Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 18.01.2008

Untertitel: In seiner Rede wies Kulturstaatsminister Bernd Neumann auf das umfangreiche Engagement der Kirchen bei kulturellen Aktivitäten hin. Die fundamentale Arbeitdie gerade die Kirchen auf dem Gebiet der Vermittlung von Kultur leisten, wurde viele Jahrzehnte nicht gebührend gewürdigt.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/01/2008-01-18-rede-neumann-st-stephani,layoutVariant=Druckansicht.html


Kultur und Kirche sind zwei Bereiche, die in engem Zusammenhang stehen. Heute verstehen wir unter Kultur im weitesten Sinne all das, was der Mensch geschaffen hat, was also nicht Natur, nicht naturgegeben ist. Kultur, das ist die Summe all der Lebensäußerungen, mit denen wir unsere Welt gestalten und verändern übrigens im Positiven ebenso wie im Negativen. Kultur beinhaltet das System von Normen und Werten, das unsere Gesellschaft ihrem Zusammenleben zugrunde legt, ebenso wie unsere christlich-abendländischen Werte dies tun. Unsere Wertvorstelllungen, die Ausdruck finden in unseren Grundrechten wie auch in unserem Rechtssystem haben ihren Ursprung in der christlichen Tradition. Ohne religiöse und kulturelle Grundkenntnisse ist die Welt für uns nicht lesbar.

Wir müssen uns jedoch heute darüber bewusst sein, dass viele Menschen die in zwei Jahrtausenden abendländischer Geschichte entstandene Sprache unserer Kultur nicht verstehen sei es, weil sie in der Erziehung nicht mehr adäquat vermittelt wird, sei es, weil sie aus einem anderen Kulturkreis stammen. Kulturelle Bildung hat deshalb eine zentrale Bedeutung für den Weg, den unsere Gesellschaft einschlägt. Sie ist eine unverzichtbare Investition in die Zukunft. Die kulturellen Grundlagen zu kennen, ist eine der Voraussetzungen, um Deutschland als Kulturnation verstehen und vermitteln zu können. Welche fundamentale Arbeit jedoch gerade die Kirchen auf dem Gebiet der Vermittlung von Kultur leisten, wurde viele Jahrzehnte nicht gebührend gewürdigt.

Es ist ein Verdienst der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland", die ihren Abschlussbericht vor einem Monat vorgelegt hat, dass wir heute besser über die bedeutende kulturelle Arbeit der Kirchen Bescheid wissen. Sie sind nicht mehr länger "die unbekannte kulturpolitische Macht", wie es im Titel einer Publikation des Deutschen Kulturrats im November 2007 hieß.

Die Zahlen, die die Enquete-Kommission flächendeckend erhoben hat, sind sehr beeindruckend: Demnach gaben die Kirchen in der Vergangenheit zwischen 3,5 und 4,8 Milliarden Euro jährlich für kulturelle Aktivitäten aus. Damit liegen die Kirchen mindestens gleichauf mit den Ländern und Kommunen, die jeweils ungefähr 3,5 Milliarden Euro jährlich aufbringen. Prozentual, im Hinblick auf den jeweiligen Haushalt, übertreffen die Kirchen Bund, Länder und Kommunen bei weitem: 20Prozent der eingenommenen Kirchensteuern werden für kulturelle Zwecke aufgewandt, bei Ländern und Kommunen, die besondere Kompetenz im Bereich der Kultur beanspruchen, sind es nur magere 1, 6Prozent der gesamten Mittel.

Gerade auf dem Land sind die Kirchen oft die einzigen Orte, an denen Kultur stattfindet, wo Kinder und Jugendliche mit Musik und anderen Künsten in Berührung kommen. Fast eine Million aktiver Mitglieder zählen beispielsweise die kirchenmusikalischen Gruppen beider Konfessionen. Das sind 15Prozent aller Laienmusiker in Deutschland überhaupt. Auch das Engagement der Kirchen im medialen Bereich genießt einen außerordentlich guten Ruf ich erinnere hier nur an die hervorragende Arbeit von epd insbesondere im Filmbereich.

Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur ist also eine der Kernaufgaben der Kirche und keine aus dem Zwang leerer werdender Gotteshäuser geborene Notlösung. Sie ist auch deshalb eine Kernaufgabe, weil beide, Kunst und Religion, dem Menschen Halt geben können. Wir laufen ins Leere ohne Räume, in denen Trost und Einkehr Platz finden, in denen die grundlegenden Fragen nach dem "woher" und "wohin" gestellt werden dürfen. Wir brauchen sinnstiftende Rückbindung nichts anderes bedeutet das lateinische Wort "religio".

