Redner(in): Angela Merkel
Datum: 30.04.2009

Untertitel: gehalten in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/04/2009-04-30-rede-merkel-empfang-sozialarbeiter,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrte Frau Hofmeir,

sehr geehrte Frau Schmidt,

sehr geehrte Frau Finck,

sehr geehrter Herr Refle

und Sie alle, die Sie heute hierher gekommen sind,

der Chef des Kanzleramtes hat schon erzählt, wie so eine Veranstaltung entsteht und welche Ermutigung diese geben kann. Es ist eine der unüblicheren Veranstaltungen im Bundeskanzleramt, aber für uns, die wir heute Gastgeber sein können, eine spannende und schöne.

Ich habe im vergangenen Jahr eine Bildungsreise durchgeführt und bin damit in ein Feld vorgestoßen, das in der Bundesrepublik Deutschland ziemlich vermint ist, nämlich das der Kompetenzen, der Zuständigkeiten in der Bildungspolitik. Auf dieser Bildungsreise bin ich dann auf noch mehr solcher verminter Felder gestoßen. Der Mensch führt ein kontinuierliches, evolutionäres Leben und unterscheidet es in seinen Altersstufen und in dem, was er lernt und erfährt, nicht nach den Abschnitten, die wir politisch gegeben haben. Ich habe gelernt, dass zwischen der Lebensphase unter drei Jahren und der Phase von drei Jahren bis zur Schulzeit, wenn der Ernst des Lebens beginnt, die Zuständigkeiten wechseln. Wenn man aus der Schule herauskommt, wechseln die Zuständigkeiten wieder. Für manche darf sich das Bundeskanzleramt politisch mehr interessieren, für andere weniger und für manche am besten überhaupt nicht. Das wiederum verstehen die Menschen, die es betrifft, relativ wenig. Ein Kind versteht nicht, warum ich Grundsteine für Kraftwerke legen darf, aber niemals eine Schule besuchen soll. Ein Ministerpräsident versteht das schon schneller. Die Lehrer und die Schüler sind, wie ich glaube, manchmal ein bisschen traurig, weil sie denken, dass sie auch einmal ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen könnten.

Ich denke, wir sollten auf allen Ebenen das, was wir für das Bildungssystem immer wieder predigen, nämlich die Durchlässigkeit, ein bisschen mehr leben, ohne die Zuständigkeiten anzutasten. Deshalb freue ich mich, wenn es heute Projekte gibt, bei denen der Lehrer auch einmal in den Kindergarten schauen und dort nachfragen kann, was da eigentlich los ist und in welcher Verfassung die Kinder in die Schule kommen werden. Ich freue mich, dass die Erzieher in den Kindergärten auch einmal in die Schule schauen dürfen und dass es sogar mit Hilfe von Stiftungen Projekte gibt, bei denen man gemeinsam etwas macht. Die Einladung hierher ins Bundeskanzleramt ist also ein Stück Durchbrechung der klassischen Zuständigkeiten. Ihnen ein herzliches Willkommen, die Sie in unserer Gesellschaft Unersetzliches leisten, und das auch noch mit großer Leidenschaft.

Mit dem Thema Leidenschaft sind wir schon beim nächsten Thema. Wer mit Menschen arbeitet, bewegt sich immer ein kleines bisschen an der Wegmarke, dass es eigentlich schon von Haus aus Spaß machen muss, wenn man sich für so etwas interessiert. Wer aber etwa an der Drehmaschine arbeitet, braucht Fachkenntnisse. Da muss man eben etwas vom Fach verstehen und Formeln lesen können. Die Anschaffung der Maschine war teuer; da kann man nicht jeden ran lassen. Aber in Ihrem Bereich ist es doch eine schwierige Sache. Dabei gibt es im Grunde für die Gehaltsstrukturen das will ich jetzt nicht alles aufdröseln keine richtigen Maßstäbe. Bei uns ist es in der Regel so, dass der, der studiert hat, viel verdient, und wer nicht studiert hat, etwas weniger. Zum Schluss wundert man sich, dass es eigentlich nur noch Frauen im Erzieherbereich gibt und fragt sich, warum sich Männer dafür wenig interessieren. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass heute viele männliche Wesen hier sind. In dem Maße, in dem uns im nächsten Jahrzehnt ich sage das in Anführungsstrichen die jungen Menschen "ausgehen" werden, werden wir vielleicht noch einmal die Frage der Arbeit an den Menschen und die Frage der Arbeit an den Maschinen neu gewichten. Ohne dass die jungen Menschen zu rüstigen und gut ausgebildeten Individuen werden, werden wir unseren Wohlstand nicht erhalten können.

