Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 19.12.2008

Untertitel: Anlässlich des Baubeginns des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann die historische Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Opfern des Völkermordes bekräftigt. Das Denkmal, das in unmittelbarer Nähe des Reichstagsgebäudes errichtet wird, werde den besonderen Stellenwert dieses Verbrechens in der deutschen Geschichte zum Ausdruck bringen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/12/2008-12-19-neumann-sinti-roma,layoutVariant=Druckansicht.html


ich begrüße sehr herzlich als Vertreter der Opferverbände

Herrn Romani Rose für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma,

Frau Natascha Winter für die Sinti Allianz Deutschland und

für den Bundesrat der Jenischen Deutschlands Herrn Timo Wagner.

Ich begrüße ebenso herzlich Herrn Dani Karavan,

der für die künstlerische Gestaltung des Denkmals verantwortlich zeichnet.

Im Namen der Bundesregierung danke ich Ihnen herzlich, dass Sie heute trotz des regnerischen Wetters hierher gekommen sind. Besonders dankbar bin ich den Überlebenden sowie den Angehörigen der Opfer für ihre Anwesenheit. Das bewegt mich zutiefst. Wir sind auf Ihre Unterstützung, Ihr Zeugnis und Ihre stete Mahnung angewiesen.

Günter Grass hat in seinem Vorwort zu dem vor knapp einem Jahr erschienenen, beeindruckenden Bildband "Die Romareisen" formuliert, dass die Sinti und Roma "ein blinder Fleck im Bewusstsein Europas" seien. Das traf lange Zeit auch auf den Völkermord und die entsetzlichen Verbrechen zu, die im deutschen Namen an Sinti und Roma im nationalsozialistisch besetzten Europa verübt wurden, wie auch auf die Verfolgung der Angehörigen der eigenständigen Gruppe der Jenischen.

Auch nach dem Krieg wurden die unter der Terrorherrschaft als Zigeuner Verfolgten jahrzehntelang mit ihrem Leid allein gelassen. Die Anerkennung ihrer Verfolgung und der Verbrechen, die sie erlitten haben, mussten sie sich erst mühsam erkämpfen. Sie, lieber Herr Rose, haben als Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma ganz maßgeblich dazu beigetragen, dass 1992 vom Innenministerium zum ersten Mal ein Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Aussicht gestellt wurde. In den letzen 16 Jahren haben Opferverbände und Politik gemeinsam einen langen Weg zurückgelegt, um eine angemessene Form des Gedenkens zu finden.

Nun setzt der Bund zusammen mit dem Land Berlin hier, in unmittelbarer Nähe des Reichstagsgebäudes, des politischen Herzens unserer Demokratie, ein eindringliches Zeichen der Mahnung und der Verantwortung gegenüber den Opfern für die Gegenwart und für kommende Generationen.

Vor fast genau einem Jahr, am 20. Dezember 2007, hat der Bundesrat auf Antrag des Landes Rheinland-Pfalz einstimmig empfohlen, das Denkmal mit dem Text der Chronologie in der vorliegenden Form zügig zu realisieren. Gerne erwähne ich an dieser Stelle Herrn Ministerpräsidenten Kurt Beck, der sich mit persönlichem Engagement dem Anliegen der Opferverbände gewidmet hat. Auch der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien hat rund einen Monat später diese Planung begrüßt.

Wie Sie sehen können, haben in der Zwischenzeit bereits einige Vorarbeiten für die Errichtung des Denkmals stattgefunden. Doch wir haben den heutigen Tag für den symbolischen Akt des Baubeginns mit Bedacht gewählt. Jedes Jahr wird im Rahmen der letzten Bundesratssitzung daran erinnert, dass am 16. Dezember 1942 mit dem so genannten "Auschwitz-Erlass" Himmlers der Völkermord an den Sinti und Roma besiegelt wurde. Wir gedenken des Leides der Frauen, Männer und Kinder, an denen sich das Terrorregime auf unmenschliche, barbarische Weise vergangen hat.

Sie wurden entrechtet, erniedrigt und ausgegrenzt, deportiert und zu medizinischen Menschenversuchen missbraucht. Eine halbe Million wurde ermordet. Das Grauen hat tiefe Spuren hinterlassen ein Trauma für die Überlebenden, für ihre Familien und ihre Gemeinschaften.

Die Bundesrepublik bekennt sich zu ihrer historischen Verpflichtung gegenüber jenen, die im Nationalsozialismus als "Zigeuner" verfolgt wurden. Das habe ich erst vor knapp einem Monat anlässlich der Bundestagsdebatte zur neuen Gedenkstättenkonzeption unmissverständlich bekräftigt. Die Schuld kann nicht vergehen. Das Denkmal nach dem Entwurf von Dani Karavan wird den besonderen Stellenwert dieses Verbrechens im Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck bringen. Doch künstlerische Gesten können nur ein Teil des Gedenkens sein. Ein weiterer, sehr wichtiger, ist das Erkennen und Aufklären. Die Chronologie des Völkermordes, die auf einer zusätzlichen Tafel dargestellt wird, ist darum ein wesentlicher Teil des Gedenkortes. Die Abstimmung des Textes ist nach langen und intensiven Debatten mit den Vertretern der Opferverbände gelungen. Dafür danke ich allen Verantwortlichen.

Die Inschrift auf dem Brunnenrand des Denkmals wird ein Gedicht des italienischen Schriftstellers Spinelli wiedergeben.

Eingefallenes Gesicht

erloschene Augen

kalte Lippen

Stille

ein zerrissenes Herz

ohne Atem

ohne Worte

keine Tränen.

Meine Damen und Herren,

das Denkmal, das im Laufe des Jahres 2009 vollendet wird, soll an die Vergangenheit erinnern, der Opfer gedenken und zugleich eine stete Mahnung gegen Vorurteile und Klischees sein. Niemals mehr darf in unserer Gesellschaft ein Klima der Diskriminierung und Verfolgung zugelassen werden.

Wir sind es besonders den Überlebenden der schrecklichen Verfolgungen und Verbrechen schuldig, dass dieses Denkmal bald fertig gestellt wird als Verneigung vor Ihnen und vor den Opfern des Völkermords.