Redner(in): Angela Merkel
Datum: 28.02.2008

Untertitel: in Bonn
Anrede: Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrter Herr Kurth, sehr geehrte zum Teil ehemalige Kollegen, sehr geehrter ehemaliger Wirtschaftsminister wir waren damals keine Kollegen; da gab es die Große Koalition noch nicht,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, sehr geehrte Mitarbeiter der Bundesnetzagentur, sehr geehrte Gäste dieser Festversammlung!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/02/2008-02-28-merkel-10-jahre-bundesnetzagentur,layoutVariant=Druckansicht.html


Herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Kurth, zum zehnten Geburtstag der Bundesnetzagentur! Herr Scheuerle ist auch da Sie sind die beiden, die das Kind sozusagen aus dem Grundschulalter herausgebracht haben. Ich gratuliere natürlich auch den 2.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Einige von Ihnen haben uns heute gezeigt, dass Sie nicht nur gut regulieren, sondern auch toll musizieren können. Dafür auch von meiner Seite ein ganz herzliches Dankeschön!

Die Gratulationswünsche überbringe ich auch im Namen des Bundeswirtschaftsministers, der etwa zur gleichen Zeit die Internationale Handwerksmesse in München eröffnet, aber durch Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Schauerte und Herrn Staatssekretär Otremba vertreten ist. Sicherlich darf ich das ausnahmsweise auch im Namen der Länder tun. Herr Rhiel ist auch da. Die Länder haben natürlich auch einen gewaltigen Anteil an der Regulierung. Sie sind zwar nicht immer hundertprozentig auf der Bundeslinie, aber insgesamt betrachtet doch in einem Geleitzug gut mit dabei.

Wenn ich heute gerne hierher gekommen bin, dann nicht nur, weil ich mich gerne an den alten Plenarsaal erinnere, liebe Frau Dieckmann, sondern auch, weil hier heute jemand Geburtstag feiert, den man fast als "hidden champion" in unserer Republik bezeichnen könnte. Die Bundesnetzagentur ist eine Institution mit sehr viel Einfluss, gefürchtet und geliebt, deren Entscheidungen oft ersehnt oder mit Bangen erwartet und nicht immer von allen Betroffenen geteilt werden, zum Teil auch umstritten sind. Der Rechtsweg ist in Deutschland ja für jedermann offen. Das wird auch reichlich genutzt.

Die Bundesnetzagentur ist eine Behörde, die in der täglichen Balance sehr unterschiedlicher Interessen zu arbeiten hat und die eine, wie ich finde, unglaublich interessante Arbeit leisten kann. Denn Sie, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Sie, lieber Herr Kurth, und die Vizepräsidenten füllen im Grunde jeden Tag ein Stück des Ordnungsrahmens der Sozialen Marktwirtschaft auf einem Weg aus Frau Dieckmann hat es eben angedeutet, auf dem die Daseinsvorsorge, die früher ganz selbstverständlich fest in staatlicher Hand war, nun in die freiheitliche Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft entlassen wird. Sie kann aber nicht ohne Barrieren und ohne Begleitumstände entlassen werden.

Der Gesetzgeber hat sich in den von Ihnen genannten Fällen bei der Post, bei der Telekommunikation, beim Strom, beim Gas und bei der Bahn immer entschieden, erst einmal sozusagen einen rechtlichen Rahmen vorzugeben, um anschließend ein paar Freiräume zuzulassen. Den denkbaren Wettbewerbern werden durch den rechtlichen Rahmen allerdings sehr unterschiedliche Ausgangsstellungen eingeräumt.

Sie müssen dann mit einem gewissen Fingerspitzengefühl dafür Sorge tragen, dass das, was man gemeinhin als Gerechtigkeit bezeichnet, in diesen Bereichen durchgesetzt wird. Das ist eine wirklich ambitionierte Aufgabenstellung und sicherlich nicht anders als in einem iterativen Prozess durchzusetzen, in dem nicht jeder zu jeder Sekunde hundertprozentig zufrieden sein kann.

