Redner(in): Angela Merkel
Datum: 08.11.2007

Untertitel: in Leipzig
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/11/2007-11-08-ig-metall-gewerkschaftstag,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Huber,

sehr geehrter Herr Tagungspräsident,

sehr geehrte Vorstandsmitglieder und Delegierte,

werte Gäste des 21. Gewerkschaftstages der IG Metall,

ich bin Ihrer Einladung nach anfänglichem Zögern sehr gerne gefolgt. Ich glaube, es ist in der Tat eine gute Tradition, dass die jeweiligen Bundeskanzler eingeladen werden. Ich möchte Ihnen auch die herzlichen Grüße der gesamten Bundesregierung hier zu Ihrem 21. Gewerkschaftstag überbringen.

Ich möchte Sie zuallererst zu dem Tagungsort beglückwünschen, und zwar nicht, weil ich hier Physik studiert habe, als das Land noch geteilt war, sondern weil auch morgen der 9. November ist und vor 18Jahren die Mauer fiel. Dass das gelingen konnte, hat auch viel mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der früheren DDR zu tun, die mit anderen zusammen in mutigen Demonstrationen montagabends dafür Sorge getragen haben, dass sie heute ein Stück mehr Freiheit haben und wir heute gemeinsam in einem Land leben können.

Leipzig ist in der Deutschen Einheit immer eine Stadt des Aufbruchs geblieben. Wenn Sie sich in dieser Stadt umsehen, am neuen Hauptbahnhof, bei den hochmodernen Werken von Porsche und BMW sie sind der IG Metall schon etwas näher als den Eisenbahngewerkschaften, die ja in diesen Tagen auch von sich reden machen oder hier bei der neuen Messe, so sehen Sie eine Stadt, die sich in diesen Jahren der Deutschen Einheit stark verändert hat. Dass dies in einem großen solidarischen Miteinander von Deutschen aus allen Teilen möglich gewesen ist durch die Leistung derer, die schon in der früheren DDR mit angepackt haben und später oft ihr gesamtes Leben verändern mussten, und durch die Solidarität derjenigen in den alten Bundesländern, die gesagt haben "Jawohl, wir gehören zusammen", ist eines der schönsten Stücke deutscher Geschichte. Darauf können wir gemeinsam stolz sein.

Ich habe gehört, Herr Huber, dass Ihre Tätigkeit bei der IG Metal nach dem Mauerfall hier in Leipzig begann. Ich möchte Ihnen ganz herzlich zu Ihrer Wahl zum Vorsitzenden der IG Metall gratulieren. Ich möchte all denen gratulieren, die auch gewählt wurden, so dem zweiten Vorsitzenden, Herrn Wetzel, und dem gesamten Vorstand. Ich möchte Ihnen eine faire und ehrliche Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes anbieten.

Wenn ich heute hierher gekommen bin, dann auch aus einem Grund, der für uns als Bundesregierung und auch für mich persönlich sehr wichtig ist: Die Bundesregierung sagt Ja zu starken Gewerkschaften. Ich will das ausdrücklich an den Anfang meiner Ausführungen stellen. Das heißt nicht, dass wir in allen Themen einer Meinung sind das hat sich ja auch schon angedeutet; dazu komme ich gleich noch. Aber die Politik braucht handlungs- und verhandlungsfähige Partner, ansonsten geht in unserem Lande etwas kaputt. Deshalb wünsche ich Ihnen eine starke Handlungsfähigkeit genauso wie eine starke Verhandlungsfähigkeit, wenn es darum geht, gute Lösungen für uns alle zu finden.

Nun haben Sie sich für Ihren Gewerkschaftstag das Motto "Zukunft braucht Gerechtigkeit" gewählt. Ich glaube, dass sich niemand die Zukunft unseres Landes vorstellen kann, wenn Gerechtigkeit in diesem Lande keinen Platz hätte. Um diese Frage der Gerechtigkeit dreht sich vieles in der historischen Diskussion. Auch Bertolt Brecht hat in seiner berühmten "Ballade über die Frage" Wovon lebt der Mensch? "" damals war das eine andere Zeit gesagt:" Erst muss es möglich sein, auch armen Leuten vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden." Zitatende.

Wenn wir heute über Teilhabe sprechen, wenn wir heute über die Frage sprechen, wie wir uns unsere Gesellschaft vorstellen, dann geht es eben immer wieder um die gleiche Frage: Wie kommen wir zu einer gerechten Verteilung des im übertragenen Sinne "großen Brotlaibs" ? Da ist auf der einen Seite die Frage der Verteilung des vorhandenen Brotlaibs und auf der anderen Seite die Frage, wie wir immer wieder zu neuen Brotlaiben kommen, damit wir auch mehr zum Verteilen haben. Das treibt Sie um, das treibt uns um. Wenn ich heute zu Ihnen spreche, dann sind wir glücklicherweise in einer Phase des Aufschwungs, die Menschen in den letzten Jahren Chancen gegeben hat.

Die Zahl der Arbeitslosen ist im Oktober auf unter 3, 5Millionen gesunken. Ich sage allerdings ausdrücklich: Es ist Grund zur Zufriedenheit, dass es weniger sind als vor einigen Jahren. Aber das ist auf gar keinen Fall Grund, sich damit abzufinden. 3, 5Millionen Arbeitslose sind immer noch 3, 5Millionen zu viel. Unser Anspruch muss heißen, jedem Menschen einen Arbeitsplatz zu geben. Dafür müssen wir arbeiten. Das dürfen wir niemals aufgeben Sie nicht und wir nicht. Die Zahl der Erwerbstätigen liegt zum ersten Mal bei über 40Millionen. Das Ganze hat seinen Hintergrund darin, dass wir relativ gute Wachstumsraten für Deutschland haben, das heißt, 2, 6Prozent in diesem Jahr und etwas weniger im nächsten Jahr.

