Redner(in): Angela Merkel
Datum: 26.11.2008

Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Bundespräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Kabinett und aus dem Deutschen Bundestag, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/11/2008-11-26-merkel-laudatio,layoutVariant=Druckansicht.html


Exzellenzen und natürlich

lieber Norbert Lammert,

liebe Frau Lammert,

liebe Familie Lammert,

ich freue mich, dass wir heute hier sein können, um Ihnen oder besser gesagt: dir; wir können vielleicht auch nach 60 noch dabei bleiben in dieser illustren Runde von ganzem Herzen zum 60. Geburtstag zu gratulieren.

Ich habe zu der Ansprache von Herrn van Essen in Bezug auf die Opposition noch eine Anmerkung hinzuzufügen, die mir zugeraunt wurde und zumindest nicht auf Widerspruch stieß, aber ich will niemanden in Haftung nehmen. Als von den Roten die Rede war, haben die Grünen gesagt: "Das Heer ist auch nicht schlecht." Insofern sollten wir die "bunte" Bundeswehr nicht völlig vergessen.

Als Präsident des Deutschen Bundestages, lieber Norbert, nimmst ja im Allgemeinen du die Ehrungen vor und verteilst Geburtstagsglückwünsche. Aber heute ist es dein Tag dein Tag an einem Ort, der dir in den letzten Jahren zur politischen Heimat geworden ist. Die Zahl der Geburtstagsfeiern, die ich verfolge, sagt etwas über dein Leben aus. Gestern Abend zum Beispiel gab es auch eine interessante Veranstaltung, aber die Zahl und die Art der Anwesenden hier zeigt noch einmal, was du für Freunde hast, was du für Wegbegleiter hast.

Die ungarische Parlamentspräsidentin ist unter uns, was ein Indiz dafür ist, dass du dich für die Kontakte zu unseren europäischen und außereuropäischen Freunden auf der parlamentarischen Ebene ganz intensiv einsetzt etwas, was vielleicht nicht jeden Tag die Schlagzeilen bestimmt, aber was natürlich für das Selbstbewusstsein der Parlamente, für das gegenseitige Verständnis von außerordentlicher Wichtigkeit ist.

Ich glaube, dass das Selbstbewusstsein der Parlamente zum Beispiel auch durch den Lissabon-Vertrag noch einmal gestärkt wird, was aber auch bedeutet, dass die Parlamente sich füreinander interessieren müssen, damit sie einander besser verstehen und zum Beispiel dann auch bestimmte Rechte aus dem Lissabonner Vertrag selbstbewusst in Anspruch nehmen können.

Die Regierung, in deren Namen ich noch einmal Glückwünsche unsererseits überbringe, ist hier in einer solchen Mannschaftsstärke vertreten, dass man, glaube ich, sagen kann: Wir stehen fast stramm vor dem Deutschen Bundestag und seinem Präsidenten. Ich will mal sagen: Wir wissen, was sich gehört. Das wiederum spielt in unserer Regierungsarbeit doch immer eine große Rolle. Heute hat jemand von einer "überfüllten" Bundesratsbank in der Haushaltsdebatte gesprochen. Die Bundesregierungsbank ist jedenfalls zeitweise doch auch gut besetzt. Dass wir jetzt im Augenblick nicht so zahlreich vertreten sind, liegt daran, dass diese Feier hier gerade stattfindet.

Wenn man sich deinen Lebensweg anschaut, dann zeigt er seine Vielfältigkeit: Bochumer Stadtrat, Bundestagsabgeordneter seit wirklich beeindruckend vielen Jahren, Parlamentarischer Staatssekretär mit den Themen Bildung, Wirtschaft, Verkehr, Beauftragter für Luft- und Raumfahrt. Das sind nicht die Stationen von mehreren Politikern. Ich habe die Parteipositionen jetzt mal freundlicherweise weggelassen. Herr Thierse sprach ja schon von Strippenzieherfähigkeiten. Ich will dazu nichts weiter sagen. Es passiert zumindest mehr als in der Öffentlichkeit, Herr Thierse. Insofern war das mit dem Verborgenen gar nicht so schlecht. Damit war das Ruhrgebiet in der nordrhein-westfälischen CDU auch immer gut vertreten.

Jedenfalls: Norbert Lammert ist Spezialist und Generalist in einem. Er vertritt Positionen, aber er strebt auch immer nach einem Konsens. Norbert, du verstehst es, zuzuhören, unterschiedliche Interessen im Ganzen zu bündeln, meistens beginnend mit einer schneidenden Argumentation für eine Position, aber niemals so unverbindlich endend wie zwischendurch manchmal von mir erwartet, sondern immer irgendwie zum Positiven führend.

