Redner(in): Angela Merkel
Datum: 31.10.2007

Untertitel: in Mumbai
Anrede: Lieber Herr Minister, lieber Kamal Nath, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/10/2007-10-31-merkel-deutsch-indische-handelskammer,layoutVariant=Druckansicht.html


ich glaube, dass die letzten zwei Tage für uns als deutsche Delegation in der Tat ein großer Erfolg und eine große Freude waren. Wir sind mit offenen Türen und mit offenen Herzen hier in Indien willkommen geheißen worden. Wir sind mit einer großen Delegation und auch vielen Erwartungen gekommen. Diese Delegation umfasst Vertreter der klassischen Entwicklungshilfe, die sich verändert. Diese Delegation umfasst Mitglieder des Deutschen Bundestages der Deutsche Bundestag beschäftigt sich auch sehr viel mit den Fragen der Außenbeziehungen. Diese Delegation umfasst unsere Wissenschaftsministerin und die Staatssekretärin aus dem Entwicklungsministerium genauso wie unseren Sherpa aus dem Bereich der Wirtschaft. Damit bin ich auch bei der Wirtschaftsdelegation angelangt.

Ich möchte der Deutsch-Indischen Handelskammer ein herzliches Dankeschön dafür sagen, dass sie sich der Fragen der wirtschaftlichen Kooperation heute hier so wunderbar angenommen hat und dass wir hier alle zusammen sein können, um miteinander über die Zukunft der deutsch-indischen Beziehungen zu sprechen.

Nun ist es in der Tat so, dass der heutige Handels- und Wirtschaftsminister Kamal Nath früher einmal mein Kollege als Umweltminister war und dass wir uns jahrelang aus den Augen verloren hatten, weil er, wie auch ich, sehr viel Parteiarbeit gemacht hat. Plötzlich waren wir wieder in Regierungsverantwortung und haben uns wieder getroffen. Mir sagt das zweierlei. Damals, als ich bei der ersten Umweltministerkonferenz noch keinerlei internationale Erfahrung hatte, hat mir Kamal Nath die Tür geöffnet zum Verständnis der Probleme der Länder, die Entwicklungsländer waren und die heute langsam aufsteigende Ökonomien werden. Er hat mir vom Leben erzählt, wie es in vielen Gebieten Indiens Realität ist und wie wir es uns in Deutschland nur schwer vorstellen können.

Er hat mir dann zum Ende der Konferenz einen Vorschlag gemacht, der zum Erfolg dieser Konferenz beigetragen, ich würde sogar fast sagen, geführt hat. Ich sage das, weil das von einer sehr grundsätzlichen Bedeutung ist. Er hat mir gesagt: Hier auf dieser Berliner Konferenz kommt kein Mandat zustande, wenn du die Vertreter der Industrieländer und der Entwicklungsländer sofort an einen Tisch setzt. Du musst vielmehr die einen in den einen Raum setzen und die anderen in einen anderen Raum, du musst dann immer hin und her gehen und verhandeln, denn die Entwicklungsländer sind sich nicht immer einig und die Industrieländer das wissen wir in Deutschland auch sind sich auch nicht immer einig. Wenn sie zusammensitzen, dann werden sie nie ihre eigenen Probleme lösen, sondern sich immer auf Kosten des anderen irgendwie zu profilieren versuchen. Damit verliert man viel Zeit.

Dann haben wir verhandelt, von abends um 8Uhr bis früh um 6Uhr. Als Vertreterin der Industrieländer fand ich, dass meine Gruppe eigentlich nicht gerade ein hervorragendes Bild abgegeben hatte, aber die Entwicklungsländer hatten auch ihre Probleme. Um 6Uhr haben wir aber ein Arrangement erreicht. Um diese Zeit saßen die Vertreter der Industrieländer relativ erschöpft da. Damals lächelte mich ein Vertreter aus den Entwicklungsländern an ziemlich wach und ziemlich kräftig und sagte: " We never reach the bottom line

Was möchte ich damit sagen? Ich möchte mit diesem Beispiel sagen, was wir zwischen Deutschland und Indien brauchen: Wir brauchen eine Partnerschaft, und zwar eine wirkliche Partnerschaft, die jede Seite neugierig auf die andere macht und in der wir in dieser globalen Welt mehr voneinander lernen. Wir wissen oft noch zu wenig voneinander. Ich glaube, dass die Deutsch-Indische Handelskammer einen unglaublichen Beitrag dazu leistet, dass die 6.000 Unternehmen, die Mitglieder dieser Handelskammer sind, Botschafter in Richtung Deutschland, aber auch in Richtung Indien sind, und dass unseren Menschen etwas mehr über die großen Kulturen, über die Mechanismen sowie über die Gedanken- und Gefühlswelten unserer Länder beigebracht wird.

Wenn man miteinander erfolgreich arbeiten will, dann muss man sich ein Stück weit verstehen, man muss sich achten und man muss ein gemeinsames Ziel haben. Meine zwei Tage, die ich jetzt in Indien verbracht habe morgen haben wir noch einen dritten, haben mir gezeigt: Es gibt diesen Willen zum gemeinsamen Verständnis auf ganz vielen Gebieten.

