländer nur 7 % Kinderbetreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren gibt, dann gibt es eben für viele Eltern faktisch keine Möglichkeit der Wahl. In den neuen Bundesländern sieht das anders aus. Dort haben wir fast 40 % Betreuungsmöglichkeiten‑ das ist dann schon eine bessere Garantie der Wahlfreiheit.
Sie sprechen ja in den nächsten Tagen auch sehr intensiv über Probleme in anderen Teilen der Welt‑ auch über wirklich dramatische Probleme. Aber Deutschland ist ein Land, in dem 40 % der Frauen, die ein Hochschulstudium absolviert haben, keine Kinder haben. Das kann uns wirklich nicht zufrieden stellen. Deshalb müssen wir darüber nachdenken. Ich bin die Letzte, die glaubt, es gäbe eine eindimensionale Lösung des Problems. Aber dass ohne Betreuungsmöglichkeiten und ohne die Vereinbarkeit von Beruf und Familie der Wunsch nach Kindern und nach Familie steigt, das wird, glaube ich, nicht eintreten.
Wir brauchen eine familienfreundlichere Arbeitswelt. Auch das ist eine der ganz großen Aufgaben, die viele Länder, die sich von der Agrar- zur Industriegesellschaft wandeln werden, d. h. , in denen der Arbeitsort vom Familienlebensmittelpunkt entfernt ist, in denen also Kinderbetreuung nicht mehr automatisch möglich ist, noch als großes Problem ereilen wird. Auch hier ‑das können wir sagen‑ haben wir noch viel zu tun.
Wir wissen, dass Frauen heute stärker in die wirtschaftliche Selbständigkeit gehen. Frauen, die in Banken arbeiten, wissen, dass die Kreditvergabe an Frauen eigentlich keine unsichere Sache ist. Ich hoffe, darüber wird hier auch gesprochen. 28 % der Selbständigen in Deutschland sind Frauen. Das ist erfreulich. Wir haben auf der anderen Seite in den größten 30 deutschen Unternehmen, in den so genannten DAX-Unternehmen, kaum Frauen in den Vorständen, was sozusagen der politischen Realität weit hinterherhinkt. Deshalb ist es auch für uns noch eine große Aufgabenstellung. Manches dauert, aber wir müssen es voranbringen.
Sie werden sich aber nicht nur mit Deutschland beschäftigen. Das ist auch richtig so. Aber ich wollte hier am Anfang einmal deutlich machen: Wir können alle voneinander lernen. Es ist bei weitem nicht so, dass das ein Thema anderer Regionen der Welt ist, sondern dass es auch uns umtreibt.
Wir brauchen natürlich, wenn wir über unsere Landesgrenzen hinausschauen, klare Ziele, Strategien, Pläne und die nötigen Ressourcen, um die geschlechtsspezifischen Diskriminierungen abzubauen und eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben zu ermöglichen. Deshalb ist es besonders interessant, dass sich auf dieser Konferenz viele afrikanische Kolleginnen und Kollegen versammelt haben und innerhalb der Afrikanischen Union eine klare Entscheidung für die Gleichstellung von Mann und Frau gefallen ist. Damit ist, glaube ich, auch eine Diskussion in Gang gekommen, die für uns ganz wichtig ist.
Wir wollen unseren Nachbarkontinent mit ganz besonderer Aufmerksamkeit auch während der deutschen G8 -Präsidentschaft unterstützen. Aber wir können dies nur, wenn auch innerhalb des afrikanischen Kontinents die Bereitschaft dazu besteht. Ich finde, wir müssen diese Zusammenarbeit als eine "win-win" -Situation auffassen und nicht als eine Art Diktat, das nicht funktionieren würde. Deshalb ist die ehrliche Diskussion ja auch eine der großen Möglichkeiten einer solchen Konferenz.
Ich sage vielleicht nicht zu viel, wenn ich sage, dass Kultur und die Geschlechtervorstellung auf dem afrikanischen Kontinent die Realität des Lebens mindestens so sehr prägen, wie es in Europa der Fall ist. Deshalb ist das Bekenntnis der Afrikanischen Union so wichtig. Ich werde auch in meinen Gesprächen mit dem Präsidenten der Afrikanischen Union, dem Präsidenten Ghanas, intensiv über diese Frage sprechen. Wir werden in diesem Jahr eine Vielzahl von Gelegenheiten dazu haben.
