Redner(in): Angela Merkel
Datum: 27.08.2008
Untertitel: am 27. August 2008 in Hamburg
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/08/2008-08-27-merkel-bildungsreise-hamburg,layoutVariant=Druckansicht.html
Sehr geehrter Herr Drouven,
Herr Bürgermeister, lieber Ole von Beust,
liebe Kollegin Annette Schavan,
Herr Grundmann,
liebe Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren
und vor allen Dingen natürlich Sie, liebe Auszubildende und Ihre Angehörigen, vorrangig vielleicht die Eltern oder die Geschwister, die auch schon einmal hier Betriebsluft schnuppern wollen!
Ich bin heute sehr gern zur Norddeutschen Affinerie gekommen, um die neuen Auszubildenden und Praktikanten hier mit Ihnen gemeinsam zu begrüßen. Ich finde, es ist eine tolle Tradition, dass diese Feier jedes Jahr stattfindet. Ich freue mich, heute mit dabei zu sein, wenn Sie sich sicherlich mit Freude auf eine neue Wegmarke vorbereiten. Manche werden sich vielfach beworben und gefreut haben, als sie dann diesen Ausbildungsplatz bekommen haben. Und Sie sind natürlich nun etwas neugierig, vielleicht auch aufgeregt oder unsicher, aber hoffnungsvoll, dass Sie diesen neuen Weg erfolgreich beschreiten werden.
Ob als Chemielaboranten, Verfahrensmechaniker oder Elektroniker bei der Norddeutschen Affinerie steigen Sie in viele interessante Industrieberufe ein; Berufe, die ihre Tradition darin finden, dass die Industrie Deutschland stark gemacht hat und auch heute noch stark macht. Deshalb möchte ich auch sagen, Herr Drouven: Wir wissen um den Wert des Industriestandortes Deutschland, wir wissen es zu schätzen, dass Sie ein klares Bekenntnis zu diesem Standort abgeben, und wir werden uns in unseren verschiedenen Verantwortlichkeiten dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass Sie Ihre Wettbewerbsfähigkeit und die haben Sie international auch wirklich weiter unter Beweis stellen können.
Die Norddeutsche Affinerie hat mit ihrem ganz bewussten Ja zu einer fundierten Ausbildung natürlich auch Weichen für die eigene Zukunft gestellt. Wir haben uns in der Bundesregierung natürlich sehr viel mit der Frage der Bildung, soweit Sie Kompetenz des Bundes ist, und mit dem Zusammenspiel der verschiedenen Bildungsabschnitte befasst. Ich bin der festen Überzeugung und die wird von meiner Kollegin Annette Schavan geteilt: Bildung ist der Schlüssel für soziale Teilhabe, Bildung ist der Schlüssel für die Frage, ob Soziale Marktwirtschaft auch nach 60Jahren im 21. Jahrhundert unter ganz neuen Bedingungen mit Internet, Datenverarbeitung und Wissenszuwachs noch gelebt werden kann.
Deshalb haben wir gesagt: Wenn wir weiterhin stark sein wollen, wenn wir international mit unseren Wettbewerbern aus China, aus Indien, aus vielen aufstrebenden Ländern, die natürlich auch das Ziel haben, für die Menschen in ihren Ländern gute Lebensbedingungen zu schaffen, und mithalten wollen, dann brauchen wir so etwas wie eine Bildungsrepublik Deutschland. Für jeden wird von Kindheit an bis zum lebenslangen Lernen die Frage der Bildung eine Schlüsselstellung im Leben einnehmen.
Dabei ist es für den einzelnen Auszubildenden nicht besonders interessant, wer für Bildung gerade politisch zuständig ist, sondern für den einzelnen Menschen, für das Kind, für die Eltern ist vielmehr interessant: Hat mein Kind die richtigen Chancen, in dieses 21. Jahrhundert hineinzuwachsen? Hat es Chancen, seine Lebensträume zu verwirklichen? Hat es die Chance aufzusteigen oder sich weiterzuentwickeln? Deshalb werden wir uns, Bund und Länder, im Oktober in Dresden zu einem Bildungsgipfel treffen und darüber sprechen, wie insbesondere an den Übergängenvon zu Hause zum Kindergarten, vom Kindergarten zur Schule, von der Schule zur Ausbildung oder zur Universität etwas dafür getan werden kann, dass das reibungslos funktioniert, und wie es unbeschadet der verschiedenen Zuständigkeiten, an denen wir nichts ändern können, möglich wird, dass Kinder, Jugendliche oder Erwachsene nicht spüren müssen, dass das eine Zahnrad nicht in das andere Zahnrad greift.
