Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 25.11.2008

Untertitel: Bei der Festveranstaltung zum 10-jährigen Bestehen der DEFA-Stiftung im Berliner Kino Babylon hob Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Bedeutung des audiovisuellen Erbes hervor. Essei daher eine wichtige Aufgabe der Filmarchive, die deutsche Filmproduktion möglichst umfassend zu archivieren.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/11/2008-11-26-rede-neumann-defa,layoutVariant=Druckansicht.html


es war eine wichtige und richtungweisende Entscheidung, vor zehn Jahren hier in Berlin die DEFA-Stiftung zu gründen. Sie pflegt einen wichtigen Teil unseres filmhistorischen Erbes: In Ihren Archiven befinden sich 950 Spielfilme, 820 Animationsfilme und mehr als 5.200 Dokumentarfilme und Wochenschauen, die in der SBZ und dann in der DDR in den Studios der Deutschen Film- A. G. gedreht wurden. Es ist bekannt, dass mir der Film sehr am Herzen liegt - und dazu gehört unbedingt auch die Erhaltung des filmischen Erbes. Wichtig ist, dass die Bewahrung nicht nur konservatorischen Auflagen genügt, sondern auch Impulse in unsere überaus lebendige Filmszene gibt.

Unter diesem Gesichtspunkt war es eine kluge Entscheidung, dass die DEFA-Stiftung auch die gegenwärtige deutsche Filmkunst fördert. Zahlreiche Autorinnen und Autoren, Regisseurinnen und Regisseure, gerade auch jüngere, haben davon profitiert. Denn die DEFA-Stiftung vergibt gut dotierte Preise, und das nicht nur einmal im Jahr, sondern regelmäßig auf internationalen und nationalen Festivals. Viele Künstler, die das Gesicht des neuen deutschen Films prägen, haben schon Förderungen und Stipendien erhalten, ich denke nur an Andreas Dresen, Fatih Akin, Valeska Grisebach und Christian Petzold. Durch diese Prämiierungen bleibt der Name DEFA positiv im Gespräch. Allen Preisträgern des heutigen Abends gratuliere ich schon jetzt ganz herzlich!

Manchmal suchen die Jüngeren in den alten Filmen sogar nach thematischen Anknüpfungspunkten und ästhetischen Reibungsflächen. Das kann durchaus produktiv sein. Denn der Begriff DEFA lässt sich ja nicht allein darauf reduzieren, dass es sich um die Staatsfirma eines politisch doktrinären Systems handelt. Sicher: Die DEFA war eng an die DDR gebunden, ist mit ihr entstanden und mit ihr vergangen. Und all jene, die in der DDR offiziell Filme drehen wollten, befanden sich am Gängelband der Politik. Manche Filmemacher waren sich einig mit dieser Politik und zeigten sich auch in ihren Werken konform mit den Verhältnissen. Andere passten sich an. Aber es würde zu kurz greifen, interpretierte man heute die Gesamtheit der Filme ausschließlich als Frucht von Parteibeschlüssen, als Propaganda unter dem Deckmantel der Kunst. Einige DEFA-Produktionen waren viel mehr als das. Sie erhoben den künstlerischen Anspruch, die Welt auf subjektive Weise zu sehen und zu interpretieren. Dabei erwiesen sie sich als kritisch, machten keinen Bogen um die Konflikte der Wirklichkeit.

Filme wie "Spur der Steine", der allerdings in der DDR 23 Jahre nicht gezeigt werden durfte, und "Solo Sunny" sind ins filmhistorische Gedächtnis ganz Deutschlands eingegangen. Die DEFA-Stiftung und ihre Partner, darunter der Progress Film-Verleih und Icestorm Entertainment, tragen durch ihre Arbeit dazu bei, dass auch andere wichtige Filme ihren Platz in diesem Gedächtnis finden: Filme wie "Das Fahrrad" und "Dein unbekannter Bruder","Der Dritte" und "Insel der Schwäne","Rangierer" und "Einmart". Hier wie in anderen Arbeiten, so von den Regisseuren Rainer Simon oder Roland Gräf, die vor zehn Jahren zu den Gründungsratsmitgliedern der DEFA-Stiftung gehörten, wurden Fragen gestellt, die das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft und zur Macht beleuchten.

