Redner(in): k.A.
Datum: 08.11.2007

Untertitel: Rede zur Debatte im Deutschen Bundestag am 8. November 2007 zum Nationalen Integrationsplan
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/11/2007-11-08-boehmer-rede-bundestag-nationaler-integrationsplan,layoutVariant=Druckansicht.html


In unserem Land leben mehr als 15 Millionen Menschen aus Zuwandererfamilien. Das ist immerhin ein Fünftel der Bevölkerung. Viele dieser Menschen haben ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden. Sie sind erfolgreich. Sie tragen mit ihren Fähigkeiten und mit ihren Leistungen zum Wohlstand und zur Vielfalt unseres Landes bei. Und sie schaffen Arbeitsplätze: Ich verweise auf die 600 000 Unternehmer ausländischer Herkunft in unserem Land.

Aber wir müssen auch sagen: Die Integrationsprobleme haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Es gibt Menschen aus Zuwandererfamilien, die nicht genügend deutsch sprechen. Sie schneiden in Bildung und Ausbildung schwächer ab. Sie sind häufiger arbeitslos. Darunter sind viele - viel zu viele - junge Menschen. Wir können es uns nicht leisten, dass es in unserer Gesellschaft eine verlorene Generation gibt.

Nicht hinnehmbar ist, dass einige die Grundregeln unseres Zusammenlebens nicht akzeptieren. Integration braucht die Basis gemeinsamer Werte. Notwendig ist auf der Seite der Zuwanderer die Bereitschaft, sich auf ein Leben in Deutschland wirklich einzulassen. Das heißt, Ja zu unserem Grundgesetz, zu unserer Rechtsordnung und zu unserer deutschen Sprache zu sagen. Notwendig ist auf der anderen Seite, dass diejenigen, für die Deutschland Heimat ist, wirklich offen sind gegenüber denjenigen, die zu uns kommen, und sie ehrlich willkommen zu heißen. Für die Bundesregierung ist Integration eine Aufgabe von nationaler Bedeutung. Ich sage hier ganz klar: Wir haben in der Integrationspolitik umgesteuert.

Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander. Das ist der entscheidende Punkt. Wir nehmen damit die Menschen, die zu uns gekommen sind, ernst. In der Vergangenheit ist vieles nur über Beiräte geschehen. Wir binden sie gleichberechtigt ein.

Wir fordern und fördern, und wir setzen auf Teilhabe und Eigenverantwortung. Dafür steht dieser Nationale Integrationsplan. Mit ihm haben wir ein neues Kapitel in der Integration aufgeschlagen. Entscheidend war: Die Bundeskanzlerin hat alle an einen Tisch geholt. Zum ersten Integrationsgipfel kamen Vertreter aller staatlichen Ebenen: der Verbände, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Kirchen, der Religionsgemeinschaften, der Wissenschaft, des Sports, der Medien, der Kultur. Vor allen Dingen saßen die Migrantinnen und Migranten an diesem Tisch, und sie haben damit die Integrationspolitik mitgestaltet.

Der 14. Juli 2006 war ein historischer Tag in unserem Land. Er war der Startschuss für die Arbeit am Nationalen Integrationsplan. 400 Personen haben daran mitgewirkt. Zum ersten Mal haben Migrantinnen und Migranten eine aktive Rolle in der Integrationspolitik gespielt. Sie haben sich dieser Verantwortung gestellt, und das kommt in vielen Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrationsplan zum Ausdruck.

Zum ersten Mal haben die Ministerpräsidenten einen gemeinsamen Beschluss zur besseren Integration vonseiten der Länder gefasst, und zum ersten Mal haben die kommunalen Spitzenverbände eine gemeinsame Erklärung zur Integration abgegeben. Wie wir wissen, geschieht Integration vor Ort. Dort entscheidet sich das Zusammenleben. Integration vor Ort muss Chefsache sein. In den Städten werden Integrationskonzepte weiterentwickelt und umgesetzt. Das schafft bessere Ausgangsbedingungen für erfolgreiche Integration in den Kommunen.

Aber wir wissen auch, dass Integration nicht verordnet und nicht allein vom Staat geleistet werden kann. Sie muss in unserer gesamten Gesellschaft wachsen und vorangebracht werden. Deshalb brauchen wir eine aktive Bürgergesellschaft.

