Redner(in): Angela Merkel
Datum: 17.09.2008

Untertitel: gehalten am 17. September
Anrede: Herr Präsident!Meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/09/2008-09-17-bt-merkel-haushalt,layoutVariant=Druckansicht.html


In diesen Tagen, während wir hier im Parlament unsere Haushaltsdebatte führen, verfolgen wir natürlich alle die Nachrichten vom amerikanischen Finanzmarkt. Es hat massive Stützungsmaßnahmen und Hilfsmaßnahmen der amerikanischen Regierung gegeben, gerade wieder in dieser Nacht in Bezug auf ein Versicherungsunternehmen. Es hat Übernahmen im Privatsektor gegeben und den Konkurs einer bedeutenden amerikanischen Investmentbank. Die Börsen und natürlich auch der DAX haben mit erheblichen Kursschwankungen und Kurskorrekturen reagiert. Wichtige internationale Banken haben einen Stützungsfonds aufgelegt.

Die Bundesregierung verfolgt diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Wir stehen in engem Austausch mit den Spitzen der deutschen Kreditwirtschaft ebenso wie mit anderen Regierungen. Als ein Ergebnis haben Bundesbank, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und das Bundesministerium der Finanzen schon am Montag erklären können, dass sich im Fall des Kreditinstituts Lehman Brothers das Engagement deutscher Kreditinstitute glücklicherweise in einem überschaubaren Rahmen hält.

Aber wir spüren alle, dass die Dynamik der Weltwirtschaft beeinflusst wird. Wir können froh sein, dass in den letzten Jahren neben dem amerikanischen Kraftzentrum andere Kraftzentren in Asien, in Lateinamerika und im vereinten Europa erwachsen sind, sodass heute die internationale Konjunktur auf sehr viel breiteren Beinen steht, als das noch vor Jahrzehnten der Fall war. Deshalb sind die Auswirkungen auf die übrige Wirtschaft in Deutschland bislang moderat, und die Unternehmenskredite wurden in Deutschland im Gegensatz zur übrigen EU erneut deutlich ausgeweitet.

Dennoch wird eine offene Volkswirtschaft wie die deutsche, die von der Globalisierung im Übrigen mehr als andere profitiert, nicht völlig unberührt bleiben können. Wir spüren das auch an den Prognosen, die uns jeden Tag erreichen. In einer solchen Situation werden die Rufe nach Konsequenzen natürlich wieder lauter. Ich will deshalb noch einmal auf die zwei grundsätzlichen Möglichkeiten hinweisen, die wir haben, um auf eine solche Situation zu reagieren. Die eine wäre, sich so weit wie möglich von internationalen Einflüssen abzuschotten; die andere ist: Wir begreifen die internationale Verflechtung als Wesenszug des 21. Jahrhunderts. Dann allerdings muss Politik einen klugen Ordnungsrahmen schaffen, der die Chancen nutzt und der die Risiken begrenzt. Das heißt: Politik muss gestalten.

Die Bundesregierung hat sich entschieden, und zwar von Beginn dieser Koalition an: Deutschland wird ein offenes Land bleiben, ein Land, das sich der Welt zuwendet, ein Land, das seine Chancen nutzt. Die Bundesregierung wird von diesem Kurs auch in der jetzigen Situation nicht ablassen; ich finde, aus überragenden Gründen. Deutschland lebt im Wesentlichen von Auslandsinvestitionen. Es sind etwa 600 Milliarden Euro, die von ausländischen Unternehmen in Deutschland jährlich investiert werden. Das ist doppelt so viel, wie der Bundeshaushalt ausmacht. Deutschland lebt davon, dass 700 Milliarden Euro von deutschen Firmen im Ausland investiert wurden. Das sichert uns Wohlstand, Forschung, Innovation und neue Produkte.

