Redner(in): Angela Merkel
Datum: 15.10.2007

Untertitel: gehalten in Wiesbaden
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Wladimir Putin, sehr geehrter Herr Gorbatschow, lieber Lothar de Maizière, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/10/2007-10-15-rede-bkin-petersburger-dialog,layoutVariant=Druckansicht.html


auch wir fühlen uns schon nach kurzer Zeit ich glaube, das darf ich sagen hier in Wiesbaden und in der Umgebung sehr wohl. Ich freue mich, dass wir heute wieder gemeinsam mit Ihnen beim Petersburger Dialog sein können. Sie haben in diesem Jahr das Thema "Einheit Europas Deutsche und Russische Beiträge" gewählt. Ich glaube, an dieser Zielsetzung wird schon deutlich, dass Deutschland und Europa eine enge und verlässliche Partnerschaft mit Russland haben wollen.

Es ist eben darauf hingewiesen worden und wir haben es auch in den Medien gespürt: Diesmal waren die Diskussionen offensichtlich sehr lebhaft, sehr intensiv. Ich kann das nur begrüßen, denn ich glaube, nur wenn ehrlich gesprochen wird, ist es überhaupt möglich, sich zu verständigen. Insofern glaube ich, dass das der richtige Weg ist, zum einen zu besserem Verständnis und zu gemeinsamen Ansätzen zu kommen, aber zum anderen auch Unterschiede nicht zu vertuschen oder unter den Tisch zu kehren, sondern offen auf den Tisch zu legen und auszudiskutieren.

Warum ist der Petersburger Dialog aus meiner Sicht so wichtig? Er ist so wichtig, weil er die Zivilgesellschaften in unseren Ländern repräsentiert und deshalb neben den politischen Kontakten sozusagen eine andere, eine weitere breite Spur der Kontakte zwischen unseren Ländern ist. Dort können alle Themen angesprochen werden, von den kulturellen Fragen über die Fragen der natürlichen Ressourcen das Rohstoffforum spielt hier eine wichtige Rolle hin zu den Fragen der Demokratiegestaltung, der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit, der Vereinigungsfreiheit. Ich glaube, aus diesem gegenseitigen Austausch erwächst dann auch die notwendige Verständigung.

Die vertrauensvolle Diskussion zeigt sich aus meiner Sicht gerade auch daran, dass man einmal unterschiedlicher Meinung sein kann, hinterher aber trotzdem fröhlich miteinander in der "Zauberflöte" sitzt und sie genießen kann. Ich glaube, das liegt auch an der Atmosphäre der Stadt Wiesbaden, die die enge Verbundenheit der deutschen und der russischen Kultur verkörpert. Die russische Kirche hier auf dem Neroberg ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass das Ganze in einer historisch eingebetteten Atmosphäre stattfindet, dass wir auf jahrhundertelange Kontakte zurückgreifen können. Das geht manchmal verloren. Wir sprechen heute viel von Europäisierung und Globalisierung, aber im Grunde wird manchmal vergessen, wie eng Europa auch schon vor 200Jahren mit Russland zusammengearbeitet hat. Wahrscheinlich gab es in keiner deutschen Stadt so viele bekannte Russen wie in Wiesbaden. Deshalb ist das geradezu ein symbolischer Ort.

Wir wissen, unsere Zukunft liegt letztlich in den Händen auch der jungen Menschen. Ich möchte noch einmal betonen, dass aus meiner Sicht der Jugendaustausch sehr, sehr wichtig ist. Wir sollten auch heute bei den Regierungskonsultationen noch darüber sprechen. Je mehr junge Leute die Erfahrung machen, unsere Länder kennen zu lernen, umso besser werden sie dann auch ihr gesamtes Berufsleben lang auf die jeweiligen Belange mit Verständnis eingehen können. Wir haben vor zwei Jahren die Deutsch-Russische Jugendstiftung gegründet. Wir haben uns im vergangenen Jahr in Dresden mit dem Deutsch-Russischen Jugendparlament getroffen. Ich glaube, schon damals haben wir gesehen, wie intensiv der Meinungsaustausch ist.