Wenn ich mir das erlauben darf, würde ich sagen: Im Großen und Ganzen ist das einigermaßen gelungen. Der Gesetzgeber übt eine gewisse Zurückhaltung, weil er weiß, so richtig reinreden darf er Ihnen nicht. Denn das hieße dann gleich "Einmischung". Aber wenn es mal ganz dicke kommen sollte, greifen wir natürlich ein.

Sie haben in verschiedenen Bereichen auch ein interessantes Verhältnis zum Bundeskartellamt, das auch einmal einer tieferen Ergründung bedürfte. Auch da versuchen wir, durch rechtliche Rahmensetzungen einigermaßen Ordnung zu schaffen.

Durch Ihre Tätigkeit wird die Daseinsvorsorge also in die freiheitliche Ordnung entlassen. Gleichzeitig sind Sie der Motor oder der Bremser von Innovationen. Damit ist, wie ich finde, eine sehr umfangreiche Aufgabenstellung beschrieben.

Als die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post sozusagen selbstloserweise vom damaligen Postminister Bötsch unter Auflösung seines eigenen Ministeriums gegründet wurde, gab es verschiedene Prognosen, wie lange das Ganze nötig sein würde. Manch einer hat gesagt: Nach zehn Jahren ist Schluss. Den Eindruck habe ich heute nicht. Vielmehr hat sich Ihr Aufgabenfeld erweitert. Der Postminister hat sein Ministerium, wie gesagt, selbst aufgelöst. Das war etwas, was man auch sonst fast nur aus Zeiten der deutschen Einigung kennt, also ein ziemlich karitativer Vorgang zum Wohle des Allgemeinen. Aber die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten dadurch, wie gesagt, einer weiteren wichtigen Aufgabe nachgehen.

Die Soziale Marktwirtschaft wird immer wieder diskutiert. In diesem Jahr werden wir noch besonders darüber zu sprechen haben, denn im Juni jährt sich zum 60. Mal der Jahrestag der Währungsreform. Diese Währungsreform diente nicht nur der Einführung neuen Geldes, sondern sie war der Urimpuls der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Er ging damals mit dem Ende der "Bewirtschaftung" einher, wie Ludwig Erhard das nannte.

Eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft ist natürlich immer der Ordnungsrahmen für den Wettbewerb. Wenn wir heute manchmal darüber streiten, wie dieser auszusehen hat, dann müssen wir uns gar nicht sorgen. Ich persönlich bin jedenfalls ruhiger, seitdem ich gelesen habe, wie umkämpft das Kartellrecht war. Es wurde vom BDI heftig verneint; man wollte es auf gar keinen Fall, weil man natürlich der selbstlosen Monopolbildung nicht allzu viel entgegensetzen wollte. Aber Ludwig Erhard hat immer gesagt: Das Kartellrecht ist ein "Konsumentenschutzgesetz". Dass Deutschland heute einen so prosperierenden Mittelstand hat, ist mit Sicherheit eine der Folgen dessen, dass Erhard dieses Kartellrecht durchgesetzt hat. Die Frage, wie das Kartellrecht ausgestaltet werden muss, beschäftigt uns bis heute. Auch die gesetzgeberische Leistung des Bundeswirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit den Änderungen des Kartellrechts in den Bereichen der Energieversorgung war nicht unumstritten.

Sie haben also immer wieder das rechte Maß zu finden. Das Gesetz gibt der Regulierungsbehörde dabei einen bestimmten Raum. Sie haben jetzt in der Tat fünf Bereiche, Herr Kurth. Die Aufgaben sind also mehr geworden, die Sie unter Ihren Fittichen haben, nicht weniger. In all diesen Bereichen stellt sich die Frage: Was ist ein fairer Wettbewerb? Dass darüber unterschiedliche Vorstellungen herrschen, ist klar.

