Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 02.06.2008

Untertitel: In seiner Rede wies Kulturstaatsminister Bernd Neumann auf das vorbildliche Engagement des Bundes der Kriegsblinden in Bezug auf das Hörspiel im Radio hin und ging auf die Bedeutsamkeit des Hörfunks und seine Rolle in der Medienlandschaft ein. Ebenso machte er deutlich, dass Qualität der Schlüsselbegriff für ein kulturell anspruchsvolles Programm sein sollte.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/06/2008-06-02-rede-neumann-h_C3_B6rspielpreis,layoutVariant=Druckansicht.html


der Hörspielpreis der Kriegsblinden ist in den 56 Jahren seines Bestehens zu einem der renommiertesten und anspruchsvollsten Kulturpreise in Deutschland geworden. Die Liste der Preisträger und ihrer Werke von Wolfgang Hildesheimer über Ingeborg Bachmann bis Heiner Müller liest sich wie ein "Who is who" der Nachkriegsliteratur. Er hat nicht nur Radiogeschichte geschrieben er ist auch ein Spiegel der intellektuellen und literarischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Die Wahl der diesjährigen Preisträger, die zur Gruppe "Rimini Protokoll" gehören, bestätigt dieses besondere Gespür für Qualität, das den Hörspielspreis der Kriegsblinden von Anbeginn auszeichnet. Mit der heutigen Verleihung werden zwei Künstler von "Rimini Protokoll" geehrt, die in ihrem Schaffen als Trendsetter gelten. Ihre Theaterprojekte weiten den engen Begriff des Theaters sowohl räumlich als auch in Hinblick auf den dokumentarischen Charakter der Texte aus. Sie haben dem dokumentarischen Theater- und Hörspiel entscheidende, neue Impulse gegeben.

Es gehört zu den angenehmen Aufgaben eines Kulturstaatsministers, über herausragende Talente nicht nur zu lesen, sondern ihr Schaffen auch live erleben zu können. Gerne erinnere ich mich an die "Rimini-Protokoll" - Inszenierung "Wallenstein" beim Theatertreffen in Berlin im Mai 2006 im "Hebbel-Theater", die mich sehr beeindruckt hat!

Liebe Frau Haug, lieber Herr Wetzel! Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu diesem Preis!

Doch die Laudatio auf die Preisträger des heutigen Tages ist nicht meine Aufgabe deshalb halte ich mich hier zurück und wende mich dem Medium Hörfunk zu, dessen Perspektive für mich sehr wichtig ist. Oft schon wurde das Radio für tot erklärt oder zumindest als Auslaufmodell bezeichnet. Doch nach wie vor ist das Radio das meist genutzte Informationsmedium in Deutschland.

Ich will nicht verhehlen, dass die Zeiten für den Hörfunk gerade durch die rasanten technischen Entwicklungen nicht einfacher geworden sind. Die neuen Möglichkeiten für die Herstellung und Verbreitung medialer Inhalte haben unsere Medienlandschaft grundlegend verändert und werden sie weiter verändern. Für die Entwicklung des Medienstandorts Deutschland ist es von großer Bedeutung, dass das Potential der Digitalisierung des Rundfunks genutzt wird. Es ist aber ebenso wichtig, dass bei allem technischen Fortschritt die Vielfalt der Angebote des Rundfunks in Deutschland erhalten bleibt. Im Rahmen der künftigen Frequenzvergabe muss es auch weiterhin für die Hörfunkprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine Bestands- und Entwicklungsgarantie geben. Ich trete dafür ein, dass das Radio als eigenständige Mediengattung mit unverwechselbarem Profil erfolgreich bleibt.

Meine Damen und Herren,

bei allen rundfunkpolitischen Überlegungen gibt es einen zentralen Aspekt, den ich für einen wesentlichen Garanten für die Zukunftsfähigkeit nicht nur des Radios halte: Die Qualität des Angebots.

In Deutschland hat sich mit dem dualen System eine reichhaltige und leistungsfähige Rundfunklandschaft entwickelt. Der hervorragende Beitrag, den die öffentlich-rechtlichen Sender gerade im Bereich der Hörspielkunst leisten, verdient dabei besondere Anerkennung. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland", die Ende des vergangenen Jahres ihren Schlussbericht vorgelegt hat, fordert sogar, die Stärkung der Produktion von Hörspielen in die Programmleitlinien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzunehmen.

Qualität muss der

Maßstab für den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein. Auch hier ist das jüngste Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts Richtschnur, wenn es erklärt, dass sich das Programm an publizistischen Zielen zu orientieren hat "und zwar unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen".

Das bedeutet aber nicht, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk lediglich eine Ergänzungsfunktion für Angebote zugewiesen werden kann, die sich privat finanziert nicht rechnen. Es bedeutet vielmehr, dass sich Programme, die für eine breitere Zuhörerschaft attraktiv sind, mit Angeboten mischen, die nur ein kleineres Publikum interessieren. Dieses Alleinstellungsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss unbedingt erhalten und verstärkt werden. Anspruchsvolles darf eben nicht in spätabendliche Sendenischen verdrängt werden!

