Redner(in): Angela Merkel
Datum: 20.07.2007

Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Frau Ministerin, Herr Minister, Herr Paufler, Herr Kommissar, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/07/2007-07-20-rede-bk-merkel-athen,layoutVariant=Druckansicht.html


ich möchte mich ganz herzlich für die freundliche Begrüßung bedanken. Sehr gerne bin ich der Einladung des griechischen Ministerpräsidenten, Herrn Karamanlis, und der Deutsch-Griechischen Handelskammer gefolgt.

Die Initiative zu dieser Einladung ist von Herr Balafoutas ausgegangen, der leider Anfang dieser Woche verstorben ist. Deshalb möchte ich den Angehörigen mein tief empfundenes Beileid aussprechen. Wir wissen, dass Herr Balafoutas sehr viel für die deutsch-griechischen Handelsbeziehungen getan hat. Sein Tod ist deshalb ein schwerer Verlust. Er hat sich über Jahrzehnte hinweg im Vorstand der Kammer um die Vertiefung der Zusammenarbeit unserer beiden Länder bemüht. Er hat auch einen Beitrag dazu geleistet, dass die deutsch-griechischen Handelsbeziehungen heute so gut sind, und dass wir wichtige Handelspartner sind. Der Ministerpräsident hat das eben noch einmal gesagt.

Die Kammer in Athen gehört zu den besonders traditionsreichen deutschen Außenhandelskammern. Es ist gut, dass sich unsere bilaterale Zusammenarbeit auch in eine sehr gute Kooperation innerhalb der Europäischen Union einbettet. Lassen Sie mich deshalb zu Beginn ein herzliches Dankeschön an die griechische Regierung sagen ganz besonders an den Ministerpräsidenten und die Außenministerin für unsere wirklich gute Zusammenarbeit während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Manches davon hätten wir nicht schaffen können, wenn nicht Länder wie Griechenland immer wieder den europäischen Gedanken im Auge gehabt hätten und sich von kleineren Schwierigkeiten aus der Bahn hätten werfen lassen.

Griechenland ist eine Wiege Europas. Deshalb bin ich auch sehr froh, heute hier in Athen zu sein auch wenn das in meinem Alter das erste Mal ist. Dies ist nur dadurch zu erklären, dass ich bis zu meinem 35. Lebensjahr in der früheren DDR gelebt habe also keine Schulreise gemacht habe, bei der man auf den Spuren Europas wandern konnte, sondern mich mehr in osteuropäischen Ländern herumgetrieben habe. Vom 35. Lebensjahr an war ich dann politisch immer so beschäftigt, dass ich es erst jetzt endlich geschafft habe. Deshalb ist es mir eine wirkliche Freude und Ehre, heute hier bei Ihnen zu sein.

Das deutsch-griechische Handelsvolumen ist allein in den letzten fünf Jahren um fast 40Prozent gestiegen. Das zeigt, welche Dynamik darin liegt. Einer der Gründe ist das herausragende Wirtschaftswachstum in Griechenland. Wir sind in Deutschland derzeit ganz zufrieden, doch in Griechenland gibt es mit einem Wachstum von fast 4Prozent eine hohe Dynamik.

Griechenland ist auch ein Tor für Kooperationen in anderen Regionen Südosteuropas. Wenn wir uns einmal anschauen, dass die deutschen Exporte nach Griechenland allein im vergangenen Jahr um 12Prozent gestiegen sind, dann kann ich als deutsche Regierungschefin nur sagen: Dies ist ein guter Moment, um hierher zu kommen und Sie alle anzufeuern, noch mehr für die deutsch-griechischen Handelsbeziehungen zu tun. Wir werden in Deutschland auch politisch immer wieder Investoren ermutigen, hier mit dabei zu sein. Wir wissen, dass in Griechenland fast 20.000 Arbeitskräfte in deutschen Unternehmen beschäftigt sind und dass sie alleine 4, 5Milliarden Euro erwirtschaften.

Natürlich ist die Tourismusbranche von ganz besonderer Bedeutung. Viele deutsche Urlauber fühlen sich von Griechenland angezogen von der Kultur, der Geschichte, aber natürlich auch von der Landschaft und dem guten Wetter. Im vergangenen Jahr haben fast 2Millionen Deutsche ihren Urlaub in Griechenland verbracht. Das Potenzial unserer Kooperation ist sicherlich auch im Tourismusbereich noch nicht ausgeschöpft.

