Redner(in): Angela Merkel
Datum: 29.05.2008

Untertitel: gehalten in Leipzig
Anrede: Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr gehrte Frau Vehviläinen, sehr geehrter Herr Generalsekretär Short, sehr geehrter Herr Minister, lieber Herr Kollege Tiefensee, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/05/2008-05-29-rede-merkel-internationales-transportforum,layoutVariant=Druckansicht.html


Ich bin heute sehr gern zum ersten Internationalen Transportforum gekommen dies natürlich auch deshalb, weil es in Leipzig stattfindet. Ich weiß, dass unser Verkehrsminister, Herr Tiefensee, besondere Bindungen zu Leipzig hat. Als Oberbürgermeister hat er hier vieles gestaltet, was Leipzig nach der deutschen Wiedervereinigung ausmacht und Leipzig zu einer modernen Stadt werden ließ.

Ich kann allerdings auch von Leipziger Erfahrungen berichten. Ich habe hier von 1973 bis 1978 an der Leipziger Universität Physik studiert. Leipzig habe ich aus dieser Zeit in allerbester Erinnerung, auch wenn die Professoren uns Studenten nicht immer leichte Aufgaben gestellt haben. Sie waren streng. Ich glaube, die Ausbildung war aber ganz gut. Herr Tiefensee, das schadet aber auch nicht, wenn wir uns im gesamtdeutschen Wettbewerb zu bewähren haben.

Für dieses Forum ist mit Leipzig die Wahl gut getroffen. Leipzig hat eine lange Tradition als Messe- und Handelsstadt. DHL, ein großer Logistikkonzern, hat sich hier niedergelassen und damit einen Beitrag dazu geleistet, das Luftfrachtdrehkreuz sich entwickeln zu lassen. Deshalb können Sie hier, wie an vielen anderen Orten der Welt natürlich auch, spüren, was sich im Verkehrsbereich, im Bereich von Logistik und Transport tut.

Vielleicht gibt es selten einen Bereich, in dem so klar wird, was Globalisierung eigentlich meint: Globalisierung, die mit einem zeitgleichen Informationsaustausch in alle Ecken und Enden der Welt verbunden ist; Globalisierung, die auch die Aufgabe mit sich bringt, reale Güter von einem Punkt auf dieser Welt zu einem anderen Punkt zu transportieren. Damit haben sich alle Logistikunternehmen in den vergangenen Jahren bzw. in den vergangenen beiden Jahrzehnten völlig verändert. Sie müssen völlig neu denken. Die anwesenden Unternehmensvertreter zeigen, was sie in den vergangenen Jahren bewerkstelligt haben.

Ich finde dieses Forum auch deshalb so wichtig, weil wir eine öffentliche Diskussion über das brauchen, was moderne internationale Transportsysteme heute ausmacht. Denn Parlamente müssen Entscheidungen treffen, kommunale Verantwortliche müssen Entscheidungen über weltweit bedeutsame Drehkreuze treffen. Deshalb müssen wir alle gemeinsam neu lernen, wie sich Verkehr heute zusammensetzt, wie er effizient gestaltet werden kann, vor welchen Herausforderungen wir stehen und wie wir uns besser miteinander vernetzen können.

Eines ist klar: Bei der Globalisierung stehen wir alle vor den Fragen, ob wir uns an ihr beteiligen wollen, ob wir weltoffen sein wollen, ob wir an einem fairen Wettbewerb teilnehmen wollen oder aber ob wir uns abschotten wollen. Ich glaube, würden wir Letzteres wählen, das Abschotten, dann würden wir wirtschaftlich immer weiter zurückbleiben.

Die Handelsbeziehungen schreiten voran. Deshalb arbeiten wir für ein weltweites faires Handelssystem im Rahmen der Doha-Runde, deshalb brauchen wir internationale Transportsysteme, deshalb brauchen wir auch ein Nachdenken über eine internationale Ordnung mit Mindeststandards im Arbeitsbereich und ähnlichem und deshalb gewinnen die internationalen Organisationen an Bedeutung, weil all dies nicht mehr nationalstaatlich geregelt werden kann.

Natürlich führt eine offene Welt und eine offene Herangehensweise auch zu einer erheblichen Zunahme des Verkehrs und damit zu neuen Problemen und zu neuen Aufgaben der Vernetzung und Integration der verschiedenen Verkehrsträger.

