Redner(in): k.A.
Datum: 31.08.2008
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/08/2008-08-31-boehmer-geburtstag-liselotte-funke,layoutVariant=Druckansicht.html
Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen sehr herzlich zu gratulieren und Ihnen als meiner Vorgängerin zu danken. Ich überbringe Ihnen zugleich die besten Wünsche von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
Als zweite Ausländerbeauftragte haben Sie das Amt zehn Jahre lang geprägt, mehr noch: Sie haben laut und deutlich die Herausforderungen und die Chancen benannt, vor denen die Integration von Menschen aus Zuwandererfamilien stand und zum Teil immer noch steht.
Damit wurden Sie zur Wegbereiterin der Integrationspolitik in Deutschland.
Sie haben dabei gegen starke Widerstände angekämpft.
Es war eine andere Zeit:
Viele wollten nicht wahrhaben, dass eine echte Integrationspolitik alternativlos ist, weil die sogenannten Gastarbeiter überwiegend in Deutschland geblieben sind. Viele wollten nicht wahrhaben, dass Integrationspolitik gesellschaftspolitische Schlüsselaufgabe ist und nicht nur eine Frage des Ausländerrechts. Viele wollten nicht wahrhaben, dass Integration nur gelingt, wenn der Aufenthalt in Deutschland gesichert ist und die aufnehmende Gesellschaft bereit ist, die Leistungen, die Begabungen und die kulturellen Wurzeln der Migranten anzuerkennen und als Bereicherung zu empfinden.
Heute können Sie mit Genugtuung feststellen, dass
Ihre Mahnungen berechtigt, Ihre Vorstellungen richtig waren undviele Ihrer Vorschläge Wirklichkeit geworden sind.
Einen Ihrer Aufsätze haben Sie mit einem Zitat von Max Frisch überschrieben: "Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen". Mit ihren Begabungen, aber auch ihren Erwartungen und ihren kulturellen Wurzeln. Diese kulturelle Vielfalt zeichnet unser Land aus. Integration, und auch da stimme ich mit Ihnen überein, darf niemals Assimilation bedeuten. Integration bedeutet "gleichberechtigte Teilhabe", bedeutet auch, gemeinsam in der Verantwortung für unser Land zu stehen. Integration muss aber sehr wohl im Sinne gemeinsamer Werte ein "Einleben in unsere Lebensverhältnisse" beinhalten.
Diese Erkenntnis hat sich durchgesetzt nicht nur in Deutschland: Bei meinem letzten Besuch in London sagte mir Trevor Phillips, der Vorsitzende der Commission for racial equality and human rights, Trevor Phillips: "We have to share values". Denn es geht um das einigende Band, das unsere Gesellschaft zusammenhält. Aber lassen Sie mich genauso klar sagen: Niemand soll deshalb seine Wurzeln kappen müssen.
Liebe Frau Funcke, Sie haben sich der Einzelfälle ebenso angenommen wie der großen Fragen der Demographie, der Würde des einzelnen und was es heißt, in zwei Kulturen zu Hause zu sein.
Sie haben nicht hunderte, sondern tausende von Briefen geschrieben, wie ich von einem Ihrer damaligen Mitarbeiter weiß. Ich habe mir sagen lassen, es seien in ihrem politischen Leben insgesamt 35 000 gewesen. Zum Großteil haben Sie diese selbst verfasst und dann immer einen Durchschlag oder eine Kopie davon nach Hause mitgenommen, in ihr "Bergwerk", wie Sie es nannten. Da könne schon auch mal etwas verschwinden, werden Sie zitiert. Aber aus dem Bergwerk kommt immer viel an die Oberfläche, ans helle Licht. Sie haben es nach oben befördert. Davon haben alle einen Gewinn gehabt.
Sie haben immer die Bedeutung der deutschen Sprache betont und eine Förderung vom Kindergarten an angemahnt. Die Sprache "ist nicht nur der Schlüssel zur Verständigung, sondern zum Verständnis und Verstehen" haben Sie einmal geschrieben.
Ich teile dieses weitreichende Verständnis voll und ganz. Die praktischen Konsequenzen daraus werden heute zunehmend gezogen. Mit dem Zuwanderungsgesetz wurden die Integrationskurse eingeführt. Im Zuge des Nationalen Integrationsplanes wurden zahlreiche Verbesserungen beschlossen. Und der Deutsche Bundestag hat dafür auch die nötigen Mittel bewilligt. Ich möchte der FDP-Bundestagsfraktion dafür danken, dass sie sich dafür mit stark gemacht hat.