Das hat sehr viel mit dem Wert der Arbeit zu tun. Das geht weit in das ehrenamtliche Feld hinein. Deshalb glaube ich, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass wir als ein Land, das einem großen demographischen Wandel entgegensieht, diese Arbeit, die Sie leisten, mehr in den Mittelpunkt stellen und bei viel mehr Menschen bekannt machen sollten. Neben der Anerkennung für das, was Sie leisten, neben der Möglichkeit, dass Sie sich und wir uns näher kennen lernen das ist ein Stück Vernetzung, die ich sehr, sehr wichtig finde, ist es auch wichtig, nach draußen zu tragen, was alles passiert.

Oft wird gesagt, dass das ein Mangelbereich ist und viel zu wenig entsteht und passiert. So ist es ja nun auch nicht. Es passiert unglaublich viel. Und vieles ist überhaupt nicht bekannt. Wenn man sich anschaut, womit wir uns jeden Tag beschäftigen, dann sieht man, wir beschäftigen uns sehr viel mit den Fällen, in denen nichts oder nicht viel klappt, und beschäftigen uns leider zu wenig mit den vielen Dingen, die super klappen, die schön sind und uns ein Stück weit stolz auf unsere Gesellschaft, auf unser Land machen können. Ich fahre manchmal in andere Länder. Dort sieht es nicht unbedingt besser aus. Ich will das nicht als Entschuldigung dafür nehmen, dass wir es nicht noch besser machen können. Aber ich finde, man wird pessimistisch und verzagt, wenn man nicht ab und zu sagt, was alles an schönen und interessanten Dingen passiert, was an Einsatz und Kreativität da ist, was gemacht wird, was auf den Weg gebracht wird und wie viel Freude das erzeugt.

Da insgesamt keine einfachen Zeiten vor uns liegen, aber da die Bundesrepublik Deutschland gerade 60Jahre alt wird, ist es besonders wichtig, dass die Gruppe derer, die den Familien dazu verhelfen, dass man mit Familien Staat machen kann das sind die Profis, die Kindern und Eltern helfen, weiß, dass sie in diesem Land Anerkennung findet, eine wichtige Stellung innehat, einen Beitrag leistet und eine Rolle spielt, die nicht nur unverzichtbar ist, sondern die für Millionen von Menschen von allergrößter Bedeutung ist. Deshalb ist mit dieser Einladung ein herzliches Dankeschön an Sie alle verbunden.

Ich habe die herzliche Bitte, dass Sie weiterhin Ihre Kraft für Ihre wichtige Arbeit einsetzen, und zwar aus eigener Freude, aber auch aus Engagement für die Gesellschaft. Ich gebe Ihnen die Zusage, dass wir Ihre Anliegen nicht vergessen werden, auch wenn ich gleich dazu sage, dass wir sie nie zu 100Prozent erfüllen können. Das liegt auch in der Natur der Sache. Aber Konkurrenz belebt das Geschäft und die gegenseitigen Forderungen auch. Sie sollen jedenfalls wissen: Wenn auch schon vorher, aber ganz besonders seit der Zeit, als ich Jugendministerin war, ist Ihr Anliegen auch ein Stück weit mein Anliegen. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit.