Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 07.11.2008

Untertitel: am 7. November 2008 in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/11/2008-11-07-chefbk-bt,layoutVariant=Druckansicht.html


Im Namen der Bundeskanzlerin und des gesamten Kabinetts spreche ich Ihnen, Herr Präsident, die besten Wünsche zum Amtsantritt als Präsident des Bundesrates aus.

Ich bin für Ihre klaren Worte zur Würdigung des Föderalismus dankbar. Der Bund stellt keine Zuständigkeiten in Frage, es sei denn, dass wir deren Änderung gemeinsam im Rahmen der Föderalismusreform vereinbarten. Dazu gehört dann allerdings auch die kraftvolle Wahrnehmung der je eigenen Zuständigkeit, nicht die Zuweisung der Verantwortung an die je andere Ebene, wenn es gerade passt.

Bei politischen Wortmeldungen sollten wir gegenseitig nicht so empfindlich sein. Wenn sich ein Ministerpräsident oder ein Landesminister zu Bundesthemen äußert, etwa dazu, ob es richtig sei, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist, zu den Diäten der Bundestagsabgeordneten oder zu anderen Fragen in der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, dann ist dies ein politischer Wortbeitrag, der in einer Republik selbstverständlich diskutiert werden kann, und kein Übergriff auf fremde Zuständigkeiten. Wenn umgekehrt ein Bundesminister einen politischen Wortbeitrag zu einem Zuständigkeitsbereich der Länder leistet, dann ist dies ebenso eine politische Wortmeldung, die politisch diskutiert werden kann, und kein Übergriff auf Länderzuständigkeiten. Ich empfehle also bei diesen Fragen mehr Gelassenheit anstelle von Ängstlichkeit.

Für die gute Zusammenarbeit danke ich Ihnen allen sehr herzlich. Einen besonderen Dank sage ich dem scheidenden Präsidenten des Bundesrates, Herrn von Beust, für seine Amtsführung.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, das beherrschende wirtschaftspolitische Thema dieser Tage ist nach wie vor die Finanzkrise. Es ist eine Krise, die unsere Generation in dieser Form noch nicht erlebt hat. Allerdings mahne ich von dieser Stelle auch an, nicht in superlativen Alarmismus zu verfallen. Niemand kann die Wirkungen in ihrer Tiefe vorhersagen, obwohl alle es tun. Damit es besonders wirksam ist, werden Vokabeln verwandt, die besonders besorgniserregend wirken oder jedenfalls den jeweiligen Autor als sehr sachkundig darstellen sollen, ohne dass bedacht würde, welche Wirkung das auf die Bevölkerung hat. Ja, es ist eine schwierige Lage, und wir wissen nicht, wie schwierig sie noch werden wird.

Es handelt sich vor allem um eine grundlegende Vertrauenskrise. Der Staat musste Vertrauen ersetzen, das im Finanzsystem verspielt worden war. Dass dies gelungen ist, stärkt die Aufgabe, aber auch die Verantwortung der politischen Führung. Auf Dauer aber kann ein Staat nicht nur vom Vertrauen in den Staat leben. Vertrauen ist und bleibt zuallererst eine persönliche, eine zivile, eine zivilrechtliche Kategorie.

Die Bundesregierung hat zügig und in enger Abstimmung mit den europäischen und internationalen Partnern ein Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte geschnürt. Es ist dann innerhalb einer Woche gelungen, das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen. Dass dies möglich war, sagt viel über die Funktionsfähigkeit dieses Staates und seiner Verfassungsorgane aus. Den Mitgliedern auch dieses Hauses spreche ich wie zuvor schon Herr Müller in seiner Antrittsrede den Dank der Bundesregierung für ihre Unterstützung aus.

Zweifelsohne hat das Paket finanzielle Risiken und Belastungen des Staates zur Folge, die nicht unwesentlich sind. Nicht zu handeln wäre aber mit noch größeren Risiken verbunden gewesen: nicht nur für die Finanzinstitute, sondern vor allem für Unternehmen, insbesondere für den Mittelstand, aber auch für institutionelle Anleger, nicht zuletzt für öffentliche institutionelle Anleger. Eine solche gewaltige staatliche Intervention muss allerdings in einer sozialen Marktwirtschaft die Ausnahme

und darüber hinaus zeitlich begrenzt bleiben. Ich erwarte von allen potenziellen Antragstellern, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Die kommentierenden Wissenschaftler bitte ich im Übrigen um etwas weniger Unfehlbarkeitsrhetorik.

Damit wieder Vertrauen entsteht wir haben in den letzten Wochen die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Kredit wieder erfahren, sind entscheidende Änderungen in der Finanzmarktregulierung notwendig. Die Finanzmarktregulierung hat nicht mit dem enormen Tempo der Entwicklung von Finanzinnovationen Schritt gehalten. Wir haben in weniger wichtigen Bereichen zu viel und in manchen sehr wichtigen Bereichen offenbar zu wenig geregelt.

Unstrittig ist, dass wir mehr Transparenz schaffen und globale Regulierungsstandards verbessern müssen. Ferner müssen wir die grenzüberschreitende Bankenaufsicht effektiver gestalten und ein globales Finanzwarnsystem errichten. Dazu gehört nach unserer Auffassung auch eine Stärkung des Internationalen Währungsfonds als Wächter über die Stabilität des weltweiten Finanzsystems. Auf dem Weltfinanzgipfel am 15. November in Washington wird die Arbeit an dieser neuen Finanzmarktverfassung beginnen. Die G-20 -Staaten werden dort erste Reformschritte beschließen und die Linien des weiteren Vorgehens festlegen. Es ist wichtig, auf diesem Gipfeltreffen mit einer abgestimmten europäischen Position aufzutreten. Diesem Zweck dient das heutige Treffen der EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, längst ist die Finanzkrise nicht mehr auf den Finanzsektor beschränkt, sondern betrifft in weit größerem Ausmaß die Weltwirtschaft insgesamt. Deutschland als stark vom Export abhängiges Land wird hiervon sicherlich nicht verschont bleiben. Andererseits wiederhole ich heute das, was die Bundeskanzlerin zu Beginn dieser Woche sagte: Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor stark stärker als manche andere und im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt. Infolge der Anstrengungen der Unternehmen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Strukturreformen der letzten Jahre stehen wir heute deutlich besser da als vor drei Jahren. Wir haben daher vergleichsweise bessere Chancen als andere, die Folgen der weltweiten Krise abzufangen. Die EU-Kommission hat dies in ihrer Herbstprognose Anfang dieser Woche übrigens bestätigt.

Gleichwohl ist auch die deutsche Politik gefordert, durch gezieltes Handeln die Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf Wachstum und Beschäftigung möglichst gering zu halten und Arbeitsplätze zu sichern. Die Bundesregierung hat darauf mit einem doppelten Ansatz reagiert: Sie stärkt die Kaufkraft der Bürger und gibt gezielte Impulse für mehr private und staatliche Investitionen. Mit dem Maßnahmenpaket zur Senkung der steuerlichen Belastung, der Stabilisierung der Sozialversicherungsausgaben und Investitionen in Familie hat sie am 7. Oktober einen Entlastungsrahmen von insgesamt 15 Milliarden Euro beschlossen. Darüber hinaus hat die Bundesregierung vorgestern ein Maßnahmenpaket mit gezielten Investitionsimpulsen für von der Finanzkrise besonders betroffene Wirtschaftsbereiche beschlossen. Ich zähle die Maßnahmen jetzt hier nicht im Einzelnen auf; sie reichen von der Kfz-Steuerbefreiung bis hin zur Absetzbarkeit von Handwerkerdienstleistungen.

Mit all diesen Maßnahmen schaffen wir Perspektiven für Arbeitnehmer, Betriebe und die Wirtschaft insgesamt. Dafür brauchen wir die Mithilfe des Bundesrates. Ich bitte Sie daher, die erforderlichen gesetzlichen Regelungen, die am 12. November im Kabinett auf den Weg gebracht werden sollen, konstruktiv und zügig zu beraten, damit sich der konjunkturelle Impuls so schnell wie möglich entfalten kann.

Herr Präsident, Sie haben es soeben deutlich gesagt: Wir sind verpflichtet, die Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu ordnen. Das ist der Auftrag für die Föderalismusreform II. Die vier Arbeitsgruppen haben ihre Abschlussberichte vorgelegt, und wir wissen, dass die Zeit für eine politische Einigung drängt. Ich bin zuversichtlich, dass die Kommission zu den wichtigen Themen eine umsetzbare Einigung finden kann. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass manche die Einigungschancen insbesondere im Hinblick auf die Schuldenregel und das Haushaltsüberwachungsverfahren vor dem Hintergrund der aktuellen Lage kritischer als vorher beurteilen. Wir sollten aber die große Chance auf eine Einigung nicht leichtfertig verstreichen lassen.

Natürlich ist eine neue Schuldenregel nur dann akzeptabel, wenn ihre Wirkung auf Dauer deutlich strenger ist als die der geltenden Regel des Arti-kels115 Grundgesetz. Zu Recht gehört zu einem Einigungspaket auch eine Regelung über Konsolidierungshilfen. Diese haben aber nur dann Sinn, wenn sie ebenfalls mit strengen Schuldenregeln verknüpft werden.

Ob wir auch bei den Steuer- und Verwaltungsthemen zu einer Einigung kommen, wird man sehen. Mein Eindruck ist, dass die Verhandlungen zu verschiedenen dieser Themen schon sehr weit gediehen sind. Ich darf daher an uns alle appellieren, jetzt konzentriert und konstruktiv an einer raschen Einigung mitzuwirken.

Herr Präsident, Sie haben es eingangs erwähnt: Ihr Amtsjahr fällt zusammen mit dem Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und dem Jahrestag der friedlichen Revolution in Ostdeutschland auf dem Weg zur Vereinigung Deutschlands. Das sind zwei Meilensteine, die unser Selbstverständnis als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat und unser Zusammenleben in Freiheit und Einheit geprägt haben.

Freiheit und Einheit unter diesem Leitgedanken der Feierlichkeiten werden wir im kommenden Jahr die Gelegenheit haben, uns im Rückblick auf 60Jahre eines zunächst geteilten und seit nunmehr 20 Jahren wiedervereinten Deutschlands der Grundlagen unseres Zusammenlebens zu versichern.

Dazu gehört ein Stil des Umgangs miteinander zwischen den Verfassungsorganen genauso wie zwischen den Parteien, der respektvoll, sachorientiert und am Wohle des Ganzen orientiert ist. Streit und Konflikt sind Teil von Demokratie. Aber sie müssen stilvoll und ergebnisorientiert ausgetragen werden. Darum sollten wir alle uns bemühen, gerade im Vorfeld der im nächsten Jahr anstehenden Wahlen in den Ländern und im Bund.

Herr Präsident, in diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Amtszeit und uns allen eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Für die gesamte Bundesregierung sage ich Ihnen dies gerne zu.