Deutschland ist noch und hoffentlich noch lange Exportweltmeister. Wir wissen, dass man vom Transport von Produkten leben kann. 40Prozent der deutschen Exportgüter stammen aus importierten Vorleistungen. Fahrzeuge werden zum Teil auf anderen Kontinenten gebaut zum Beispiel in Südamerika, in Brasilien, dann in Deutschland umgerüstet und anschließend europaweit verfrachtet. Waren und Güter werden über größere Distanzen transportiert. Dafür brauchen wir immer mehr Logistik- und Transportleistungen.

Deshalb will ich zunächst einmal "Herzlichen Glückwunsch" zu der Idee sagen, die Europäische Verkehrsministerkonferenz zu einem Weltverkehrsforum weiterzuentwickeln. Ich glaube, damit haben sich die Minister dafür entschieden, dass sie sich den Herausforderungen stellen wollen, und zwar nicht in europäischer Abgrenzung, sondern in einer großen Offenheit.

Aus einem Routinetreffen von Regierungsvertretern soll künftig eine globale Plattform zu Fragen der Mobilität, des Transports und der Logistik werden. Ich kann und darf Ihnen auf diesem Weg viel Erfolg wünschen. Deutschland wird alles tun, um diesen Weg so zu gestalten, dass er erfolgreich gestaltet werden kann. Denn mit dieser Plattform ergibt sich für Vertreter der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft aus der gesamten Welt die Möglichkeit zu einem regelmäßigen umfassenden Gedankenaustausch. Ich glaube, der Diskussionsbedarf und die vielen Aspekte, die in dieser Diskussion zu berücksichtigen sind, sind immens. Deshalb werden Sie in den nächsten Jahren ich denke, das darf man sagen

viel zu tun haben.

Prognosen zufolge soll sich in den nächsten 15Jahren allein der Güterverkehr um mehr als zwei Drittel erhöhen. Das heißt, wir stehen noch einmal vor vollkommen neuen Herausforderungen. Wir wissen: Mit dieser Entwicklung können und, wenn sie gut gestaltet werden, dann werden auch zusätzliches Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung möglich sein. Damit werden mehr Menschen auf der Welt die Chance haben, am Wachstum teilzuhaben. Man braucht aber nicht darum herumzureden. Sie haben heute Morgen bereits Vorträge gehört, die auf diese Richtung abzielen: Es sind natürlich auch erhebliche Belastungen für Mensch und Umwelt damit verbunden.

Diese Dinge auszubalancieren und die effizientesten Wege zu gehen, das ist eine der großen Aufgaben. Wenn es gelingt, sie zu lösen, wird das für die Akzeptanz von Weltoffenheit, von Handel und Wandel im umfassenden Sinne werben. Wenn es aber nicht gelingt, wird das Fragen aufwerfen und zu Konflikten führen.

Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass sich moderne Industriegesellschaften und auch moderne Wissensgesellschaften ohne vernünftige Verkehrssysteme nicht entwickeln können. Deshalb gibt es ein grundsätzlich positives Bekenntnis zum Verkehr. Es zeigt sich aber auch, was sich verändert hat, wenn ein Weltverkehrsforum das Thema Klimawandel ganz oben auf die Tagesordnung setzt. Als Umweltministerin hätte ich davon geträumt, dass dies das erste Spezialthema eines Weltverkehrsforums wird. Dass es heute ganz selbstverständlich ist, dass das von Ihnen diskutiert wird, freut mich. Es zeigt, dass wir die Gesamtherausforderung in den Blick nehmen müssen.

Der Klimawandel gehört mit Sicherheit zu den zentralen Herausforderungen der Menschheit. Er stellt uns vor die moralische Herausforderung, heute an die Lebensbedingungen für die künftigen Generationen zu denken. Es ist interessant, dass dieses Verkehrsforum zeitgleich zur großen UN-Konferenz über Artenvielfalt stattfindet ein anderer Aspekt des Erhalts unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wir müssen es schaffen, in einer Welt, in der die Zahl der Menschen wächst, in einer Welt, in der die Endlichkeit der Ressourcen immer sichtbarer wird, zu einem nachhaltigen Lebensstil zu gelangen.

Das sagt sich aus dem Blickwinkel der Industrieländer etwas einfacher als aus dem Blickwinkel derer, die ihre Entwicklung zu einem menschenwürdigen Leben noch vor sich haben. Deshalb müssen wir einen gemeinsamen Ansatz finden. Deshalb ist dieses Problem nicht nur ein technisches Problem. Wir müssen uns zunächst einmal über die moralischen Grundlagen im Klaren sein. Diese können aus meiner Sicht nur heißen, dass wir jedem Menschen die gleichen Chancen auf Entwicklung in dieser Welt einräumen mit allen Konsequenzen, die daraus erwachsen.

Beim Klimawandel nutzt es interessanterweise nicht deshalb ist es für mich ein so spannendes globales Thema, auf vergangene Zeiten zurückzublicken und Schuldzuweisungen zu machen. Ja, es ist wahr, dass die Industrieländer die CO2 -Emissionen der vergangenen einhundert bis einhundertfünfzig Jahre produziert haben. Wahr ist aber auch: Selbst dann, wenn alle Industrieländer von heute auf morgen was nicht passieren wird alle CO2 -Emissionen kappen und kein CO2 mehr emittieren würden, das Problem als solches weiter existent wäre und auch von den sich entwickelnden Ländern ernst genommen werden müsste. Das heißt, wir können das Problem nur gemeinsam angehen, aber nicht durch in die Vergangenheit gerichtete Beschimpfungen klären.

Klimawandel ist sowohl eine moralische als auch eine ökonomische Herausforderung. Er fordert unsere Fähigkeiten heraus, ein neues Kapitel der wirtschaftlichen Entwicklung aufzuschlagen, das uns vor vollkommen neue Herausforderungen stellt in einer Zeit, in der wir beispielsweise anhand der Entwicklung der Preise für Erdöl und Erdgas erhebliche Veränderungen bei der Verfügbarkeit bzw. zumindest bei der Erschwinglichkeit von klassischen Energieträgern spüren.

Klimawandel ist zudem eine große politische Herausforderung, denn wir stehen vor der Aufgabe, international zusammenzuarbeiten. Das ist der klassische Weg eines multilateralen Prozesses. Deshalb habe ich sehr viel Wert darauf gelegt, im vergangenen Jahr, als Deutschland Gastgeber des G8 -Gipfels war, zu sagen, dass dieser Weg unter dem Dach der Vereinten Nationen gegangen werden muss. Es gibt überhaupt keine andere politische Alternative. Es hilft nicht viel, wenn sich fünf Länder mit anderen fünf Ländern irgendwie verabreden, sondern es muss ein international legitimierter und bindender Prozess eingeleitet werden.

Was ist die Dimension des Problems? Von 1970 bis 2004 sind die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen um 70Prozent gestiegen. Diese Zunahme hat sich in den vergangenen Jahren nicht etwa abgeschwächt, sondern beschleunigt. Wir bekommen die Folgen zu spüren.

Das ist das eigentlich Schwierige an dem gesamten Klimaveränderungsprozess: Die Folgen sind punktuell zu spüren, sie sind regional unterschiedlich zu spüren, man kann verschiedene Erklärungsmuster für sie finden, sie sind im Einzelfall nicht in jedem Sommer und jedem Winter nachzuweisen. Aber alles, was wir beobachten, deutet darauf hin das ist Ihnen heute von Herrn Pachauri dargestellt worden, dass die vom Menschen verursachten Klimaveränderungen dramatisch sind und dass wir etwas dagegen tun müssen.

Es wird argumentiert, den Klimawandel hätte es immer schon gegeben. Das ist richtig. Es gab auch Schwankungen von vielen Grad Celsius. Dies war aber zu Zeiten, als die Besiedlung der Erde noch nicht in der heutigen Form gegeben war. Der Klimawandel findet heute nicht in Zehntausenden von Jahren statt, sondern er findet heute in einer relativ kurzen Zeit statt, in der keinerlei Anpassungsmechanismen wirken werden, die uns darauf vorbereitet erscheinen lassen. Es sind noch nie zuvor die für uns interessanten Stellen der Welt besiedelt gewesen, die Flussmündungen, die Küsten und vieles andere mehr.

Das heißt, wir müssen uns dem Klimawandel stellen. Dabei geht es nicht um die Frage, ob man heute mehr aufwenden muss, als man gestern aufwenden musste. Vielmehr geht es um die Frage, was man aufwenden muss, wenn man nichts tut, im Vergleich zum Aufwand bei einem vernünftigen Herangehen. Ich kann das gar nicht oft genug sagen, weil die politische Diskussion im Augenblick eine schwierige ist. Wenn der Ölpreis steigt, wenn die Energieträger teurer werden, dann ist die Frage der Menschen natürlich: Weshalb müssen wir jetzt noch über ein "Erneuerbare-Energien-Gesetz" zusätzliche Subventionen für die Entwicklung von Windenergie, von Sonnenenergie und anderen Dingen aufbringen? Ist das richtig? Ist das vernünftig?