Meine Damen und Herren,

die Kulturkirche St. Stephani ist in diesem Sinn ein Raum der Rückbindung als Kirche und als Kulturort zugleich. Eine Kulturkirche unterscheidet sich allerdings wesentlich von anderen Kulturorten, die derzeit Konjunktur haben. Eine "Kulturbrauerei" ist keine Brauerei mehr und eine "Kulturscheune" keine Scheune eine Kulturkirche bleibt jedoch auch und vor allem eine Kirche. Hier werden Gottesdienste gefeiert, hier wird nach wie vor getauft, konfirmiert und geheiratet. Ich weiß, dass die Gemeinde der St. Stephani-Kirche auch aus Gründen der Stadtentwicklung sehr klein geworden ist.

Doch gerade diese neuen Entwicklungen sind es, die für die Einrichtung der Kulturkirche sprechen. Das Stephaniviertel hat seit dem Umzug von Radio Bremen in sein neues Sendegebäude und durch die unmittelbare Nachbarschaft der VHS vermehrt "kulturelle Laufkundschaft". Es wird wohl kein Zufall gewesen sein, dass der Eröffnungsgottesdienst für das Sendehaus hier in St. Stephani stattgefunden hat! Ich habe von Pastor von Zobeltitz erfahren, dass es eine gute Zusammenarbeit mit Intendant Glässgen gibt, die im Oktober des vergangenen Jahres zu einem gemeinsamen Projekt zu Günter Grass geführt hat.

Die Kulturkirche bringt sich ein in Bremen: Mit Kulturgottesdiensten zu Paula Modersohn-Becker oder mit Theaterpredigten zu aktuellen Bremer Inszenierungen. Sie öffnet ihre Pforten für zeitgenössische Kunst und bringt den Bürgerinnen und Bürgern die faszinierende jüdische Klezmermusik "made in Bremen" nahe. Ich möchte Sie auf diesem Weg ermutigen: Gerade in der Vernetzung liegt großes Potenzial für alle Beteiligten!

Vernetzung, meine Damen und Herren, bedeutet Vielfalt, bedeutet aber auch finanzielle und personelle Erleichterung. Die Kultur ist ein Feld für Enthusiasten ohne ehrenamtliche Arbeit und ohne die Selbstausbeutung der Hauptamtlichen wäre unsere kulturelle Landschaft in Deutschland nicht denkbar. Für die Kirchen gilt dies in besonderem Maß. Ohne den Einsatz der 55 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kulturkirche St. Stephani wären die rund 17.000 Besucher im ersten Jahr undenkbar.

Die Bremische Evangelische Kirche hat im Hinblick auf den Kirchentag 2009 hier in Bremen ein ambitioniertes Projekt gewagt. Es ist schon jetzt ein Anziehungspunkt auch für ein eher kirchenfernes Publikum und eine kulturelle Heimat für diejenigen, deren Glaube viele Dimensionen hat. Mit der Einrichtung der Kulturkirche hat die Bremische Evangelische Kirche Gespür bewiesen. Unsere Gesellschaft nimmt die kulturellen Leistungen der Kirchen nach langer Zeit endlich wieder wahr und auch die Künstler selbst wenden sich wieder den Kirchen zu. Im gerade vergangenen Jahr, das an kulturellen Events weiß Gott nicht arm war, war es die Kunst für Kirchen, die öffentlich für größtes Aufsehen sorgten.

Neo Rauchs Elisabeth-Fenster für den Naumburger Dom, Lüpertz "Fenster für den Makkabäer-Chor der Kölner Andreaskirche, Gerhard Richters Fenster für den Kölner Dom und Zumthors Kolumba Kunstmuseum sie alle stehen für ein neu erwachtes Interesse der Kunst an der Kirche. Wir hören von Künstlern Worte, die lange undenkbar schienen. Für Lüpertz sind die Kirchenfenster" ein Tor zum Himmel ", Neo Rauch hat dem Naumburger Dom die von ihm geschaffenen Fenster geschenkt, denn, wie er in einem Interview äußerte:" Für die Ewigkeit arbeit ich gern auch mal umsonst ". Wir alle erkennen zunehmend, dass der freiheitliche säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er allein nicht garantieren kann.

Kirche und Kunst erinnern uns an diese Voraussetzungen und gestalten sie mit. Dazu leistet die St. Stephani-Gemeinde mit ihrer Kulturkirche einen wertvollen Beitrag.