Nur ein kulturell anspruchsvolles Programm legitimiert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und wappnet ihn nicht zuletzt mit Blick auf Brüssel gegen Angriffe. Qualität ist dabei der Schlüsselbegriff bei der Diskussion um die Erfüllung des besonderen gesellschaftlichen Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Wünschenswert ist natürlich, dass auch der private Rundfunk einen Beitrag zu einem qualitätsvollen und vielfältigen Angebot leistet. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland" hat an die privaten Sender appelliert, in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Kultur und das kulturelle Leben in Deutschland ihre kulturelle Leistungen selbstkritisch zu überprüfen und eine Verbesserung und verstärkte Qualitätsorientierung ihres Angebots anzustreben. Diesen Aufruf unterstütze ich sehr!

Meine Damen und Herren,

seit über 50 Jahren profitiert auch die Radiokunst von dem vorbildlichen Engagement des Bundes der Kriegsblinden. Ich möchte sogar so weit gehen zu sagen, dass der von Ihnen verliehene Preis die Gattung Hörspiel über die Zeiten gerettet hat, in denen das Hörspiel vielen als ein wenig gestrig und überholt erschien.

Ich danke allen Beteiligten für ihren langen Atem und ihre Treue zu einer einzigartigen Kunstform! Gemeinsam mit der Filmstiftung NRW, die seit 1995 den Preis mit trägt. Mit dem Preis wurden wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Kunstform "Hörspiel" gegeben und damit auch ein wesentlicher Beitrag zu Qualitätsprogrammen im deutschen Radio geleistet. Zu den diesjährigen Preisträgern gehört nicht nur die Gruppe "Rimini Protokoll", die für ihr Hörspiel "Karl Marx: Das Kapital, Erster Band" mit dem Preis der Kriegsblinden ausgezeichnet wird, sondern auch das Deutschlandradio und der WDR, die dieses Hörspiel produziert haben. Die beiden Rundfunkanstalten haben damit ein vorbildliches Beispiel für qualitätvollen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeben. Gleichzeitig haben Sie, und das halte ich für besonders wichtig, junge begabte Autoren für das Medium Hörspiel gewonnen!

Wir brauchen für das Radio kreative Autoren und gute, packende Stoffe! Die Zeichen stehen günstig: Das Hörspiel hat gerade durch die zusätzlichen Verwertungswege wie Podcast und Hörbuch eine unglaubliche Renaissance erfahren. Hörbücher sind ein Massenmedium geworden; von ihrer Beliebtheit profitiert auch das klassische Hörspiel.

Meine Damen und Herren,

das Quasi-Dokumentarische hat spätestens seit Orson Welles "Krieg der Welten" einen festen Platz in der Hörspielkunst.

Doch anders als dieses hyper-realistische Hörspiel von 1938, das sogar zu Polizeieinsätzen und Panikreaktionen bei den Hörern geführt hat, spiegeln die Arbeiten von "Rimini Protokoll" zwar die Realität wieder, brechen diese Spiegelung aber äußerst kunstvoll. So auch im preisgekrönten Hörspiel "Karl Marx: Das Kapital, Erster Band" : Aus den Stimmen ganz normaler Menschen weben die Autoren dichte, kunstvolle Texte, die über unsere Wirklichkeit mindestens eben soviel sagen wie über die historischen Stoffe, die ihr Ausgangspunkt sind. Ihre Meisterschaft im quasi-dokumentarischen Genre hat "Rimini Protokoll" sogar den

Ehrentitel "Experten des Alltags" eingetragen. Ich bin kein Hörspiel-Experte; aber beim Film kenne ich mich gut aus. Auch dort ist seit zwei Jahren der Trend hin zum Dokumentarischen ganz deutlich zu beobachten. So ging bei der diesjährigen Berlinale der Goldene Bär an den brasilianischen Film "Tropa de Elite", der in schonungslosen Bildern den alltäglichen Kampf gegen Drogen und Gewalt zeigt. In Cannes erhielt der Film "Entre les murs" die Goldene Palme, der sich mit der Realität eines multiethnischen Schulalltages auseinandersetzt.

Dokumentarfilme zeigen das Besondere im Alltäglichen, indem sie sich Menschen und ihren Schicksalen nähern. Es hat mich besonders gefreut, dass im vergangenen Jahr der englische Dokumentarfilm "Blindsight" den begehrten Publikumspreis der Berlinale-Sektion Panorama gewonnen hat. Der Film dokumentiert das außergewöhnliche Projekt der blinden deutschen Tibet-Forscherin Tenberken, die sich gemeinsam mit den Schülern einer tibetischen Blindenschule auf eine abenteuerliche Bergtour begibt. Der Film ist ein bewegendes Dokument dafür, dass Mut und Selbstbewusstsein mit den Aufgaben wachsen können und dafür, dass auch der Weg das Ziel sein kann im wahrsten Sinn des Wortes. Denn obwohl die kleine Gruppe den Gipfel nicht erreicht, zeigt er, dass Blindheit nicht Ausgeschlossenheit vom Leben und seinen Abenteuern heißt.

Meine Damen und Herren, der Hörspielpreis der Kriegsblinden fördert seit über einem halben Jahrhundert das Hörspiel, das blinde Menschen am Leben und an seinen Wundern teilhaben lässt. Er sorgt so dafür, dass ein wichtiges Tor zur Welt offen bleibt. Dies dürfen wir bei allen Meriten, die der Hörspielpreis sich aus rundfunkpolitischer Sicht erworben hat, nicht vergessen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.