Ich glaube, seitdem wir feststellen können, dass wir über 600.000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben, seitdem wir feststellen können, dass mehr Menschen erwerbstätig sind, können wir schon ein Stück weit sagen: Damit kommt der Aufschwung auch bei vielen Menschen an, die vor einiger Zeit noch in einer sehr viel schwierigeren Situation waren. Auch bei denen, die heute keine Angst um ihren Arbeitsplatz haben müssen, können wir sagen, dass ein Stück mehr Lebensqualität hergestellt worden ist. Wir wollen und müssen natürlich dafür sorgen, dass sich dieser Prozess fortsetzt.

Daran, dass es heute so ist, dass wir diese Erfolge haben, die zwar noch nicht ausreichen, aber die da sind, haben viele einen Anteil. Daran haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anteil, weil sie über viele Jahre eine sehr zurückhaltende Lohnpolitik betrieben haben. Daran haben die Arbeitgeber einen Anteil. Von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sind zum Teil schmerzliche Restrukturierungen vereinbart worden. An den Erfolgen hat aber auch die Politik einen Anteil, wie ich glaube: Die Politik der vorigen Bundesregierung mit der "Agenda 2010" und die Politik dieser Bundesregierung, die sich das Thema "Sanieren, Reformieren und Investieren" auf die Fahnen geschrieben hat.

Darüber müssen wir jetzt miteinander reden. Denn ich bin der Meinung, dass dieser Weg uns mehr Wohlstand gebracht hat. Er hat uns vorangebracht. Aber wir dürfen uns jetzt auf den Lorbeeren, die wir erreicht haben, nicht etwa ausruhen, sondern wir müssen diesen Weg fortsetzen. Deshalb wird es mit mir das will ich hier auch ganz offen sagen auch in Zukunft nur eine Politik geben, die in der Arbeitsmarktpolitik, bei der Sanierung der Finanzen oder der Sicherung der sozialen Sicherungssysteme den vor zwei Jahren eingeschlagenen Weg fortsetzt und nicht etwa davon abweicht.

Als wir vor zwei Jahren als Bundesregierung angefangen haben, als wir den Haushalt 2007 beraten haben, haben wir befürchtet, dass das Rentensystem eine Lücke von fast zwei Milliarden Euro aufweisen könnte. Durch die 600.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mehr ist das heute nicht der Fall. Im Rentensystem können sogar wieder bestimmte Rücklagen aufgebaut werden. Das heißt, auch die soziale Sicherung sei es unser Gesundheitssystem, unsere Pflegeversicherung oder unser Rentensystem hängt davon ab, wie sich die Arbeitsmarktlage in unserem Land gestaltet.

Wenn wir darüber reden Herr Huber hat das eben in Bezug auf die Rede des Bundespräsidenten angedeutet, wissen wir, dass sich in den letzten zehn, 15Jahren unglaublich viel verändert hat. Wir nennen das Globalisierung. Viele der Betriebsräte, die hier Delegierte sind, wissen, wovon geredet wird, wenn es um die Teile der Betriebe, der Unternehmen geht, die auch irgendwo in Asien oder anderswo ihre Arbeitsplätze haben, die schlussendlich aber auch Arbeitsplätze in Deutschland sichern ob das in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, im Kraftwerksbau oder anderswo ist. Sie wissen, in welchen internationalen Rahmenbedingungen wir heute eingebettet sind.

Deshalb will ich auch mit der Betrachtung beginnen, dass ein Teil der Politik viel stärker, als es früher der Fall war da bin ich mir mit Vizekanzler Franz Müntefering völlig einig, darin besteht, dass wir für Rahmenbedingungen für Arbeit in Deutschland kämpfen, die so sind, dass wir im Wettbewerb überhaupt mithalten können. Wenn international Kinderarbeit erlaubt ist, wenn international der Ruin der Umwelt erlaubt ist, wenn wir keinen vernünftigen fairen und freien Handel haben, wenn geistiges Eigentum nicht geschützt ist, sondern es anderswo sozusagen nur als Bagatelldelikt angesehen wird, wenn es gestohlen wird, dann haben wir in Deutschland egal wie lange und wie viel wir arbeiten keine Chance, uns mit dem durchzusetzen, was wir können. Deshalb ist hier eine neue Dimension der Politik aufgetreten, in der wir auch sehr gut zusammenarbeiten können. Das ist die Schaffung fairer und gerechter internationaler Rahmenbedingungen für die Durchsetzung einer Sozialen Marktwirtschaft. Sie können nachher noch mit mir nicht einverstanden sein. Insofern ist es nicht so schlimm, wenn Sie in diesem Punkt mit mir einverstanden sind.

Die Frage des Welthandels, die Frage der internationalen Arbeitsnormen, die Frage des Umgangs mit modernen Finanzinstrumenten, die Transparenz von Hedge-Fonds, die Frage, wie Staatsfonds anderer Länder eingesetzt werden, die Frage, wie es mit der Transparenz auf den Finanzmärkten insgesamt weitergeht das alles sind Fragen, die die Bundesregierung umtreibt.

Hier haben wir uns während der G8 -Präsidentschaft ganz gezielt um Lösungen bemüht und haben gesagt: Es muss doch möglich sein, dass es einen "Code of Conduct", also Verhaltensmaßregeln, z. B. für die Transparenz von Hedge-Fonds gibt. Anfang des Jahres sind wir der Finanzminister und ich zum Teil belächelt worden: Wieder die Deutschen mit ihren ganzen Forderungen, mit ihrer Regelungswut. Heute, gegen Ende des Jahres, nachdem viele erlebt haben, auch in Großbritannien, wie z. B. Banken plötzlich nicht kalkulierbaren Risiken ausgesetzt sind, hat sich die Diskussion vollkommen gedreht.