Wir können uns freuen, dass ‑jetzt nicht nur auf Afrika geblickt‑ insgesamt in der Welt nicht nur Schlechtes zu berichten ist. Wenn wir an 1987 denken, da waren 9 % aller Parlamentssitze weltweit an Frauen vergeben; heute sind es immerhin 17 % . Das kann uns nicht zufrieden stellen, es ist aber ein deutlicher Fortschritt.
Wir haben gesehen, dass Frauen in der Wirtschaft ‑und das wird auch ein ganz wesentlicher Punkt auf der Konferenz sein‑ viel bewegen können. Vordenker wie der diesjährige Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus haben das natürlich längst erkannt. Bei ihm blieb es keine Theorie, sondern er hat mit seiner "Grameen Bank" praktisch gezeigt, wie man bei der Bekämpfung von Armut sinnvollerweise bei Frauen ansetzt, was dann auf die gesamte Familienrealität eine wirklich prägende Wirkung hat. Frauen sind zuverlässige Kreditnehmer. ‑Solche Sätze gehen mir immer schwer über die Lippen, weil man ja eigentlich nichts anderes erwartet. ‑ Frauen können jedenfalls, so denke ich, sehr gut wirtschaften.
Wir freuen uns im Übrigen, dass wir im Mai auch zum Erfahrungsaustausch mit Muhammad Yunus zusammentreffen werden und er uns von seiner Arbeit erzählen wird. Er setzt das um, was auch von Ökonomen und Moralphilosophen wie z. B. von Herrn Sen ‑ein weiterer Nobelpreisträger aus Asien und ein ganz großer Verfechter der Teilhabe von Frauen an wirtschaftlichen Zusammenhängen‑ ausgearbeitet wurde. Das heißt, es kommt nicht immer auf die Menge der wirtschaftlichen Ressourcen an, sondern es kommt auch darauf an, in welchem Geist die Dinge vergeben werden, wie die Rechte und die Freiheiten gestaltet werden.
Ich glaube, das ist auch eine der interessanten Diskussionen mit der Weltbank. Denn ich glaube, dass auch die Weltbank einen Lernprozess durchgemacht hat. Da vollzieht sich der Lernprozess sozusagen immer auch in Maßen, wenn ich es einmal mit dem IWF vergleiche, bei dem der Lernprozess mindestens so groß ist, wie er das bei der Weltbank ist oder sein sollte. ‑ Ich sage das einmal ganz vorsichtig. Man muss sich ja so diplomatisch ausdrücken, damit jeder Hoffnung schöpft, dass es noch besser werden kann.
Ich glaube im Übrigen ‑und von unserem heutigen Bundespräsidenten wissen wir das ja auch‑ , dass auch die Kooperation der einzelnen Finanzinstitute eng ist. Denn was nützt es, wenn die einen Wirtschaftskonzepte für die ärmeren Länder dieser Erde entwerfen und die anderen dann eine Entwicklungszusammenarbeit gestalten, aber die Dinge nicht zusammenpassen. Ich habe mir gerade am Beispiel des Libanon angeschaut ‑man kann es sich auch an vielen anderen Beispielen anschauen: Die Frage, wie man Wachstum, Armutsbekämpfung und transparente ökonomische Entwicklung miteinander verzahnt, ist eine der spannendsten Fragen.
Auch dabei kann ich wieder auf eine Diskussion in Deutschland verweisen. Wir hatten ein riesiges Haushaltsdefizit, weshalb wir zu Beginn dieser Regierung vor der Frage standen: Sanieren und Investieren oder erst einmal nur Sanieren und wenig Investieren? Wir haben uns zu einem Schritt entschlossen, der alles andere als einfach war, nämlich die Mehrwertsteuer um 3 % anzuheben und nicht einen ausschließlichen Sanierungskurs einzuschlagen. Nach dem, was wir jetzt sehen‑ das ist noch nicht am Ende; wir müssen das beobachten‑ , ergeben Sanieren und Investieren in der Kombination mit Reformen einen Mix, der uns auf den richtigen Pfad führt. Das ist etwas, was natürlich in jedem Land diskutiert werden kann.