Ich bin über die Ausweitung der Kompetenzbereiche eigentlich sehr erleichtert gewesen. Herr Clement, ich vermute, es war in Ihrer Zeit, als auch die Energie in den Einflussbereich der Regulierungsbehörde bzw. seit 2005 der Bundesnetzagentur kam. Ich hatte als Umweltministerin mit dem damaligen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt immer einen Streit darüber Fritz Bohl wird sich daran erinnern, ob der Mechanismus der Selbstverpflichtung reichen würde, damit wir ausreichend Wettbewerb bekommen. Ich war skeptisch ich will jetzt nicht nachkarten, aber ich denke, Sie werden den Energiebereich jetzt in guten Händen halten.

Wenn wir über Daseinsvorsorge sprechen, haben wir es mit Bereichen zu tun, die das Leben und die Sicherheit jedes einzelnen Menschen in unserem Lande beeinflussen. Wir haben es mit Bereichen zu tun, in denen es um riesige Fixkosten und um unglaublich große Investitionsvorhaben geht, die natürlich mit einer gewissen rechtlichen Sicherheit ausgestattet sein müssen. Wir haben in europäischen Ländern und auch global viele Misserfolge von zu schnellen Wegen in die Freiheit erlebt, die den Ansprüchen der Daseinsvorsorge nicht genügen. Deshalb ist diese Aufgabe schon gewaltig.

Wenn ehemalige staatliche Unternehmen in die freiheitliche Wirtschaftsordnung entlassen werden, haben wir es natürlich auch mit Vorgaben für diese Unternehmen zu tun, an die sich nach zehn bis 15 Jahren kaum noch jemand erinnert, die aber wie wir erkennen, wenn wir an die Telekommunikation und an die Post denken nach wie vor gewaltige arbeitsrechtliche Einschränkungen gegenüber den Wettbewerbern mit sich bringen. Hier geht es, wie immer bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, um Menschen. Auch das muss immer wieder mit in die Gedanken eingebracht werden.

Wir haben immer wieder hitzige Diskussionen, so auch zum Jahreswechsel um beim Thema Post zu bleiben; ich hoffe natürlich auf gute Zusammenarbeit über die Frage des Mindestlohns. Manch einer hatte sich gar nicht mehr erinnert, dass sich eine der letzten Schlachten in der Bundesregierung damals bei der Post-Privatisierung darauf bezog, dass die Postdienstleistungen ganz erhebliche Lohnanteile haben. Damals wurde von der Mehrheit des Bundesrates, gestellt durch die Sozialdemokraten, gefordert, dass kein unvergleichbarer Wettbewerb aus der Frage des Lohns entstehen darf. Das war zum Beispiel eine der Randbedingungen, die heute keiner mehr gesehen hat, als es um die Wettbewerber ging.

Da ich gerade beim Thema Post bin, will ich sagen, dass heute natürlich immer wieder auch die Frage der europäischen Rahmensetzungen einen wesentlichen Einfluss hat. Die Deutsche Post AG hat sich auf die Liberalisierung der Postmärkte weit mehr vorbereitet als mancher europäische Mitanbieter. Dass wir in Europa nicht vor drei Jahren und auch nicht in diesem Jahr, sondern bestenfalls in drei Jahren zu einer Liberalisierung der Postmärkte kommen, ist wiederum ein Indiz dafür, wie mutig Deutschland diesen Weg gegangen ist und wie zögerlich andere Länder damit umgehen. Wir haben in der europäischen Landschaft, im europäischen Binnenmarkt inzwischen völlig unterschiedliche Gegebenheiten. Es gibt Länder, die gemeinsam mit uns den Liberalisierungsweg gegangen sind, und andere Länder, die noch weit hinterher sind und noch viele Entscheidungen treffen müssen.

Herr Kurth hat hier schon über die Telekommunikationsmärkte gesprochen, die sich durch den Aufbau eines zusätzlichen freien Netzes, eines nicht sichtbaren Netzes, neben dem gebundenen Netz gewandelt haben. Was sich da getan hat, ist zum Teil atemberaubend. Im gesamten Mobilfunkbereich stehen wir in Europa heute gut da. Das ist einem der Anwesenden zu verdanken, nämlich Herrn Schwarz-Schilling, der weit vor der Liberalisierung des gesamten Telefonmarktes grundsätzliche Entscheidungen getroffen hat, die für den europäischen Erfolg wegweisend waren, nämlich bezüglich der Zuordnung von Frequenzen. Es gab keine freiwillige Zuordnung, bei der sich jeder eine Frequenz aussuchen konnte, sondern man hat versucht, die verschiedenen Interessenten auf gleiche Frequenzen zu eichen und damit eine internationale Kommunikation möglich zu machen. Wir konnten bei den Amerikanern erleben, mit welchen Schwierigkeiten die Marktentwicklung verbunden sein kann, wenn das nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt stattgefunden hat.