Wenn jeder sozusagen transparent mit seiner Aktie umgehen muss, dann gibt es auch überhaupt keinen Grund dafür, dass es Finanzmarktinstrumente internationaler Art gibt, bei denen die Transparenz so gering ist, dass man das Risiko überhaupt nicht mehr einschätzen kann und zum Schluss einfache Menschen, die ihr Geld auf die Bank bringen, in Gefahr geraten. Das wollen wir nicht. Dagegen werden wir arbeiten. Deutschland ist da auf einem guten Weg.

Wir haben auch gesagt das wird dann schnell als Protektionismus bezeichnet, das ist es aber nicht, dass wir uns bei der Art, wie heute zum Teil Unternehmensbeteiligungen erworben werden, schon auch anschauen, wer dahinter steht und ob es nicht gerade bei strategischen Sicherheitsinteressen für unser Land nötig ist, bestimmte Kontrollmechanismen einzubauen. Genau an dieser Arbeit sitzen wir jetzt. Wir werden unser Außenwirtschaftsgesetz verändern. Kontrollmechanismen sind keine deutsche Erfindung, sondern sind in Amerika ganz normal. Das haben die Briten. Das haben die Franzosen. Ich finde, so etwas sollten die Deutschen auch haben.

Das heißt also, wir müssen miteinander immer wieder überlegen: Wie können wir für uns faire Bedingungen garantieren? Wie können wir mit unseren internationalen Partnern dafür werben, dass wir Mindeststandards setzen, um eine gerechte Marktwirtschaft zu erreichen? Ohne diese wird es nicht gehen.

Meine Damen und Herren, das ist der Außenaspekt. Jetzt wissen wir: Dieser Kampf ist schwierig. Dafür brauchen wir die Europäische Union und eine einheitliche Haltung. Man muss sich das immer wieder vor Augen führen. Wir sind in der Europäischen Union jetzt ungefähr 500Millionen Menschen. Sie wissen, dass in China 1, 3Milliarden und in Indien 1, 1Milliarden Menschen leben. Wenn wir unsere Interessen bündeln wollen, dann müssen wir Europäer starke Argumente und eine große Gemeinsamkeit haben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts war es noch so, dass jeder vierte Mensch auf der Welt ein Europäer war. Am Ende des 21. Jahrhunderts wird es so sein, dass nur noch jeder 13. Mensch ein Europäer ist.

Das heißt, wenn wir in Europa etwas gut finden ich spreche gar nicht von Deutschland allein, dann müssen wir 12 oder 13 andere davon überzeugen, dass unsere Idee super ist, damit wir sie zum internationalen Standard machen können. Das zeigt die Größe der Aufgabe. Aber ich glaube, durch unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland sind wir auch attraktiv und können Menschen überzeugen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns diesen großen Konsens, den wir unserem Lande haben, auch trotz aller Gegensätze immer wieder erarbeiten.

Eines der zentralen Themen ist fast symbolisch für viele andere Fragen in den letzten Wochen gewesen. Das ist das Thema des ArbeitslosengeldesI. Es gehört eigentlich zu den interessanten Facetten der Geschichte, dass meine Partei, die CDU, bereits auf ihrem Leipziger Parteitag 2003 hier in diesen Messehallen beschlossen hat, dass die Verteilung dessen, wie das ArbeitslosengeldI ausgerichtet sein soll, aus unserer Sicht nicht so war, wie wir uns das gewünscht hätten. Wir wollten bei den Jüngeren eine etwas kürzere Bezugsdauer und bei den Älteren eine längere Bezugsdauer. Wir denken, dass die Vermittlungsdauer eines Älteren in neue Arbeit heute faktisch länger dauert und deshalb aus Gründen der Chancengerechtigkeit an dieser Stelle auch das Alter eine stärkere Rolle spielen sollte.

Sie fordern, eine Gesetzänderung soll nicht aufkommensneutral sein. Wir sagen, sie soll aufkommensneutral sein. Sie fordern, das ArbeitslosengeldI auf 24Monate zu verlängern. Ich sage ganz ehrlich: Da gibt es einen Dissens, weil ich glaube, dass gerade für jüngere Menschen im Augenblick die Chance, einen Arbeitsplatz zu bekommen, so groß ist, dass vielleicht bei einer längeren Bezugsdauer doch auch ein bisschen der Ehrgeiz nachlassen könnte, sich wieder einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Ich sage nur, wie ich mir das so denke.

Wenn man Umfragen macht ich habe mir das alles gut angeschaut, dann sind die Menschen für eine längere Bezugsdauer von ArbeitslosengeldI. Dazu sagen 80Prozent der Menschen Ja. Wenn man aber zweitens die Frage stellt "Es sind soundso viele Mittel in der Bundesagentur verfügbar; wollen Sie, dass dafür die Beiträge gesenkt werden und 27Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche haben, oder wollen Sie, dass das ArbeitslosengeldI verlängert wird?", dann sieht die Antwort schon wieder ganz anders aus. Dann sagen viele: Ach, wenn wir diese Wahl haben, dann möchten wir vielleicht auch für uns alleine mehr Spielraum haben. Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen.

