Redner(in): Angela Merkel
Datum: 16.07.2008
Untertitel: gehalten am 16. Juli in Algier
Anrede: Sehr geehrte Herren Minister, Herr Präsident Fechkeur, Herr Professor Schulz, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/07/2008-07-16-rede-merkel-ihk-algier,layoutVariant=Druckansicht.html
erst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie mich hier so freundlich begrüßt haben. Ich freue mich wirklich, zum ersten Mal hier in Algerien zu sein, zum ersten Mal in Ihrem Land, und sage auch im Namen der ganzen Delegation: Herzlichen Dank für den freundlichen Empfang, den wir heute hier gewährt bekommen haben, und natürlich auch herzlichen Dank den Mitgliedern der Handelskammer, die hier dieses Abendessen für uns arrangiert haben.
Ich glaube, die Kammer kann auf eine erfolgreiche Entwicklung blicken. Rund 500 Mitgliedsunternehmen haben Sie. Darin kommt auch das zum Ausdruck, was von Professor Schulz hier schon angesprochen wurde, nämlich dass es ein wachsendes Interesse an deutsch-algerischen Wirtschaftsbeziehungen gibt und dass der Standort Algerien für deutsche Unternehmen interessanter wird. Unsere Reise soll natürlich genau diesem Zweck, unser Interesse zu bekunden, dienen und, wie ich finde, auch Dank für offene Türen zu sagen, die wir hier bisher vorgefunden haben.
Wir wissen, dass wir nicht die einzigen sind, die zu Ihnen kommen und mit Interesse auf die Entwicklung Ihres Landes schauen. In den Gesprächen wird deutlich, dass unsere südeuropäischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union natürlich langjährige und auch regional sehr viel engere Beziehungen zu Ihnen haben. Wir wissen, dass es interessante und wichtige Kontakte mit Russland und ein hohes Engagement vonseiten Chinas gibt. Insofern wissen wir auch, dass wir uns anstrengen müssen, mit interessanten Angeboten Ihre Köpfe, Herzen und Ihre Genehmigungen zu erreichen.
Das Interesse, das Ihrem Land entgegengebracht wird, zeigt sich auch an unserer Wirtschaftsdelegation einer nicht überaus großen Wirtschaftsdelegation, dafür aber einer, die Ihr Land mit spezifischen Interessen und sehr konkreten Vorstellungen besucht. Wir danken auch für das Programm, dass dieser Wirtschaftsdelegation gewährt wird, weil es Begegnungen mit sehr hochrangigen und kompetenten Gesprächspartnern vorsieht.
Meine Damen und Herren, die Rolle Algeriens ist eine wichtige zumal im afrikanischen Kontext. Es ist, rein räumlich betrachtet, das zweitgrößte Land. Ich habe heute mit Präsident Bouteflika darüber gesprochen, dass wir in drei Stunden von Berlin nach Algier geflogen sind und dass ich genauso gut drei Stunden lang in Algerien fliegen könnte, um von einem an das andere Ende dieses Landes zu kommen. Das zeigt, welche Dimensionen Ihr Land hat. Es ist ein Schlüsselland in der südlichen Mittelmeerregion.
Wir kommen gerade von dem Pariser Treffen, einem sehr bemerkenswerten Treffen, bei dem wir versucht haben, dem Barcelona-Prozess in Form einer Mittelmeerunion neue Dynamik zu geben. Diese Mittelmeerunion soll deutlich machen, dass wir mehr politische Dynamik in den Beziehungen der Mittelmeeranrainerstaaten mit den Mitgliedsländern der Europäischen Union brauchen. Es ist in der Tat so gewesen, dass ich recht kräftig darum gekämpft habe, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union an dieser Mittelmeerunion teilhaben können. Ich habe dabei immer einen Unterstützer gehabt. Das war Präsident Bouteflika, der gesagt hat: Wir brauchen, um die Probleme in der Mittelmeerregion zu bewältigen, alle europäischen Staaten von Finnland bis natürlich hin zu den direkten Anrainerstaaten, weil viele vor uns stehende Aufgaben wie die wirtschaftlichen Kooperation, aber auch die Eindämmung von Flüchtlingsbewegungen, in einem Binnenmarkt Europa letztlich nur gemeinsam mit den Anrainerstaaten des Mittelmeers gelöst werden können.
