Redner(in): Angela Merkel
Datum: 04.07.2008

Untertitel: gehalten am 4. Juli in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Bush, sehr geehrter Herr Bundespräsident von Weizsäcker, sehr geehrter Herr Botschafter Timken, liebe Frau Timken, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/07/2008-07-04-eroeffnung-amerikanische-botschaft,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich sehr, heute gemeinsam mit Ihnen einen historischen Augenblick zu erleben: die Rückkehr der Botschaft der Vereinigten Staaten an das Brandenburger Tor.

Für diesen großen Moment gibt es kein passenderes Datum als den 4. Juli, den Tag, an dem sich das junge Amerika im Jahre 1776 für unabhängig erklärte. Seither stehen die Vereinigten Staaten wie kein anderes Land auf der Welt für die Kraft von Unabhängigkeit und Freiheit. Deshalb ist es mir eine besondere Freude, heute hier bei Ihnen zu sein und den Vereinigten Staaten von Amerika zu ihrem "4th of July" ganz herzlich zu gratulieren.

Dies ist Ihr Nationalfeiertag. Es ist aber auch ein Feiertag für alle, die wissen, wie wertvoll Unabhängigkeit und Freiheit sind. Wir in Deutschland wissen um den Wert der Freiheit auch dank der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie haben in den 232Jahren Ihrer Unabhängigkeit immer an die Kraft der Freiheit geglaubt.

So haben Sie auch an die Kraft der Freiheit geglaubt, als diese Stadt Berlin 1945, nach den Abgründen von Krieg und Diktatur, einen starken und guten Freund brauchte. Sie haben an die Kraft der Freiheit geglaubt, als es für die Menschen in dieser Stadt und in diesem Land darum ging, Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu schöpfen. Sie haben an die Kraft der Freiheit geglaubt, als dieses Tor noch durch Mauer und Stacheldraht versperrt war.

Dazu möchte ich einen Satz unseres früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zitieren. Er sagte: "Solange das Brandenburger Tor geschlossen ist, ist die deutsche Frage offen." Deshalb ist die Rückkehr der amerikanischen Botschaft an den Platz neben diesem geschichtsträchtigen Bauwerk, dem Symbol der deutschen Einheit, ein so besonderer und bewegender Moment für die Menschen in unserem Lande.

Der Gang durch das Tor ist für uns inzwischen Normalität geworden. Aber wir vergessen nicht, wer sich für seine Öffnung maßgeblich mit eingesetzt hat: Es waren die Vereinigten Staaten von Amerika. Ihre Beziehung zu Berlin und Deutschland war und ist eine ganz besondere Geschichte voller prägender Momente.

1945, die Stunde Null: Damals ging es den amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland zuallererst darum, die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen, um dieses Land in den Kreis der westlichen Wertegemeinschaft aufzunehmen.

Der Marshallplan: ein grandioses Beispiel gelebter amerikanischer Werte und amerikanischer Politik. Was für eine weitsichtige Hilfe, als ein ganzer Kontinent nach der Katastrophe des Weltkrieges und dem Grauen des Holocausts am Boden lag!

Die Luftbrücke: nicht nur eine politische, sondern vor allen Dingen auch eine humanitäre Glanztat. Wir sind glücklich darüber, dass heute Veteranen dieser fliegerischen und logistischen Meisterleistung bei uns hier in Berlin sind. Herzlichen Dank! Berlin wird Ihnen dies nie vergessen. Für mich sind Sie wahre Helden im Dienste von Unabhängigkeit und Freiheit. Wir verneigen uns vor all denen, die die Freiheit dieser Stadt in den denkwürdigen Monaten der Luftbrücke mit ihrem Leben bezahlen mussten.

Unvergessen ist die Rede des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan im Juni 1987, in der er sagte: "Mr. Gorbatschow, open this gate! Mr. Gorbatschow, tear down this wall!". Heute, meine Damen und Herren, wissen wir, dass wenig später, 1989, in Deutschland und in Europa die Vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle dabei gespielt haben, als die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit für unser Land möglich wurde.

Lieber Präsident Bush, es ist für uns eine ganz besondere Ehre, dass Sie heute hier bei uns sind; denn wir wissen, welche Rolle Sie in dieser Zeit der deutschen Geschichte gespielt haben. Sie haben unseren Bundeskanzler Helmut Kohl damals unterstützt, die Einigkeit in Frieden und Freiheit herbeizuführen. Deshalb möchte ich Ihnen an dieser symbolträchtigen Stelle meinen ganz herzlichen Dank aussprechen: Danke schön!

Lieber Präsident Bush, ich habe damals, vor dem Fall der Mauer, wenige Meter von hier entfernt gewohnt, ganz dicht an der Mauer. Ich habe mir viele Jahre meines Lebens nicht vorstellen können, jemals durch dieses Brandenburger Tor gehen zu können. Insofern war es für uns? gerade auch in der früheren DDR? so wichtig, vertrauen zu können auf die Tragfähigkeit und die Festigkeit des Fundaments der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der alten Bundesrepublik.

Heute, in einem wiedervereinigten Deutschland, teilen wir gemeinsame Werte. Wir sind gute Partner und wir blicken gemeinsam in die Zukunft. Ich bin davon überzeugt: Wir können die großen Fragen unserer Zeit heute als Nationalstaat nicht mehr alleine lösen, sondern sind darauf angewiesen, dies gemeinsam zu tun.

