Redner(in): Angela Merkel
Datum: 23.09.2008
Untertitel: in Wolfsburg
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/09/2008-09-23-merkel-betriebsversammlung-vw,layoutVariant=Druckansicht.html
Sehr geehrter Herr Osterloh,
sehr geehrter Herr Professor Winterkorn,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Christian Wulff,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Vertreter der Kommunal- und Landespolitik,
liebe Kollegen des Deutschen Bundestags,
sehr geehrte Vertreter des VFL Wolfsburg sogar Sie sind anwesend
und vor allem liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von VW,
ich bin heute sehr gern hierher gekommen und der Einladung gefolgt. Es ist, muss ich wirklich sagen, ein bewegendes Ereignis, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in so großer Zahl versammelt zu sehen. Ich habe mir schon manche Fertigung angeschaut. Außerdem bin ich sozusagen als Golf-Fahrerin seit der Deutschen Einheit durchaus neugierig darauf gewesen, das neueste Modell schon einmal kurz in Augenschein zu nehmen.
Ich bin also aus vielen Gründen gern hierher gekommen, aber vor allen Dingen auch, um durch Anwesenheit zu zeigen: Die Bundesregierung steht zu VW. VW ist ein tolles Stück Deutschland und international anerkannt. VW beschäftigt weltweit 364.000 Menschen, davon 44.000 hier in Wolfsburg. Wenn man im Ausland ist, dann hört man immer wieder: VW verbinden Milliarden von Menschen mit Deutschland. Und das soll auch so bleiben, meine Damen und Herren.
Das gilt nicht nur für die Produkte, für die Autos, die Sie herstellen, sondern VW ist Christian Wulff hat das eben dargestellt auch ein Sinnbild für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum heutigen Tag. Wenn wir nächstes Jahr 60Jahre Bundesrepublik Deutschland miteinander feiern, dann wird die Geschichte von Volkswagen eine exemplarische Geschichte des Willens zum Wiederaufbau sein, der durch mutige Unternehmerentscheidungen genauso geprägt ist wie durch mutiges Handeln von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Genau das hat dazu geführt, dass es ein VW-Gesetz gab und ich füge gleich hinzu auch in Zukunft ein VW-Gesetz geben wird.
Wir haben die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Kenntnis genommen, dass das VW-Gesetz Elemente enthält, die mit der Kapitalverkehrsfreiheit nicht vereinbar sind. Wir haben dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs in unsere Kabinettsentscheidung eingearbeitet, sind aber der Meinung, dass es bei wichtigen Unternehmensentscheidungen bei der Sperrminorität von 20Prozent bleiben soll und nach dem Urteil auch bleiben kann. Das ist nach sorgfältiger Prüfung die Haltung der gesamten Bundesregierung. Und diese Haltung werden wir auch vor der Europäischen Kommission mit aller Kraft und mit aller Klarheit vertreten.
Wir sind wie Sie der Auffassung, dass die Einrichtung und Verlegung von VW-Produktionsstätten nicht gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat möglich sein soll. Der Aufsichtsrat muss darüber weiterhin mit Zweidrittelmehrheit entscheiden. Das ist gut überlegt. Und das macht auch in Zeiten der Globalisierung sehr viel Sinn.
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wir kommen mit dieser Frage an den Grundfragen, wie wir uns Europa vorstellen und wie wir uns die Globalisierung vorstellen, nicht vorbei. Herr Osterloh hat das eben schon dargestellt. Jeder von Ihnen, der hier bei VW arbeitet, weiß um die Notwendigkeit des Wettbewerbs und weiß auch um die Härte des Wettbewerbs. Jeder weiß, dass auf der Welt vieles vorangeht und dass Sie als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder Neues einführen und sich verändern müssen, um gute Produkte auch wirklich verkaufen zu können. Diesen Anforderungen stellen Sie sich.
Auf der anderen Seite sind wir auch alle gemeinsam davon überzeugt, dass die Grundlage unseres Wirtschaftens die Soziale Marktwirtschaft ist. Soziale Marktwirtschaft heißt, dass es Spielregeln gibt, dass es Möglichkeiten gibt, Globalisierung zu gestalten. Wenn ich die Aufgabe Europas benennen sollte, würde ich sagen: Europa hat die Aufgabe, unser europäisches soziales Wirtschaftsmodell in der Welt mehrheitsfähig zu machen, aber nicht, an kleinen Stellen Hürden und Barrieren aufzubauen, die letztlich das Gestalten von Globalisierung nicht möglich machen. Das ist die Auseinandersetzung, in der wir uns mühen.