Aber eines zeigt die Entwicklung natürlich: Wir brauchen dringend einen besseren Ordnungsrahmen, und wir - wenn ich das sage, meine ich vor allen Dingen auch den Bundesfinanzminister - fühlen uns in dem bestätigt, was wir sehr früh begonnen haben. Wir haben nämlich bereits während unserer G-8 -Präsidentschaft eine Transparenzinitiative begonnen, die damals noch belächelt und von vielen gleich wieder als Regulierung abgetan wurde. Wir haben im September 2007 mit dem französischen Präsidenten eine gemeinsame Erklärung abgegeben, der sich dann Großbritannien, Italien und die Kommission angeschlossen haben. Im April hat es endlich ein sehr bemerkenswertes Forum für Finanzmarktstabilität gegeben, auf dem eine Reihe von Vorschlägen gemacht wurden, die auf den Vorschlägen des G-8 -Gipfels aufbauten. Man kann glücklicherweise jetzt schon sagen, dass einiges in Gang gekommen ist. Es sind nicht nur Ideen, sondern es gibt Bewegung bei Bewertungsverfahren, bei der Kooperation mit Aufsichtsbehörden und bei einem verbesserten Verhaltenskodex vor allen Dingen der Ratingagenturen. Es gibt zum ersten Mal auch Selbstverpflichtungen, zum Beispiel von Hedgefonds. Ich erinnere auch daran, dass sich Staatsfonds von 26 Ländern zusammengeschlossen haben. Ich sage ausdrücklich: Es ist richtig, dass jetzt im Parlament die Veränderung des Außenwirtschaftsgesetzes beraten wird. Wir können nicht tatenlos zusehen. Politik muss gestalten. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass wir die Dinge nicht laufen lassen, sondern dass wir Politik gestalten.

Die Bundesregierung legt Ihnen heute einen Haushalt zur Beratung vor, der seinesgleichen sucht.

Denken Sie einmal daran, wie Sie 2005 aus der Regierung herausgegangen sind: Über 30 Milliarden Euro Neuverschuldung, das war die Bilanz der Grünen. Ich würde heute hier ganz still sein.

Ich finde, wir können ein Stück selbstbewusst in diese Debatte gehen.

Ich möchte all denen, die daran mitwirken, meinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett und ganz besonders dem Bundesfinanzminister, ein herzliches Dankeschön sagen.

Genauso möchte ich den Koalitionsfraktionen quasi im Voraus im Hinblick auf die anstehenden Beratungen ein Dankeschön sagen, weil ich weiß, dass wir uns gemeinsam diesem Ziel verpflichtet fühlen.

Wir legen diesen Haushalt nicht vor, weil er ein Selbstzweck ist. Es ist nicht so, dass wir das Thema? ausgeglichener Haushalt? sozusagen wie eine Monstranz vor uns hertragen, sondern wir tun dies deshalb, weil es darum geht, dass wir in den Zeiten der Globalisierung, die wir nun so sehr spüren, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, nicht auf Kosten der nächsten Generation zu leben, sondern jedem Einzelnen den Einstieg in Arbeit und den Aufstieg durch Arbeit zu ermöglichen, auch heute erfüllt werden kann.

Auf eine Formel gebracht, hieß dieses Versprechen der sozialen Marktwirtschaft zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland: Wohlstand für alle. Heute gehen wir in Zeiten internationaler Verflechtungen, die wir mit dem Wort? Globalisierung? beschreiben, noch einen Schritt weiter. ? Wohlstand für alle? heißt heute: Bildung für alle. Dabei geht es wie bei den soliden Finanzen nicht einfach um ein sektorales Politikfeld, das als Selbstzweck daherkommt. Das wäre ein grobes Missverständnis. Nein, meine Damen und Herren, es geht um viel mehr: Es geht um die Zukunft der Menschen in unserem Land; denn Bildung für alle ist die entscheidende Voraussetzung für Einstieg in Arbeit und Aufstieg durch Arbeit, und zwar für jeden, der in diesem Land lebt, egal aus welchem Elternhaus er kommt.