Diese Gabe, in Klarheit die Interessen vieler zu verbinden, hat dazu geführt, dass das Amt des Bundestagspräsidenten das Amt ist, das von dir aus meiner Sicht im Sinne des Parlaments in wunderbarer Weise ausgeübt wird. Das muss nicht in jeder Minute heißen, dass die Bundesregierung sich nicht auch ein klein bisschen herausgefordert fühlt. Aber als Abgeordnete sage ich: Danke für deine Arbeit.

Dadurch, dass du vieles von dem, was du anmahnst, mit einer gesunden Portion Humor verpackst, manchmal mit einer feinen Ironie, wird auch die Kritik manchmal sogar erträglich.

Norbert Lammert ist ernst und trotzdem ein fröhlicher Mensch. Des Häufigeren bist du in den Protokollen des Deutschen Bundestages, seitdem du Präsident bist, verbunden mit "Heiterkeit im ganzen Hause" zitiert. Das erleichtert uns manchen Morgen, auch manchen Mittag und manchen Abend. Schlagfertigkeit zeichnet dich aus.

Ich möchte sagen, dass ich beeindruckt war und du vielleicht die parlamentarische Rolle wie in keiner anderen Sitzung dargestellt hast, als wir über die Finanzmarktkrise beraten haben. Die Würde, mit der du von den einschneidenden Beschlüssen gesprochen hast, die uns noch einmal dazu gebracht hat, auch in der parlamentarischen Beratung uns bewusst zu sein, was wir den Menschen im Lande zumuten, was es bedeutet, wenn man plötzlich nicht von einer halben Milliarde oder einer Milliarde spricht, sondern von Hunderten, und die Aufmerksamkeit und auch die Ernsthaftigkeit, in der wir dann diese Debatte führen konnten, das war etwas, das, glaube ich, dem Deutschen Bundestag sehr, sehr gut angestanden hat und das, wie ich sagen würde, auch eine, wenn auch aus traurigem Anlass, Sternstunde des Parlaments war.

Meine Damen und Herren, wir leben in einer Gesellschaft, die sich in vielen Bereichen immer weiter fragmentiert, die in immer kleinere Gruppen zerfällt, in denen Menschen immer wieder neue Ideen haben, Interessen haben, und in der auch die Gefahr eines übersteigerten Individualismus gegeben ist. Deshalb kommt auf den Präsidenten des Deutschen Bundestages eine Aufgabe zu, die jenseits der Parteienüberzeugungen auch eine Gemeinsamkeit der Demokratie versinnbildlichen muss. Diese Aufgabe erfüllst du in einer bemerkenswerten Art und Weise. Und dafür möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen.

Wenn man fragt, was dich prägt, dann ist das von Wolfgang Thierse hier schon sehr klar beantwortet worden: Dich prägen eine tiefe Liebe zur Kultur, eine tiefe Kenntnis der Kultur und damit auch die Fähigkeit, das tägliche politische Geschehen in tiefere Zusammenhänge einzuordnen. Ein Zitat möchte ich hier nennen: "Wenn wir über Europa reden, reden wir im Kern über eine Idee. Und der Kern des Kerns dieser Idee ist Kultur." Das ist etwas, was dich prägt, was dir die Fähigkeit zur Toleranz gibt, was dir auch die Fähigkeit gibt, die täglichen irdischen Dinge einzuordnen.

Ich glaube, dass wir uns freuen können, dich auch im nächsten Jahr als Präsidenten zu haben, denn du gehst ja wohl nicht in Vorruhestand, wenn ich das richtig verstanden habe. Dann feiern wir nämlich "60Jahre Bundesrepublik" und den 20. Jahrestag des Mauerfalls.

Norbert Lammert selbst ist nur wenige Monate älter als die Bundesrepublik. Norbert Lammert hat in seiner Art und Weise diese Republik mitgeprägt. Er war immer offen für das, was wir aus den neuen Bundesländern wenn ich mich jetzt mal als eine frühere Ostdeutsche und heutige Mecklenburg-Vorpommerin outen darf einbringen wollten, er war immer offen für das, was dieses gemeinsame Deutschland heute ausmacht. Deshalb glaube ich: Du solltest uns mit deiner Bodenständigkeit, deiner Verwurzelung, deiner Schlagfertigkeit, deinem Humor und einer hoffentlich immer guten Gesundheit auch weiter durch das politische Leben des Bundestags führen.

Du hast einmal gesagt, du wärst gerne Orchesterdirigent geworden; das ist heute schon angeklungen. Die passive Form des Dirigenten-Nachvollziehens hast du jetzt ja stundenweise sozusagen verfügbar. Vergiss uns bitte nicht, aber spiel noch eine Weile die erste Geige im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch, alles Gute und auf gute Zusammenarbeit.