Redner(in): Angela Merkel
Datum: 10.12.2008
Untertitel: in Düsseldorf
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/12/2008-12-10-bk-neuberger-medaille,layoutVariant=Druckansicht.html
Sehr geehrter Herr Strauss, liebe Frau Knobloch, Herr Joffe, Frau Präsidentin des Landtages, Herr Ministerpräsident, lieber Jürgen Rüttgers, Herr Oberbürgermeister, lieber Herr Elbers, Herr Botschafter, meine Damen und Herren, die Sie alle heute hier in das Düsseldorfer Schauspielhaus gekommen sind, ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass diese Veranstaltung hier stattfindet. Ich möchte natürlich der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf für diese ehrenvolle Auszeichnung, die Sie mir heute zuteil werden lassen, in besonderer Weise danken. Lieber Herr Strauss, Sie haben sich eben sehr einfühlsam, wenn ich das so sagen darf, in meine Seele versetzt, wie es mir mit dem geteilten Deutschland und dem Ankommen in der Deutschen Einheit ergangen gewesen sein mag. Sie haben vom immerwährenden Vorhandensein eines Stücks Westdeutschlands durch die Verwandtschaft gesprochen, so unvollkommen die Vorstellung natürlich war. Ich muss sagen, dass mich das sehr berührt hat, denn wir beide haben uns darüber noch nie unterhalten. Dafür aber haben Sie das wunderbar getroffen. Ich möchte auch Ihnen, lieber Herr Joffe, für Ihre Worte danken. Denn es ist alles andere als selbstverständlich, dass sich ein Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit", der auch noch Senior Fellow von Stanford ist, zu einer solchen Laudatio bereit gefunden hat. Deshalb heute umso mehr meinen herzlichen Dank. Die Auszeichnung mit der Josef-Neuberger-Medaille bedeutet mir sehr viel. Ich verstehe sie vor allen Dingen als Ansporn vorneweg als Ansporn, gegen jegliche Form von Antisemitismus und Extremismus anzugehen. Das ist nicht einfach nur dahin gesagt, sondern ich glaube, das sollte unser Leben insgesamt leiten. Wir haben ein Grundgesetz. Dessen Artikel1 muss und soll von uns allen mit Inhalt gefüllt werden. In diesem Artikel1 heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Dieser Satz war die entscheidende Antwort auf die Schrecken, die Deutschland zuvor mit dem Zivilisationsbruch der Shoah begangen hat, die Antwort darauf, dass Menschen ermordet wurden, nur weil es sie gab, denen jede Würde als Individuum abgesprochen wurde. Natürlich ist es auch ein eher zufälliges Ergebnis unserer Terminplanungen, dass diese Feier gerade heute stattfindet. Ich glaube, wir können uns über diesen Zufall freuen und dürfen nicht vergessen, dass heute der 60. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen im Jahre 1948 ist. Damals, drei Jahre nach der Katastrophe der Shoah und des Zweiten Weltkriegs, war die erstmalige Verkündigung des internationalen Tages der Menschenrechte ein globales Zeichen, ein Zeichen grenzenloser Hoffnung, ein Zeichen, mit dem die Welt versucht hat, auch Lehren aus dem zu ziehen, was durch die Shoah an Schrecklichem passiert war. Die Völker erklärten, das Recht ist letztlich unbesiegbar nicht naiv in dem Sinne, dass es nicht erneut und immer wieder bedroht und verletzt werden könnte, sondern vielmehr als klares Zeichen der internationalen Staatengemeinschaft: Die Würde jedes einzelnen Menschen, der Schutz seiner Rechte sind in jedem Fall, an jedem Ort und zu jeder Zeit unaufhebbar. Dieser wahrhaft globalen Aufgabe der Wahrung und Förderung von Grundfreiheiten und Menschenrechten ist auch die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet. Aus dieser Aufgabe ergibt sich eine Konstante deutscher Außenpolitik: Es darf keinen Gegensatz zwischen Werten und Interessen geben. Auch das ist einfacher gesagt als gelebt. Doch Respekt von anderen bekommt nur, wer selbst Respekt vor den eigenen Werten und Interessen unter Beweis stellt. Meine Damen und Herren, wenn ich das noch einmal persönlich sagen darf: Wir alle haben erlebt, dass das Eintreten für Menschenrechte auch in unserem geteilten Land oft gar nicht so einfach war, wenn es zu einer echten individuellen Aktion kommen sollte. Wir haben