Was ich nur sagen will ich glaube, dabei müssten wir uns eigentlich einig sein, ist: Es ist ganz wichtig, dass wir nicht nur das machen, was gut ankommt, sondern dass wir für Deutschland das machen, was letztlich für Deutschland und damit auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut ist. Dazu sage ich immer noch: Sozial ist, was Arbeit schafft. Wenn wir miteinander über den Charakter der Arbeit diskutieren, dann ist das okay. Aber bezüglich dessen, dass es richtig ist, mehr Arbeit und mehr Arbeitsplätze zu schaffen, sollten wir hier in diesem Saal keine künstlichen Gegensätze aufbauen.

Im Grunde dreht sich alles um gute Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung. Wenn wir es schaffen, dass die Arbeitslosenversicherungsbeiträge und die Lohnzusatzkosten insgesamt sinken deshalb hat sich die Bundesregierung vorgenommen, die Lohnzusatzkosten insgesamt auf unter 40Prozent zu senken, dann wissen wir, dass die Chancen auf mehr Arbeitsplätze wachsen. Das heißt, geringere Beiträge kommen nicht nur denen zugute, die Arbeit haben, sondern sie kommen auch denen zugute, die heute keine Arbeit haben, weil deren Chance wächst, wieder in Arbeit zu kommen. Deshalb sagt die Union: Wir wollen eine kostenneutrale Veränderung des ArbeitslosengeldsI zugunsten Älterer. Wir werden am nächsten Montag darüber reden, wie wir das machen können und ob wir es schaffen, Lösungen zu finden, ohne dass der Bundesagentur zusätzliche Kosten entstehen.

Ich will, wenn wir uns die Beschäftigungszahlen gerade auch der Älteren anschauen, noch einmal sagen: Im letzten Jahr hat sich die Zahl der versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 55Jahre, die insgesamt noch viel zu gering ist, um siebenProzent erhöht. Insgesamt betrug der Beschäftigungszuwachs 1, 6Prozent. Das heißt, der Aufschwung ist gerade in den letzten Jahren denen zugute gekommen, die älter sind. Meine Damen und Herren, das muss auch so sein. Wir können uns in einer älter werdenden Gesellschaft nun wirklich nicht vorstellen, dass die Menschen immer früher nach Hause geschickt werden. Das ist nach meiner tiefen Überzeugung keine menschliche Gesellschaft. Auf die Erfahrung der Älteren zu verzichten, hat sich in manchem Betrieb schon als ein großer Nachteil herausgestellt. Ich höre auch mehr und mehr Vertreter des Arbeitgeberlagers, die sagen: Es war nicht richtig, so viele Ältere nach Hause zu schicken und damit so viel Erfahrung zu verlieren.

Wir kommen dann, wenn wir über die Frage sprechen, welche Arbeit wir wollen, natürlich zum Thema Mindestlohn. Meine Damen und Herren, wir sind uns hierbei auch einig. Ich bin hier ja immerhin bei der IG Metall, einem starken Tarifpartner; wenn ich die Arbeitgeberseite frage, wird das jedenfalls so gesagt. Natürlich bewegen wir uns bei der Frage des Mindestlohns immer in einem Spannungsverhältnis zwischen der Tarifautonomie, die es im Übrigen in keinem der europäischen Mitgliedstaaten in dieser Stärke und in dieser Form gibt, und dem Sozialstaatsgebot, also der Aufgabe, dass der Staat auch dafür sorgen muss, dass Menschen ein menschenwürdiges Leben führen können.

Nach meiner Überzeugung dabei gehen unsere Meinungen auseinander ist es nicht richtig, flächendeckend gesetzliche Mindestlöhne zu haben; zumindest nicht in der Situation, in der sich Deutschland mit seiner stark ausgeprägten Tarifautonomie befindet. Das heißt nicht, dass die Politik nichts tun muss. Wir befinden uns im Augenblick in der Diskussion darüber, was wir an dem Tag machen, an dem das Briefmonopol fällt, und ob wir nicht auch für den Postbereich durch das Entsendegesetz eine gewisse Sicherheit schaffen sollen, damit sich die Dinge nicht auf eine Situation zu bewegen, in der Dumpinglöhne sozusagen das einzige Wettbewerbsmittel sind, in der also der gesamte Wettbewerb auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen wird. Ich sage hier ganz eindeutig: Wenn es einen Tarifvertrag gibt, von dem mehr als 50Prozent der Beschäftigten umfasst werden, dann werden wir einen solchen Tarifvertrag bezüglich des Mindestlohns für allgemeinverbindlich erklären. Wir sind im Moment bei der Diskussion darüber, ob der abgeschlossene Tarifvertrag, der im Raum steht, 50Prozent der Beschäftigten umfasst. Das werden wir klären. Aber wir werden es schaffen, das Entsendegesetz so zu formulieren, dass klar wird: Hier soll kein Lohndumping betrieben werden.

Ich bin dafür, dass wir auch schauen das haben wir uns für März des nächsten Jahres vorgenommen, welche Bereiche wir noch in das Entsendegesetz aufnehmen sollten. Wir haben das für die Gebäudereiniger gemacht, für das Baugewerbe gilt es und wir werden uns im März nächsten Jahres überlegen, wo noch Handlungsbedarf besteht. Denn es geht natürlich nicht nur um den internen Wettbewerb, sondern auch um andere Anbieter aus anderen Ländern, aus Nachbarländern, in denen vielleicht weniger gezahlt wird, wodurch dann unfaire Bedingungen entstehen.