Ich finde es faszinierend, wie ordnungspolitische Entscheidungen innovationstreibend oder innovationsverhindernd sein können. Dass diese Entscheidung etwa zum Zeitpunkt der Deutschen Einheit bzw. eher zum Zeitpunkt des Mauerfalls oder kurz davor gefallen ist, zeigt, dass man immer daran denken muss, dass grundsätzliche Entscheidungen oft zehn Jahre, bevor sich die Technologie dann für jedermann sichtbar ihre Bahn bricht, gefällt werden. Im Umkehrschluss: Falsche oder nicht getroffene Entscheidungen können für Jahrzehnte fehlende Innovationskraft mit sich bringen. Wenn es etwa um das Thema Energie geht ich komme gleich noch darauf zu sprechen, müssen wir daher aufpassen, dass wir in Deutschland nicht Entscheidungen treffen, die uns eher zurückwerfen, als dass sie uns voranbringen.

Was die Festnetztelefonate anbelangt, sind die Preise nur um das noch einmal zu sagen in den vergangenen zehn Jahren von durchschnittlich 31 Cent auf einCent für die Inlandsgespräche und für Ferngespräche in die USA von 73 Cent auf ebenfalls etwa einCent gesunken. Diese Entwicklung verlief nicht immer ganz freiwillig, Herr Kurth; ich glaube, da hatten Sie und Herr Scheuerle Ihre Finger mit im Spiel. Es ist auch viel gestritten worden, ob das gerecht sei. Die "letzte Meile" wird uns in verschiedenster Hinsicht noch lange in Erinnerung bleiben.

Wir haben heute ähnliche Diskussionen in Bezug auf die Breitbandanschlüsse: Wer investiert und wo investiert er? Etwa die Strecke zwischen Köln und Düsseldorf ist relativ umworben, aber in meiner Gegend, zwischen Stralsund und Rügen, ist der Kreis der Anbieter geringer. Wir haben zwar, als das Geld für die Deutsche Einheit noch gut floss, wundervolle Glasfaserkabel bekommen. Aber Kupferleitungen zu den Anschlüssen der Interessenten in den dünn besiedelten Gebieten heute noch zu legen, ist eine schwierige Sache. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, dass die Europäische Kommission sagt: Lasst uns Wettbewerbsvorteile für diejenigen schaffen, die zum Beispiel in den ländlichen Räumen investieren. Solche Entscheidungen brauchen wir auch in Zukunft, denn genau das ist das Wesen der Daseinsvorsorge. Wenn wir das nicht aufgeben wollen und wenn wir auch den ländlichen Räumen eine gute Entwicklungschance geben wollen, dann muss das immer im Hinterkopf sein. Wir brauchen eine möglichst gleichmäßige harmonische Entwicklung. Das ist jedenfalls die Vorstellung der Bürgerinnen und Bürger. Man muss ab und an auch noch einmal darauf hinweisen, dass 50Prozent der Menschen in Deutschland immer noch nicht in Städten leben, sondern in ländlichen Räumen.

Es sind unglaublich viele Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Wettbewerber im Telekommunikationsbereich haben zum Beispiel mehr als 50.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wir neigen oft dazu, die Arbeitsplätze, die verloren gehen, stärker zu bewerten als diejenigen, die neu entstehen. Deshalb sollten wir immer wieder im Auge behalten, dass diese Branche ein riesiger Beschäftigungsmotor ist, der sich auch weiter gut entwickeln wird.

