Redner(in): k.A.
Datum: 20.07.2007

Untertitel: am 20. Juli 2007 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/07/2007-07-24-rede-de-maiziere-widerstand,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,

Frau Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages,

Herr Regierender Bürgermeister,

Herr Thomas,

Exzellenzen,

sehr geehrte Damen und Herren,

der 20. Juli 1944 war ein schwülheißer Donnerstag. Mittags explodierte unter dem Kartentisch in der Baracke des sog. Führerhauptquartiers "Wolfsschanze" während einer Lagebesprechung mit Adolf Hitler eine Bombe. Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres, hatte sie in dem Raum deponiert.

Draußen starben die Menschen im Krieg. In der "Wolfsschanze" gab es auch Tote und Verletzte. Aber Hitler kam mit einigen Kratzern davon. Der Staatsstreich scheiterte schon hier und später in Berlin.

heute erinnern wir uns nicht nur an die mutigen Männer vom 20. Juli 1944. Wir erinnern uns an alle Frauen und Männer, die dem nationalsozialistischen Regime Widerstand geleistet haben.

Dies geschah auf vielfältige Weise in allen gesellschaftlichen und sozialen Schichten. Ebenso unterschiedlich wie die Beweggründe waren auch die Formen des Widerstands: Sie reichten von passivem Widerstand über Hilfe für Verfolgte bis zum aktiven Kampf gegen das Regime.

Wir erinnern heute auch an diejenigen, die gelitten haben, nur weil sie Angehörige von Widerständlern waren. Sie zahlten einen besonders hohen, bitteren Preis.

Diese Erinnerungen sind wichtig. Orte, Stunden und Worte des Gedenkens sind wichtig. Sie halten unser Gedächtnis wach. Sie mahnen unser Gewissen.

Was Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus bedeutete, was er vom Einzelnen verlangte, der Mut, den er erforderte, und die Lebensgefahr, in die sich viele begaben dies alles überfordert die Vorstellungskraft in unserem heute friedlichen, freiheitlichen Alltag. Ohne Erinnerungsorte schwindet Geschichte langsam aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Deswegen brauchen wir sie.

Nach einer diskussionsreichen Rezeption im Nachkriegsdeutschland gilt heute der 20. Juli 1944 als positiver Meilenstein unserer deutschen Geschichte. Er ist und bleibt für uns ein leuchtendes Zeichen in der dunklen Zeit des Nationalsozialismus.

Damit darf aber kein "ad-acta-Legen" verbunden sein. Der 20. Juli ist keine "gute Ausrede" für uns Deutsche. Der 20. Juli 1944 ersetzt nicht unsere bleibende Verantwortung für das ganze Verbrechen des Nationalsozialismus.

Verstehen können wir die Vorgänge, die bis zum 20. Juli 1944 führten, nur vor dem Hintergrund der historischen Rahmenbedingungen."Widerstand", das war keine einheitliche Bewegung. Das waren viele voneinander unabhängige, oft sogar in ihren Zielen gegensätzliche Vereinigungen oder Einzelne.

Denken wir nur an die unterschiedlichen Beweggründe der Gruppen: Der militärischen Opposition, der konservativen Gruppe um den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler sowie etwa des Kreisauer Kreises um den Grafen Helmuth von Moltke oder von anderen wie zum Beispiel den Geschwistern Scholl.

Wenn auch Herkunft, Denkweise, politische Richtung und Methode oft gegensätzlich waren, gab es doch ein übergreifendes Element, das den "Widerstand" einte: Die Ablehnung des Unrechts und der gnadenlosen Gewalt des Regimes. Es war das verantwortliche Gewissen, auf der Seite des Rechts bleiben zu müssen, obwohl oder weil Unrecht regierte.

Anrede,

so verschieden Motive und Handlungsweisen waren: im 20. Juli hat der deutsche Widerstand sein Symbol gefunden. Es war ein langer Weg von den ersten Plänen zum Umsturzversuch bis zur Ausführung.

Schließlich standen hinter der Tat Stauffenbergs und seiner Mitstreiter breite, auch zivile Kreise, die für verschiedene politische Richtungen standen. Die Tat war eben nicht wie Hitler zunächst verbreiten ließ das Werk einiger weniger Offiziere. Die Anfänge der Planungen zum 20. Juli 1944 reichten weit zurück bis zu den Überlegungen für einen Umsturz im Jahr 1938. Entsprechend vielfältig waren die Beweggründe der Beteiligten.

