Redner(in): Angela Merkel
Datum: 24.06.2008

Untertitel: gehalten in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Salam Fayyad, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/06/2008-06-24-rede-merkel-palaestina-konferenz,layoutVariant=Druckansicht.html


Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

im Namen der Bundesregierung darf ich sagen, dass wir uns sehr freuen, dass Sie dieser Einladung nach Berlin gefolgt sind. Ich möchte die Vertreter des Quartetts ganz herzlich begrüßen. Ich möchte die Außenministerin Israels begrüßen. Und ich möchte vor allen Dingen die Vertreter der arabischen Staaten ganz herzlich begrüßen. Ich glaube, Ihre Anwesenheit ist ein besonders wichtiges Zeichen, um im Rahmen des Annapolis-Prozesses die Lösung des Nahost-Konflikts voranzutreiben. Deshalb herzlichen Dank für die Teilnahme und für die Unterstützung.

Die Idee zu dieser Konferenz ist in einem Gespräch mit Tony Blair, dem Quartett-Beauftragten, entstanden. Er fragte vor einigen Monaten, ob es nicht gut wäre, wenn Deutschland sich der Frage annähme, wie man den Aufbau von Sicherheitsstrukturen inzwischen um Justizstrukturen erweitert in den palästinensischen Gebieten voranbringen könnte. Wir haben diese Idee aufgegriffen. Ich möchte mich herzlich beim Bundesaußenminister bedanken, der mit einer Vielzahl von Vorbereitungsarbeiten diese Konferenz möglich gemacht hat.

Damit zeigt sich der Charakter dieser Konferenz. Es ist keine weitere Nahost-Friedenskonferenz, sondern sie hat einen ganz speziellen Auftrag, nämlich eine Hilfe beim Aufbau eines palästinensischen Staates zu sein. Politik das wissen wir alle muss konkret sein, wenn sie bei den Menschen ankommen soll. Deshalb konzentriert sich die Bundesregierung gemeinsam mit Ihnen hier auf dieser Konferenz darauf, einen Beitrag zur Förderung der zivilen Sicherheit und des Rechtsstaates zu leisten. Denn Rechtssicherheit und eine verlässliche öffentliche Ordnung sind das Fundament eines funktionierenden demokratischen Staatswesens.

Genau um den Aufbau eines solchen geht es. Denn die Menschen in den palästinensischen Gebieten werden sich für ihren zukünftigen Staat nur dann wirklich aus vollem Herzen im wirtschaftlichen Bereich, im Bereich des Aufbaus von Nichtregierungsorganisationen engagieren können, wenn sie sich darauf verlassen können, dass sie sicher sind und dass ihnen Recht zugesprochen wird, wo immer das notwendig ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir daran arbeiten. Ziel ist, dass wir ganz konkrete Beiträge erreichen. Allen, die einen Beitrag leisten, möchte ich schon vorab danken.

Es geht darum, konkrete Maßnahmen und Projekte der internationalen Geber zu bündeln. Herr Premierminister, Sie haben es manchmal auch nicht einfach. Sie erhalten viele Angebote, die aber nicht kohärent sind, sodass Sie unterschiedlich agieren müssen. Es geht darum, neue Projekte mit der palästinensischen Regierung zu entwickeln. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir nicht über die Köpfe hinweg arbeiten. Ein weiterer Beitrag ist die Sicherung der Finanzierung und die Sicherstellung der Umsetzung der Projekte gemeinsam mit den palästinensischen Partnern vor Ort und mit Israel.

Wir wollen, dass aus einer solchen Aktivität wie die heutige wirklich sichtbare Früchte für die Bevölkerung erwachsen und sich damit die Voraussetzungen für einen lebensfähigen Staat verbessern. Wir haben es oft gesagt und viele andere tun es auch: Deutschland tritt entschieden für eine Zwei-Staaten-Lösung ein mit einer gesicherten Existenz Israels als jüdischem Staat und einem funktionstüchtigen palästinensischen Staat in anerkannten Grenzen und friedlicher Nachbarschaft.

Ich möchte Präsident Abbas, der heute nicht hier sein kann, und Premierminister Fayyad meine Anerkennung aussprechen. Sie setzen sich mit großem Nachdruck und manchmal auch mit Risiko für Fortschritte auf dem Weg zu einer Lösung ein. Ebenso möchte ich unseren israelischen Partnern, Premierminister Olmert und Außenministerin Livni, danken.

Es gibt und das erleben wir täglich immer wieder gravierende Hindernisse. Eine Spirale aus Hass, Misstrauen und Gewalt ist zu überwinden, um zu der gewünschten Lösung zu kommen. Eigentlich ist theoretisch alles klar. In der Road-Map ist alles angeführt, wie es gehen sollte. Aber in der praktischen Umsetzung ist es viel, viel komplizierter. Deshalb muss und wird hier Verantwortung übernommen. In diesem Prozess ist immer wieder ein Stück Leidenschaft gefragt.

Jeder weiß, dass zur Umsetzung einer so anspruchsvollen, aber notwendigen Lösung wie einer Zwei-Staaten-Lösung Kompromisse auf allen Seiten notwendig sein dürften, die zum Teil auch schmerzhaft sein können. Das heißt, politische Führungen werden vor große Herausforderungen gestellt. Von deutscher, von internationaler Seite aus können wir hilfreich sein. Aber letztlich liegt die eigentliche Aufgabe bei den Akteuren vor Ort.