Wenn wir über die Kraftfahrzeugsteuer sprechen ein Thema, das uns gerade in Deutschland beschäftigt, dann stellt sich natürlich die Frage, ob man denjenigen, die ältere Autos fahren, zusätzlich etwas zumuten kann. Diese Frage wird im politischen Raum sehr unterschiedlich beantwortet. Das ist schwierig. Ich sage das ausdrücklich.

Wir können aber auf Dauer auch wenn wir es vielleicht nicht so schnell schaffen, wie wir dachten nicht darauf verzichten, die Anreize richtig zu setzen. Wenn wir die Umstellung auf Biokraftstoffe vollziehen wir werden das in Deutschland machen, dann haben wir plötzlich das Problem, dass die technische Verträglichkeit bei klassischen Benzinsorten mit Beimischungen von Biokraftstoffen nicht gegeben ist und daher die Menschen, die ältere Autos fahren, teures Benzin kaufen müssen. Das muss man diskutieren. Das darf aber kein Grund dafür sein, sich mit Biokraftstoffen nicht mehr zu beschäftigen.

Ich bin Professor Stern von der London School of Economics sehr dankbar. Er hat uns in einem Bericht zum ersten Mal die wirtschaftlichen Szenarien für den Fall aufgezeigt, dass wir nichts tun, und für den Fall, dass wir etwas tun, um die Folgen des Klimawandels einzudämmen. Das kann, darf und muss die Grundlage unseres Handelns sein. Deshalb werden und müssen wir für mich ist das gar keine Frage auch die Berichte des IPCC ernst nehmen. Deshalb sollten wir alles daransetzen, die mittlere Temperaturerhöhung nicht um mehr als zweiGrad Celsius stattfinden zu lassen. Das zu erreichen, ist eine hoch ambitionierte Aufgabe angesichts der Wachstumsraten, die sich beispielsweise im Verkehrsbereich abzeichnen.

Heute haben wir in Deutschland eine durchschnittliche Emission von knapp elfTonnen pro Kopf. Der Mittelwert liegt bei etwa vierTonnen pro Mensch auf der Welt. Selbst dann, wenn wir die Steigerung der Weltbevölkerung nicht mit einrechnen, dürfen wir bis zur Mitte dieses Jahrhunderts aber kaum über zweiTonnen hinaus kommen, wenn wir einen Temperaturanstieg von zweiGrad Celsius unterschreiten wollen. Deutschland emittiert pro Kopf elfTonnen, Europa emittiert durchschnittlich neunTonnen, die Vereinigten Staaten von Amerika emittieren 20Tonnen pro Kopf. Es liegt also noch eine gewaltige Aufgabe vor uns.

Wir stellen fest, dass Länder wie China bereits über dreiTonnen pro Kopf emittieren. Das heißt, bei hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten muss auch in diesem Fall eine Reduktion relativ schnell ins Auge gefasst werden. Deshalb müssen wir schauen, mit welchen Maßnahmen wir vorgehen.

Ich glaube, es ist nichts Neues, wenn ich sage: Klimawandel erfordert die Bereitschaft, neue Wege bei der wirtschaftlichen Entwicklung zu gehen. Wir glauben, dass wir als Bundesrepublik Deutschland einen wirklich interessanten Weg gehen können und dass sich uns viele Chancen eröffnen. Das ist der zweite Aspekt. Wenn schon die Industrieländer den Klimawandel im Wesentlichen bisher hervorgerufen haben, dann ist das wieder eine wirtschaftliche, aber auch eine moralische Verpflichtung, durch die Entwicklung der besten Technologien einen Beitrag dazu zu leisten, dass andere auf der Welt gleich mit effizienten Technologien starten können.

Wenn wir uns einmal vor Augen halten, wo die Zukunft für entwickelte Industrieländer liegt, dann wissen wir doch auch, dass unsere Chancen, in den bereits bekannten Bereichen effizient zu produzieren, nicht gerade steigen werden. Das heißt, es ergibt sich für uns eine Gewinnsituation, wenn wir uns entscheiden, in neue Wege, in Forschung und Technologie, in effizientere Strukturen zu investieren, damit wir auch künftig Chancen für unseren Export haben und damit auch Arbeitsplätze auf Dauer sichern. Wer sich die Entwicklung der deutschen Windkraftindustrie anschaut, wer sich den Solarbereich anschaut, der sieht das.

