Redner(in): Angela Merkel
Datum: 28.05.2008
Untertitel: gehalten in Bonn
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Kerim, sehr geehrter Herr Präsident der Europäischen Kommission, lieber José Barroso, sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Stephen Harper, sehr geehrte Abgeordnete, Kollegen,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/05/2008-05-28-rede-merkel-high-level-segment-naturschutzkonferenz,layoutVariant=Druckansicht.html
Damen und Herren, die Sie heute in Bonn sind!
Ich begrüße Sie ganz herzlich zum High-Level-Segment der 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt. Ich freue mich, dass Sie der Einladung von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel gefolgt sind. Ich begrüße Sie ganz herzlich in Bonn. Die Oberbürgermeisterin ist natürlich auch anwesend. Ich weiß, dass diese Stadt eine Stadt ist, die Sie mit offenen Armen empfängt und in der Sie sich so bin ich mir sicher sehr wohl fühlen werden.
Die 9. Vertragsstaatenkonferenz bietet der Weltgemeinschaft die große Chance zu einem sehr klaren Bekenntnis: Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir sind bereit, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen, den Reichtum unserer Erde und damit die Lebensgrundlage der gesamten Menschheit langfristig zu bewahren.
Das ist sicherlich eine gewaltige Aufgabe. Um diese zu bewältigen, brauchen wir nationale und internationale Allianzen zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Bevölkerung. Den verlässlichen Rahmen dafür können nur die Vereinten Nationen schaffen. Innerhalb dieses Rahmens sind dann natürlich die einzelnen Vertragsstaaten gefordert.
Der Bundesregierung ich sage das auch ganz persönlich ist der Erhalt der biologischen Vielfalt ein besonderes Anliegen. Daher wünsche ich mir, dass wir gemeinsam mit Ihnen von Bonn aus ein starkes und damit überzeugendes Signal an die Weltöffentlichkeit senden ein Signal, das deutlich macht, wie wichtig der Schutz der biologischen Vielfalt für die Zukunft der Menschheit ist. Denn neben dem Wandel des Klimas begegnet uns im dramatischen Verlust der Arten eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit.
Die Probleme sind gewaltig. Das wissen Sie alle, die Sie hier anwesend sind. Jeden Tag sterben weltweit etwa 150Tier- und Pflanzenarten aus. Schätzungen zufolge ist die weltweite Aussterberate hundert- bis tausendmal höher als der natürliche Artenschwund. Dennoch brauchen wir die biologische Vielfalt. Sie ist die Grundlage unseres Lebens.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass uns die Vielfalt der Natur eine große Chance bietet, zum Beispiel in medizinischer Hinsicht. So hat uns etwa die Pazifische Eibe das Bauschema für ein heute wichtiges Mittel zur Krebsbekämpfung geliefert.
Die Natur ist ein sagenhafter Lehrmeister. Wir haben von ihr schon vieles gelernt, aber sie birgt noch unzählige Geheimnisse, die wir enträtseln können. Wie gelingt es zum Beispiel dem Glühwürmchen, Energie mit einem beeindruckenden Wirkungsgrad von immerhin 90Prozent zu nutzen? In der Natur steckt das Erfahrungswissen, das sich in Tausenden und teils Millionen von Jahren bewährt und entwickelt hat.
Doch woher sollen wir diese vielen für uns Menschen überlebenswichtigen Anregungen bekommen, wenn immer mehr Arten unwiderruflich verloren gehen? Deshalb ist für mich klar, dass wir eine Trendwende im Artenschutz brauchen.
In den vergangenen Jahren haben wir uns ehrgeizige Zielvorgaben gesetzt. Nun gilt es, diese Zielvorgaben wirklich zu erreichen. Dazu brauchen wir hier in Bonn wegweisende Entscheidungen. Wir wissen, dass es dabei vor allem auf eines ankommt: Auf einen fairen Ausgleich von Interessen zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern, zwischen Arm und Reich. Denn Armutsbekämpfung und die Bewahrung der biologischen Vielfalt sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Zusammen mit dem Zugang zu Wasser und zu fruchtbarem Boden bildet die Vielfalt der Natur die Existenzgrundlage vieler Menschen. Damit leistet sie besonders in den Entwicklungsländern einen unverzichtbaren Beitrag zur Ernährungssicherheit und zur Gesundheitsversorgung. Deshalb müssen wir den Schutz und die nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt auch als Chance für wirtschaftliche Entwicklung und wirksame Armutsbekämpfung verstehen.
Zweifellos hängt der Verlust an Artenvielfalt in Entwicklungs- und Schwellenländern auch mit dem Konsumverhalten der Menschen auf der nördlichen Halbkugel der Welt zusammen. Der weltweit steigende Energie- und Rohstoffverbrauch führt zur Übernutzung natürlicher Ressourcen in Entwicklungsländern. Ein Beispiel dafür ist der Anbau von Monokulturen zur Gewinnung von Soja, Palmöl und Zellulose. Dafür werden Waldflächen oder andere natürliche Lebensräume zerstört.