Die Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft war immer eine Geschichte, bei der man um Spielregeln gerungen und gestritten hat. Ludwig Erhard z. B. musste sich mit der gesamten deutschen Großindustrie anlegen, als er damals das Wettbewerbsrecht eingeführt und ein gutes Wort für den Mittelstand eingelegt hat. Ich kann Ihnen sagen: Wenn wir diese Spielregeln nicht gehabt hätten, hätte Deutschland heute nicht die mittelständische Basis, die wir haben und die Sie bei VW als Zulieferer in vielen Bereichen ja auch brauchen.
In diesen Tagen geht es wieder um Spielregeln. Wenn wir uns die Situation der Weltwirtschaft anschauen, dann spüren wir, dass an den Finanzmärkten nicht ausreichend Spielregeln vorhanden waren, nicht ausreichend Gestaltungsmöglichkeiten da waren, zu wenig Transparenz bestand und auch zu wenig Durchlässigkeit. Dafür werden jetzt viele Menschen leiden und Einbußen hinnehmen müssen. Deshalb plädiere ich dafür, dass der Markt gestaltet wird. Das VW-Gesetz ist ein Element einer solchen Gestaltung des Marktes.
Wir sind der tiefen Überzeugung, dass es der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswagen in keiner Weise schadet, wenn wir diese Regeln haben, dass es für die unternehmerischen Entscheidungen richtig und gut ist, dass es langfristiges Denken befördert und nicht die kurzfristige Entscheidung, die sich nach ein oder zwei Jahren schon wieder als falsch herausstellt, und dass daraus eine gute Zukunft für Volkswagen erwachsen kann.
Sie sorgen mit dafür, dass sich der Umsatz der Automobilindustrie heute auf fast 300MilliardenEuro beläuft. Das entspricht rund einem Fünftel des Gesamtumsatzes der deutschen Industrie. Volkswagen spielt dabei eine herausragende Rolle. Mit über 5, 7Millionen Pkw wurde 2007 in Deutschland ein neuer Produktionsrekord erzielt. Wir werden alles daransetzen, dass, wie man heute so schön sagt, die Realwirtschaft nicht allzu starke Einbußen durch die Finanzmarktkrise hinnehmen muss die Dinge hängen in einer globalisierten Welt natürlich in schwieriger Art und Weise zusammen. Wir werden das, was wir national machen können, tun, und wir werden uns international vor allen Dingen auch für weitere Regeln einsetzen, damit sich so eine Krise nicht wiederholt.
Jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder indirekt mit dem Automobilbau zusammen. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind im Jahr 2007 auf 18Milliarden Euro angewachsen. Das heißt, dass ein Drittel der in der deutschen Industrie für Forschung und Entwicklung erbrachten Ausgaben aus der Automobilindustrie kommt. Ich bedanke mich dafür ganz herzlich bei Ihnen allen. Denn diese Entscheidungen für Zukunft, für Forschung, für Entwicklung sind die Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes. Wir müssen das ist die Voraussetzung bessere Produkte als andere haben, wenn wir auch besser leben wollen. Und das wollen wir.
Damit kommen wir an einen Punkt, der uns wieder nach Europa führt. Ich bin sehr dafür, dass wir als Europäer Vorreiter auf dem Gebiet des Klimaschutzes sind. Ich bin im Übrigen auch der Meinung, dass wir durch neue innovative Produkte ob im Automobilbereich oder im Bereich der erneuerbaren Energien Zukunftsmärkte für uns erschließen können, wenn wir unserer Zeit ein Stück weit voraus sind. Deshalb ist es richtig, dass sich auch die Automobilindustrie mit Fragen der CO2 -Minderung befasst.
Aber ich sage auch dafür treten wir ja gemeinsam in Brüssel ein: Das muss technisch machbar sein, das darf zum Schluss nicht dazu führen, dass wir in Europa in einen unfairen Wettbewerb kommen und dass es dann in Deutschland oder in Europa keine Arbeitsplätze mehr gibt. Vielmehr muss das so gemacht werden, dass europäische Arbeitsplätze gesichert werden, kein Werk ausgegrenzt wird, kein Produkttyp ausgegrenzt wird, sondern dass wir gemeinsam an diesem Ziel arbeiten, aber nicht mit Höchstpreisen, sondern auf dem besten und optimalen Weg. Darum kämpfen wir und dafür werden wir uns auch in Brüssel einsetzen.