Wir haben eine europäische Strategie zum Klimaschutz entwickelt. Sie wissen das. Wir haben uns zudem bereit erklärt, in den internationalen Verhandlungen für die Zeit nach dem Kyoto-Abkommen deutliche Reduktionen in der Europäischen Union anzustreben, und zwar eine Minderung um 20Prozent im Vergleich zum Jahr 1990. Wenn uns international andere folgen, sind wir auch zu Reduktionen um bis zu 30Prozent bereit. Wir wollen den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 20Prozent verdreifachen. Die Energieeffizienz an dieser Stelle sehe ich den wesentlichen Punkt, der auch für den Verkehr von großer Bedeutung ist wollen wir um 20Prozent steigern.

Deshalb haben wir bis zum nächsten Jahr alle Hände voll zu tun. Ein Kyoto-Nachfolgeabkommen soll im Jahr2009 in Dänemark abgeschlossen werden. Wir müssen dafür Maßstäbe entwickeln. Ich persönlich denke, dass es auf lange Frist nur mit bestimmten Pro-Kopf-Emissionen geht. Deshalb müssen wir den Austausch neuester Technologien vorantreiben und als Industrieländer unseren Beitrag dazu leisten.

Nun stellt sich die Frage, wie die einzelnen wirtschaftlichen Bereiche ihren Beitrag dazu leisten können. Gestern habe ich auf der Artenschutzkonferenz zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die CO2 -Speicherkapazität der tropischen Regenwälder und der Moore heute immer noch wesentlich größer ist als die gesamten CO2 -Emissionen des Verkehrs. Das heißt also, die Artenvielfalt zu erhalten, ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Klimaschutz. Ich sage das nicht, weil ich damit zum Ausdruck zu bringen beabsichtigte, die Emissionen des Verkehrs seien nicht so schlimm. Ich sage nur, an wie vielen Ecken und Enden wir agieren müssen, um ein ausbalanciertes System zu erreichen. Wir müssen natürlich auch und vor allen Dingen im Bereich des Verkehrs Maßnahmen ergreifen.

71Prozent des Gesamtverkehrs in der Europäischen Union sind heute vom Mineralöl abhängig. Im Straßenverkehr sind es sogar 97Prozent. Deshalb trägt der Verkehr natürlich zum Verbrauch knapper Energieressourcen bei. Er ist zu einem großen Teil für den CO2 -Austoß verantwortlich. In den OECD-Staaten ist er im Mittel für etwa 30Prozent des CO2 -Austoßes verantwortlich.

Weltweit gibt es heute etwa 650Millionen Kraftfahrzeuge Tendenz zunehmend. Der Bestand in den Schwellenländern wird sich Prognosen zufolge bis zum Jahr 2020 verdoppeln und bis zum Jahr 2050 verdreifachen. Deshalb müssen wir mit neuen Technologien voranschreiten, denn wir werden wohl nicht moralisch überzeugend sein, wenn wir anderen sagen, dass sie sich verändern müssen oder etwas nicht bekommen, wenn wir selbst nicht dazu bereit sind.

Wir verzeichnen erhebliche Wachstumsraten beim Gütertransport nicht nur auf der Straße, sondern auch bei der Schifffahrt und beim Luftverkehr. Die jeweiligen Protagonisten sind in diesem Raum. Die Politik hat an dieser Stelle viel zu tun. Ich habe in dieser Woche die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin eröffnet. Es zeigt sich, dass der Binnenmarkt auf der Erde zwar einigermaßen funktioniert, aber im Luftraum herrscht noch Kleinstaaterei. Diese kostet uns natürlich erhebliche CO2 -Emissionen. Wenn Sie sozusagen in geballter Kraft hier sitzen, dann denkt man als Kanzlerin auch wenn man nicht vergessen hat, wie schwierig das im Detail ist: Es müsste doch möglich sein, einen Fortschritt zu erreichen, wenn jeder sein Herz in die Hand

nimmt. Beifall kommt nicht. Na ja.

Wir müssen die Entkopplung von Transportleistung und Energieverbrauch im Verkehrsbereich schaffen. Das wäre ein wesentlicher Punkt, den wir in Deutschland im Industriebereich vor etlichen Jahren bereits erreicht haben. Wir haben hier aber zum Beispiel noch nicht geschafft, das Wirtschaftswachstum vom Flächenverbrauch zu entkoppeln. Das heißt, wir verbrauchen in Deutschland jeden Tag 100Hektar neue Fläche. Aber weltweit haben wir es noch nicht geschafft, die Transportleistungen vom Energieverbrauch zu entkoppeln. Das wird eine der ganz wesentlichen Aufgaben sein.