Ich bin zutiefst überzeugt: Es ist gerade dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das die Menschen an die Kraft der sozialen Marktwirtschaft glauben lässt oder - wo sie es im Augenblick nicht tun - wieder glauben lässt. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das wir gemeinsam im Blick haben müssen, Bund, Länder, Kommunen. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das uns zu der Aufgabe führt, die Bildungsrepublik Deutschland zu gestalten. Einfach mehr Geld umzuverteilen, schafft nämlich Abhängigkeit vom Staat und zementiert die Menschen in ihrer Situation, die heute nicht das schaffen können, was sie wollen. Bildung für alle ermöglicht es dagegen allen, sich eigenen Wohlstand zu erarbeiten. Daraus folgt, in einem Satz gesagt: Die Bildungsrepublik ist der beste Sozialstaat.

Ich glaube, bei allem, was wir an Problemen haben, können wir sagen: Für dieses Ziel ist unser Land in den letzten drei Jahren stärker geworden. Wir haben 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze seit 2005. Das bedeutet die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1992. Wir haben 100 000 abgeschlossene Ausbildungsverträge mehr als zu unserem Amtsbeginn. Die Eigenkapitalquote der Betriebe ist wieder angestiegen, und damit werden Betriebe auch wieder ein Stück robuster. Dazu haben viele beigetragen, aber die Politik der Großen Koalition eben auch.

Wir haben die Neuverschuldung schrittweise gesenkt. Erstmals seit Ende der 80er-Jahre ist der gesamtstaatliche Haushalt wieder ungefähr ausgeglichen. Wir haben die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten deutlich unter 40 Prozent gesenkt. Wir werden dabei bleiben: Wir haben Freiräume für Menschen und Betriebe geschaffen. Wenn wir uns einmal die Staatsquote anschauen, erkennen wir: Sie ist auf dem niedrigsten Stand seit 18 Jahren.

Die Bundesregierung hat diesen Kurs nicht nur deshalb eingeschlagen, weil es die Vernunft gebietet, sondern auch deshalb, weil ich der Meinung bin, dass dies eine zutiefst moralische Aufgabe ist. Das ist die Basis dafür, dass Vertrauen zwischen den Generationen wachsen kann und dass wir nicht auf Kosten der zukünftigen Generationen leben. Trotz schwächer werdenden Wachstums werden wir auch im kommenden Jahr diesen Kurs fortsetzen; dazu sind wir entschlossen.

Das heißt, es sind zwei Seiten einer Medaille, auf der einen Seite den Konsolidierungskurs fortzusetzen und auf der anderen Seite die Arbeitslosenversicherungsbeiträge weiter zu senken, Familien stärker zu entlasten, Entwicklungs- und Forschungsausgaben genauso zu erhöhen wie die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur oder die Investitionen in Kultur. Beides trägt dazu bei, dass wir für die Zukunft stärker gerüstet sind.

Wir sind überzeugt - ich glaube, in den letzten Jahren ist diese Überzeugung noch gewachsen - : Die Bedeutung von Politik nimmt in Zeiten der Globalisierung nicht etwa ab, sondern die Bedeutung von Politik nimmt zu und verlangt uns viel neues Denken ab.

Für mich ist das allerdings kein Bruch und kein Neustart, sondern es ist eine Weiterentwicklung; denn soziale Marktwirtschaft ist immer davon ausgegangen, dass Politik gestalten muss. Ich erinnere nur an die Kämpfe, die Ludwig Erhard hatte, als er das Kartellrecht durchsetzte - gegen den erbitterten Widerstand des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Aber hinzugekommen ist eine internationale Dimension des Erfolgsmodells Bundesrepublik Deutschland, der sozialen Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft hat immer gestaltend eingegriffen, aber jetzt geht es darum, dass wir die internationale Dimension ausarbeiten.

Es geht um eine Grundfrage. Soziale Marktwirtschaft hat sich immer als ein Bündnis der Stärkeren mit den Schwächeren in der Gesellschaft verstanden. Wer versuchen will, die Schwächeren in der Gesellschaft zusammenzunehmen und gegen die Stärkeren in der Gesellschaft aufzuhetzen,

der wird in der internationalen Dimension der sozialen Marktwirtschaft scheitern. Es geht um das Bündnis der Stärkeren mit den Schwächeren.