Die Hauptaufgabe wird jetzt sein, dafür zu sorgen, dass diese Mittelmeerunion nicht nur auf dem Papier besteht, sondern dass sie sich durch konkrete Projekte auszeichnet. Ich habe mich in Paris dafür ausgesprochen, dass wir vor allen Dingen überregionale Projekte in der südlichen Mittelmeerregion brauchen, zum Beispiel Autobahnen von Kairo bis Algier, und dass wir dafür sorgen müssen, dass die Menschen die Vorteile einer Mittelmeerunion etwa in Form von Bildungsinstitutionen, Energieprojekten oder Infrastrukturprojekten auch wirklich wahrnehmen können.
So werden wir, wie wir das für den gesamten Raum tun wollen, in ganz besonderer Weise unsere Partnerschaft mit Algerien stärken. Deutschland hat daran ein langjähriges Interesse. Unsere bilateralen Beziehungen sind gut, aber es gibt Spielraum dafür, dass sie weiter ausgebaut werden. Unsere Reise soll dazu dienen, genau dies deutlich zu machen und, wo immer möglich, auch Nägel mit Köpfen zu machen, wie wir in Deutschland sagen würden, also möglichst konkret zum Punkt zu kommen. Das wird auch ein Schwerpunkt meiner morgigen Gespräche mit Präsident Bouteflika sein. Und das hat heute schon eine entscheidende Rolle in den Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten gespielt, mit dem wir sehr detailliert über verschiedenste Bereiche geredet haben.
Herr Professor Schulz hat schon gefragt: Was haben Sie mit Deutschland als Partner zu bekommen? Die deutsche Wirtschaft ist heute noch Exportweltmeister. Wir sind ein innovatives Land. Wir sind ein Land mit einer guten industriellen Basis, das, darauf aufbauend, vielfältige Finanzdienstleistungen und Dienstleistungen insgesamt anbietet. Wir haben ein durchaus attraktives Bildungssystem, insbesondere im Bereich der Berufsausbildung. Wir können Ihnen Angebote machen, die sozusagen wie ein Paket auf lange Zeit geschnürt und darauf ausgerichtet sind, dass Sie Ihre Entwicklung selbst voranbringen können. Ich denke nämlich, unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte darauf ausgerichtet sein, dass daraus zum Schluss Win-Win-Situationen entstehen. Ich glaube, so, wie es Professor Schulz für sein Projekt gesagt hat Tausende anspruchsvoller Arbeitsplätze, an denen auch wieder Ausbildungsplätze hängen, die jungen Menschen in Algerien eine Zukunft bringen, sollten wir es machen.
Es geht dabei um Unternehmen aus den Bereichen der gesamten Energiewirtschaft, der Infrastruktur, der Verteidigung, der Medizintechnik, um Dienstleistungsbetriebe und Unternehmen vieler anderer Bereiche mehr. Ich habe heute gelernt, dass es auch ein hohes Interesse an der Kooperation mit Banken aus Deutschland gibt. Ich glaube, dass hierbei gerade im Hinblick auf die mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur unseres Landes interessante Erfahrungen ausgetauscht werden könnten.
Wenn ich mir anschaue, wie das Interesse Algeriens ausgerichtet ist, dann kann Deutschland sicherlich wichtige Beiträge leisten. Sie haben Rohstoffe. Sie haben allerdings nur eine gewisse Zeitspanne, in der Sie es schaffen müssen, aus den Erlösen für die Rohstoffe eine sich selbsttragende Wirtschaft für Ihr Land aufzubauen. Es sagt sich immer leicht, dass marktwirtschaftliche Mechanismen auch in einem Land wie Ihrem eingeführt und verstärkt werden müssen. Ich weiß, dass die Regierung hierfür erhebliche Anstrengungen unternimmt. Wir, Herr Minister, haben uns eben im Auto darüber unterhalten, dass das leicht gesagt ist, aber in der konkreten Situation gar nicht so einfach durchzuführen ist.