Deshalb gilt es, die Energieeffizienz zu erhöhen. Ich bin sehr erfreut darüber, was in den vergangenen Jahren in der Automobilindustrie geschaffen wurde. Als ich vor zehn Jahren Umweltministerin war, hat man mir erzählt, jetzt müsse man zunächst in Sicherheit investieren. Mit mehr Sicherheit würden die Fahrzeuge schwerer. Wenn sie schwerer würden, könnten sie auch nicht weniger CO2 verbrauchen. Zumindest sei das sehr schwierig.

Inzwischen hat sich die Diskussion völlig gewandelt. Es sind neue Antriebstechnologien entwickelt worden. Was früher bei der japanischen Motorenentwicklung mit leichter Abfälligkeit angesehen wurde, ist plötzlich "in" in Deutschland. Der Run auf die beste Batterie ist sozusagen zu einer Frage der Ehre geworden. Das gefällt mir sehr gut. Das zeigt, dass Fortschritte möglich sind, wenn bestimmte Anreize und Notwendigkeiten gegeben sind. Ich denke, durch Brennstoffzellen, Solarantrieb und vieles andere mehr werden wir noch unglaubliche Revolutionen im Verkehrsbereich erleben.

Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir die Diskussion nicht punktuell an bestimmten Standardthemen abarbeiten in Deutschland ist dies das Tempolimit und glauben, dass wir damit die Probleme der Verkehrsentwicklung gelöst hätten. Das heißt: Keine Konzentration auf Nebenkriegsschauplätze, sondern auf große Szenarien, in denen jeder Teilnehmer egal ob politischer oder wirtschaftlicher Vertreter seine Schulaufgaben machen muss. Ich habe das am Beispiel des "Single European Sky" für den Flugverkehr gesagt. Das gilt genauso für die Innovationsrate bei Flugzeugen und für die Erprobung effizienter Technologien.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns im Rahmen einer konzertierten Aktion anstrengen. In der Europäischen Union führen wir die Diskussion über die Frage, wie man es schaffen kann, den durchschnittlichen Flottenverbrauch auf 120Gramm CO2 pro Kilometer zu senken. Wir sind als Deutsche durchaus in einer strittigen Diskussion mit der Europäischen Kommission, weil wir ein Land sind, in dem sehr viele Autos aller Größenklassen produziert werden.

Auf eine solche Regelung 120Gramm CO2 pro Kilometer hat sich die Automobilindustrie freiwillig eingelassen. Es wäre vielleicht einfacher gewesen, wenn man diese Regelung auch freiwillig eingehalten hätte. Dann müsste man nicht mit regulierenden Maßnahmen und der Androhung von Strafzahlungen tätig werden. Wenn wir das Ordnungsrecht einsetzen, haben wir natürlich auch die Aufgabe, dies wettbewerbsneutral zu machen.

An dieser Stelle kommen wir an einen ganz spannenden Punkt, der uns vom Flugzeug bis zum Auto und Lkw und in vielen anderen Bereichen immer wieder beschäftigen wird.

Was heißt "sustainable development" ?

Wir haben gelernt, dass dies heißt, eine Harmonie, einen Gleichklang von ökologischen Anforderungen, wirtschaftlichen Notwendigkeiten und sozialen Gegebenheiten herzustellen.

Anhand der Diskussion der Automobilrichtlinie in der Europäischen Union können Sie jetzt schon sehen, was die Anwendung bzw. Schaffung von Ordnungsrecht in Bezug auf Nachhaltigkeit ausmacht. Die einen sagen: Ihr könnt doch nicht soziale Komponenten in eine Richtlinie einarbeiten, bei der es eigentlich um den Treibstoffverbrauch geht. Die anderen sagen: Ihr könnt doch nicht die europäischen Exportchancen minimieren, indem ihr die großen Autos mehr belastet. An dieser Stelle müssen wir einen ausgewogenen Pfad finden.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass die deutsche Automobilindustrie und darunter auch die Hersteller größerer Autos an dieser Stelle sagen: Jawohl, wir sind bereit, einen größeren Beitrag zu leisten. Wenn man aber die Hersteller größerer Autos in die Knie zwingt, wäre dies genau das Falsche, weil wir immer wieder erlebt haben, dass Innovationen bei kleinen Autos von der Entwicklung der großen Autos stammten, sodass kleine Autos mit Innovationen in der Massenherstellung für die Menschen erschwinglich blieben. Das heißt, wir müssen eine vernünftige Balance hinbekommen.