Zum Teil haben wir die gleichen Probleme wir haben heute über Berufsausbildung und über Ingenieure gesprochen. Wir erleben plötzlich, dass wir trotz unterschiedlicher Situationen ähnliche Probleme haben. Wir kämpfen auf unterschiedliche Weise, aber beide de facto gegen Bürokratie. Ich weiß nicht, ob wir in Deutschland oder in der Europäischen Union unsere Bürokratie besser finden als die indische oder ob die Inder die europäische besser finden als ihre eigene. Auf jeden Fall sind wir uns einig, dass wir etwas gegen ausufernde Bürokratie tun müssen, damit auch die Handelsbarrieren sinken.

Deshalb stimme ich Kamal Nath zu, dass das Abkommen zwischen Indien und der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung ist. Wir haben auch gestern darüber gesprochen: Das ist kein Ersatz für die Doha-Runde. Indien und Deutschland sind Vertreter des multilateralen Ansatzes. Wir wollen weltweit freien und fairen Handel fördern. Aber jenseits der Zollfragen, die wir innerhalb der Doha-Runde klären müssen, gibt es noch eine Vielzahl von Barrieren, die zum Teil sehr vertrackt sind. Dazu kann man viele Einzelbeispiele zwischen Europa und Indien anführen, die schon fast skurril sind. Wir müssen, wenn wir miteinander handeln wollen, den festen Willen haben, diese Barrieren auszuräumen. Jeder muss bereit sein, irgendwo einmal einen kleinen Schritt auf den anderen zuzugehen, um im großen Bereich dann auch etwas zu erreichen.

Ich werde ich denke, das werden auch viele aus unserer Delegation tun mit dem festen Eindruck nach Hause fahren, dass wir als Deutschland in Indien willkommen sind. Nun wissen wir: Heute Abend ist ein schöner Abend für Deutschland und Indien. Wir wissen aber auch: Andere kommen ebenfalls hierher und machen ihre Offerten. Natürlich wird ein Land wie Indien immer auch schauen, was aus dem Papier, auf dem wir etwas Gutes aufgeschrieben haben, in der Praxis wird.

Darüber haben wir gestern Abend in interner Runde zwischen Wirtschaft und Politik noch einmal diskutiert und haben uns auch gefragt: Sind unsere Mechanismen wirklich immer die einzig richtigen oder müssen wir sie nicht weiterentwickeln, damit wir ein Angebot an Indien machen können, das auch wirklich hilfreich ist, genauso wie wir Indien bitten, sich bei dem, was Indien in Deutschland tut, auch ein Stück weit auf unsere Bedingungen einzustellen? Wir wollen das und wir werden dazu sehr eng zusammenarbeiten. Unsere Wirtschaft ist genauso wie die Politik sehr stolz auf das deutsche Berufsausbildungssystem. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass so etwas auch hier in Indien zustande kommt. Deshalb glaube ich, dass unsere Partnerschaft auf einem guten Weg ist.

Ich glaube im Übrigen, dass der Heiligendamm-Prozess, den Deutschland im Rahmen seiner G8 -Präsidentschaft in Gang gesetzt hat, in den folgenden Jahren noch von allergrößter Bedeutung sein wird. In diesem Prozess gilt es, die G8 -Länder und die Gruppe der fünf Länder, die wir als aufsteigende Wirtschaftsländer bezeichnen, zu denen natürlich auch Indien gehört, in einen dauerhaften gemeinsamen Dialog zu bringen. Wir können nicht sofort alle zusammenbringen ich erinnere wieder an die zwei Zimmer, in denen wir verhandelt haben, aber wir müssen uns näherkommen und wir müssen einen permanenten Draht zueinander haben. In diesem Sinne hoffe ich, dass der Heiligendamm-Prozess von Erfolg gekrönt sein wird.

Ich möchte Ihnen zum Abschluss sagen: Indien ist ein faszinierendes Land. Indien ist in mancher Hinsicht fast wie die Europäische Union dass in Ihrem Parlament 20Sprachen gesprochen werden, ist für uns etwas ganz Unerwartetes. Sie haben es geschafft, im Rahmen der Demokratie, im Rahmen demokratischer Werte ein Zusammenleben zwischen Religionen, zwischen unterschiedlichen Gruppen der Bevölkerung, zwischen Nord und Süd und ganz unterschiedlichen Traditionen harmonisch zu organisieren. Das ist natürlich schwierig. Ich habe es gestern Abend bereits Premierminister Singh gesagt: Ich finde, die Tatsache, dass so etwas möglich ist, zeigt die Kraft, die Demokratie entfalten kann. Ich glaube, die Wirtschaft kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass diese Entwicklung weiterhin gut verläuft, dass wir dabei Partner werden und dass Indien mit seiner unglaublich offenen, neugierigen Jugend die Chancen für die Menschen auch wirklich realisieren kann.

In diesem Sinne: Ein ganz herzliches Dankeschön an die Deutsch-Indische Handelskammer. Sie ist die größte Auslandshandelskammer, hat man mir heute gesagt. Sie ist auch bereits über 50Jahre alt. Ich glaube, ihr Konzept hat sich bewährt. Es hat auch dazu geführt, dass wir heute Abend hier zusammen sind. Wir werden auch nach dieser Reise Indien immer in unserem Kopf behalten.

Herzlichen Dank!