Es geht also um ein glaubwürdiges Wohlstandsversprechen. Deshalb muss Deutschland den Weg zur Bildungsrepublik gehen. Was heißt das? Das heißt, dass wir uns die vielen guten Beispiele, die ich jetzt auf meiner Bildungsreise gesehen habe, einmal vor Augen führen sollten: Kindergärten -

Dazu gehören die vielen Ehrenamtlichen. Ich möchte diesen Menschen meine Anerkennung geben. Deshalb besuche ich sie, und ich glaube, das ist richtig, meine Damen und Herren.

Es geht um ein umfassendes Selbstverständnis unseres Landes. Dafür müssen wir drei Leitlinien einhalten, die sich genau auch in der Politik der Bundesregierung widerspiegeln: Nachhaltigkeit und Langfristigkeit als Erstes, Eigenverantwortung und Ermutigung als Zweites, Durchlässigkeit und ein festes Wertefundament als Drittes.

Nachhaltigkeit und Langfristigkeit. Es geht nicht um Strohfeuer, sondern es geht um nachhaltigen Erfolg, nicht nur in der Bildungspolitik, sondern insgesamt. Deshalb wünsche ich mir zum Beispiel einen Erfolg bei der Haushaltskonsolidierung, nicht nur im Blick auf 2011. Es geht nämlich auch um eine Verpflichtung im Rahmen der Föderalismusreform II, nach der das ein Grundprinzip unseres zukünftigen Handelns wird. Es wird sich in den nächsten Wochen zeigen, ob wir die Kraft dazu aufbringen. Ich wünsche es mir, meine Damen und Herren.

Zu Nachhaltigkeit und Langfristigkeit gehören auch Investitionen in Familien. Das Elterngeld ist ebenso ein Erfolg wie die Vätermonate. Wir werden für 70 000 Familienhaushalte den Kinderzuschlag einführen, der Kinder und Eltern aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II entlässt. Wir werden die Betreuungsaufwendungen stärker steuerlich absetzbar machen; zum einen, um den Haushalt als Arbeitgeber zu entwickeln, zum anderen aber auch, um Betreuung zu Hause zu ermöglichen. Wir haben zwischen Bund und Ländern einen gemeinsamen Weg gefunden, die Betreuung der unter Dreijährigen auszubauen, und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ mit Blick auf die Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Ich glaube, das sind wichtige Schritte.

Vor uns liegen bessere Leistungen für Familien auf der Grundlage des Existenzminimumberichts. Hierüber werden wir in der Koalition noch Diskussionen führen, das hat sich gestern angedeutet. Ich persönlich halte 10 Euro für jedes Kind nicht für eine schlechte Sache, aber darüber werden wir uns auseinandersetzen müssen. Ich glaube auch, dass ein Kind denselben Anspruch auf einen Freibetrag hat wie ein Erwachsener. Insofern müssen wir noch ein wenig darum ringen.

Niemand wird bestreiten, dass Familien im Zentrum der Politik der Großen Koalition stehen. Das ist eine richtige Schwerpunktsetzung. Nachhaltigkeit und Langfristigkeit bedeuten auch, in die Bildungspolitik an sich zu investieren. Aus den internationalen Vergleichen wissen wir, dass wir nicht überall Spitze sind. Ich bitte aber darum, diese Studien einmal genau zu lesen und nicht alles immer in Grund und Boden zu reden, sondern auch das Positive zu sehen.