Ich glaube, dass gerade hier in diesem Unternehmen am Beispiel der Praktikumsmöglichkeiten für Schulabgänger, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, und auch schon für Schüler zur Vorbereitung auf die Berufsausbildung zu beobachten ist, dass junge Menschen, indem sie sich schon einmal im Betrieb umschauen können, selbstsicherer und selbstbewusster werden und ihre Schwächen und Stärken ausloten können. Ich möchte gerade für das Projekt "9-Plus" ein ganz herzliches Dankeschön sagen.
Ich war Ende letzter Woche in einer Hauptschule. Dort habe ich mir sozusagen aus der Perspektive der Hauptschule angeschaut, wie man es mit einer Kooperation zwischen Schule, Bundesagentur für Arbeit und Betrieb schaffen kann, den Übergang von Schule zur Berufsausbildung gut hinzubekommen. Herr Drouven, Sie haben uns eben die Erfolgsbilanz dargestellt, wie viele der Praktikanten dann den Weg in die Ausbildung schaffen. Das ist ein Beweis dafür, dass das auch von den jeweiligen Bedingungen abhängt. Natürlich muss auch der Einzelne einen Willen mitbringen, natürlich muss der Einzelne ein Stück Leidenschaft mitbringen, aber es hängt auch immer davon ab, ob ihn Erwachsene auf diesem Weg begleiten, helfen und versuchen, Schwächen zu Stärken zu machen.
Die duale Berufsausbildung das ist bereits von meinen Vorrednern gesagt worden ist etwas, auf das unser Land wirklich stolz sein kann. Wo immer ich hinkomme das geht Annette Schavan genauso, in Europa, vor allen Dingen auch in Schwellenländern, in Indien, in China und in afrikanischen Ländern, sagt man uns: Bitte, wenn Ihr uns bei unserer Entwicklung helfen wollt, helft uns bei der Berufsausbildung. Die Kombination aus praktischer Erfahrung im Betrieb mit einer guten Ausbildung in der Berufsschule ist etwas, was sich wirklich als ein Leistungsmerkmal, als ein Markenzeichen Deutschlands herumgesprochen hat.
Ich musste neulich in einem der afrikanischen Länder erklären, warum alle Meister bei uns, die in Rente gegangen sind, nicht unbedingt nach Afrika streben, um dort noch weitere fünf Jahre bei der Berufsausbildung von jungen Leuten zu helfen. Der entsprechende Verantwortliche war so begeistert von seiner Mission, dass er gesagt hat: Das kann doch gar nicht sein, wir sind doch so offen. Wenn man sieht, wie vielen Hunderttausenden, Millionen von Kindern auf der Welt sich keine Möglichkeit für eine berufliche Teilhabe bieten wird, kann man sagen: Bei allen Problemen, die wir haben, können wir durchaus auch ein bisschen stolz auf unser Land sein und darauf, dass wir einer großen Zahl junger Menschen Chancen eröffnen können.
So möchte ich Ihnen hier auf Ihrem Weg durch die Berufsausbildung alles Gute wünschen! Es geht um sehr anspruchsvolle Berufe, in denen man natürlich auch das Neueste lernen muss. Die Menge an Wissen nimmt immer weiter zu. Die Arbeiten, die Sie durchführen werden, werden auch an nicht gerade billigen Maschinen stattfinden, an denen Sie konzentriert vorgehen müssen. Die Kombination von Datenverarbeitung und industrieller Produktion hat Deutschland in den letzten Jahren wettbewerbsfähig gemacht.
Ich hoffe natürlich, dass Sie alle in Chemie und Mathematik, im räumlichen Sehen und was man noch alles braucht, super sind und auch die hohen Temperaturen und all das, was man noch braucht, wenn man mit Metallen umgeht, nicht scheuen. Sie werden dann vielleicht eines Tages stolz durch Ihre Heimatstadt laufen und bei manch altem Kirchendach oder anderswo, wo Kupfer drin ist, sagen können: Dahinter steht meine Fabrik, meine Firma, die das gemacht hat; ich bin jemand, der in einer langen Tradition, die Deutschland stark gemacht hat, mit dabei ist.
Versäumen Sie es nicht, ab und zu Ihren Eltern zu erzählen, was Sie lernen! Dann werden Sie mitbekommen, dass sie nicht mehr alles wissen, was die Jugend heute weiß. Auch darauf dürfen Sie ein bisschen stolz sein. Und den Ausbildern hier bei der Norddeutschen Affinerie wünsche ich ein gutes Herz und viel Leidenschaft für die Jugend unseres Landes! Sie hat es verdient, sie ist motiviert. Sie ist die Zukunft unseres Landes.
Herzlichen Glückwunsch zum Beginn eines neuen Lebensabschnitts! Tragen Sie dazu bei, dass wir sagen können: Wir sind nicht nur eine Bundesrepublik, sondern auch ein Bildungsrepublik!