Aber ich glaube, dass wir weiter darüber hinausgehen sollten und auch schon gegangen sind. Herr Karamanlis hat eben schon die Infrastrukturprojekte erwähnt, bei denen wir eine sehr gute Kooperation haben. HochTief war am Bau und Betrieb des Athener Flughafens beteiligt. Das ist ein herausragendes Beispiel. Wenn ebenso darauf hingewiesen wurde, welche großen Infrastrukturprojekte hier noch im Gange sind, dann hat Deutschland natürlich ein Interesse, auch daran wieder beteiligt zu sein. Das sage ich mit einem Stück Stolz auf die deutsche Wirtschaft, die ein gutes Know-how hat und die sich mit großer Erfahrung und hoher Wettbewerbsfähigkeit ausgezeichnet hat.

Das gilt für sehr viele Bereiche. Ein Bereich, der schon angeklungen ist, ist mit Sicherheit der Energiesektor. Wir haben in der Europäischen Union sehr viel über unsere zukünftige Energieversorgung gesprochen. Wir haben das Ganze in ein kohärentes Programm von Energie- und Klimapolitik eingebettet. Deshalb ist es mir natürlich eine besondere Ehre, dass der Wächter über eine klimafreundliche Politik in der Europäischen Union, Herr Kommissar Dimas, heute hier bei uns ist.

Ich glaube, wir sind uns einig darin, dass die Energiepolitik den Prinzipien von Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit entsprechen muss. Beide Länder, Deutschland und Griechenland, sind im Grunde rohstoffarm, was die klassischen Energieträger angeht. Deshalb ist eine möglichst diversifizierte Versorgungssicherheit für uns natürlich von ganz besonderer Bedeutung. In einer solchen Situation von Rohstoffarmut ist es immer vernünftig, einen breiten Energiemix anzubieten. Das heißt, sich nicht auf einen Energieträger allein zu verlassen. Deutschland ist damit gut gefahren.

Die beste Form von Unabhängigkeit oder möglichst wenig Abhängigkeit in der Energieversorgung ist immer noch das Energiesparen. Ich glaube, hierbei können wir gute Erfahrungen austauschen. Bei uns geht es z. B. eher darum, die Häuser im Winter gegen die Kälte zu isolieren. Bei Ihnen geht es vielleicht manchmal eher darum, die Häuser im Sommer gegen die Wärme zu isolieren. Aber beides hat die gleiche Aufgabe. Ich darf Ihnen berichten, dass es in Deutschland sehr erfolgreiche Gebäudesanierungsprogramme gibt, mit denen wir eine hohe Wärmeisolation erzeugen. Der Wärmemarkt bzw. bei Ihnen der Kältemarkt, also der Markt der Kühltechnologie ist einer der Märkte, der in seiner Klimaauswirkung noch weitgehend unterschätzt ist. Wir sind immer sehr auf den Strommarkt konzentriert. Im Wärme- und Kältebereich befinden wir uns noch am Anfang.

Das führt dazu, dass wir hier vielleicht ein neues Thema der Zusammenarbeit entdecken könnten genauso, wie wir natürlich im Bereich der erneuerbaren Energien in Zukunft enger zusammenarbeiten können. Auch hier sehe ich herausragende Potenziale und Möglichkeiten. Uns wird noch die schwierige Prozedur in der Europäische Union bevor stehen, dass unser verbindliches Ziel von 20Prozent erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2020auf die einzelnen Mitgliedstaaten heruntergebrochen werden muss. In diesem Zusammenhang biete ich an, dass wir im Bereich der erneuerbaren Energien und der Umwelttechnologien insgesamt ein Feld der Kooperation eröffnen könnten, von dem ich glaube, dass es dort noch sehr viel Potenzial gibt.