Dann haben wir etwas Zweites festgestellt, was im Bereich der IG Metall weniger ein Problem ist als vielmehr im Bereich der Dienstleistungen: Es gibt ganze Beschäftigungsbereiche, in denen fast keine gültigen Tarifverträge mehr existieren. In denen sind auch keine 50Prozent der Arbeitnehmer in irgendeiner Weise von einem Tarifvertrag erfasst. Wir haben gesagt: Hier muss überlegt werden, dass der Staat subsidiär einspringt, wenn die Tarifautonomie das alleine nicht mehr schafft. Deshalb haben wir uns ein altes Gesetz vorgenommen man sieht daran, dass die, die die Bundesrepublik Deutschland gegründet haben, schon ziemlich weit gedacht haben, nämlich das so genannte Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Im Jahr 1952 hat man nämlich schon gesagt: Wenn es einmal den Fall geben sollte, dass irgendeine Branche überhaupt nicht zu einem Tarifvertrag kommt, dann muss ein Weg gefunden werden, auf dem der Staat nachhilft und sich die potenziellen Tarifpartner, also die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite, gemeinsam überlegen, welcher Mindestlohn eine Antwort sein könnte.

Ich halte dieses Herangehen für differenzierter und für unsere Situation angemessener. Im Übrigen halte ich es auch für ein Vorgehen, das die Gewerkschaften stärkt. Wenn der Staat nämlich einfach einmal einen Mindestlohn festlegt, dann kann es auch sein, dass die Tarifverhandlungen ganz anders ablaufen. Dann sagt man: Der Mindeststandard ist doch gewährleistet. Was regt Ihr euch noch auf? Müssen wir jetzt etwas machen? Das gilt vielleicht nicht für die IG Metall, aber es gibt andere Gewerkschaften, die härter kämpfen müssen. Deshalb werbe ich dafür, dass wir nicht über eine vorschnelle, scheinbar einfache Lösung etwas schwächen, das immer ein Markenzeichen dieser Republik war, nämlich eine starke, auch grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie.

Nun gibt es ein Thema, mit dem Sie sich beschäftigen und das auch in Ihrer Branche eine große Rolle spielt. Das ist das Thema Zeitarbeit. Wir haben die so genannte Leiharbeit eingeführt. Ich glaube im Übrigen, dass sie sich bewährt hat. Ich rate uns nicht, sie abzuschaffen; wirklich nicht. Wir werden darüber streiten, was gemacht werden soll. Dazu haben Sie andere Vorstellungen als wir. Dass dieses Instrument vielen Menschen zu Arbeit verholfen hat, ist völlig unstrittig. Mehr als drei Viertel aller neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im letzten Jahr sind im Bereich der Zeitarbeit geschaffen worden. In diesem Jahr wird dieser Anteil nur noch 25Prozent betragen.

Was zeigt uns das? Ich bin davon überzeugt, dass man in frühen Konjunkturphasen, wenn die Konjunktur anspringt, in denen bei den Arbeitgebern noch keine Sicherheit darüber besteht, dass das ein länger anhaltender Prozess ist, zuerst einmal vorsichtshalber in die Zeitarbeit geht und dass dann, wenn man die Beschäftigten konstant zu brauchen glaubt, jeder vernünftige Arbeitgeber eine Belegschaft haben will, die sich dem Betrieb auch wirklich verpflichtet fühlt. Deshalb ist es sehr interessant, dass im letzten Jahr drei Viertel und in diesem Jahr ein Viertel aller neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der Zeitarbeit geschaffen wurden. Ich glaube, dass sich die Dinge bei einem guten Konjunkturverlauf weiterhin so entwickeln werden.

Aber, meine Damen und Herren, Sie wissen auch, wie oft mehr Arbeit in Form von Überstunden geleistet werden musste. Sie wissen auch, dass Sie keinen Arbeitgeber zwingen können, jemanden einzustellen. Der Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen findet heute im Wesentlichen in den kleinen und mittelständischen Unternehmen statt, die sehr große Sorgen haben, in Arbeitsprozesse verwickelt zu werden, die sie nicht wollen. Ich kann Ihnen serienweise Betriebe aufzählen, die lange zögern, bevor sie neue Einstellungen vornehmen. Deshalb ist es jedenfalls aus meiner Sicht richtig, dass wir die Möglichkeit der Zeitarbeit haben.

Nun kommen wir zum nächsten Punkt: "Equal pay", wie es heute so schön auf Neudeutsch heißt. Der Grundsatz der gleichen Bezahlung wird bei der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vereinbart. Aber nun kommen wir wieder zu dem Punkt, dass von diesem Grundsatz nur durch Tarifvertrag abgewichen werden kann. Wir kennen die verschiedenen Tarifverträge im Bereich der Zeitarbeit. Wir wissen auch, dass es sehr interessante Verträge der IG Metall gibt, z. B. bei Audi und Airbus, die diesbezüglich einen anderen Weg gehen. Ich finde, bevor wir das Kind mit dem Bade ausschütten, müssen wir erst einmal gemeinsam überlegen, wie die Tarifautonomie vielleicht auch hier gestärkt werden kann. Ich würde dem jedenfalls immer den Vorzug demgegenüber geben, mit einem Federstrich einen falschen Mindestlohn oder irgendetwas in der Zeitarbeit festzusetzen, was Menschen wieder Arbeit kosten wird. Denn die Bedingungen in der Automobilindustrie und der Textilindustrie sowie in den Dienstleistungsbereichen sind heute sehr, sehr unterschiedlich. Ich möchte Menschen, die in Arbeit gekommen sind, nicht wieder enttäuschen, weil sie ihre Arbeit nicht fortsetzen können.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, der aus meiner Sicht immer noch zu gering geachtet wird, ist die Frage der Arbeitnehmerbeteiligung an den Kapitalerträgen des Unternehmens. Sie werden auch in den nächsten Jahren erleben, dass die Kapitalerträge jedenfalls bei gut geführten Betrieben stärker wachsen als die Löhne; selbst bei aus Ihrer Sicht sehr erfolgreichen Tarifverhandlungen. Mich treibt das schon um, weil Deutschland ein Land ist, in dem die Zahl der Menschen, die am Zuwachs des Kapitalvermögens Anteil haben, im internationalen Vergleich sehr gering ist. Natürlich müssen wir aufpassen, dass das freiwillige Dinge bleiben, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Unternehmensführung nicht in ein unvertretbares Risiko hineinkommen. Aber ich finde, es ist den Schweiß der Edlen wert und deshalb haben sich die Parteien der Großen Koalition jetzt auch dazu zusammengefunden, zu versuchen, hier einen Weg aufzuzeigen, wie wir Arbeitnehmer besser an ihrem eigenen Unternehmen beteiligen können.