Im Bereich der abgeschlossenen Berufsausbildung gibt es bei uns zum Beispiel hervorragende Leistungen. Auch in der Frage des Abiturs oder der Postgraduiertenförderung gibt es sehr gute Dinge, an die wir anknüpfen können. Wahr ist aber auch, dass andere aufholen. Deshalb sind wir gefragt. Deshalb ist es auch wichtig, dass Bund und Länder in diesem Jahr am 22. Oktober in Dresden einen Bildungsgipfel durchführen. Hierbei geht es ausdrücklich nicht um eine Kompetenzverschiebung. Vielmehr geht es bei diesem Bildungsgipfel um die Frage, wie wir in unserem Land Politik für die Menschen gestalten. Hier müssen wir den Blickwinkel der Menschen - der Eltern und der Kinder - einnehmen. Diejenigen, die mit Bildungspolitik konfrontiert werden, überlegen nicht ständig, ob der Bund, das Land oder die Kommune für sie verantwortlich ist. Sie wollen Politik aus einem Guss.

Deshalb müssen die verschiedenen politischen Ebenen in ihrer Verantwortlichkeit so zusammenarbeiten, dass für das einzelne Kind das Beste erreicht wird und dass Eltern ihre Kinder optimal fördern können.

In diesem Zusammenhang müssen die Schulabbrecherquoten gesenkt werden. Es müssen Schulabschlüsse ermöglicht werden und Hochschulen müssen sich zum Beispiel auch für Meister und ähnliche Qualifizierungen öffnen. Wir müssen Ausbildungsbausteine so gestalten, dass sie sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Im Grunde geht es nicht um Strukturdebatten, sondern um die Frage des Erfolgs eines jeden Einzelnen mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, wie richtig die Entscheidung der Bundesregierung war, Integrationspolitik zu einer Querschnittsaufgabe zu machen. Wenn Sie sich den Bildungsbericht für Deutschland anschauen, dann sehen Sie, dass der Anteil der jungen Menschen unter 25 mit Migrationshintergrund in den Regionen mit industrieller Struktur - im Ruhrgebiet, im Bereich der Rhein-Main-Schiene, in Stuttgart, in München und in der Region um Nürnberg - zwischen 40 und 50 Prozent liegt. Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, ob auch diese jungen Leute, und zwar jeder Einzelne von ihnen, eine Chance auf einen Aufstieg in unserem Land haben. Ansonsten werden nicht nur diese jungen Leute leiden, sondern unser ganzes Land.

Wir haben in Forschung und Entwicklung investiert und streben dort einen Anteil von 3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt an. Gegenwärtig sind wir bei 2,8 Prozent angelangt, wir haben noch einen Weg vor uns. Das ist aber zu schaffen. Die Exzellenzinitiative hat sich bewährt. Wir haben die Freiräume der Unternehmen gestärkt. Wir haben die Wissenschaftsallianz, und wir haben viele neue Wege beschritten, bei denen Leistung ganz ausdrücklich prämiert wird. Das ist richtig.

Natürlich hängt Nachhaltigkeit auch mit der Ressourcennutzung zusammen. Wir wissen, dass eines der drängendsten Probleme für die Menschen der Anstieg der Energiepreise und daraus folgend die Inflation ist. Wir stehen natürlich vor der Frage, was wir da tun sollen. Hier ist politische Gestaltung gefragt. Es ist sehr einfach, das Falsche zu tun, indem man sich auf den Standpunkt stellt, dass Energiepreise nicht nachhaltig steigen können. Genau das machen wir nicht. Der Bundesfinanzminister hat es gestern noch dargestellt. Wir eröffnen vielmehr Wege zum effizienteren Umgang mit Energie, um die Menschen in die Lage zu versetzen, weniger Energie zu verbrauchen und damit mit den steigenden Kosten klarzukommen. Ich glaube, die Förderung von Gebäudesanierung und viele andere Maßnahmen wie die Einführung von intelligenten Stromzählern über die Novellierung des KWK-Gesetzes bis hin zu unseren Klimapaketen, die ja hart umstritten sind, sind langfristig insgesamt die richtige nachhaltige Antwort auf die Energiepreisentwicklung in der Welt.

Wir werden jetzt auf der Ebene der Europäischen Union Verhandlungen über Europas Klimaschutzziele führen. Die Bundesregierung steht ausdrücklich zu diesen Zielen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden wir die Kioto-Verpflichtungen einhalten. Andere werden das nicht tun. Vielleicht könnten wir einmal gemeinsam diese kritisieren und nicht immer nur uns selber schlechtmachen.