Es gibt noch ein weiteres statisches Denken, das uns nicht weiterführt und an das ich hier erinnern möchte. Es wird oft gesagt: Ein Brief, der geschrieben wird, muss transportiert werden, und die Verwandten, die angerufen wurden, müssen weiter angerufen werden, deshalb sei es eigentlich egal, ob das der frühere Monopolist oder der heutige Wettbewerber ermöglicht. Dieses Denken ist statisch und klammert völlig aus, dass durch mehr Wettbewerb auch ein breiteres Angebotsspektrum und fantasievollere Angebote entstehen, dass sich aus Wettbewerb neue Märkte entwickeln und dass sich die Menschen im Bereich neuer Angebote auch anders verhalten. Deshalb rate ich immer zu einem dynamischen Denken und nicht zu einem auf die heutige Zeit festgelegten Denken.

Uns stellt sich immer wieder die Frage: Was macht denn nun in unserem so mühevoll liberalisierten Telekommunikationsmarkt die Europäische Kommission, die europäische Ebene? Es gibt natürlich eine immanente Kraft in den europäischen Binnenmärkten, zu überlegen: Muss denn nun alles noch national reguliert werden oder brauchen wir das nicht auch zentral auf europäischer Ebene? Ich glaube, da, wo sich sehr unterschiedliche Märkte entwickelt haben und wo auch unterschiedliche rechtliche Gegebenheiten sind, sollten wir unnötige Zentralisierung vermeiden. Deshalb setzt sich die Bundesregierung nicht dafür ein, dass wir eine europäische Regulierungsbehörde bekommen, sondern dafür, dass wir hier vernünftig und dezentral vieles regulieren können. Der Gesichtsausdruck von Herrn Kurth zeigt mir, dass er mit dieser Aussage einigermaßen zufrieden ist.

Die Gruppe der europäischen Regulatoren und einen Austausch innerhalb dieser Gruppe brauchen wir durchaus. Aber wenn es um Vetorechte der Kommission geht, die ausgeweitet werden sollen, dann werden wir bei der Neufassung der Europäischen Telekommunikationsrichtlinie unseren Einfluss geltend machen. Wir müssen allerdings wissen, dass Beschlüsse in Europa zunehmend mit Mehrheitsentscheidungen gefasst werden. Insofern brauchen wir auch immer wieder Verbündete.

Ich komme nun zum Energie-Binnenmarkt als einem weiteren Bereich. Auch in diesem Bereich haben wir es mit einer Vielzahl von europäischen Rechtsetzungen und einer überschaubaren Anzahl von Anbietern zu tun, die heute zum Teil auch anwesend sind das freut uns natürlich, sowie mit einem Wirtschaftszweig, der in Zukunft von eminenter Wichtigkeit für den Wirtschaftsstandort Deutschland sein wird.

Auch hier werden wir nicht umhin kommen, grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Denn es stellt sich natürlich die Frage: Ist es ausreichend, wenn irgendwo in Europa Energie erzeugt wird, und der Wirtschaftsstandort Deutschland schaut nur noch, dass das Elektron irgendwie den deutschen Boden erreicht, oder haben wir den Anspruch, dass wir ein Energieerzeugungsstandort mit einem vernünftigen Energiemix und damit auch einer gewissen Krisenfestigkeit und Resistenz gegenüber Veränderungen im globalen Maßstab bleiben wollen? Ich plädiere sehr dafür, dass wir unsere Energieerzeugung auf der Basis eines vernünftigen Energiemixes im Grundsatz für uns selbst leisten können.

Da die Entscheidungsprozesse aber langfristig und langwierig sind, ist die Gesamtdiskussion im Augenblick nicht gerade ermutigend. Ich muss das so sagen. Ich sage das nicht, weil Herr Clement da ist. Ich hätte es auch gesagt, wenn Sie nicht da wären. Es gibt schon sehr seltsame Ideen, wie man dem Klimaschutz Rechnung tragen könne. Ich bin einigermaßen entgeistert ich erlebe das im Augenblick auch in meiner engsten Heimat in Mecklenburg-Vorpommern, wie die Kohlekraftwerke plötzlich insofern ein Symbol geworden sind, als man nur noch klimafreundlich sein könne, wenn man in seiner unmittelbaren Umgebung kein Kohlekraftwerk sieht.