Wir wollen als Exportnation Deutschland natürlich unseren Status als Exportweltmeister behalten. Griechenland und Deutschland sind an manchen Stellen sicherlich Wettbewerber auf den neuen Märkten. Doch was uns beide eint, ist das tiefe Bewusstsein, dass mit der Erweiterung der Europäischen Union neue Märkte erwachsen obwohl es in Deutschland große Ängste gab. Das ist gerade jetzt noch einmal mit der Mitgliedschaft Bulgariens und Rumäniens und nach der großen Erweiterungsrundedeutlich geworden. Vielleicht wird es einmal die Möglichkeit geben, ein gemeinsames Projekt in Bulgarien, Rumänien oder auf dem Westbalkan so zu verfolgen, wie wir hinsichtlich der Infrastrukturmaßnahmen in Griechenland zusammenarbeiten.

Wir haben also ein gemeinsames Interesse an einer dynamischen europäischen Wirtschaftsentwicklung, an einem Europa, das sich auf die wesentlichen Punkte konzentriert. Deshalb ist es mir ganz wichtig, dass wir uns in dieser Kooperation im Rahmen der Lissabon-Strategie also der Strategie, die sich mit dem Wachstum Europas befasst jetzt endlich wieder auf das konzentrieren können, was für die Europäische Union so wichtig ist: Innerhalb der Welt und im globalen Markt eine starke Stellung zu behalten. Das ist, meine Damen und Herren, alles andere als selbstverständlich.

Man muss sich immer wieder vor Augen führen: Wir haben Anfang des 20. Jahrhunderts eine Situation gehabt, in der jeder vierte Mensch auf der Welt ein Europäer war. Am Ende unseres 21. Jahrhunderts werden wir eine Situation haben, in der jeder 14. Mensch aus Europa kommen wird. Das heißt, unser Anteil an der Weltbevölkerung wird auf 7Prozent sinken.

Wenn wir uns mit unserer Art, zu wirtschaften, zu leben und Demokratie zu gestalten, weltweit prägend einbringen wollen, dann wird dies nur gelingen, wenn wir wirtschaftlich stark sind. Das heißt: Wir müssen alles daran setzen, uns zusammenzuschließen, unsere Kräfte zu bündeln, voneinander zu lernen und untereinander auch zu zeigen, dass Protektionismus keine Möglichkeit ist, dieses Wachstum wirklich zu gestalten.

Deshalb ist es gut, wenn unsere Energiemärkte liberalisiert sind. Deshalb werden wir über die Liberalisierung von Postmärkten sprechen müssen. Deshalb werden wir über Energiesolidarität sprechen müssen, weil wir hier ganz unterschiedliche Voraussetzungen in der Europäischen Union haben. Die Europäische Union ist der Raum, in dem wir unsere gemeinsamen Werte, die einmal von Athen ausgegangen sind, leben und gestalten können. Aber sie werden nur prägend sein können, wenn wir wirtschaftlich dynamisch sind.

Die Erweiterung der Europäischen Union ist bislang eine Erfolgsgeschichte gewesen. Wir werden sie fortsetzen, natürlich auch auf dem Gebiet der Staaten des westlichen Balkans. Dies ist für die politische Stabilität wichtig. Wenn man sich die wirtschaftliche Lage in diesen Ländern anschaut, ist die wirtschaftliche Perspektive für die Bevölkerung die einzige Möglichkeit, Frieden, Stabilität und das Zusammenleben von unterschiedlichen Völkern zu garantieren. Ich möchte mich an dieser Stelle dafür bedanken, dass von der griechischen Regierung immer wieder eine ganz große Verantwortung für die Region ausgeht. Ich denke, das gilt für die griechische Wirtschaft genauso.

Deshalb war es auch so wichtig, dass es uns gelungen ist, auf dem Rat im Juni ein Mandat für eine Regierungskonferenz zu verabschieden. Wir hoffen, dass die portugiesische Präsidentschaft das Ganze zu einer neuen vertraglichen Grundlage bringen wird. Denn es muss sichergestellt werden, dass sich Europa nicht unentwegt mit sich selbst beschäftigt. Es ist hochinteressant, darüber zu diskutieren, wie und auf welche Art und Weise man abstimmt. Ein griechischer Ort hat jetzt Triumphe gefeiert. Jeder kennt Ioannina. Ich bin sehr gespannt darauf, vielleicht eines Tages in meinem Leben auch noch einmal nach Ioannina zu kommen. Ich habe jetzt sogar gelernt, dass der heutige griechische Präsident in seiner Eigenschaft als Außenminister damals einen Außenministerrat an dieser Stelle durchgeführt hat. Ohne Ioannina hätten wir vielleicht gar keine vertragliche Grundlage, weil wir gar keinen Ausweg aus den Abstimmungsprozessen gefunden hätten. Aber sei es drum: Die Selbstbeschäftigung Europas muss aufhören. Europa muss sich auf das Wichtige konzentrieren. Das heißt: Wachstum, Kreativität und auch Wettbewerbsfähigkeit.