Zudem stellt sich eine grundsätzliche Frage im gesamten Bereich des Klimaschutzes: Wollen wir für jeden Sektor Ordnungsrecht vorgeben? Für die Automobile, für die Flugzeuge, für die Eisenbahnen usw. ? Oder setzen wir auf marktwirtschaftliche Anreize und hoffen, dass sich die einzelnen Marktteilnehmer vernünftig verhalten?

Ich glaube nicht, dass die Politik dazu prädestiniert ist, für jedes und alles vom Wasserkocher über das Auto bis zum Flugzeug und zur Chemieanlage geeignete ordnungsrechtliche Vorgaben zu machen. Deshalb setze ich stärker auf marktwirtschaftliche Instrumente.

Das Instrument des CO2 -Emissionshandels ist das Instrument, das aus meiner jetzigen Kenntnis heraus die besten Voraussetzungen mit sich bringt, um zu einer globalen Anwendung zu kommen. Das setzt allerdings allgemeine Reduktionsraten voraus. Diese müssten gar nicht unbedingt auf jeden Kontinent heruntergebrochen werden. Dann könnte ein Handelssystem installiert werden, das einen weltweiten Austausch ermöglicht. In einem von mir als ideal angesehen Schritt könnte man mit dem Geld, mit dem man Emissionsrechte bei noch nicht so weit entwickelten Ländern kauft, diesen Ländern helfen, einen technologisch-effizienten Pfad einzuschlagen.

Ich weiß, dass ich hier ein bisschen träume, weil es noch ein weiter Weg bis dahin ist. Wir erleben auch in der Europäischen Union, dass lokale und regionale CO2 -Handelssysteme an ihre Grenzen stoßen. Wenn man ein globales Problem mit einem lokalen oder regionalen Instrument bekämpft, dann stößt man spätestens beim Flugzeug an eine Grenze, die extrem schwierig ist. Für den Schiffsverkehr gilt das natürlich genauso.

Deshalb plädiere ich dafür, dass wir eine Vision entwickeln, die deutlich macht, wohin wir insgesamt wollen. In dieser Vision sind wir nicht frei, weil uns der IPCC ganz klar vorschreibt, was wir machen dürfen und was wir nicht machen dürfen und was welche Folgen nach sich zieht. Innerhalb dieser Vision sollte das möglichst flexibelste und effizienteste System angewendet werden, um auf einem ökonomisch günstigen Pfad, aber nicht auf dem ökonomisch beschwerlichsten Pfad zu den notwendigen Zielen zu gelangen.

Ich glaube, es ist vernünftig, hierbei im Auge zu behalten, wohin wir müssen, um unserem globalen System nicht einen zu großen Schaden zuzufügen, um uns bei der Auswahl der einzelnen Unterwege nicht völlig im Unterholz zu verzetteln und um zu vermeiden, auf einen falschen Akzent vielleicht viel zu viel Kraft und Wert zu legen. Meine Damen und Herren, deshalb ist es so wichtig, dass Sie das miteinander diskutieren.

Zum Abschluss möchte ich einen Aspekt der Verkehrsproblematik nennen, der globale Bedeutung erlangt hat, nämlich die Biokraftstoffe. Auch in diesem Fall ist es so gewesen, dass eine Zeit lang der Eindruck bestand, die Biokraftstoffe könnten der Lösungsweg für den gesamten Verkehrsbereich sein, um unabhängig zu werden. So, wie es das Perpetuum mobile nicht geben wird, so wird es den Königsweg, der uns aller Probleme entledigt, auch nicht geben. Das hat sich bei den Biokraftstoffen natürlich auch herausgestellt. Der schöne Spruch "there is no free lunch in this world" passt auch bezogen auf die Biokraftstoffe. Es gibt immer auch negative Folgewirkungen.

Deshalb müssen wir eine Strategie entwickeln, die wir nur international entwickeln können, bei der klar ist, dass man sich die Konkurrenzsituationen anschaut. Als ich in Brasilien war, habe ich erkannt das werde ich in Europa auch immer wieder weiterverbreiten, dass es dort zwischen dem Zuckerrohranbau und dem Roden des Regenwaldes keinen direkten Zusammenhang gibt. Wir müssen aber die Konkurrenzsituation zum Beispiel bei Sojabohnen, bei Mais und bei Weizen sehr wohl sehen.