Worauf können wir bei der deutsch-russischen Kooperation aufbauen?

Erstens. Wir haben starke Bande. Das sind kulturelle Bande, das sind aber auch dynamische Wirtschaftsbeziehungen. Es gibt im Übrigen eine Vielzahl privater Initiativen und zwischenmenschlicher Verbindungen, die daraus erwachsen sind. Auch die Bundesländer und viele Städte sind Partnerschaften eingegangen wir werden heute auch wieder auf eine zurückkommen. Diese müssen wir weiter pflegen und entwickeln.

Zweitens. Wir wissen, dass wir die großen globalen Probleme nur gemeinsam bewältigen können. Wir haben in diesem Jahr beim G8 -Treffen sehr intensiv über den Klimaschutz gesprochen. Viele andere Themen ließen sich nennen.

Drittens. Wir sind aufeinander angewiesen, drängende internationale Konflikte gemeinsam in der Diskussion zu lösen. Wir sprechen im Augenblick sehr viel über den Nahostkonflikt, über das iranische Nuklearprogramm, über den Kosovo. Wir wissen aus unseren politischen Diskussionen, dass wir immer versuchen, Wege zu gehen, auf denen wir möglichst konstruktive Lösungen finden, auch wenn das manchmal nicht ganz einfach ist. Aber gegeneinander kann man solche Konflikte am allerschlechtesten lösen.

Viertens. Wir sind natürlich auch voneinander abhängig. Das merken wir in Europa zum Beispiel im Bereich der Energieversorgung. Es ist richtig das wird auch heute wieder eine Rolle spielen, dass Russland Deutschlands wichtigster Energielieferant ist. Auf der anderen Seite besteht in der russischen Wirtschaft Modernisierungsbedarf. Das bietet deutschen Unternehmen sehr gute Möglichkeiten, hier konstruktiv zusammenzuarbeiten. So sieht man auch hier Interdependenzen. Wir wollen bei der Energieversorgung Bedingungen schaffen, die verlässlich sind und von denen alle profitieren können: Die Erzeuger, die Abnehmer, die Transitstaaten.

Wenn wir uns das Verhältnis von Russland, Deutschland und der Europäischen Union anschauen, kommen wir zu zwei Einsichten, die ich hier nennen möchte. Unsere Zusammenarbeit wird natürlich umso erfolgreicher sein, je mehr wir als Europäische Union mit einer einheitlichen Meinung mit Russland diskutieren. Wladimir Putin weiß, wie oft die Europäische Union etwas unterschiedliche Akzente setzt. Er kennt uns alle sehr gut und kennt deshalb auch die Nuancen. Wenn wir von Europa sprechen, möchte ich aber auch darauf hinweisen, wie wichtig ich es finde, dass sich die Europäische Union und Russland durch ihre Mitgliedschaften sowohl im Europarat als auch in der OSZE auf gemeinsame Werte verpflichtet haben. Das Konzept der "vier Räume" hat dies noch einmal bestätigt.

Ich glaube, wir führen unseren Dialog in dem festen Bewusstsein, dass wir die gegenseitige erfolgreiche Entwicklung unserer Länder wollen. Das geht nicht ohne die Zivilgesellschaften, das wissen wir. Deshalb ist dieser Austausch der Zivilgesellschaften so wichtig und deshalb bin ich auch wieder sehr gespannt auf die Berichte der Arbeitsgruppen. Ich kann nur sagen, was ich politisch tun kann, um diesen Petersburger Dialog auch in Zukunft, in seiner nächsten Phase seiner zweiten Phase, wie Sie sagten zu begleiten. Wir brauchen diesen Dialog. So, wie er jetzt auch langsam Eingang in die Öffentlichkeit findet, ist er auf dem richtigen Weg.

Ich will meine kurzen Ausführungen mit einem Ausspruch von Dostojewski, der ja auch mit Wiesbaden verbunden ist, beenden. Er hat einmal gesagt: "Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, sondern wir schaffen sie selbst." In diesem Sinne: Lassen Sie uns das gemeinsam schaffen.

Herzlichen Dank, dass wir hier dabei sein können.