Eine gleichberechtigte Partnerschaft der Länder ist daher unerlässlich. Nur so können wir den Reichtum der Natur bewahren und die natürlichen Ressourcen gemeinsam und nachhaltig nutzen.
Biodiversität ist sicher nicht nur eine Frage der Moral. Biodiversität ist auch ein ökonomischer Faktor. Daher müssen die Herkunftsländer genetischer Ressourcen auch an den Vorteilen beteiligt werden, die sich aus ihrer Nutzung ergeben. Wenn es Fortschritte gibt bzw. wenn es Fortschritte gegeben hat, dann ist das nur zu begrüßen. Wir brauchen verbindliche Abkommen, um sowohl den Artenreichtum dieser Länder zu schützen als auch um sie davon profitieren zu lassen.
Deshalb braucht diese Konferenz ein starkes Mandat, damit bis zur 10. Vertragsstaatenkonferenz entscheidende Fortschritte beim Zugang zu genetischen Ressourcen und zu einem gerechten Vorteilsausgleich gemacht werden können.
Deutschland ist bereit, sich während seiner Präsidentschaft massiv dafür einzusetzen. Ich glaube, es gibt viel versprechende Vorschläge, von denen ich zwei nennen möchte: Zum einen ein internationales Zertifikat, das für genetische Ressourcen den legalen Zugang und Erwerb bestätigt, zum anderen einen internationalen Standard für den Zugang zu genetischen Ressourcen.
Das sind sicher interessante Wege, um die Bereitstellung biologischer Ressourcen und ihre wirtschaftliche Nutzung neu auszubalancieren. Wir sollten nicht nur, wir wollen auch helfen, wo wir können. Dabei müssen wir unseren Blick auf das Herzstück der globalen Biodiversitätspolitik richten: Auf das globale Netz von Schutzgebieten an Land und auf dem Meer.
Insofern halte ich die so genannte "LifeWeb-Initiative" für einen Leuchtturm dieser Konferenz. Diese Plattform soll es den Staaten ermöglichen, schutzwürdige Gebiete zu melden und unter Schutz zu stellen, auch wenn ihnen dafür die finanziellen Mittel fehlen. Die erforderliche finanzielle Unterstützung soll bei anderen Staaten, aber auch bei privaten Partnern eingeworben werden können.
Auch über diese Konferenz hinaus das will ich ausdrücklich sagen will ich mich für die Verbreitung dieser Idee persönlich einsetzen. Ich möchte Sie alle einladen, sich an dieser Plattform zu beteiligen.
Zum weltweiten Schutzgebietsnetz an Land und auf dem Meer tragen wir in Europa mit dem Netz "Natura2000" bei. Wir müssen an die bisherigen Anstrengungen zur Umsetzung von "Natura2000" konsequent anknüpfen, um unser ambitioniertes europäisches Ziel zu erreichen: Nicht nur eine Reduzierung, sondern den Stopp des Biodiversitätsverlusts bis zum Jahr 2010. Natürlich müssen wir auch weltweit unsere Aufmerksamkeit dem Schutz bedrohter Ökosysteme widmen. Dabei gilt es nicht zuletzt, den Schutz der biologischen Vielfalt mit Klimaschutz zu verbinden, indem wir CO2 -speichernde Lebensräume erhalten. Dabei kommt dem Erhalt unserer Wälder eine zentrale Bedeutung zu. Denn Wälder sind zugleich Lebensraum vieler Arten und die Lunge unserer Erde.
Die Vernichtung der tropischen Regenwälder ist ein Problem für die gesamte Menschheit. Pro Jahr gehen derzeit rund 13Millionen Hektar Wald verloren. Auf Brandrodung der tropischen Wälder und auf die Vernichtung und Trockenlegung von Mooren gehen rund 20Prozent der weltweiten CO2 -Emissionen zurück. Nur um das einmal zu vergleichen: Das sind mehr Emissionen, als der globale Verkehr insgesamt verursacht.
Für den Erhalt CO2 -speichernder Lebensräume ist die teilweise Nutzung der Erlöse aus der Versteigerung von CO2 -Zertifikaten eine mögliche Option der Finanzierung. Daneben müssen natürlich auch noch weitere Finanzierungsquellen erschlossen werden. Die Finanzierung des globalen Biodiversitätsschutzes muss insgesamt verbessert werden. Das ist eine entscheidende Voraussetzung für die Erreichung des 2010-Ziels, das auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Jahr 2002 beschlossen wurde, nämlich den Biodiversitätsverlust signifikant zu reduzieren.