Bei den Soldaten waren es wohl bei vielen zunächst militärisch-fachliche oder nationale, patriotische Gründe, die zur aktiven Opposition gegen das Regime führten. Je deutlicher die wahren Absichten und unmenschlichen Methoden Hitlers wurden, desto mehr kamen moralische bei vielen auch religiöse Motive für den Widerstand hinzu.

Der Nationalsozialismus lebte durch eine Ideologie von entsetzlicher Skrupellosigkeit. Dies wurde mehr und mehr offenbar. Henning von Tresckow hat vom Treiben der "staatlichen Mörderbanden" gesprochen. Mit der Verfolgung und systematischen Ermordung von Juden und anderen Minderheiten zeigte das Regime seinen unmenschlichen Vernichtungswillen.

Dennoch: Ich wiederhole: Der Weg zum aktiven militärischen Widerstand war lang und schwer.

Gerade bei den Soldaten verstieß die Idee eines Staatsstreichs gegen tief verwurzelte, als richtig und notwendig verinnerlichte Grundsätze. Die Verbindlichkeit des Soldateneids als Versprechen der Treue gegenüber dem Staat nach dem so genanntenRöhm-Putsch als Eid auf Hitler pervertierend verändert, die Überzeugung vom Sinn eines Systems, von Befehl und Gehorsam, und die Bindung an eine Hierarchie also das Selbstverständnis des Soldaten steht der Idee eines Staatsstreichs diametral entgegen.

Viele befürchteten zudem, mit einem Umsturz den Nährboden für eine neue "Dolchstoßlegende" zu schaffen. Dieser tiefe innere Konflikt, die Zweifel an dem richtigen Zeitpunkt oder die Hoffnung, das Blatt werde sich doch noch auf andere Weise gegen Hitler wenden, verhinderten eine frühere Entladung der Ablehnung gegen das Hitlerregime in einem Umsturzversuch.

Niemand hat es sich leicht gemacht mit dem Entschluss zum Staatsstreich. Im Vorfeld wurde seit Jahren über die Voraussetzungen und die Folgen eines Staatsstreichs nachgedacht und auch immer wieder an der eigenen Position gezweifelt.

Die Überlegungen für eine politische Ordnung nach dem Umsturz waren unterschiedlich und selbst innerhalb des Lagers der national-konservativen Hitler-Gegner widersprüchlich. Einig war man sich aber in einem: Die Gewaltherrschaft sollte beendet werden. Die Herrschaft des Rechts sollte an ihre Stelle treten. Außerdem sollte eine umfassende Neugestaltung des politischen und sozialen Lebens erfolgen.

Das langsame Entstehen des so folgenschweren Handlungsentschlusses lässt die Gewissenhaftigkeit und die Gewissensqual erahnen, mit der die Tat immer wieder erwogen, verworfen und überdacht wurde.

Mit Stauffenberg trat spät - 1943 ein zum Handeln entschlossener Mann zum Kreis der militärischen Opposition hinzu. Er war davon überzeugt, dass die soldatischen Pflichtenbindungen nicht um jeden Preis gelten konnten und ihrerseits einen rechtschaffenen Staat voraussetzen. Mit diesem Gefühl war er bereit, seinen Eid zu brechen für ein schnelles Kriegsende und um weitere Opfer zu vermeiden.

Es ging aber auch darum, der Welt das Aufbegehren eines anderen Deutschlands gegen das Hitler-Regime zu zeigen. Obwohl das Attentat militärisch und politisch scheiterte, war es moralisch erfolgreich. Mit dem Attentatsversuch wurde dieses Signal am 20. Juli 1944 erfolgreich gesetzt und wirkt bis heute.

Anrede,

welche Lehren können wir für die Zukunft aus dieser Erfahrung des 20. Juli 1944 ziehen?

1. Unser Gedenken an den Widerstand, mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, erfolgt in einem demokratischen Rechtsstaat. Meinungs- , Bekenntnis- , Wahl- und Versammlungsfreiheit ermöglichen heute den rechtzeitigen, geordneten und friedlichen Widerspruch gegen Unrecht. Menschenwürde und Menschenrechte sind die Fundamente unseres Staates. Widerstand ist gegen den demokratischen Staat nicht erforderlich. Widerspruch ist Teil der demokratischen Ordnung. Widerstand " ist deshalb nicht nötig und nicht demokratisch legitim, solange Widerspruch rechtsstaatlich garantiert und praktisch umsetzbar ist.