Wenn sich in der Nachbarschaft von sich entwickelnden Ländern wie Indien, Mexiko und anderen Ländern plötzlich von einem Jahr auf das andere eine sehr starke Zunahme des Abkaufs abzeichnet, ohne dass mit einer Anbaustrategie darauf reagiert werden kann, dann entstehen Preisverzerrzungen, die zu erheblichen Instabilitäten in den politischen Systemen führen. Deshalb ist es so wichtig und auch meine Bitte an die OECD und andere Organisationen, uns als Politikern langfristige Szenarien aufzuzeigen hinsichtlich verfügbare Ackerflächen, zu erwartende Ernährungsgewohnheiten usw. Wenn die Hälfte der indischen Bevölkerung also über 500Millionen Menschen; mehr, als der Einwohnerzahl der Europäischen Union entspricht plötzlich ein zweites Mal am Tag isst, dann bedeutet das nahezu eine Verdoppelung der Nahrungsmittelnachfrage. Wenn sich zum gleichen Zeitpunkt die Verdreifachung der Biokraftstoffe vollzieht, dann entsteht ein Zielkonflikt. Deshalb müssen wir auch in diesem Zusammenhang komplex denken.

Wir müssen Standards für Biokraftstoffe entwickeln, die die nachhaltige Herkunft sicherstellen. Wir müssen die Biokraftstoffe der zweiten Generation technologisch weiterentwickeln, die uns sehr viel mehr Spielräume als mit der jetzigen Technologie eröffnen.

Es bleibt, dass die Biokraftstoffe ein Aspekt einer Klimaschutzstrategie und einer nachhaltigen Entwicklung für das Transportsystem sein werden. Sie werden uns aber nicht davon abbringen, die Gewohnheiten des Verkehrs, die Planung des öffentlichen Personennahverkehrs, die Planung der Infrastruktur zu verbessern, die Energieeffizienz zu verbessern, moderne Verkehrsleitsysteme zu entwickeln und vernünftige logistische Entwicklungen voranzutreiben. Mit der Einführung der Lkw-Maut haben wir gesehen, welche Verbesserungen der Effizienz wir erreichen können.

Das heißt, wir stehen vor einer globalen und extrem spannenden, weil sehr vielfältigen Aufgabenstellung. Ich persönlich glaube, dass die Fragen von friedlicher, konfliktfreier Entwicklung in wesentlichem Maße an der Schnittstelle von Wirtschaft und Ökologie und sozialen Gegebenheiten in den nächsten Jahrzehnten angesiedelt sein werden.

Sie als Verkehrsminister haben ungefähr ein Drittel der Emissionen in Ihrer Verfügungshand. Ob Sie interessante und spannende Lösungen finden, das wird darüber entscheiden, ob der IPCC irgendwann nicht nur sagen kann, wie schlecht sich die Klimadaten entwickeln, sondern dass Menschen begonnen haben, ihre Lebensweise und ihr Verhalten zu verändern.

Ich halte das für möglich. Ich halte es für die spannendste Aufgabe des 21. Jahrhunderts auch bezogen auf die Frage, ob wir die Globalisierung für den einzelnen Menschen in Würde bewältigen. Deshalb wünsche ich Ihnen neben der Ernsthaftigkeit der Diskussion auch Freude und Spaß an der Diskussion.

Ich finde, wenn in 100 oder 200Jahren die Menschen durch Leipzig, durch Berlin oder durch Dresden gehen und darüber sprechen, was wir am Anfang des 21. Jahrhunderts zustande gebracht haben oder nicht zustande gebracht haben, dann wäre es schön, wenn zum Beispiel erzählt würde, dass wir zerstörte Kirchen historisch korrekt wiederaufgebaut hätten. Ich wünsche mir aber auch, dass wir in unserem Jahrhundert einen Beitrag dazu leisten, dass man über dieses Jahrhundert insgesamt als ein gutes Jahrhundert für die Menschheit spricht.

In diesem Sinne: Arbeiten Sie weiter mit Elan und Freude! Ich werde versuchen, Sie zu unterstützen, so wie es auch viele Staats- und Regierungschefs der Länder tun, die heute anwesend sind. Ich glaube, wir haben in Europa unsere Verantwortung erkannt.

Herzlichen Dank!