Meine Damen und Herren, gerechte Politik, das ist gerechte Politik für heute, ist aber auch gerechte Politik für die, die nach uns arbeiten werden, gestalten werden und zu entscheiden haben. Deshalb ist die Frage der Haushaltskonsolidierung für die Bundesregierung eine ganz entscheidende Frage. Wir haben gesagt, 2011 wollen wir nach Jahrzehnten zum ersten Mal einen ausgeglichenen Bundeshaushalt haben. Viele von Ihnen werden vielleicht sagen: Das ist nun wirklich nicht das Nächste, mit dem ich mich beschäftigen werde. Aber schauen Sie: Heute müssen wir von jedem Euro, den wir als Bundeseinnahme haben, schon mehr als 15 Cent nur für die Zinszahlung für angehäufte Schulden weggeben.

Wir wissen daran wird sich auch nichts mehr ändern, dass in unserem Land die Zahl der jungen Menschen geringer sein wird und erfreulicherweise die Zahl der älteren Menschen, weil sie länger leben, zunimmt. Diese geringere Anzahl junger Menschen muss dann eines Tages Träger der sozialen Sicherung sein. Was mich umtreibt, ist die Sorge, dass die Besten dieser jungen Menschen weil wir so ein schönes einheitliches Europa haben, weil man Wissenschaft auch anderswo auf der Welt betreiben kann, weil Ingenieure überall gesucht werden sagen werden: Wenn hier die Belastungen, die solidarischen Belastungen für mich zu groß werden, dann gehe ich einfach in ein anderes Land.

Ich möchte, dass die Generationengerechtigkeit in diesem Lande erhalten bleibt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns heute anstrengen, dass auch die Jungen von morgen weiter diese Generationengerechtigkeit bejahen. Dabei helfen ausgeglichene Haushalte, dabei helfen niedrigere Schulden.

Wir haben gestern eine Steuerschätzung erhalten, die schlechter ausfiel als das, was viele erwartet haben. Uns fehlen für die Summe, die wir im Nachtragshaushalt jetzt verabschiedet haben, 600MillionenEuro. Wir werden für das nächste Jahr noch einmal eine Milliarde mehr zur Verteilung haben. Aber wenn ich mir die Wünsche quer durch die Ressorts ansehe, dann weiß ich, sie kosten weit mehr als eineMilliarde. Sie alle kennen die internationalen Risiken, vom Erdölpreis bis zu vielen anderen Dingen. Ich finde, wir sollten den Kurs der Haushaltskonsolidierung fortsetzen, weil wir auch morgen Kraft für Investitionen brauchen.

Meine Damen und Herren, ich fand es deshalb auch richtig, dass Sie, Herr Huber, gesagt haben, die IGMetall fordert eine Weiterentwicklung des Sozialstaats, weil veränderte Rahmenbedingungen auch neue Herausforderungen mit sich bringen werden. Soweit stimmen wir noch überein. Wenn ich jetzt zum Thema Rente mit 67 komme, das für mich auch etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun hat, dann stimmen mir wahrscheinlich nicht mehr überein. Ich verstehe das will ich hier ausdrücklich sagen, dass sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute fragen: Was bedeutet eine Rente mit 67, wenn wir eine Beschäftigungsquote von 50Prozent bei den über 55-Jährigen haben? Deshalb sage ich: Die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dafür hat Herr Müntefering auch eine Vielzahl von Programmen und Aktivitäten aufgelegt müssen eine bessere Beschäftigungschance haben. Dabei sind wir vorangekommen. Wir waren einmal bei einer Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen von unter 40Prozent. Heute sind wir Gott sei Dank wieder bei über 50Prozent. Aber wir müssen auf 80 bis 90Prozent kommen. Das steht außer Frage.

Vor den Daten, die wir über die Jahre 2025 oder 2030 kennen, können Sie nicht die Augen verschließen, vor denen können wir nicht die Augen verschließen. Sie sagen uns ganz einfach: Wenn das Rentenniveau nicht unter 46Prozent sinken soll, wenn der Beitrag nicht über 20Prozent steigen soll, dann müssen wir die Lebensarbeitszeit verlängern Monat für Monat ab dem Jahr 2012. Ich weiß, dass Sie über Teilrenten, über verschiedene Übergangslösungen nachdenken, aber ich sage Ihnen: Für mich ist wichtig, dass wir uns da nicht ein Stück weit in die Tasche lügen. Die Beitragsäquivalenz für ein Rentenniveau von 46Prozent ist wirklich schon nicht sehr viel. Aber es erfordert schon eine Betriebsrente, es erfordert die Beteiligung an zusätzlichen privaten Rentenversicherungen, Riesterrente und Ähnliches, um dann überhaupt das eigene Lebensniveau halten zu können. Wir müssen mit den Daten rechnen, die wir haben. Und deshalb sage ich Ihnen: Die Rente mit 67 zu beschließen ist uns nicht leicht gefallen, aber, es war ein richtiger Beschluss, weil er für die zukünftigen Generationen die Weichen richtig stellt.