2. Ich meine, unsere Lehre für die Zukunft sollte auch sein: Wir müssen unseren Blick schärfen für Unterschiede und für den Umgang mit der Sprache.

Schärfen wir unseren Blick, damit der Begriff "Widerstand" nicht inflationär für jeden kritischen demokratischen Diskussionsprozess oder die Geltendmachung eigener Ansprüche missbraucht wird. Denn "Widerstand" ist viel mehr.

Unser Grundgesetz appelliert mit dem "Widerstandrecht" in Artikel 20 Absatz 4 an die politische Mitverantwortung aller Bürgerinnen und Bürger, wachsam gegenüber Angriffen auf die demokratische Verfassungsordnung zu sein.

Widerstand aber setzt "Herrschaftsverwirkung" voraus. Erst dann kann eine existenzielle Ausnahmesituation bestehen, in der "Widerstand" legitimierbar ist.

Erst wenn der Staat den Boden des Rechts verlässt, wenn er die Institutionen systematisch aushöhlt, die Recht, Demokratie und Freiheit garantieren, erst dann kann eine verantwortliche Gewissensinstanz zum Zuge kommen, die zu "Widerstand" aufruft.

Eine echte Gewissensentscheidung ist etwas Kostbares. Eine echte Gewissensentscheidung kommt sicher nur ein paar Mal im Leben vor, wenn überhaupt. Sie sollte nicht in "kleiner Münze" gehandelt werden. Nicht jede schwierige Entscheidung ist schon eine Gewissensentscheidung.

3. Während des Hitler-Regimes verlangte der Entschluss zum demokratischen Widerstand im Namen des Rechts die Bereitschaft, den denkbar höchsten Preis zu zahlen. Neben gesellschaftlicher und sozialer Isolation ging es um nicht weniger als um die Bereitschaft, das eigene Leben zu opfern.

Bei nicht vielen Menschen war damals solche Charakterstärke und Entschlossenheit zu finden. Diesen wenigen Menschen gebührt unsere Anerkennung und unser Gedenken.

Wenn heute Widerspruch gegen Obrigkeit erfolgt, dann geschieht das dagegen mit dem durchaus berechtigten Verständnis des Bürgers, dass er wegen seines Widerspruchs gerade keine Nachteile erdulden muss oder darf. Widerspruch ist daher heute nicht notwendig mit Mut verbunden.

Und Widerspruch bei allen Themen der öffentlichen Diskussion muss heute seinerseits demokratisch und friedlich bleiben. Gewalt ist in unserem Staat nicht nötig, um sich und seinen Positionen Gehör zu verschaffen. Sie ist nicht erlaubt und auch nicht als eine Art von "Widerstand" gerechtfertigt, weil in unserem rechtsstaatlichen System die Grundrechtsausübung auf die normale nämlich die friedliche Weise möglich, nötig und willkommen ist.

4. Mit scharfem Blick sollten wir auch unsere eigenen Handlungsmotive betrachten. Wir können aus dem 20. Juli 1944 lernen, dass es eine Instanz gibt oder geben kann, die stärker sein kann als alle Zwänge, wenn eine politische Führung rechtsstaatliche Werte verwirft und so zur "verbrecherischen Führung" wird.

Das verantwortliche Gewissen und die Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht, Menschlichkeit und Barbarei zu unterscheiden, muss letztlich der Maßstab unseres Handelns sein.

Wir Deutsche müssen uns die Kenntnis und das Gespür für Recht und Unrecht besonders bewahren. Das ist eine Verpflichtung gegenüber den Frauen und Männern des 20. Juli.

Anrede,

erinnern kann man an Triumphe das tut jeder gern aber man kann und muss auch erinnern an Niederlagen und Schrecken. Der 20. Juli 1944 vereint beide Elemente. Auch wenn das Attentat in dem eigentlichen Anliegen nicht erfolgreich war, hat es doch einen wichtigen Zweck erfüllt: Der deutsche Widerstand hat sichtbar und vor aller Welt "Nein" gesagt zu Hitlers Regime. Der 20. Juli 1944 vereint Größe und Tragik zugleich.

Für unseren Verstand und unser Gefühl brauchen wir sichtbare Zeichen des Gedenkens Orte, Stunden und Worte des Gedenkens an die Menschen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben.

Der 20. Juli 1944 ist Teil des kollektiven Gedächtnisses des deutschen Volkes. Und er soll es bleiben.