Deshalb müssen für alle Fahrzeuge für große genauso wie für kleine Anstrengungen unternommen werden. Volkswagen hat mit einer Vielzahl von Produkten bereits gezeigt, dass Sie sich diesen Herausforderungen technischer Innovationen stellen.
Jetzt gibt es interessante Entwicklungen gerade auch im Bereich des Elektroautos. Es gibt eine Vielzahl von Kooperationen. Der gemeinsame Flottenversuch von E. ON und Volkswagen zeigt, dass Sie sich diesen Herausforderungen stellen. Ich glaube, für die Elektromobilität sprechen viele gute Gründe. Das wird kein Mobilitätswandel auf einmal sein, aber es wird ein Zukunftsfeld sein, auf das wir uns zubewegen. Die Bundesregierung wird sich deshalb auch mit dem Thema der Elektromobilität beschäftigen und der Bundesumweltminister wird auch insoweit mit Volkswagen gemeinsame Versuche und Pilotprojekte unternehmen.
Meine Damen und Herren, ich will auch darauf hinweisen, dass wir beim Designschutz genauso zusammenarbeiten, wie Sie das bereits gesagt haben. Hier geht es wieder um eine grundsätzliche Frage der Globalisierung: Inwieweit sollen wir geistiges Eigentum, Entwicklungskraft schützen oder inwieweit soll dieser Schutz abgebaut und dann auch wirklich Nachbau möglich werden? Ich kann nur sagen: Wenn wir an hochtechnologischen Produkten arbeiten wollen, dann muss es ein Verständnis und auch eine Achtung dafür geben, wie viel Entwicklungsleistung z. B. in einem Autoteil steckt. Das gilt genauso für Medikamente oder andere Dinge. Das darf nicht einfach kopiert werden und die Kopien dürfen dann nicht sofort in vollem Umfang eingesetzt werden. Deshalb ziehen wir hier auch gemeinsam an einem Strang.
Meine Damen und Herren, wir sind seitens der Bundesregierung darum bemüht, Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen Arbeitsplätze in Deutschland gehalten werden und entstehen können. Wir sagen, wenn wir an die Zukunft denken: Wir müssen aufhören, auf Pump zu leben. Wir müssen es schaffen, dass wir unsere Zukunft nicht durch Zinszahlungen für gemachte Schulden verspielen, sondern dass wir in Forschung und Entwicklung investieren können.
Wir sagen: Wir brauchen eine Familienpolitik, die die Familie in den Mittelpunkt stellt. Wir sagen: Wir müssen in Bildung investieren. Die Bundesrepublik muss eine Bildungsrepublik werden. Hierzu werden unglaublich viele Anstrengungen vor Ort, in den Ländern und natürlich auch beim Bund unternommen. Wir wollen Durchlässigkeit im Bildungssystem ermöglichen, damit jeder eine Chance für den Einstieg in den Aufstieg hat.
Aber all das können wir nur schaffen, wenn wir motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich diesem Projekt Deutschland genauso verpflichtet fühlen wie jene, die die politischen Entscheidungen zu fällen haben.
Meine heutige Anwesenheit hier ist für mich dabei auch eine wirkliche Unterstützung, weil ich mit dem Gefühl nach Hause fahren werde, dass Sie, die Sie hier beschäftigt sind, und die vielen Beschäftigten an anderen Standorten von Volkswagen wollen, dass es unserem Land gut geht. Damit wir das gemeinsam schaffen, müssen wir dafür sorgen, dass es faire Spielregeln und Regeln zum Wirtschaften gibt.
Meine Damen und Herren, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ich kann mich in die internen Diskussionen von Volkswagen nicht einmischen und will das auch nicht tun. Ich könnte bitte ohne, dass anwesende Baden-Württemberger beleidigt sind nur noch hinzufügen: Die Baden-Württemberger können alles außer Hochdeutsch; Sie hier können auch alles und noch Hochdeutsch dazu. Deshalb bin ich besonders gern heute hier in Wolfsburg.
Herzlichen Dank.