es im östlichen Teil, in der früheren DDR, erlebt, wenn es darum ging, etwas mutig zu sagen, während sozusagen immer schon im Kopf die Konsequenzen mitliefen. Daraus wurde die DDR letztlich ein Land, in dem man zwischen den Zeilen besser lesen konnte als die Zeilen selbst. Aber auch, wenn man die Frage des Mutes an den westlichen Teil, an die alte Bundesrepublik gestellt hat: Wie war das denn, wenn man ein Buch geschmuggelt hat, wenn man vor den Grenzkontrollen Angst hatte, wenn man keine Lust hatte, viele Stunden zu warten? So sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen, was wir heute geschafft haben. Aber wir sollten auch immer wieder bereit sein, ein Stück Mut, ein Stück Ungewissheit in Kauf zu nehmen, wenn es um den Kampf um die Menschenrechte geht. Es erfordert eigene Leidenschaft. Meine Damen und Herren, auch heute werden wir natürlich sehr häufig auf die Probe gestellt, wenn wir uns weltweit umschauen sei es in unserer Haltung zu China, sei es mit Blick auf die schrecklichen Vergewaltigungen im Kongo oder sei es im Umgang mit der nuklearen Bedrohung durch den Iran. Niemand kann darüber hinwegsehen: Der Iran bedroht Israel, direkt und unmittelbar. Doch wir sollten und dürfen das nicht als Israels Privatproblem abtun. Im Gegenteil: Indem der Iran Israel bedroht, bedroht er auch uns, alle freien und demokratischen Völker der Welt. Er bedroht alle, die sich Israel in Werten und Interessen in Zeiten der Globalisierung verbunden fühlen. Wir lassen Israel nicht allein. Der Einsatz jeder Bundesregierung für die Sicherheit Israels ist Teil deutscher Staatsräson. Diese Staatsräson hat ihren Grund zum einen in der immerwährenden Verantwortung Deutschlands für die Shoah, zum anderen in den Werten und Interessen, die unsere beiden Länder heute und für die Zukunft teilen. Ich habe mich deshalb auch gefreut Herr Joffe hat das eben dargestellt, dass unsere beiden Länder in diesem Jahr, dem 60. Jahr der Gründung des Staates Israel, mit den ersten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen ein neues Kapitel ihrer Beziehungen aufschlagen konnten. Von nun an werden solche Regierungskonsultationen jährlich stattfinden. Die nächsten werden 2009 in Deutschland sein wieder zu einem 60. Geburtstag, und zwar dann zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, Josef Neuberger, der Namensgeber der mir verliehenen Medaille, hat am eigenen Leib zu spüren bekommen, was es bedeutet, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Er hat den Holocaust überlebt. Nach dem Grauen kehrte er nach Deutschland zurück. Er wagte in dem Land, das ihn verfolgte, einen Neuanfang. Er wirkte entscheidend daran mit, die den Deutschen mit dem Grundgesetz gegebenen Grundrechte zu stärken und in diesem Land zu sichern. Wir alle wissen: Das ist eine Aufgabe, die nie beendet ist. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat dürfen nie als selbstverständlich angenommen werden. Sie sind ein hohes Gut, das stets ich sage: täglich aufs Neue geschützt und verteidigt werden muss. Intoleranz und Willkür sind Ausdruck von Menschenverachtung und rütteln an den Grundfesten der Menschlichkeit. Eine werteorientierte Erziehung und die Bildung einer gewissenhaften inneren Haltung sind nach wie vor der beste Schutz vor Engstirnigkeit und menschenverachtender Verblendung. Ich sage ganz ausdrücklich: Hier bleibt viel zu tun. Schon im Kindesalter wird der Grundstock für Integration in die Gesellschaft und für Teilhabe, für gelebten Respekt vor den Mitmenschen gelegt. Augen und Ohren, also Sinne für Menschenrechte zu haben und sie zu verteidigen, das ist gelebte Zivilcourage. Sie kann natürlich nicht einfach staatlicherseits angeordnet werden. Sie ist Aufgabe der ganzen Zivilgesellschaft. Wir leben von Voraussetzungen, die wir selbst so nicht schaffen können, aber um die wir immer ringen müssen. Ich sage ganz ausdrücklich: Dies soll für den Staat keine Ausrede sein. Vorneweg stehen der Staat und seine Repräsentanten in der Pflicht. Deshalb unterstützen wir in zahlreichen Projekten die Stärkung von Zivilcourage. So versuchen wir etwa mit dem Programm,"Vielfalt tut gut: Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" genau hierfür einen Beitrag zu leisten. Hilfen zur Vorbeugung und Eindämmung rechtsextremistischer Auswüchse gibt es viele auf der Bundes- , der Länderebene und der kommunalen Ebene. Aber es kommt immer wieder zu rechtsextremistischen Auswüchsen. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen verstärken. Ich möchte auch das Programm "Xenos" erwähnen, das am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ansetzt. Wir wissen: Bessere berufliche Perspektiven helfen, soziale Ausgrenzung und Anfälligkeit für extremistische Denkweisen zu vermeiden. Ich sage allerdings auch: Soziale Schwierigkeiten dürfen nicht als Entschuldigung für Extremismus und Antisemitismus herhalten. Auch das ist sehr wichtig in der Diskussion. Wir wollen mit solchen Projekten vielen den Rücken stärken und unserer Gesellschaft ein menschliches Gesicht verleihen. Ohne ein solches menschliches Gesicht unserer Gesellschaft wäre unser Staat ein brüchiger Torso. So ist letztlich auch jeder Einzelne gefordert, immer wieder genau hinzuschauen und sich einzumischen, wenn grundlegende Werte eines gedeihlichen und friedlichen Zusammenlebens durch Worte oder Taten in Frage gestellt oder missachtet werden, wenn zum Beispiel die NPD in deutschen Landtagen und auf deutschen Straßen ihre Parolen verkündet. Ich glaube, wir sind es unserer Demokratie schuldig, dies nicht gleichgültig oder achselzuckend aufzunehmen, sondern zu widersprechen. Wir sind es den Opfern und den Überlebenden der Shoah schuldig. Wir sind es Menschen und Politikern wie Josef Neuberger schuldig, unsere Demokratie immer wieder gegen ihre Feinde zu verteidigen. Menschen und Politiker wie Josef Neuberger haben die Demokratie in Deutschland nach 1945 aufgebaut. Menschen und Politiker wie Josef Neuberger haben entscheidend dazu beigetragen, dass unser Land für Emigrierte und ihre Kinder wieder Heimat werden konnte oder blieb. Nur so konnte es gelingen, dass die vielen Zuwanderer aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion hier eine neue Heimat finden konnten. Ich weiß um die Herausforderungen, die damit für die Jüdische Gemeinde hier in Düsseldorf und für die jüdischen Gemeinden in Deutschland verbunden sind. Aber als wir eben den jungen Pianisten Jakov Zotov gehört haben, haben wir weniger an die Herausforderung, an die Arbeit, an das Engagement und daran gedacht, was alles notwendig ist, sondern wir hatten vielmehr das Gefühl: Es ist eine Bereicherung für uns alle und wir können glücklich sein, diese Menschen bei uns zu haben. Ich denke, wir sollten mit dieser Einstellung an die Aufgaben herangehen an die großen Aufgaben, die vor allen Dingen vor den jüdischen Gemeinden liegen, an die wunderbaren Integrationsleistungen, die dort vollbracht werden, indem wir staatlicherseits unterstützen, indem wir danken und indem wir helfen. Aber diese Leistungen, die heute in unserem Land vollbracht werden können, wären eben ohne Persönlichkeiten wie Josef Neuberger kaum denkbar. Deshalb kann ich sagen, dass diese Medaille für mich dadurch, dass Josef Neuberger ein solches Vorbild ist, natürlich auch eine Verpflichtung meiner Politikergeneration ist, die vor ganz anderen Aufgaben steht, die an einer globalen Architektur in unserem gemeinsamen deutschen Interesse mitbauen muss und die weiß, welche Leistungen von unseren Vorgängern vollbracht wurden und sich deshalb auch nicht entmutigen lassen sollte, wenn wir heute vor schwierigen Aufgaben stehen. Deshalb empfinde ich die Auszeichnung nicht nur als Ehre, für die ich der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf dankbar bin, sondern ich empfinde sie auch als Auftrag, als Aufgabe. So ist es vielleicht auch gemeint. Herr Joffe, ich denke noch nicht so viel an die Historiker und was sie einmal schreiben werden das ist nicht mein Ding, sondern ich denke erst mal daran, den nächsten Tag ordentlich zu gestalten; hoffentlich auch ein bisschen im Sinne von Josef Neuberger. Herzlichen Dank für diese Ehrung.