Die Bundesrepublik engagiert sich entwicklungspolitisch‑ das ist klar. Wir wollen, dass die Freiheiten für Männer und Frauen durchgesetzt werden. Die Doppelpräsidentschaft gibt uns dazu eine hervorragende Möglichkeit. Ich würde mich freuen ‑und ich hoffe, dass es dazu kommt‑ , wenn unter deutscher Präsidentschaft in der Entwicklungszusammenarbeit Ratsschlussfolgerungen auch zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern verabschiedet würden.
Ich hatte schon gesagt: Afrika ist für uns ein Schwerpunktthema. Wir werden zum G8 -Gipfel neben den Teilnehmern am so genannten "outreach" -Treffen ‑zu dem die Länder Mexiko, Brasilien, Indien, China und Südafrika anwesend sein werden‑ auch die NEPAD-Gründungsländer und den Vorsitz der Afrikanischen Union einladen, um deutlich zu machen: Afrika hat unsere besondere Aufmerksamkeit.
Es ist bei den G8 -Treffen viel für die Zusammenarbeit mit Afrika geschehen ‑Entschuldungsinitiativen, politische, wirtschaftliche und soziale Reformen. Wenn man allein auf die Entschuldungsinitiativen sieht, dann können wir von einem riesigen Fortschritt in den letzten acht, neun Jahren sprechen. Es gibt eine quantitative und qualitative Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Natürlich soll auch die Reformpartnerschaft der G8 -Staaten mit Afrika fortgesetzt werden. Deshalb gibt es auch den Schwerpunkt Afrika auf dem diesjährigen Gipfel.
Ich bin sehr froh, dass es die EU-Afrika-Strategie vom Dezember 2005 gibt. Sie ist ein deutlicher Ausdruck dafür, dass sich die Europäische Union verpflichtet fühlt, bei der Erfüllung der Millenniumsziele auch wirklich aktiv mitzuarbeiten. Wir sehen ja bei der Frage der Migration, dass wir wirklich Nachbarn sind und wir heute in einer globalen Welt nicht mehr sagen können: Die einen Probleme sind unsere Probleme, die anderen Probleme sind Probleme anderer Kontinente. Globalisierung heißt nichts anderes, als dass uns die Probleme dieser Welt gemeinsam umtreiben müssen.
Wir alle stehen vor der Frage‑ das ist vielleicht die kernpolitische Frage des 21. Jahrhunderts: Können wir die Globalisierung politisch gestalten oder laufen wir den Ereignissen der Globalisierung hinterher? Die Vielzahl von Globalisierungsgegnern zeigt uns ja, welche Sorgen und Ängste mit dem, was wir Globalisierung nennen, verbunden sind. Wir müssen den Weg finden, wie wir internationale Organisationen mit nationalem und regionalem Handeln verzahnen. Kein Mensch möchte eine Weltregierung. Aber so zu tun, als könnte man in Deutschland noch eine Soziale Marktwirtschaft wie zur Gründungszeit der Bundesrepublik gestalten, ohne die internationalen Zusammenhänge zu sehen, das würde auch bedeuten, die Augen vor den Chancen zu verschließen, die sich weltweit aus diesen Zusammenhängen ergeben.
Eine weitere Realität ist, dass heute durch das Internet vieles transparent geworden ist, dass Sie zu jedem Zeitpunkt an jeder Stelle erkennen können, wer was zu welchem Preis anbieten kann. Es gibt inzwischen schon Arbeitsplatzverlagerungen von China nach Afrika. Das heißt, die Arbeit wandert um den Globus. Wenn wir nicht miteinander gegen Kinderarbeit, für Standards von Arbeit und ökologische Grundstandards eintreten, dann werden die Arbeitsplätze erst einmal um die Welt eilen. Anschließend werden wir uns gemeinsam um die Schadensbegrenzung kümmern müssen. Deshalb ist es notwendig, diese globalen Zusammenhänge auch global zu verstehen.