Sie, lieber George Bush, haben mit Blick auf diese Zusammenarbeit während Ihres Deutschland-Besuchs im Mai 1989 einen wichtigen Begriff geprägt: "partnership in leadership". Sie sagten damals? ich zitiere? : "Leadership hat einen ständigen Begleiter: die Verantwortung. Unsere Verantwortung ist es, nach vorn zu schauen und das festzuhalten, was uns die Zukunft verspricht."

Ich darf sagen: Ihre Worte galten damals und sie gelten heute nach wie vor; denn wir stehen vor vielen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Es geht darum, Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einzudämmen. Es geht darum, Hunger, Armut und Seuchen zu bekämpfen und knappe Ressourcen auf der Welt gerecht zu verteilen. Es geht darum, die verheerenden Folgen des Klimawandels einzudämmen und unsere Energieversorgung nachhaltig zu sichern. Es geht darum, Hassparolen entgegenzuwirken, die sich über moderne Internetsysteme schlagartig verbreiten.

Wir sind gefordert, uns in Krisengebieten mit zivilen und? wenn unbedingt nötig? auch militärischen Mitteln für Stabilität einzusetzen. Dabei bleibt für uns auch künftig die NATO der Ort für eine transatlantisch verankerte und verantwortete Sicherheitspolitik. Wir Europäer wollen unsere eigenen sicherheitspolitischen Fähigkeiten ausbauen. Aber wir wollen dies nicht in Konkurrenz zur NATO tun, sondern als Ergänzung und Stärkung unserer transatlantischen Sicherheitspartnerschaft.

Aber so wichtig unser Sicherheitsbündnis ist, so steht unsere transatlantische Partnerschaft aus meiner Sicht auf vielen festen Säulen. Für mich gehört es zu den großen transatlantischen Zukunftsaufgaben, auch unsere wirtschafts- und forschungspolitischen Potenziale besser auszuschöpfen. Unsere Volkswirtschaften sind die innovativsten der Welt. Wir entwickeln bahnbrechende Spitzentechnologien. Wir haben exzellente Wissenschaftler und Hochschulen. Unsere beiden Märkte sind am stärksten integriert.

Doch wir können noch viel mehr Synergien schaffen, von denen wir gemeinsam profitieren. Deshalb haben wir während unserer europäischen Präsidentschaft den transatlantischen Wirtschaftsrat ins Leben gerufen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Handels- und Investitionshemmnisse zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten abzubauen. Wir sind dabei auf gutem Wege.

Eine weitere transatlantische Kernaufgabe ist die Frage von Energieeffizienz und Schutz der Umwelt vor dem Klimawandel. Auch in wenigen Tagen, wenn wir auf dem G8 -Gipfel sind, werden wir dieses Thema wieder besprechen, und zwar sowohl unter den Industrienationen, als auch mit den Schwellenländern; denn auch hier gilt: Kein Land kann diese Aufgaben alleine bewältigen.

Es gibt also viele Gründe, warum eine enge und verlässliche transatlantische Partnerschaft eine Grundessenz deutscher Politik ist. Aber dies ist nicht selbstverständlich. Wir müssen sie, wie jedes wertvolle Gut, pflegen. Es reicht nicht, gemeinsame Interessen, Werte und traditionelle Verbindungen zu beschwören; vielmehr müssen wir dies immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen.

Ich darf sagen: Die transatlantischen Verbindungen sind ein Gewinn für uns, sei es in sicherheitspolitischer Hinsicht, in wirtschaftspolitischer Hinsicht oder auch einfach mit dem Blick auf gelebte Freundschaft. Wir dürfen nicht nachlassen? besonders auch die junge Generation? , hiervon immer wieder zu überzeugen. Dazu gehört auch, Ihre Sorgen und Ihre Bedenken ernst zu nehmen und offen miteinander über unterschiedliche Ansichten zu diskutieren.

Aber wir müssen deutlich machen, wie wichtig es ist, mit vereinten Kräften für unsere Überzeugungen und Werte in der Welt einzutreten, um Frieden, Sicherheit und Wohlstand auch in den nächsten Jahrzehnten leben zu können. So heißt für mich transatlantische Partnerschaft heute wie morgen: Amerika und Europa treten gemeinsam ein für die Achtung von Menschenrechten, für eine Zukunft in Stabilität, in demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen, kurzum, für Unabhängigkeit und Freiheit.

Dieses Gebäude der amerikanischen Botschaft, zurückgekehrt an seinen historischen Platz, soll der Ort sein, an dem wir darüber miteinander sprechen können. Ich wünsche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Botschaft sowie Ihnen, Herr Botschafter, und Ihnen, Frau Timken, alles Gute und eine gute Arbeitsatmosphäre in dieser Botschaft. Ich verspreche Ihnen, dass wir uns immer um ein gutes Miteinander bemühen werden. Ich glaube, dass viele Menschen hier vorbeigehen werden und sich freuen werden, dass endlich auch diese Lücke geschlossen ist.

Ich wünsche Ihnen viel Schaffenskraft, eine glückliche Hand und Gottes Segen. Herzlichen Dank!