In jeder Generation wuchsen Künstler nach, die danach strebten, die Realität poetisch zu verdichten, wie Heiner Carow in der "Legende von Paul und Paula". Die wunderbar subversive ske "Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow" sprengte politische und ästhetische Grenzen. DEFA-Filme, nicht nur der legendäre "Untertan" von Wolfgang Staudte und der historisch erhellende "Fall Gleiwitz" von Gerhard Klein, Wolfgang Kohlhaase und Günther Rücker, forschten nach deutscher Schuld und Sühne. Es entstanden herausragende Dokumentar- und Trickfilme. Auch der Kinder- und Märchenfilm hatte ein beachtliches Niveau.

Das alles ist nicht schlechthin ostdeutsche, sondern deutsche Filmgeschichte. Und ich betrachte es als eine der wesentlichen Aufgaben der Stiftung, gerade auch im Westen unseres Landes das Bewusstsein dafür zu wecken und wach zu halten.

Jeder DEFA-Film ist ein Spiegel der politischen und historischen Verhältnisse seiner Zeit. Auch als Zeitdokumente müssen sie für die Forschung erhalten werden. Die DEFA-Stiftung leistet mit ihren Jahrbüchern und den audiovisuellen Zeitzeugenarchiven einen wichtigen Beitrag zu einer ausgewogenen und auch spannenden Film- und Zeitgeschichtsschreibung.

Das audiovisuelle Erbe ist derzeit Gegenstand heftiger öffentlicher Diskussionen. Zu Recht. Unser Filmschatz ist von ungeheurem kulturellem Wert und es ist eine mühselige und kostspielige Puzzle-Arbeit, fehlende Teile wieder zusammen zu tragen. Und das Filmerbe ist immer wieder für Überraschungen gut, die unserer Sicht auf vermeintlich Altbekanntes verändert: Denken Sie nur an das in Buenos Aires aufgetauchte Filmmaterial von Fritz Langs "Metropolis" !

Es ist daher eine wichtige Aufgabe der Filmarchive, die deutsche Filmproduktion möglichst umfassend zu archivieren. In der Vergangenheit gab es große Lücken. Um ähnlich große Lücken in Zukunft zu vermeiden, besteht seit 2004 eine Hinterlegungspflicht für alle Film, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. Das ist ein wichtiger Schritt. Noch besser wäre freilich die Einführung einer generellen Hinterlegungspflicht. Das ist allerdings mit ungeheuren Kosten verbunden. Daher müssen wir alle möglichen Modelle der Umsetzung und Finanzierung gründlich prüfen.

In der DDR war die Pflichtabgabe der staatlichen Studios zum Nulltarif geregelt, und das Staatliche Filmarchiv bewahrte sämtliche DEFA-Arbeiten auf, sogar die Schnittmaterialien der meisten verbotenen Filme. Auf diese Weise sind fast hundert Prozent aller DEFA-Produktionen erhalten. Die DEFA-Stiftung ist damit, was ihr ureigenes Erbe betrifft, in einer vergleichsweise komfortablen Situation.

Das audiovisuelle Erbe ist mir aber auch jenseits der Hinterlegungsfrage ein zentrales Anliegen: Daher haben wir auf europäischer Ebene das Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes gezeichnet. Zudem beschreiten wir neue und außergewöhnliche Wege, indem wir für historische Ereignisse auch privates Bildmaterial in das Filmerbe mit einbeziehen. Im nächsten Jahr wir die Stiftung Deutsche Kinemathek aus Anlass des 20. Jahrestages des Mauerfalls eine Ausstellung "Wir waren so frei" zeigen.

Erstmals sind dort viele unveröffentlichte Fotos und Filmaufnahmen zur Wende zu sehen, die die Deutsche Kinemathek auch archivieren wird. Das wäre ohne unsere finanzielle Unterstützung nicht möglich.

Meine Damen und Herren!

All jenen, die in den letzten zehn Jahren dazu beigetragen haben, die DEFA-Stiftung aufzubauen und ihre Aufgaben zu erfüllen, vor allem dem Gründungsvorstand Wolfgang Klaue und dem jetzigen Helmut Morsbach, spreche ich meinen herzlichen Dank aus. Ich möchte Sie bestärken, Ihre Arbeit zur Bewahrung des Filmerbes und der Förderung der deutschen Filmkunst engagiert fortzuführen. Dazu wünsche ich Ihnen Glück und Erfolg.