Wir als Politiker haben die Aufgabe, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Sie betrachten das Thema aus Ihrer Sicht das verstehe ich, aber wir müssen es aus unserer Sicht tun. Ich sage Ihnen auch: Wenn viele früher gesagt haben "Die Rente ist sicher", dann hat das die Politik manchmal ein Stück Glaubwürdigkeit gekostet, denn manches hat man auch schon vor 15Jahren sehen können. Ich habe selbst manchmal meinen Finger an der falschen Stelle gehoben. Es hat uns alles nichts geholfen, die Lage ist dadurch nicht leichter geworden.

Meine Damen und Herren, wie sollen die Arbeitsplätze der Zukunft aussehen? Einfache Tätigkeiten werden immer in der Gefahr stehen, dass die Bezahlung dafür relativ niedrig ist. Deshalb wird Deutschland seinen Wohlstand nur halten können, wenn wir auch an vielen Stellen die Besten sind. Die IGMetall-Delegierten auf diesem Kongress wissen das sehr, sehr gut, weil sie in den Spitzenbranchen der Bundesrepublik Deutschland arbeiten: in der Automobilindustrie das Flaggschiff, im deutschen Maschinenbau, in Branchen, die den Export ankurbeln alles Bereiche, in denen wirklich die besten Produkte der Welt hergestellt werden. Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Bereichen wissen auch, was das an Innovationskraft, Kreativität, an Ingenieurleistung bedeutet.

Wenn ich heute nach Baden-Württemberg oder nach Bayern komme, wo die Arbeitslosenzahlen derzeit eher relativ niedrig sind, so wird gar nicht mehr nach mehr Geld gerufen, sondern da wird schon nach mehr Fachkräften gerufen. Sie hier kommen wahrscheinlich aus großen Betrieben. Dorthin gehen die jungen Leute noch am ehesten, da ist die Situation am allerbesten. Fragen Sie aber einmal die kleineren Mittelständler, wie das ist, die geeigneten Fachkräfte zu bekommen. Es wird als Problem beschrieben.

Nun muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich teile nicht den Ruf nach sofortiger Öffnung der Grenzen und einem sofortigen Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland. Das kann der zweite Schritt sein. Aber der erste heißt: Wir müssen die Menschen in unserem Lande qualifizieren, die die Chance in den letzten Jahren nicht gehabt haben. Und dabei dürfen wir keine Mühe scheuen. Deshalb haben wir eine "Nationale Qualifizierungsoffensive" gestartet.

Wenn wir uns anschauen, was los ist, dann wissen Sie mindestens so gut wie ich: Wir haben das Thema Integration ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. 40Prozent derjenigen, die in vielen größeren deutschen Städten eingeschult werden, sind inzwischen Kinder mit Migrationshintergrund. Wenn wir es nicht schaffen, dass diese Kinder die gleichen Chancen bekommen wie die, deren Eltern schon lange in Deutschland leben, werden wir den Fachkräftemangel in unserem Land auf Dauer nicht beheben können.

Die Ergebnisse der Migrantenkinder, was die Schulabschlüsse anbelangt, sind ernüchternd. Jetzt spreche ich gar nicht nur von türkischstämmigen Kindern. Ich habe mir neulich vom italienischen Botschafter sagen lassen: Der Anteil der italienischstämmigen jungen Leute, die heute an einer deutschen Universität studieren immerhin in der dritten Generation, beträgt einProzent, der von den türkischstämmigen wahrscheinlich noch weniger oder ähnlich wenig. Geringe Anteile ziehen sich auch durch die Facharbeiterausbildung, durch vieles andere. Deshalb ist es absolut richtig, zu sagen: Wer in die Schule kommt, muss die deutsche Sprache beherrschen. Lieber sind wir bei Kindern im Alter von vier, fünf oder sechs Jahren streng, damit wir dann aber keine junge Menschen im Alter von 18,19 oder 20 haben, die gar nicht fähig sind, einen modernen Ausbildungsberuf zu erlernen.

Wir haben gesagt: Wir müssen die frühkindliche Betreuung erweitern. Einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben wir, auch Ganztagsbetreuungsangebote all das wird von dieser Bundesregierung vorangebracht, weil wir damit auch die Chancen derer, die zu Hause von ihren Eltern nicht so viel mitbekommen, erhöhen, ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten auch zum Einsatz bringen zu können.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass jeder junge Mensch einen Ausbildungsplatz bekommt. Wichtig ist nur, dass, wenn er von der Schule kommt, der Betrieb auch der Meinung ist, dass er das schafft. Ich meine, auch das gehört zu den Skandalen der Bundesrepublik Deutschland, dass viele junge Menschen zehn Jahre zur Schule gehen und anschließend beispielsweise die Industrie- und Handelskammer feststellen muss, dass sie nicht in der Lage sind, die Berufsausbildung zu bewältigen. Anschließend muss die Agentur für Arbeit mit Beitragsmitteln Kurse bestellen, in denen das gelernt wird, was in zehnJahren Schule nicht gelernt worden ist.

Ich bin der Bundesagentur sehr dankbar, dass sie jetzt mit den Ministerpräsidenten der Länder darüber spricht. Wir achten auch sehr darauf unsere Bildungsministerin war jahrelang Kultusministerin in Baden-Württemberg, dass die Bildungsstandards zwischen den Bundesländern auch wirklich angeglichen werden. Wenn es in Deutschland einmal eine zentrale Abiturprüfung gibt, damit alle jungen Leute wissen, was sie können und was sie nicht können, dann halte ich das nicht für das Letzte, weil das den jungen Leuten auch mehr Selbstbewusstsein gibt. Die PISA-Studie hat uns ja die Augen geöffnet.