Die deutschen Kohlekraftwerke sind die modernsten, die deutschen Kohlekraftwerke sind die umweltfreundlichsten. Unser ganzes Sinnen und Trachten muss darauf ausgerichtet sein, dass sich möglichst viele Menschen aus China und Indien deutsche Kohlekraftwerke anschauen können, damit sie viele von denen auch bei sich bauen, denn dann hätten wir für den Klimaschutz schon viel getan.

Nun haben wir uns als Bundesregierung in Brüssel auch auf die Frage einzulassen: Wie ist das denn nun mit der Erzeugung und dem Netz? Das ist eine hoch spannende Frage, unabhängig davon, ob wir nun über die Züge auf der Bahnschiene oder ob wir über die Stromdurchleitung durch Netze sprechen. Die Diskussion ist frei und offen und sie ist immer wieder überraschend, wie man auch in den letzten Stunden wieder hören konnte. Das wird uns aber nicht davon abbringen, unsere jetzige Linie in Brüssel weiter zu verfolgen. Wir glauben, Zwangsverkäufe der Netze sind keine Garantie für Wettbewerb. Es muss Transparenz geben. Ansonsten muss jeder entscheiden, wie er das für sich für richtig hält.

Allerdings ist Stromerzeugung ohne ordentliche Netze natürlich auch eine dumme Sache, denn dann kommt der Strom nicht vom Erzeuger zum Kunden. Der Erzeuger, der glaubt, er könne, ohne sich um die Netze zu kümmern, weiter eine gute Kundenbindung erreichen, der kann sein blaues Wunder erleben, wenn die erzeugte Elektrizität nicht mehr zum Kunden kommt. Wir sehen auch in anderen Ländern, dass die Sorgfalt für die Netze etwas ist, was uns sehr beschäftigen wird.

Mit dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien kommen natürlich vollkommen neue Aufgaben auf die Netze zu. Mit dem deutschen Stromeinspeisungsgesetz, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, ist die Pflicht zur Einspeisung auch eine Pflicht zum Netzbau. Wenn plötzlich alle Erzeuger kein Interesse mehr am Netz hätten, dann würde sich der Staat wieder überlegen müssen, welche Garantien er schaffen kann, dass überhaupt noch funktionierende Netze vorhanden sind. Aber, Herr Großmann, ich hoffe, Sie freuen sich neben der Erzeugung von Strom auch weiter über funktionierende Netze.

Ich glaube, dass es unter dem Strich dennoch richtig war, dass der Bundeswirtschaftsminister im Bereich der Energie, um den Wettbewerb im Strommarkt zu stärken, diesmal nicht die Regulierungsbehörde gestärkt hat, sondern das Kartellrecht novelliert hat. Auch hier werden wir wieder schauen: Bringt das etwas, wird das etwas bringen? Wir müssen schauen, dass wir im Strommarkt neben der Regulierungsbehörde auch transparente Strombörsen und nicht zu viele Effekte durch das Handeln derjenigen haben, die sozusagen nur mit virtuellen Mengen spielen. Das führt uns aber in die Finanzmärkte. Die regulieren Sie noch nicht, deshalb brauchen wir uns damit amzehntenGeburtstag Ihrer Behörde noch nicht zu befassen.

Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu dem kompliziertesten, weil politisch im Augenblick heikelsten Bereich. Ich möchte hier mit meiner Geburtstagsrede nichts kaputt machen, denn bei der Bahn haben wir auch noch Aufgaben zu erledigen. Ich möchte nur so viel sagen: Sowohl bei der Post als auch bei der Bahn nähern wir uns einem wachsenden Bereich, der in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen wird das ist die Logistik. Hier werden wir auch als politische Akteure ein völliges Umdenken erlernen müssen. Den Kunden auf der Welt interessiert es heute nicht mehr, ob etwas mit der Bahn, mit dem Schiff, mit dem Flugzeug oder sonst wie von A nach B geschafft wird. Vielmehr interessiert nur noch: Wer kann in einer kurzen Zeit zu einem erschwinglichen Preis ein Gut von A nach B bringen?

