Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 17.11.2008

Untertitel: Bei der Übergabe der letzen sechs Glasfenster für die Marienkirche in Frankfurt/Oder würdigteKulturstaatsminister Bernd Neumann die große Bedeutung der Glasmalereien für die gesamte deutsche Kunst- und Kulturgeschichte. Zugleich wertete er die Rückkehrder letztenFensterfelderals Ermutigung, weiter für die Rückgabe kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter einzutreten.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/11/2008-11-17-rede-neumann-marienfenster,layoutVariant=Druckansicht.html


dies ist ein besonderer Tag. Nach intensiven Verhandlungen mit der russischen Regierung ist es uns gelungen, die fehlenden sechs Fenster der Marienkirche zurück nach Hause zu holen. Damit kann ein einzigartiges Gesamtkunstwerk aus der Zeit der Hochgotik wiederhergestellt werden. Für die kulturelle Identität der Region Frankfurt / Oder ist diese Rückgabe von großer Symbolkraft. Wegen ihres Alters, ihres Umfanges und der Qualität sind die Glasmalereien auch von großer Bedeutung für die gesamte deutsche Kunst- und Kulturgeschichte.

Wir können die schrecklichen Wunden, die der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg auf russischer und auf deutscher Seite geschlagen hat, nicht ungeschehen machen. Aber wenn jetzt endlich, nach 67 Jahren, die letzten der 117 Marienfenster wieder an ihren angestammten Ort zurückkehren, so ist dies doch ein weiteres Zeichen der Versöhnung und der Freundschaft zwischen unseren Völkern, zwischen Deutschland und Russland. Diese Rückgabe macht uns zuversichtlich, dass trotz aller Probleme bei gutem Willen beider Seiten Fortschritte möglich sind - wenn auch nur in kleinen Schritten. Ich möchte der russischen Regierung, die heute durch Herrn Botschafter Kotenev vertreten ist, dafür danken, dass Sie diese Rückgabe ermöglicht hat.

Aller guten Dinge sind in diesem Fall zwei: Im Jahre 2002 haben Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, schon einmal gefeiert, als die ersten 111 kriegsbedingt verschollenen Fenster von der russischen Regierung zurückgegeben wurden. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir alle noch nichts über den Verbleib der restlichen sechs Fensterfelder mit den wertvollen biblischen Motiven und gingen davon aus, dass diese einzigartigen Kunstwerke in den Kriegswirren vernichtet wurden. Umso größer war die Freude, als 2005 bekannt wurde, dass sich die sechs Fensterfelder seit 60 Jahren im Moskauer Puschkin-Museum befanden. Über drei Jahre hat die Bundesregierung nun mit Russland über die Rückgabe verhandelt.

Ich selbst habe das Thema mit meinem russischen Kollegen Sokolov anlässlich der Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen im April 2006 und erneut im Oktober 2007 erörtert. Auch mit meinem neuen Kollegen, dem russischen Kulturminister Avdeev, konnte ich im Oktober dieses Jahres in St. Petersburg über die noch fehlenden Fenster sprechen.

Nun sind sie zurück und das Gesamtkunstwerk Marienkirche, zu dessen Erhaltung der Bund in den vergangenen Jahren über 2 Millionen Euro beigesteuert hat, ist wieder vollständig!

Die Rückkehr auch der letzten sechs Fensterfelder werte ich als Ermutigung, weiter für die Rückgabe kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter einzutreten. Denn es bleibt eine unumstößliche Wahrheit, dass das kulturelle Erbe einer Nation ein überaus wichtiger Teil ihrer Identität ist. Das Völkerrecht legt darum unmissverständlich fest, dass in Kriegen Kulturgüter einen Sonderstatus besitzen und nicht als Reparation vereinnahmt werden dürfen. Dies bleibt auch die Linie der Bundesregierung.

Seit längerem sind wir mit Russland in Gesprächen über 4 weitere Rückgabekomplexe, zu denen gemeinsame Arbeitsgruppen eingesetzt wurden. Diese umfassen die Themen Baldin - Sammlung, Silbersammlung Sachsen-Anhalt, Hardenbergbibliothek und Archive. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie sie sich in anderen Bereichen mit Russland entwickelt hat, lässt hoffen, dass es hier wie in anderen Fällen weitere positive Entwicklungen geben kann. Erfolge wie die wunderbare Wiederherstellung des national bedeutsamen Kulturdenkmals Marienkirche in Frankfurt / Oder zeigen uns, wie lohnend diese Anstrengungen sind.

Ich wünsche nun den Restauratoren gutes Geschick bei ihrer verantwortungsvollen Arbeit und freue mich, in absehbarer Zeit die Marienkirche mit allen 117 Fenstern, die in eindrucksvoller Weise die biblische Geschichte schildern, bewundern zu können.