Das heißt, wir wollen durch menschliches Handeln die Chancen des Zusammenrückens erkennen. Das erfordert ein neues Denken, daran waren wir auch in Europa nicht gewöhnt. Wir hatten uns ganz gut darin eingerichtet, über 200 Jahre relativ eurozentrisch zu denken. Wir waren oft bei der Entwicklung im Rahmen der Industrialisierung der Welt vorn dabei. Wir müssen aber heute erkennen, dass wir neue Wettbewerber haben, dass unser Artikel1 des Grundgesetzes ‑ "die Würde des Menschen ist unantastbar" ‑ nicht an den Grenzen Deutschlands und auch nicht an denen der Europäischen Union endet, sondern dass wir gefragt werden, wie weit wir das auch woanders sehen.
Natürlich haben die Menschen bei uns Sorge und Angst. Während in einigen Ländern von Ihnen über Bevölkerungswachstum diskutiert wird, wird bei uns über einen demographischen Wandel mit zu wenigen Kindern und jungen Menschen diskutiert. Das heißt, wir haben ganz unterschiedliche Probleme und leben doch auf dieser einen Welt. Am Beispiel des Klimaschutzes oder anderer Herausforderungen, z. B. Biodiversität, sehen wir, dass wir die Probleme nicht allein bekämpfen können.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir Frauen als Akteure dieses globalen Verständnisses ermutigen, dass wir Netzwerke haben und uns über die praktischen Probleme und die Lösungsmechanismen austauschen. Ich sage mit Blick auf Afrika auch, dass wir nicht nur die klassische Entwicklungszusammenarbeit durchführen, sondern auch zusehen, dass die Institutionen so gebildet werden, dass sie transparent sind und das Geld bei den Menschen ankommt, also nicht in irgendwelchen Palästen und schönen Zufahrten zu diesen.
Darüber werden wir auch mit den Schwellenländern, z. B. mit China, eine sehr intensive Diskussion haben. Wir haben heute aus deutscher Sicht eine Entwicklungszusammenarbeit mit China z. B. im Bereich Klimaschutz, was ich unterstütze. Gleichzeitig haben wir aber ein Engagement von China in Afrika, bei dem wir uns nicht immer ganz sicher sind, ob zum Schluss alle afrikanischen Länder an der wirtschaftlichen Entwicklung partizipieren. Darüber müssen wir offen miteinander reden.
Meine Damen und Herren, wir hören gute Nachrichten gerade auch aus Afrika. Aber ich glaube, dass sich diese guten Nachrichten nur verfestigen werden, wenn Männer und Frauen gleichermaßen teilhaben. Diese Konferenz beschäftigt sich ganz speziell mit der Rolle der Frauen, wie sie an der wirtschaftlichen Entwicklung, der Armutsbekämpfung und Bildung partizipieren können.
Ich wünsche Ihnen sehr intensive Beratungen. Sie haben viele Panels. Das spricht dafür, dass vieles auch in praktischer Hinsicht angesprochen wird. Denn gerade Praktikabilität hängt davon ab, dass wir um die jeweilige Situation wissen, dass wir nicht irgendwelche theoretische Skizzen machen, sondern sie immer wieder einem Praxistest unterziehen. Wenn wir mit den Schwellen- und Entwicklungsländern darüber sprechen, dass die Dinge transparent gestaltet werden sollen, dann ist das nicht immer gegen sie gerichtet, auch wenn es sich so anhört, als ob jetzt ein Lehrer auf den Plan tritt. Das ist nicht der Fall. Aber manchmal macht ja auch der Ton die Musik.
Sie dürfen uns viele kritische Fragen stellen. Ich ermutige Sie, das auch auf dieser Konferenz zu tun. Aber wir müssen auch zusehen, dass das, was wir in Angriff nehmen, auch wirklich Wirkung zeigt. Dabei muss man ab und zu einen Blick auf die Statistik werfen.
Ich hoffe, dass diese Konferenz dazu beiträgt, dass wir in einigen Jahren sagen können: In vielen Teilen der Welt ist die Rolle der Frauen besser geworden; die Erfolge, die Frauen erreicht haben, können weitergegeben werden; die Familien haben davon insgesamt profitiert; und die Gleichberechtigung, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ist ein Stück vorangekommen.
Ich danke allen, die bei dieser Konferenz mitmachen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Ich werde die Bundesministerin für Entwicklungszusammenarbeit im Anschluss fragen, wie es war, was dabei herausgekommen ist und was wir weiter zu unterstützen haben.
Herzlichen Dank für Ihr Kommen.