In diesem Wettbewerb, in dieser Aufgabenstellung steht unsere Bahn AG. Wir haben auch die Bahn in eine AG überführt, haben die letzten Schritte aber noch nicht vollzogen und müssen uns diese Schritte jetzt sehr gut überlegen. Wir sind der Meinung, dass das Netz zu 100Prozent im staatlichen Eigentum bleiben soll. Allerdings beginnen nach diesem noch einigermaßen allgemein und einvernehmlich festzulegenden Befund auch schon die Schwierigkeiten, wie wir weiter verfahren sollen. Ich habe den Eindruck, dass uns kreatives Nachdenken der Bahn und vieler anderer Beteiligten Wege eröffnen könnte, auch hier noch einen Schritt in Richtung mehr Privatisierung und auch mehr Wettbewerb zu gehen.

Ich sage allerdings: Alle die, die denken, man müsste gar nichts tun und könnte auf dem Status quo stehen bleiben, würden, sollte man das tun, erleben, dass die Bahn dann sehr bald wieder zum Bund zurückkommt und nachfragt, welche finanzielle Mittel aus dem Staatshaushalt sie denn bekommen kann, um das, was sie hier im Lande leisten soll und muss, auch wirklich leisten zu können. Diesen Zustand würde ich gerne vermeiden. Die allgemeinen Bedingungen sind so, dass sich auch die Bahn der Innovation stellen muss.

Ich will an dieser Stelle nur daran erinnern: Die Gewerkschaften und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn haben sich dem Prozess der Öffnung zum Wettbewerb gestellt. Man kann sagen, das sei nicht ausreichend und das sei alles noch nicht perfekt, aber nicht nur die Unternehmensführung, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich diesem Prozess mit einer wirklich guten Grundeinstellung gestellt. Wir sollten sie nicht enttäuschen, denn der geeignete Zeitpunkt kommt so schnell nicht wieder und manches könnte vielleicht sehr viel schwieriger sein, wenn wir ihn jetzt nicht nutzen. Die Eingeweihten wissen, wovon ich spreche. Weiter möchte ich heute nicht gehen, weil ich weder die Festveranstaltung in Trauer ausklingen lassen möchte, noch etwas politisch zerstören möchte.

Ich glaube, lieber Herr Kurth, Sie haben immer ambitionierte Politiker an Ihrer Seite gehabt, manchmal auch unerbetene Ratschläge bekommen, Sie haben immer Unternehmenschefs aus den verschiedensten Bereichen sozusagen die Altanbieter und die Neuanbieter nicht immer in harmonischer Eintracht an Ihrer Seite gehabt und Sie haben eine aufmerksame parlamentarische Begleitung Ihrer Arbeit gefunden. Dafür möchte ich den anwesenden Bundestagsabgeordneten ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Ich weiß von manchem, dessen Herz für den Wettbewerber schlägt, und von manchem, dessen Herz für den früheren staatlichen Unternehmer schlägt. Aber in der Mischung hat sich eine unglaubliche Erweiterung der Diskussion im Deutschen Bundestag ergeben. Da wir uns heute im alten Deutschen Bundestag befinden, möchte ich Ihnen sagen, dass ich glaube, dass Ihnen diese Begleitung auch in Zukunft gut tun wird.

Das heißt also, lieber Herr Kurth, es sieht so aus, als hätte die Netzagentur in den nächsten zehn Jahren noch gut zu tun. Ich wünsche Ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf diesem Weg alles Gute! Das, was Sie jeden Tag tun auch wenn es vielleicht manchmal nur kleine Details im großen Zusammenhang betrifft, ist eine sehr spannende Tätigkeit. Von Ihren Entscheidungen, von jeder einzelnen Entscheidung kann unglaublich viel abhängen. Deshalb: Je weniger Gerichtsverfahren und je mehr gute Entscheidungen, umso besser für uns alle.

Alles Gute und herzlichen Dank!