Deshalb baue ich darauf, dass hier in Bonn eine tragfähige Strategie zur Mobilisierung finanzieller Ressourcen verabschiedet wird. Deutschland will dabei ein deutliches Zeichen setzen. Daher wird die Bundesregierung in den Jahren 2009 bis 2012 einen zusätzlichen Betrag von 500Millionen Euro bereitstellen. Damit wollen wir dort, wo Wälder und andere Ökosysteme bedroht sind, rasche Lösungen für deren Schutz realisieren. Deutschland wird für diese Aufgabe dann ab 2013 dauerhaft eine halbe Milliarde Euro jährlich aufwenden. Wir haben darüber natürlich in der Allianz von Finanzminister, Umweltminister und Kanzlerin gesprochen. Ich bin mir sicher: Das ist eine gute Investition in unser aller Zukunft.
Aber natürlich kann Deutschland diese gewaltige globale Aufgabe nicht allein schultern. Daher möchte ich auch allen Staaten ausdrücklich Dank und Respekt zollen, die hier in Bonn ebenfalls ankündigen, ihre Finanzzusagen für den internationalen Naturschutz auszuweiten. Jeder zusätzliche Beitrag ist hilfreich. An dieser Stelle möchte ich ebenso den vielen Millionen Förderern des Naturschutzes Dank sagen. Ob in Umweltorganisationen, Stiftungen oder ehrenamtlichen Initiativen gemeinsam haben sie bereits unglaublich viel für den Naturschutz bewegt. Ich hoffe auch weiterhin auf rege Unterstützung.
Meine Damen und Herren, in unserer globalisierten Welt sind Rohstoffströme und die Nutzung natürlicher Ressourcen längst weltumspannend. Daher müssen wir auch über globale ökonomische Instrumente nachdenken. Inwieweit können wir zum Beispiel Maßnahmen zum Schutz und Erhalt der Wälder in den internationalen Kohlenstoffmarkt einbeziehen? Auch diese Frage gehört nicht nur hierhin, sondern auch auf die Agenda des Post-Kyoto-Prozesses.
Ein weiteres Thema, das bei der Vertragsstaatenkonferenz hier in Bonn besonderes Augenmerk verdient, sind die Auswirkungen der Bioenergieproduktion auf die biologische Vielfalt. Die Produktion und Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung ist ein schnell wachsender Wirtschaftszweig. Durch ihren Beitrag zum Klimaschutz hat die Energieerzeugung aus Biomasse positive Wirkungen für die biologische Vielfalt und für die Energieeffizienz.
Zugleich kann die Energieerzeugung aus Biomasse aber auch zu großen Problemen führen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn tropische Wälder mit ihrer hohen Biodiversität direkt oder indirekt in Biomasseanbauflächen umgewandelt werden. Aber auch, wenn für den Anbau keine Wälder gerodet werden, darf es nicht zu negativen Folgen für die Biodiversität kommen, zum Beispiel durch Monokulturen oder zunehmende Flächeninanspruchnahme.
Es steht fest: Wir brauchen Biomasse als erneuerbare Ressource für die Energieerzeugung. Auf den Beitrag von nachhaltig und ökologisch erzeugter Biomasse können wir beim Klimaschutz nicht verzichten. Wir müssen dabei aber einen möglichen Zielkonflikt vermeiden. Daher würde ich es begrüßen, wenn diese Vertragsstaatenkonferenz Leitlinien dafür entwickeln könnte, wie negative Folgen des Biomasseanbaus zur Energieerzeugung zum einen für die Biodiversität und zum anderen für die Nahrungsmittelpreise vermieden werden könnten. Auf diese Leitlinien sollte dann bei der Ausgestaltung von Standards und Zertifizierungssystemen außerhalb der Konvention zurückgegriffen werden können.
Meine Damen und Herren, der internationalen Staatengemeinschaft bleiben nur noch zwei Jahre, um das 2010-Ziel einer deutlichen Reduzierung des Verlustes von biologischer Vielfalt zu erreichen. Wir haben deshalb auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD nicht nur eine hervorragende Gelegenheit, sondern auch die Pflicht, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen, den Schutz der Biodiversität weltweit entscheidend voranzubringen. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als darum, die Grundlagen für unser eigenes Überleben zu sichern. Wir stehen auch in der Verantwortung, die Entwicklungschancen zukünftiger Generationen zu bewahren und zu erhalten.
Sie haben in den nächsten Tagen ein anspruchsvolles Programm zur Gestaltung einer Politik zur Erhaltung der Vielfalt der Arten. Ich wünsche Ihnen dafür zielgerichtete Diskussionen, viel Kraft, Mut und die Bereitschaft zum Kompromiss, damit die Menschen auf der Welt ein klares Signal hier aus Bonn bekommen: Wir wissen, dass wir uns um unsere Lebensgrundlagen Sorgen machen müssen, aber wir gehen verantwortlich damit um wir sind bereit, als Weltgemeinschaft gemeinsam zu agieren.
Ich wünsche Ihnen viel Glück, viel Kraft, viel Mut. Alles Gute!