Ein besonderes Kennzeichen des Nationalen Integrationsplans sind die 400 Selbstverpflichtungen, die zeigen, dass viele dafür einstehen und Verantwortung dafür übernehmen wollen; damit leisten sie einen ganz konkreten Beitrag zur Integration in unserem Land. Die Bundesregierung hat selbst 150 Selbstverpflichtungen eingebracht. Wir stellen 750 Millionen Euro dafür bereit, dass Integration in unserem Land vorankommt. All dieses unterstreicht: Der Nationale Integrationsplan ist eine große Gemeinschaftsleistung, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben.

Ich möchte allen danken, die dazu beigetragen haben. Ich danke ganz besonders der CDU / CSU-Bundestagsfraktion, die den Anstoß für den Nationalen Integrationsplan gegeben hat. Der SPD-Bundestagsfraktion danke ich für die breite Unterstützung. Bei all den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, die mit Anregungen, Impulsen, Rat und auch so mancher kritischer Anmerkung dazu beigetragen haben, dass wir den Nationalen Integrationsplan als erstes integrationspolitisches Gesamtkonzept heute hier diskutieren können, bedanke ich mich ebenfalls.

Die Bundeskanzlerin hat den Nationalen Integrationsplan am 12. Juli dieses Jahres beim zweiten Integrationsgipfel vorgestellt. Wir sind jetzt mitten in der Umsetzung; denn wir haben bei der Integration keine Zeit zu verlieren.

Der Erwerb der deutschen Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Nationalen Integrationsplan. Denn nur wer die deutsche Sprache beherrscht, wird auch Zugang zu den Chancen und Möglichkeiten, die unser Land bietet, finden.

Sprache ist in diesem Zusammenhang mehr als nur Kommunikation. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat gesagt: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Wir wollen helfen, dass diese Grenzen überwunden werden können.

Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder von der Grundschule an deutsch sprechen können, sodass sie dem Unterricht wirklich folgen können. Das ist ein entscheidender Punkt im Nationalen Integrationsplan. Die Länder haben sich zur Sprachförderung in den Kindergärten und zur flächendeckenden Durchführung von Sprachstandstests verpflichtet. Gerade in diesen Tagen geht Hessen als eines der großen Bundesländer diesen wichtigen Schritt.

Für die Bundesregierung sind die Integrationskurse das entscheidende Instrument, um die Sprachförderung voranzubringen. Wir haben gesagt, dass wir die Integrationskurse verbessern wollen, und wir erfüllen dieses Versprechen. Ich habe mich über die vielen Vorschläge, die in den Nationalen Integrationsplan eingegangen sind, gefreut. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die daran aktiv mitgewirkt haben. Es gab viele Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Differenzierung nach Zielgruppen, die Erhöhung der Stundenzahl und das Angebot von Kinderbetreuung, sodass auch Mütter davon profitieren können. Die guten Vorschläge werden jetzt zügig umgesetzt.

Die Integrationskursverordnung wird in Kürze auf den Weg gebracht sein. Ich bin mir sicher, dass dann auch die finanziellen Mittel vom Bundestag bereitgestellt werden. Es wäre gut, wenn wir die vorgesehenen 155 Millionen Euro zur Verfügung hätten.

Von Anfang an die deutsche Sprache zu fördern, bedeutet auch, dass wir endlich die Sprachlosigkeit der Mütter überwinden müssen. Denn sie behindert in vielen Fällen die notwendige Unterstützung der Kinder. Wir haben deshalb auch einen Paradigmenwechsel vollzogen. Wir setzen nicht mehr nur auf nachholende Integration. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gehen wir in Richtung vorbereitende Integration. Es gab viel Kritik daran, dass schon im Herkunftsland erste Sprachkenntnisse erworben werden sollen. Ich halte das für richtig; denn die Frauen, die in unser Land kommen, müssen sich verständigen und teilhaben können. Sie dürfen nicht ausgeschlossen und unmündig bleiben. Deshalb sind die Weichenstellungen, die wir in Bezug auf den Erwerb der deutschen Sprache schon im Herkunftsland vorgenommen haben, so wichtig.