Deutschland ist aber auch das Land in Europa, das eines der breitesten industriellen Fundamente hat, und die wirtschaftliche Entwicklung Europas hängt auch von der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands ab.

Deshalb werden wir strittige Diskussionen darüber führen müssen - ich sage das hier ganz offen - , wie wir mit energieintensiven Branchen umgehen. Es ist für das Weltklima nichts gewonnen, wenn die Aluminium- , Stahl- oder Chemieindustrie bei uns verschwindet und mit schlechteren Standards außerhalb Europas ausgebaut wird. Das werden wir nicht zulassen.

Beides zusammenzubringen, macht nämlich gerade die Schwierigkeit des Themas aus, meine Damen und Herren. Das können nicht alle, das kann nur die Große Koalition.

Zu den Zukunftsinvestitionen zählen natürlich auch Entwicklungshilfe und Einsatz für gutes Regieren.

Zu Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit gehört natürlich auch die Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Die Rentenfinanzen befinden sich in einer weit besseren Lage als vor Jahren. Wir haben zusätzlich die Eigenheimrente verabschiedet - ein wichtiges Projekt. Bis heute wurden 11 Millionen Riester-Renten abgeschlossen, aber angesichts von 27 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bleibt immer noch viel zu tun. Dennoch wurde in diesem Bereich ein gewaltiger Schritt nach vorn gemacht. Die Rente mit 67 war eine notwendige Maßnahme. Daran muss auch festgehalten werden, weil uns die demografische Entwicklung keine andere Möglichkeit lässt.

Es zeigen sich nun die Erfolge, meine Damen und Herren: Die Arbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen ist deutlich zurückgegangen - seit 2005 um circa ein Viertel. Das lässt sich sehen. Wir haben die Leistungen der Pflegeversicherung ausgeweitet.

Wer aber den Eindruck erweckt, hervorragende Gesundheitsversorgung sei sozusagen zum Nulltarif zu bekommen und Gehaltssteigerungen für die im medizinischen Bereich Beschäftigten seien möglich, ohne dass sich das in irgendeiner Weise in den Beiträgen niederschlägt, der trägt dazu bei, dass wir eines Tages nicht mehr genug Ärzte bei uns haben - diese sind dann in Norwegen oder sonst wo - und dass die Pflegekräfte ihre Arbeit nicht mehr schaffen. Deshalb sage ich: Es ist richtig, in ein gutes Gesundheitssystem zu investieren. Es ist vielleicht die komplizierteste Aufgabe eines modernen Industrielandes, das zugleich demografische Veränderungen zu bewältigen hat, für jeden eine gute Gesundheitsversorgung bereitzustellen. Wir fühlen uns aus tiefer Überzeugung bezüglich der Menschlichkeit unseres Landes diesem Ziel verpflichtet.

Die Bildungsrepublik gründet auf dem Willen - das ist die Voraussetzung - , dass der, der immer es kann, das eigene Leben in die Hand nimmt. Er soll natürlich, wenn er scheitert, eine zweite Chance, vielleicht auch eine dritte und vierte bekommen; aber es muss die innere Bereitschaft geben. Deshalb sind Eigenverantwortung und Ermutigung das zweite wichtige Leitmotiv unserer Arbeit. Das muss sich in der Arbeitsmarktpolitik widerspiegeln; ? Fordern und Fördern? ist deshalb unsere Maxime. Die Arbeitsvermittlung ist modernisiert worden und wird weiter modernisiert werden. Wer sich einmal mit der Arbeit der Bundesagentur befasst hat, der weiß, dass da unglaublich viel passiert ist. Was die Betreuung aus einer Hand angeht, müssen wir noch Regelungen treffen, um das Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Argen umzusetzen.

Das Prinzip der Eigenverantwortung gilt auch in dem Sinne, dass Tarifautonomie Vorrang hat. Wir werden die Gesetze, das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz, beraten, aber immer in dem Geist, Tarifautonomie, wo möglich, zu stärken.

Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht, um die Mitarbeiterbeteiligung zu fördern. Das wird in der allgemeinen Diskussion oft unterschätzt. Aber schauen Sie sich einmal die Vermögenssituationen an: Angesichts dessen, wie sich auf der einen Seite Einkommen und Löhne und auf der anderen Seite Kapitalerträge entwickeln, kann ich nur sagen, dass es langfristig gesehen wichtig ist, dass wir jedem auch eine Beteiligung an den Kapitalerträgen ermöglichen. Ansonsten werden die Ungerechtigkeiten in unserem Land zunehmen. Hier sind wir einen wichtigen Schritt miteinander gegangen; ich glaube, das sollte man an dieser Stelle sagen.

Wenn wir uns die Dinge anschauen, dann sehen wir auch, dass Arbeitsmarkt- und Vermögenspolitik natürlich die Chancen in der Globalisierung verbessert haben. Gestern ist eine Studie des DIW veröffentlicht worden, die mit aktuellen Zahlen arbeitet und aus der hervorgeht, dass zwischen 2005 und 2006 - nur über diesen Zeitraum geht die Studie - über 1 Million Menschen aus dem Armutsrisiko herausgekommen sind. Das zeigt doch nichts anderes, als dass Reformen sich vielleicht nicht sofort, aber über eine bestimmte Zeitspanne gesehen lohnen. Das ist doch das Ziel aller Veränderungen: mehr Menschen eine Chance zu geben und weniger Menschen in ein Risiko hineinfallen zu lassen.

Wir brauchen als drittes Leitmotiv Durchlässigkeit und ein festes Wertefundament, eine Offenheit der Gesellschaft, einen Ansporn für die, die viel leisten können, die Eliten unseres Landes, damit wir dann auch miteinander Solidarität üben können. Wir brauchen ein Deutschland, das sich nicht abschottet, sondern seiner Verantwortung in der Welt gerecht wird. Deshalb wollen wir auf der einen Seite offen sein, was wir zum Beispiel dadurch zeigen, dass wir die Zuwanderung für Hochqualifizierte in unser Land geöffnet haben. Angesichts von immer noch 3 Millionen Arbeitslosen sind die Diskussion und die Entscheidung darüber, wer zu uns kommen darf und wer nicht, gar nicht einfach. Das ist eine qualitativ ganz andere Debatte, als wir sie in den Asylfragen miteinander geführt haben. Wir haben immer auf kulturelle Toleranz gesetzt, um diese Offenheit voranzutreiben. Ein Zeichen dafür ist, dass unser Kulturhaushalt, der Haushalt des Staatsministers für Kultur, in den letzten Jahren um 7,8 Prozent gewachsen ist, genauso wie die auswärtige Kulturpolitik an Bedeutung gewonnen hat, zwei wichtige Bereiche, in denen wir unsere Offenheit zeigen. Wir sind auch stolz auf unsere Kultur, und wir wollen sie in der Welt bekannt machen. Das sind unsere Ansprüche.

Weil die Länder miteinander verflochten sind, ist es wichtig, in Bündnissen zu arbeiten. Ein solches Bündnis ist die Europäische Union. Da haben wir vieles vor uns, wenn wir daran denken, dass Irland mit Nein gestimmt hat; aber der Lissabon-Vertrag ist und bleibt die richtige Grundlage für die Politik in der Europäischen Union.

Wir haben in diesem Sommer erlebt, wie wichtig Europa ist und was Europa in dem Konflikt zwischen Georgien und Russland im Falle von Südossetien und Abchasien erreicht hat. Hier ist es gelungen - der Außenminister und ich waren natürlich sehr beschäftigt mit dieser Frage - , Europa zu einer einheitlichen Position zu bringen - das war nicht immer einfach angesichts der unterschiedlichen Interessenslagen - und es gleichzeitig handlungsfähig erscheinen zu lassen. Ohne die Europäische Union hätten wir heute weder einen Sechspunkteplan, mit dem wir arbeiten könnten, noch Fortschritte in dieser gesamten Frage.