Ich begrüße es ausdrücklich, dass es zu einer Waffenruhe im und um den Gaza-Streifen gekommen ist. Dafür ganz herzlichen Dank an Ägypten und an Präsident Mubarak. Die Waffenruhe ermöglicht es so hoffen wir jedenfalls, die humanitäre Lage im Gaza-Streifen zu verbessern. Ich begrüße auch das Bemühen von Präsident Abbas um eine Versöhnung zwischen den palästinensischen Gruppen.

Allerdings sage ich an dieser Stelle auch: Wir sollten die Quartettkriterien nicht aufgeben. Die Grundlage jeglicher Zusammenarbeit ist mit Blick auf die Hamas, dass das Existenzrecht Israels anerkannt wird und dass Gewalt kein Mittel zur Lösung politischer Probleme ist.

Eine Lösung kann nur von den Konfliktparteien selbst erarbeitet werden. Wir unterstützen das. Ich danke der Arabischen Liga, dass sie hierbei eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Wir haben das auch bei der Einigung von Doha im Zusammenhang mit dem Libanon gesehen einem anderen Konfliktfeld, das wir zu bearbeiten haben.

Bei allen Schwierigkeiten, die wir sehen, will ich sagen, dass es einige Fortschritte gegeben hat. Der Bundesaußenminister hat auf einige Konferenzen hingewiesen. Ich will hier noch einmal Annapolis in Erinnerung rufen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt, von dem wir in diesem Jahr ausgehen. Der politische Wille der Parteien und der arabischen Nachbarn, den Nahost-Friedensprozess voranzubringen, wurde dort nicht nur sichtbar, sondern auch dokumentiert. Auch haben direkte Gespräche zwischen Israel und Palästina Fahrt aufgenommen.

Der politische Prozess hat Wege für neue wirtschaftliche Initiativen eröffnet. Hier ist auch von der Investoren-Konferenz in Bethlehem gesprochen worden. Der Bundesaußenminister hat eben davon gesprochen, dass es sehr konkrete Bemühungen von deutscher Seite zum Beispiel in Jenin gibt, wenngleich dies auch ein Beispiel für die zu überwindenden Schwierigkeiten ist. 10. 000Arbeitsplätze wenn es doch nur so einfach und so schön wäre. Die Menschen jedenfalls brauchen diese Arbeitsplätze. Aber sie zu schaffen, dauert doch sehr, sehr lange. Allerdings darf ich sagen: Wir werden an dieser Stelle nicht nachlassen, das Ganze voranzubringen. Die Menschen vor Ort brauchen sichtbare Zeichen, dass für sie und ihr Leben etwas passiert. Das ist nicht durch viele Theorien auszugleichen, sondern das muss einfach stattfinden.

Ausgangs- und Mittelpunkt der heutigen Konferenz ist die EU-Polizeimission in den palästinensischen Gebieten. Sie soll dem Aufbau effektiver Polizeistrukturen unter palästinensischer Eigenverantwortung mit bewährten internationalen Standards dienen. Das sind auch wieder so einfach hintereinander gesprochene Dinge: Eigenverantwortung, palästinensische Polizei, internationale Standards. Leicht dahingesprochen, aber nicht so einfach umgesetzt. Ich möchte allen Mitarbeitern der Mission danken, die sich dafür einsetzen, dass diese ein Erfolg wird. Ich glaube, die Mission hat sich schon als ein Mittel der Krisenbewältigung bewährt und vielleicht auch ein Stück Vertrauen geschaffen. Wir wollen da natürlich weitermachen.

Das soll ein Ausgangspunkt für weitere neue Projekte sein, über die heute hier während der Konferenz diskutiert werden wird. Ich finde es sehr gut, dass das Ganze sich auch in den Justizbereich ausweitet. Wir wissen auch in Deutschland: Die Polizei kann vieles tun, aber wenn es keinen Justizapparat gibt, der Recht durchsetzt, verliert die Polizei die Motivation und sagt, dass ihr Einsatz doch keinen Sinn mache. Sie fragt sich dann: Warum gehen wir ein Risiko ein, wenn hinterher nichts passiert? In jedem Land ist die Akzeptanz eines Rechtsstaates nur gegeben, wenn Polizei und Justiz wirklich Hand in Hand arbeiten.

Ich möchte Javier Solana, Benita Ferrero-Waldner und dem EU-Sonderbeauftragten Marc Otte für vielerlei Unterstützung in politischer und finanzieller Hinsicht danken. Ich darf sagen, dass wir es gerne sehen, wenn die palästinensischen und die israelischen Autoritäten möglichst gut in unserer europäischen Polizeimission zusammenarbeiten und neue Möglichkeiten nutzen.

Meine Damen und Herren, die internationale Staatengemeinschaft ich sage das ganz besonders aus deutscher Sicht weiß um die riesige Bedeutung von Fortschritten bei der Lösung des Nahost-Konflikts. Sie ist in unser aller Interesse. Deshalb sind so viele heute hierher gekommen, um ein kleines Mosaiksteinchen für das große Aufbauwerk einer Zwei-Staaten-Lösung beizutragen. Viele sind mit viel Einsatz dabei. Deshalb würden wir uns freuen, wenn diese Konferenz einen Beitrag dazu leisten kann, dass ganz zum Schluss die Menschen vor Ort sagen: Es bewegt sich etwas.

In diesem Sinne wünsche ich gute Beratungen, viel Erfolg heute und möglichst viele konkrete Fortschritte.