Zu den Ausbildungsplätzen: Ich glaube, dass das duale Ausbildungssystem durchaus in einer sehr kritischen Phase ist. Gerade größere Betriebe das sage ich den Arbeitgebern ganz offen haben in den letzten Jahren oft nicht genug ausgebildet. Träger der Ausbildung sind auch wesentlich mittelständische Betriebe.

Es ist aber gut, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2001 wieder mehr als 600. 000Ausbildungsverträge abgeschlossen haben. Aber eine wirkliche duale Ausbildung ist hinsichtlich ihrer Qualität fast durch nichts zu ersetzen. Dieses duale Ausbildungssystem, für das Deutschland im Übrigen auf der ganzen Welt von Äthiopien bis Indien, von Lateinamerika bis Südafrika bewundert wird, jetzt in der Globalisierung vorschnell aufzugeben, um in fünf Jahren wieder zu jammern, dass man keine jungen Leute hat, die die Zukunft der Betriebe sicherstellen, wäre kurzsichtig. Ich predige hier in der falschen Kirche, ich sage es trotzdem noch einmal Sie können es ja durch Ihre Mitbestimmung auch ein Stück weit nach vorn bringen, sage es aber auch auf dem Arbeitgebertag. Karl-Josef Laumann ist hier. Mit ihm sprechen wir oft darüber.

Im Augenblick bekommen junge Leute bei der guten Konjunktur einen Ausbildungsplatz jedenfalls leichter als ihre Freunde noch vor zwei, drei und vier Jahren. Es gibt aber viele, die in so genannten Warteschleifen oder Ausbildungsschleifen sind, und die bis 25 wenigstens noch in den Statistiken auftauchen, aber ab 25 überhaupt nicht mehr erkennbar sind. Wir werden alle Kraft darauf verwenden, in Nachvermittlungen auch für diejenigen, die vor ein, zwei Jahren hätten vermittelt werden sollen, sicherzustellen, dass uns auf der Strecke möglichst niemand verloren geht. Das ist jedenfalls ein Thema, das uns sehr, sehr umtreibt.

Nun, meine Damen und Herren dafür ist in der IGMetall natürlich auch der falsche Platz, ob es einem passt oder nicht: In Deutschland lernen zu wenige junge Leute technische Berufe, zu wenige junge Leute studieren technische Fachrichtungen. Das führt zu einem Ingenieurmangel. Ich kann es ja nicht ändern. Ich bin zwar Physikerin, ich habe meinen Beitrag geleistet, bin dann allerdings in die Politik gegangen.

Wir werden unsere Automobilindustrie, wir werden unsere Chemieindustrie, wir werden unsere Softwareindustrie nicht entwickeln können, wenn wir nicht die notwendigen Fachkräfte dafür haben. Deshalb müssen wir für technische Wissenschaften werben und Spaß an den Naturwissenschaften wecken. Dass wir jetzt zwei Nobelpreisträger für Physik und Chemie unter uns haben, ist ja eine tolle Sache und gibt uns wieder ein Stück Selbstbewusstsein.

Wir haben uns in zwei Ingenieurdisziplinen bei Elektroingenieuren und bei Maschinenbauingenieuren angesehen: Wie viele arbeitslose Elektroingenieure und Maschinenbauingenieure gibt es in Deutschland? Es gibt einige. Aber es gibt einen Nachfragebedarf, der deutlich über der Zahl derer liegt, die im Prinzip überhaupt noch infrage kommen. Deshalb haben wir für diese beiden Bereiche vorsichtig gesagt: Da wollen wir auch Ingenieuren aus den neuen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union die Chance geben, sich bei uns zu bewerben. Ob es überhaupt Interessenten gibt, weiß man nicht, aber wir wollen ihnen die Chance geben.

Meine Damen und Herren, ich habe versucht, Ihnen verschiedene Aspekte der Politik der Bundesregierung darzustellen. Uns leitet die Gewissheit: Ohne Wachstum werden wir auch weniger zu verteilen haben. Das heißt, ohne Wachstum werden wir Gerechtigkeit nicht schaffen. Wir wissen, dass Gerechtigkeit auch die Teilhabe aller bedeutet. Wir wollen dazu einen Beitrag leisten, auch wenn die Maßnahmen, die Sie sich vorstellen und die wir uns vorstellen, manchmal auseinander gehen.

Gerechtigkeit und Teilhabe aller ist mit Sicherheit mehr als die Summe aller Einzelinteressen in unserem Land. Vergessen Sie bitte nicht: Politik ist auch immer verantwortlich für die, die in diesem Lande nicht organisiert sind. Wir sind froh, dass viele organisiert sind über zweiMillionen in der IG Metall, aber es gibt eben auch viele Gruppen in der Bevölkerung, die nicht organisiert sind und an deren Interessen wir auch denken müssen. Deshalb sind wir in der Politik nicht sozusagen der verlängerte Arm irgendeiner Gruppe, sondern wir müssen versuchen, das Gesamtinteresse zu sehen.

Gerechte Politik vergisst die Zukunft nicht, sondern gerechte Politik tut das, was sie auch für die Zukunft absehen kann, schon heute. Ich glaube, dass eine Große Koalition hier eine besondere Verantwortung hat. Eine Große Koalition ist sicherlich nicht eine Regierungsform, die es immer geben wird. Aber diese Große Koalition hat, wie Sie es gesagt haben, auch 70Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Wählerinnen und Wähler gehabt. Deshalb dürfen Sie davon ausgehen, dass wir schon aus Eigeninteresse daran arbeiten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zu vergessen.

In diesem Sinne herzlichen Dank, dass ich hier sein durfte. Ihrem Kongress noch alles Gute und uns eine gute Zusammenarbeit, Herr Huber.