Redner(in): Angela Merkel
Datum: 21.10.2008

Untertitel: anlässlich der Veranstaltung "Ehrenamtliches Engagement in der Entwicklungspolitik durch Nichtregierungsorganisationen"
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-10-21-merkel-ehrenamt,layoutVariant=Druckansicht.html


Die Veranstaltung über die Frage des Ehrenamtes in der Entwicklungshilfe hätte eigentlich fast gar nicht besser terminiert werden können. Denn die Dringlichkeit der Arbeit ist, wie ich glaube, in den letzten Monaten noch einmal erheblich gewachsen.

Die Nachrichten über die Finanzkrise sind Nachrichten, die uns natürlich bewegen, die viele, viele Fragen bei den Menschen in unserem Land aufwerfen. Die Folgewirkungen für die Bereiche, in denen Entwicklungshilfe tätig ist, sind natürlich zum großen Teil noch gar nicht so breit in den Blick genommen worden. Das, was sich sowohl durch die Verteuerung von Nahrungsmitteln und durch abnehmendes Wachstum ergeben könnte für die Länder, die gerade ein Stück weit auf dem Weg waren, ihre wirtschaftliche Situation und damit auch die Lebenssituation der Menschen zu verbessern, ist für uns noch gar nicht abzusehen.

Natürlich ist es in Zeiten, in denen die Beschäftigung mit den eigenen Sorgen sehr ausgeprägt ist, eher schwieriger davon wissen Sie wahrscheinlich besser als ich ein Lied zu singen, Menschen dafür zu begeistern, anderen Menschen zu helfen. Deshalb soll diese Veranstaltung ein Zeichen dafür sein, dass wir hinschauen und uns jetzt nicht abwenden und wegschauen, sondern gemeinsam dafür eintreten, dass der Blick über den eigenen Tellerrand auch als Grundlage unseres friedlichen und guten Zusammenlebens verstanden wird. Denn Globalisierung heißt ja auch nichts anderes, als dass jeder für jeden erreichbar ist und deshalb Hilfe zur Selbsthilfe auch vor Ort geleistet werden muss.

Ich möchte meinem Bundestagskollegen Hans-Joachim Fuchtel ganz herzlich danken. Er hatte die Initiative zu diesem heutigen Treffen ergriffen und das, wie gesagt, mit einem guten Gespür, wie er es auch überhaupt im ehrenamtlichen Bereich hat, für den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Themen.

Wir haben ja das bürgerschaftliche Engagement in unserem Land immer so verstanden, dass es ein Ausdruck von Freiheit ist, sich in den vielfältigen Bereichen engagieren zu können. Und ich werde nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Freiheit ja nicht Freiheit von etwas ist, sondern Freiheit zu etwas: sich zu engagieren, Ideen zu haben, Überlegungen einzubringen und sich zu rühren und voranzuschreiten. Und ich möchte allen, die ehrenamtlich tätig sind das sage ich in den verschiedenen anderen ehrenamtlichen Bereichen auch immer, ein herzliches Dankeschön sagen.

Es gibt ja heute manchmal in unserer Gesellschaft die Mentalität, vorm Fernseher zu sitzen, sich Berichte anzuschauen, meist etwas kritisch eingefärbt, und zu fragen: Ja, was sind das alles für Leute? Warum haben sie an dieses oder jenes nicht gedacht? Der erste Schritt zu einer ehrenamtlichen Betätigung ist aber erst einmal, dass ich mich dazu entscheide und damit auch Mut zur Lücke beweise. Ich trete heraus aus der Gruppe der Betrachter von allem und jedem, die gut zu wissen meinen, wie man den Ball beim Fußball ins Tor bekommt und gleichzeitig besser Entwicklungshilfe macht, gegen die Korruption antritt und so weiter, und trete hinein in eine Gruppe, die sich tatsächlich engagiert, auch wenn es mit all den Möglichkeiten verbunden ist, vielleicht auch einmal etwas Unzulängliches zu machen, auch einmal einen Fehler zu machen, sich auch den Vorwurf machen zu lassen, dass man an der falschen Stelle zugegriffen hat, weil das Elend vielleicht woanders noch größer war.

Dennoch diesen Schritt zu wagen, ist eigentlich immer sehr bewundernswert, wofür wir einfach Danke sagen sollten dafür, dass Menschen bei einem konkreten Projekt auch sogar bis an ihre eigenen Grenzen gehen und sagen: Ich tue, was ich kann, und entscheide mich damit aber auch dafür, anderes nicht zu tun. Das ist für mich gelebte Freiheit, Freiheit zu etwas.

