Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 13.10.2007

Untertitel: Zur Eröffnung der Ausstellung "Paula Modersohn-Becker und die ägyptischen Mumienporträts" am 13. Oktober 2007 im Bremer Rathaus würdigte Staatsminister Bernd Neumann das Werk der Künstlerin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/10/2007-10-13-rede-neumann-modersohn-becker,layoutVariant=Druckansicht.html


Es gibt viele mehr oder weniger taugliche Versuche der Definition von Kunst. Gut gefällt mir, was der kürzlich verstorbene Marcel Marceau zu sagen pflegte: "Kunst ist keine Mode. Kunst ist Ewigkeit." Dieser Satz könnte geradezu als Motto der Ausstellung "Paula Modersohn-Becker und die Mumienporträts" gelten, denn für die Ewigkeit wurden die spätantiken Mumienporträts geschaffen, mit deren eigentümlicher Schönheit sich Paula Modersohn-Becker während ihres Paris-Aufenthaltes 1903 intensiv beschäftigte.

Es ist ein großes Verdienst von Herrn Professor Stamm, dass wir zum ersten Mal die Werke Paula Modersohn-Beckers mit diesen kostbaren ägyptischen Mumienporträts direkt vergleichen können und auf diese Weise noch einmal ganz neu entdecken.

Nach der Ausstellung "Leben!" im Sommer dieses Jahres in Worpswede, ist dies die zweite Ausstellung über Paula Modersohn-Becker, an deren Eröffnung ich mich als Verantwortlicher der Bundesregierung für Kultur beteilige. Schon allein diese Tatsache mag meine Verbundenheit nicht nur mit der Region, sondern vor allem auch mit dem Werk von Paula-Modersohn Becker illustrieren. Die Persönlichkeit und das Schaffen dieser großen Künstlerin faszinieren mich schon seit langem. Dazu gehört auch ihre enge Freundschaft zu Rainer Maria Rilke, einem meiner Lieblingsdichter.

Über ihre Begegnungen in der damaligen Künstlerkolonie Worpswede berichtet die Biografie von Rainer Stamm sehr eindrucksvoll. Eines der Gemälde von Paula Modersohn-Becker, das "Mädchen mit Blumenkranz", hängt in meinem Arbeitszimmer im Bundeskanzleramt. Es ist eine Leihgabe der Staatlichen Museen zu Berlin, über die ich mich täglich aufs Neue freue.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen im "Paula-Jahr" anlässlich des 100. Todestages der Malerin widmen sich dieser faszinierenden Frau und ihrem Schaffen. Wir wissen heute um die Tragik ihres kurzen Lebens, in dem es ihr verwehrt geblieben war, als autonome Künstlerin anerkannt zu werden.

Die systematische Aufarbeitung des umfänglichen Gesamtwerks von Paula Modersohn-Becker sie hinterließ 734 Gemälde und ca. 1000 Zeichnungen setzte jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Sie ist bis heute nicht abgeschlossen und war lange von Romantisierung und sentimentalen Deutungen geprägt, die den Blick eher trübten. Doch langsam wird das Bild deutlicher, und wir erkennen: Sie war wohl eine der wichtigsten Protagonistinnen des Aufbruchs der Malerei in die Moderne.

Ihre Biographie und ihr Schaffen sind einzigartig und doch auf gewisse Art auch symptomatisch für die stürmischen Entwicklungen der Kunst um die Jahrhundertwende. Ohne die Künstlerinnen-Vereine, die zu dieser Zeit überall in Europa gegründet wurden, hätte auch die junge Paula Becker keine künstlerische Ausbildung erhalten. Der "Verein Berliner Künstlerinnen", wo sie 1896 studierte, existiert noch heute.

Alle europäischen Wegbereiterinnen der klassischen Moderne wie Gabriele Münter oder Camille Claudel mussten ihre Ausbildung in den Nischen des akademischen Kunstbetriebes selbst organisieren. Es mag bitter klingen: Vielleicht war es gerade diese Außenseiterrolle, die diese Frauen dazu befähigte, über die Normen der akademischen Kunst weit hinauszugehen. Selbst die Malerkollegen in Worpswede blieben weitgehend Gefangene des akademischen Stils, dem sie doch eigentlichen entfliehen wollten. Dies gilt auch für Otto Modersohn, der jedoch zu den wenigen gehörte, die die Kraft und Eigenart der Werke seiner Frau erkannten.

Ein weiteres europäisches Phänomen war ebendiese Flucht vor dem akademischen Betrieb in die Beschaulichkeit ländlicher Idyllen. Ob in Pont-Aven oder in Worpswede überall in Europa suchten Maler in der Abgeschiedenheit nach dem einfachen Leben, das ihrer Kunst Wahrhaftigkeit verleihen sollte. Paula Becker kam mit 22 Jahren nach Worpswede, um bei Fritz Mackensen Zeichenunterricht zu nehmen. Es war kein weiter Weg von Bremen, aber es war dennoch eine andere Welt, in die die junge Frau eintauchte. Hier wollte sie ihr Ziel erreichen, die radikale Reduzierung auf das Wesen der Dinge, die "große Form", die "erhabene Größe des Einfachen".