Wir sind uns einig: Bildung ist der Schlüssel für Integration. Es gibt dazu eine Vielzahl von Maßnahmen im Nationalen Integrationsplan. Wichtig ist, dass Schulen sich besser auf viele Kinder aus Zuwanderungsfamilien einstellen können. Wenn heute nicht mehr nur 30 Prozent der Kinder, sondern oft 70, 80 Prozent oder mehr Kinder aus Zuwanderungsfamilien in einer Klasse sind, bedeutet dies eine völlig andere Unterrichtssituation für Lehrerinnen und Lehrer.

Deshalb war es so wichtig, dass die Länder gesagt haben: Wir wollen in den nächsten fünf Jahren dafür sorgen, dass alle Lehrerinnen und Lehrer über Fortbildungsmaßnahmen die Möglichkeit haben, an Sprachförderungsmaßnahmen teilzunehmen, sodass sie nachher im Unterricht wirklich diese Aufgabe leisten können, dass in jedem Fach - nicht nur in Deutsch - Sprachförderung stattfindet und die Bildungschancen sich für Kinder verbessern; denn Bildungschancen dürfen in unserem Land keine Frage der Herkunft sein.

Was mich von Anfang an ganz besonders umgetrieben hat, war die Ausbildungssituation. Es ist doch ein Alarmzeichen, wenn 40 Prozent der Jugendlichen ohne jegliche berufliche Qualifizierung bleiben. Es muss uns umtreiben, dass die Ausbildungsquote in den letzten Jahren gesunken ist, dass die Jugendlichen aus Zuwanderungsfamilien von der Verbesserung der Ausbildungssituation nicht so profitiert haben wie die deutschen Jugendlichen.

Deshalb ist es so entscheidend, dass beim Ausbildungspakt das Thema Integration jetzt fest verankert ist. Es ist hoch anzuerkennen, dass Unternehmer ausländischer Herkunft gesagt haben: Wir wollen 10 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung stellen. - Die Bundesregierung sorgt mit der Initiative "Aktiv für Ausbildung", dem Jobstarter-Programm und der Flankierung durch das Sonderprogramm EQJ dafür, dass die Chancen besser werden.

Aber die Chancen müssen von den Jugendlichen und ihren Familien auch ergriffen werden. Deshalb werbe ich dafür, dass wir deutlich machen: Über Bildung und Ausbildung geht der Weg in eine gute Zukunft in unserem Land. Wir wollen dies auch den Eltern vermitteln. Deshalb brauchen wir Brückenbauer, Brückenbauer, die in den Familien - ob das die türkische Familie oder die italienische Familie ist - sagen: Schickt eure Kinder in den Kindergarten! Unterstützt sie auf dem Weg in die Schule und beim Übergang in die Ausbildung! - Wir wollen den Eltern auch helfen, indem wir ein Netzwerk "Bildungspaten" aufbauen.

Die Wirtschaft zieht mit. Wir haben die "Charta der Vielfalt" auf den Weg gebracht.

So haben wir vieles in den Nationalen Integrationsplan aufgenommen. Er ist mehr als die Summe der 400 Einzelmaßnahmen. Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir eine Aufbruchstimmung in unserem Land erzeugt. Wir wollen über neue Wege neue Chancen geben. In dieser Woche gestaltet das ZDF eine Woche der Integration mit dem Titel "Wohngemeinschaft Deutschland". Das kann nicht bedeuten, dass es ein Kommen und Gehen ist. Eine Wohngemeinschaft muss auch Zusammenhalt bedeuten. Sie muss bedeuten, füreinander einzustehen. Sie muss bedeuten, wechselseitig Verantwortung zu übernehmen.

Ich kann Ihnen zusichern: Wir werden nicht lockerlassen, wenn es um die Umsetzung all dessen geht, was im Nationalen Integrationsplan steht. Nächstes Jahr im Herbst wird Zwischenbilanz gezogen. Wir werden dafür sorgen, dass aus dem Plan Wirklichkeit wird - für ein gutes Zusammenleben in unserem Land, damit alle die Chancen in diesem Land nutzen und an ihnen partizipieren können.

Herzlichen Dank.