Es gibt natürlich viele, viele Möglichkeiten, sich zu engagieren z. B. das Engagement in Kirchengemeinden zugunsten von Krisenregionen. Ärzte, Fachkräfte und Helfer verbringen zum Teil ihren Urlaub oder ihre Freizeit dort, wo Hilfe nötig ist. Es werden Tagungen, Informationsveranstaltungen zur Entwicklungshilfe durchgeführt. Es werden Spenden gesammelt. Es gibt also ein breites zivilgesellschaftliches Angebot unserer Entwicklungshilfe.

Der Ansatz für öffentliche Entwicklungshilfe in unserem Haushaltsentwurf 2009 ist um 2, 5Milliarden Euro höher als zu Beginn unserer Regierungstätigkeit. Wir wissen, dass wir damit noch nicht alles geschafft haben, was wir international auch in Aussicht gestellt haben. Wenn ich mich aber unter meinen Kollegen international umgucke, dann darf ich allerdings auch sagen, dass wir uns im Augenblick ganz gut sehen lassen können. Das heißt nicht, dass wir nicht noch besser werden können. Aber immerhin waren wir im letzten Jahr nach den Vereinigten Staaten weltweit der zweitgrößte staatliche Geber von Entwicklungshilfe.

Die Entwicklungshilfe Deutschlands, das darf man auch sagen, ist auch dank Ihrer Tätigkeit weltweit sehr geschätzt. Wir wissen, dass Sie an Orte und zu Menschen gehen, die in Krisen- und Notsituationen sind, dass durch Sie immer wieder neue Ideen und Herangehensweisen geboren werden und damit auch Begeisterung für Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort wirklich möglich wird.

Wir haben in der Entwicklungshilfe sicherlich eine Diskussion zu führen, in der wir hinterfragen, wie wir eigentlich das freiheitliche bürgerschaftliche Engagement mit Zielen zusammenführen, die wir international eingehen. Wir haben die Millenniumsentwicklungsziele, die uns ganz klare Vorgaben geben, worauf man sich auch in der Entwicklungsarbeit zu konzentrieren hat ob das nun die Verringerung der Sterblichkeit von Müttern bei der Geburt ist, ob das nun die Frage der Bildungsabschlüsse ist.

Und manchmal frage ich mich, wie kriegen wir eigentlich das breite zivilgesellschaftliche Engagement in vielen Ländern so gebündelt, dass zum Schluss das herauskommt, was wir auf internationaler Bühne versprechen. Vergessen wir vielleicht manche Länder, wie organisieren wir die Zusammenarbeit, wie soll sich europäische Entwicklungszusammenarbeit aufstellen? Ich glaube, es gibt noch viele, viele Fragen zur Entwicklungszusammenarbeit der Zukunft miteinander zu klären. Aber der heutige Tag soll einfach auch dazu dienen, dass Sie ein Stück weit aus Ihrer Arbeit berichten, damit auch wir etwas erfahren, lernen und besser einschätzen können.

Ich möchte Ihnen zwei Botschaften mitgeben. Erstens: Wir nehmen Ihre Arbeit nicht nur wahr, sondern wir glauben, dass sie vorbildhaft für Vieles in unserer Gesellschaft ist. Dazu wollen wir nachher noch einiges aus der praktischen Arbeit hören. Und zweitens will ich in Richtung Medienvertreter sagen wobei ich mich zunächst bei Phoenix dafür bedanke, dass Sie jetzt und bei den Berichten von den einzelnen ausgesuchten Teilnehmern hier noch dabei sind: Es wäre nicht schlecht, wenn neben allem, was berichtet wird, auch über die Arbeit derer, die sich außerhalb unseres Landes im Bereich der Entwicklungshilfe engagieren, häufiger, umfassender und so berichtet wird, dass auch andere Lust bekommen, sich an dieser Arbeit mit zu beteiligen.

Dankeschön nochmal, dass Sie heute hierher zu uns gekommen sind. Ich weiß das sehr zu schätzen. Wir haben eine gute Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Manchmal wird ja nur über Hickhack in der großen Koalition berichtet, der sich aber beim Thema Entwicklungshilfe in Grenzen hält. Ich glaube, das ist auch für die Menschen, um die es geht, sehr angemessen.

Ich darf jetzt darum bitten, dass die sechs Redner, die wir uns ausgesucht haben, aus ihren Projekten berichten. Das sind Karlheinz Böhm für die Äthiopienhilfe, Oskar Prinz von Preußen für die Johanniter, Herr Schön für das Deutsche Rote Kreuz, Hans-Joachim Fuchtel für die Helfenden Hände, Herr Prof. Sayer, wie könnte es anders sein, für Misereor, und Prof. Christa Randzio-Plath für VENRO. Der erste, der das Wort hat, ist Herr Böhm.