Algerien hatte über Jahre hinweg Strukturen, in denen die Marktwirtschaft nicht an oberster Stelle stand. Algerien ist ein Land, in dem weit über 50Prozent der Menschen unter 25Jahre alt sind, mit einer Jugend, die heute, mit allen Telekommunikationsmitteln ausgerüstet, über die Lebenssituation anderswo auf der Welt Bescheid weiß, und einer Jugend, der man attraktive Angebote machen muss, und mit der man gleichzeitig die politische Stabilität des Landes sichern muss. Das sind Prozesse, bei denen Ratschläge aus Ländern, die andere Entwicklungsphasen durchgemacht haben, nicht immer so leicht zu geben sind. Denn es ist natürlich leicht gesagt, man müsse versuchen, möglichst realistische Preise zu haben, möglichst wenige Subventionen zu haben und in die Verwaltung möglichst viel Effektivität einzubauen. Aber ich habe eine vorsichtige Vorstellung davon, wie schwierig das in der konkreten Situation umzusetzen ist.
Wir haben es inzwischen geschafft, dass Exporte von Algerien nach Deutschland im Umfang von ungefähr 1Milliarde Euro stattfinden im Wesentlichen oder fast ausschließlich im Bereich des Rohöls und dass Ausfuhren aus Deutschland im Wert von etwa 1, 2Milliarden Euro stattfinden. Ich glaube, das können und das wollen wir steigern, Ihnen dabei auch interessante Angebote gerade in dem eben beschriebenen Sinne machen und damit anspruchsvolle, hochwertige Arbeitsplätze in Algerien ermöglichen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die algerische Jugend gerade solche Angebote bekommt. Deutschland will im Rahmen der Mittelmeerunion zum Beispiel im Bereich der Energie Solarenergie lautet das Stichwort einen Beitrag leisten, genauso wie im Wassermanagement. Aber es sind hier heute auch noch viele andere Bereiche genannt worden.
Nun will ich nicht verschweigen, dass wir natürlich auch mit Interesse auf Ihre Rohstoffbasis schauen und dass einige der hier anwesenden Vertreter der Wirtschaftsdelegation gerne dabei sein möchten, wenn Sie Ihre Ausschreibungen vornehmen auch im Bereich der Gaswirtschaft. Wir haben in Deutschland auch ein Interesse daran, unsere Energiestrukturen möglichst zu diversifizieren. Ich glaube, wir sind in der gesamten Ausrüstungstechnologie so stark, dass wir Ihnen interessante Offerten machen können, was die Möglichkeiten der Förderung anbelangt. Wir sind auch, was unsere Fähigkeiten in Bezug auf erneuerbare Energien anbelangt, ein guter Partner dafür, die Diversifizierung Ihrer eigenen Energiewirtschaft mit nach vorne zu bringen.
Ich hoffe, dass uns dieser Abend die Möglichkeit gibt, sehr konkret in medias res zu gehen und auch sehr konkret Dinge anzusprechen, die noch nicht so klappen. Natürlich gibt es die Sorge, wie sicher die Situation bei Investitionen in Algerien ist. Ich weiß, wie hart Sie gerade in der Terrorismusbekämpfung und in anderen Bereichen arbeiten. Sicherlich gibt es manches über Genehmigungsverfahren zu sagen, die noch etwas schneller verlaufen könnten. Aber ich glaube, dass der Grundstein darin besteht, dass wir uns gegenseitig die Türen öffnen. Ich habe hier in Algerien heute an allen Stellen in den wenigen Stunden, die wir bereits hier sind, offene Türen gespürt ob es beim Präsidenten war, beim Ministerpräsidenten oder bei der Deutsch-Algerischen Handelskammer. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.
Wir wollen verlässliche, freundschaftliche, verständnisvolle Partner sein. Wir wollen Sie an unserem Können teilhaben lassen. Und wenn Sie an uns etwas zu verbessern wissen, dann nehmen wir diese Kritik auch gerne an. In einer Welt der Globalisierung müssen wir alle voneinander lernen. Deshalb herzlichen Dank für diesen Abend, herzlichen Dank für diesen Empfang und auf gute deutsch-algerische Beziehungen.