Der Schutz des geistigen Eigentums spielt dabei eine wichtige Rolle. Hier geht es zunächst einmal darum, dass wir alles, was wir erfinden, auch in Patenten niederlegen können möglichst in europäischen Patenten. Ich kann nur hoffen, dass uns das irgendwann gelingen wird. Deutschland hat z. B. durch seine große Tradition im Maschinenbau 30Prozent aller internationalen Patente inne. Wenn wir die Europa zugänglich machen wollen, dann brauchen wir ein gangbares europäisches Patentwesen.

Ich sage das deshalb, weil der Schutz des geistigen Eigentums etwas ist, was uns in Europa zutiefst umtreiben muss. Wenn das, was wir erfinden, was wir entwickeln und was wir als Pioniere in der Welt leisten, jederzeit gestohlen werden kann, dann ist das nicht gut für uns. Das sind die eigentlichen Anliegen, um die wir uns heute in einer globalen Welt kümmern müssen. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt vielleicht aus der Phase der Selbstbefassung mit einem Reformvertrag hinauskommen und uns um das, was auf der Welt wirklich wichtig ist, kümmern werden.

Dabei kann Europa stolz auf sich sein, weil Europa wirklich Meilensteine setzen kann sowohl, was die Energiepolitik und die Klimaschutzpolitik anbelangt, als auch mit Blick auf Innovationen und andere Bereiche. Deutschland hat sich in seiner Ratspräsidentschaft sehr dafür eingesetzt, den transatlantischen Wirtschaftsraum zu einem Raum zu machen, in dem es möglichst wenige Barrieren gibt. Auch hier haben wir gemeinsame Wertegrundlagen des Wirtschaftens. Wir müssen uns darauf konzentrieren, diese Wertegrundlagen zu erhalten.

In diesem Sinne möchte ich noch einmal all denjenigen ein herzliches Dankeschön sagen, die in Griechenland dafür eintreten, dass die deutsch-griechischen Beziehungen dynamisch, stark, freundschaftlich und eng sind ganz besonders natürlich der Regierung. Darüber haben wir heute gesprochen, diesbezüglich sind wir guten Mutes.

Ich möchte ebenfalls dafür danken, dass unsere beiden Länder ihren Beitrag in Europa leisten, um Europa wettbewerbsfähig zu machen, um Ihnen als Vertretern der Wirtschaft möglichst wenige Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Wir wollen Ihnen ein Wirtschaften in diesem europäischen Binnenmarkt ermöglichen und gemeinsam damit das Selbstbewusstsein und das Vertrauen entwickeln, um in der Welt auftreten und sagen zu können: Wir scheuen uns nicht vor dem Wettbewerb, sondern wir nehmen den Wettbewerb an. Denn wir glauben, dass wir selbst gute Beiträge dazu leisten können. Deshalb herzlichen Dank dafür, dass Sie alle heute hierher gekommen sind.

Den griechischen Unternehmen möchte ich sagen: Sie sind auch in Deutschland herzlich willkommen. Den Deutschen, die hier tätig sind, möchte ich sagen, dass sie einen großen Beitrag zur deutsch-griechischen Freundschaft leisten. Uns allen möchte ich wünschen, dass diese Europäische Union das tut, was die Menschen erwarten: In Zeiten eines viel härteren Wettbewerbs und neuer Konkurrenz den Bürgerinnen und Bürgern Europas ein Stück Zuversicht dafür zu geben, dass wir als Europäer in dieser offeneren, freiheitlicheren Welt, für die wir alle gerade auch Griechenland viel gekämpft haben, gute Freunde und Partner für andere sind, die auch bestehen und unseren Menschen Wohlstand geben können. Herzlichen Dank, dass ich heute hier sein darf und dass Sie diese Veranstaltung organisiert haben.