Deshalb kann ich nur sagen: Bei aller Mühe - wir wissen ja, wie schwer es schon in diesem Parlament ist, sich zu verständigen; wie soll es da zwischen 27 Staaten einfach sein - hat sich die Europäische Union in diesem Sommer in einer entscheidenden Frage als handlungsfähig erklärt, und zwar auf einer vernünftigen Basis. Mit keinem sind die Gesprächskontakte abgebrochen. Wir haben gesagt: Reden gerade in schwierigen Zeiten ist die richtige Antwort. Deshalb werden wir das auch am 2. Oktober bei den deutsch-russischen Konsultationen wieder unter Beweis stellen.

Wir haben im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus unsere Aufgaben zu leisten. Hier sind wir nach innen besser gerüstet; es finden gerade die Beratungen zum BKA-Gesetz statt. Ich bin optimistisch, dass wir sie erfolgreich abschließen. Wir haben eine besser ausgerichtete Bundespolizei.

Wir müssen auch außen unsere Aufgaben erfüllen. Wir haben bittere Erfahrungen mit dem Tod von Soldaten machen müssen - gerade kürzlich mit dem Tod eines jungen Soldaten der Bundeswehr. Wir haben zivile Opfer, Verletzte. Deshalb möchte ich in dieser Stunde einen herzlichen Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten genauso wie an die Polizisten und die zivilen Aufbauhelfer richten. Sie haben die Solidarität dieses Parlaments; denn wir wissen um die Schwere, aber auch um die Notwendigkeit der Aufgabe.

Wir spüren alle, dass die Situation in Afghanistan nicht einfach ist, dass die Sicherheitslage auch im Norden komplizierter wird. Aber wir wissen auch um unseren Auftrag. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit dem Konzept der vernetzten Sicherheit die richtige Antwort gefunden hat, um das Engagement in Afghanistan fortzusetzen. Das heißt nicht, dass dieses Konzept der vernetzten Sicherheit bereits in allen Fragen so funktioniert, wie wir uns das vorstellen können. Es ist ja so, dass Afghanistan nun einmal eine Regierung, ein Parlament hat. Wir haben die demokratischen Prozesse dort vorangebracht. Wir müssen schauen, dass dieses Konzept der vernetzten Sicherheit auch von allen Akteuren - von denen, die aus dem Ausland helfen kommen, genauso wie von denen, die in Afghanistan Verantwortung tragen - umgesetzt wird.

Diese Aufgabe ist nicht beendet. Es hat aber keinen Sinn, bei jedem schrecklichen Vorgang sofort das Konzept infrage zu stellen. Deshalb sage ich hier: Das Konzept der vernetzten Sicherheit ist nach meiner festen Auffassung ohne jede Alternative.

Wir werden im Oktober über die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes in den nächsten Monaten debattieren müssen, genauso wie wir das heute für UNIFIL tun. Deutschland wird jedenfalls seiner Verantwortung für den Kampf gegen den Terrorismus gerecht werden.

Meine Damen und Herren, für mich ist diese Bundesrepublik als Bildungsrepublik ein Land, in dem die Politik verlässlich, langfristig und nachhaltig agiert; ein Land, das den Menschen in den Mittelpunkt rückt, ihn ermutigt, seine Eigenverantwortung fordert, seine Anstrengungen belohnt in einer Gesellschaft, die durchlässig ist und unvoreingenommen jedem seine Chance gibt; ein Land, das offen ist, neugierig, der Welt zugewandt und dabei zugleich selbstbewusst auf dem Boden seiner eigenen Erfolge und Werte steht.

Ich glaube, auf diesem Weg ist unser Land ein Stück vorangekommen. Jetzt kommt es darauf an, nicht stehen zu bleiben, sondern mit Geduld und Ausdauer diesen Weg fortzusetzen. Diese Bundesregierung hat wichtige Beiträge dazu geleistet. Sie wird auch in den kommenden Monaten weiter wichtige Beiträge leisten.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.