Hier fand sie unter den einfachen Leuten ihre Modelle, fand sie ihr Licht und die magische Landschaft, die ihrem eigenen Wesen am meisten entsprach. Nur hier bezeichnete sie sich selbst einmal als "glücklich, glücklich, glücklich". Und dennoch: "In der Ferne glüht, leuchtet Paris", so schrieb sie selbst aus Worpswede. Paris, das war der Sehnsuchtsort der Künstler am Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch Paula Modersohn-Becker zog es vier Mal zwischen 1900 und 1906 dorthin. Zwei Ausstellungen in unserer Region widmen sich dem Schaffen der Künstlerin im Kontext der internationalen Avantgarde:

Gestern hat ja die Ausstellung "Paula Modersohn-Becker und die Kunst in Paris um 1900" in der Kunsthalle Bremen ihre Pforten geöffnet, und auch die Städtische Galerie Delmenhorst widmet sich demnächst unter dem Titel "Paris leuchtet" der magischen Anziehungskraft der Kunsthauptstadt an der Seine.

Doch, meine Damen und Herren, es sind im Grunde drei Ausstellungen, die sich mit den Pariser Erfahrungen von Paula Modersohn-Becker auseinandersetzen. Wie andere Künstler der Jahrhundertwende entdeckte auch sie die Kunst anderer Erdteile und der Antike für sich.

Paul Gauguin, dessen Werke Paula in Paris kennen lernte, empfahl einem Malerfreund: "Halten Sie sich stets die Perser vor Augen, die Kambodschaner und ein wenig die Ägypter!".

Paula Modersohn-Becker war fasziniert von den Mumienporträts in der ägyptischen Abteilung des Louvre. Auch auf uns heutige Betrachter wirken sie fremdartig und doch zugleich vertraut. Diese ältesten Porträts der Kunstgeschichte öffneten ihr den Weg zur antiken Kunst, die ihr zuvor gänzlich fremd erschienen war. Die Mumienporträts erschienen ihr all das zu verkörpern, wonach sie selbst strebte: Einfachheit und Größe, Unmittelbarkeit und Intimität. Dieser prägende Eindruck spiegelt sich in den mehr als zwanzig Porträts wider, die sie von 1903 bis zu ihrem frühen Tod 1907 geschaffen hat.

Meine Damen und Herren, die Ausstellung "Paula Modersohn-Becker und die ägyptischen Mumienporträts" ist eine Weltpremiere. Wir werden Zeugen eines faszinierenden Dialogs von Werken aus zweitausend Jahren Malereigeschichte. Dieser Dialog verdeutlicht, dass Paula Modersohn-Becker nicht auf das Etikett "Worpsweder Künstlerin" reduziert werden darf. Gerade das ungewöhnliche Thema der Ausstellung zeigt in konzentrierter Weise die nationale Bedeutung und den internationalen Rang ihrer Kunst. Paula Modersohn-Becker hat wie die anderen Künstler ihrer Zeit gesucht doch was sie fand, unterscheidet sie von ihren Zeitgenossen und weist weit über ihre Zeit hinaus. Es ist mir als Kulturstaatsminister deshalb eine Freude, zu dieser Ausstellung, die im kommenden Jahr auch im Museum Ludwig in Köln zu sehen sein wird, eine Förderung in Höhe von 160.000 Euro aus meinem Hause beizutragen.

Es gibt keinen besseren Ort für diese Ausstellung als das "Paula Modersohn-Becker-Museum". Sein Entstehen verdanken wir einem der wenigen Freunde und Begleiter der Künstlerin, der ihr Talent früh erkannte: dem Bildhauer und Architekten Bernhard Hoetger. Im Auftrag des Mäzens und Sammlers Ludwig Roselius baute er 1927 dieses Haus. Es ist nicht nur das erste Künstlermuseum der Moderne in Deutschland, sondern weltweit das erste einer Malerin gewidmete Museum. Damit besitzt Bremen ein Kleinod, auf das wir zu Recht stolz sein können. Ich bin sehr froh, dass wir mit Ihnen, Herr Professor Stamm, einen Direktor haben, der nicht nur ein profunder Kenner des Lebens und des Werkes der großen Künstlerin ist, sondern auch ein leidenschaftlicher Museumsmann. Ich hatte Ihnen ja schon bei der Ausstellungseröffnung in Worpswede gesagt, dass ich Ihr Buch mit dem Titel "Ein kurzes intensives Fest" über Paula mit Spannung und Begeisterung gelesen habe.

Ich hoffe, dass Sie dem Haus noch lange erhalten bleiben! solche bahnbrechenden Ausstellungen haben ja oft leider die Folge, dass der hochgelobte Direktor abgeworben wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Werk von Paula Modersohn-Becker wird im deutschsprachigen Raum immer besser erforscht, die zahlreichen Ausstellungen gerade hier, im Nordwesten Deutschlands, lassen kaum noch Wünsche offen. Wir könnten eigentlich zufrieden sein. Doch ich wünschte mir, dass Paula Modersohn-Becker auch im Ausland noch bekannter würde. Vielleicht sollte man einer Idee nachgehen, die mir bei der Vorbereitung dieser Rede in den Sinn kam:

Eine international angelegte Verfilmung des Lebens von Paula Modersohn-Becker wäre vermutlich nicht weniger faszinierend als Filme über Frida Kahlo oder Camille Claudel!

Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass Sie die Ausstellung, die ich heute Morgen bereits besichtigen konnte, genauso beeindruckt wie mich. Ich wünsche ihr viele Besucher und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.