Im Nationalen Integrationsplan haben sich die Länder verpflichtet, Deutsch von Anfang an zu fördern. Bereits im Kindergarten muss die deutsche Sprache gezielt gefördert werden. Aber wir müssen die Eltern einbeziehen. Die Sprachlosigkeit der Mütter muss endlich der Vergangenheit angehören.
Sie haben klar erkannt und benannt, dass die einfachen Jobs in Deutschland zunehmen wegfallen, zugleich Fachkräfte gebraucht werden. Damit ist die Integrations- zur Bildungsfrage geworden. Sie haben 1989 darauf hingewiesen, dass "fast zwei Drittel der in Deutschland aufgewachsenen jungen Ausländer ungelernt bleiben."
Heute bleiben immer noch 40 % der Jugendlichen aus Zuwanderfamilien ohne beruflichen Abschluss, unter den türkischen Jugendlichen sind es sogar 70 % , ähnlich viele bei Jugendlichen mit griechischem und italienischem Pass.
Das ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen. Wir stellen uns ihr in Bund und Ländern. Für den Herbst hat die Bundeskanzlerin zum Bildungsgipfel eingeladen. Als wichtigstes Ziel hat sie formuliert: Die "bessere Integration von ausländischen Kindern und Jugendlichen".
Dazu gehört auch, die "Lehrer besser" auf ihre neuen Aufgaben "vorzubereiten", wenn in vielen Klassen der Anteil der Jugendlichen aus Zuwandererfamilien steigt. Das haben Sie, sehr geehrte Frau Funcke, bereits 1987 gefordert.
1991 haben Sie Ihr Amt in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung niedergelegt. Sie haben das unter anderem damit begründet, dass Ihnen kein Gehör geschenkt worden sei, die Bundesregierung Ihre Vorschläge nicht aufgegriffen habe.
Notwendig sei es, Integration als Querschnittsaufgabe zu begreifen. Innerhalb der Bundesregierung müsse ein Sitz im Kabinett für die Integrationspolitik da sein.
Es hat etwas gedauert, bis es so weit kam. Die Bundeskanzlerin hat entschieden, dass die Integrationsbeauftragte am Kabinettstisch Platz nimmt. Aber hier in NRW wurde sogar eine eigene Ressortzuständigkeit geschaffen. Andere Länder sind diesem Beispiel gefolgt.
Die gegenwärtige Bundesregierung hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, mehr noch: Wir beschreiten neue Wege in der Integrationspolitik.
Der Nationale Integrationsplan lebt von den hunderten von Selbstverpflichtungen, die alle wichtigen Akteure eingegangen sind: Alle politischen Ebenen, die Verbände, die Kirchen, der Sport, die Wirtschaft, und vor allem auch die Vertreterinnen und Vertreter der Migranten selbst. Er macht deutlich: Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der alle beitragen können und müssen.
Auch hierfür haben Sie den Weg vorgegeben: Leider wird immer nur über die Ausländer gesprochen und viel zu wenig mit ihnen ", haben Sie 1988 in einem Interview gesagt.
Unsere Maxime lautet: Wir sprechen nicht über die Migrantinnen und Migranten, sondern mit ihnen."
Die Migranten ernst nehmen, heißt zugleich, sie in die Verantwortung mit hinein nehmen. Eine "betreuende, alles besserwissende … Art" so Ihre Worte - ist fehl am Platz, und gegen diese haben auch Sie sich seinerzeit bereits gewandt.
Wir wissen heute, dass wir viel stärker auf das Potential von Zuwanderer setzen müssen und ihre Leistung Anerkennung verdient. Die Bundeskanzlerin wird am 1. Oktober diesen Jahres etwa 200 Zuwanderer der ersten Generation im Bundeskanzleramt empfangen, um ihren Beitrag zum Wohlstand unseres Landes zu danken.
Sehr geehrte Frau Funcke, Sie haben die Grundlagen für eine echte Integrationspolitik gelegt. Und dafür danke ich Ihnen.
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Uns verbindet noch ein weiteres Thema: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Auch hier waren Sie Vorreiterin.
Sie sind in alte Männerdomänen eingedrungen und Sie haben dafür gekämpft, dass es künftig keine Männerdomänen mehr gibt.
Ihr Buch dazu trägt den programmatischen Titel: Frei sein, um andere frei zu machen.
Frauen in der Politik."
Ich wünsche uns allen die Freiheit, die andere frei macht und die Hartnäckigkeit im Dienst der Sache, die Sie, verehrte Frau Funcke, auszeichnet.
Vielen Dank.