Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 07.05.2009

Untertitel: In seiner Rede imehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin ging Kulturstaatsminister Bernd Neumann unter anderem auf das Erinnerungsjahr 2009und die Themen Kunst in der DDR undAufarbeitung der SED-Diktaturein.Weitersprach erüber das Leben und Wirken von Freya Klier, Stephan Krawczyk und Wolf Biermann, die anschließend in der Veranstaltung auftraten.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/05/2009-05-07-neumann-vor-zwanzig-jahren,layoutVariant=Druckansicht.html


ich begrüße Sie herzlich heute Abend hier im ehemaligen Staatsratsgebäude. Das Bundesinnenministerium und das Bundesbauministerium richten gemeinsam mit meinem Haus die Tagung "Vor 20 Jahren Am Vorabend der friedlichen Revolution" aus. Meinem Haus kommt dabei der angenehme Part zu, den heutigen Abend zu gestalten.

Ich danke Freya Klier, Stephan Krawczyk und Wolf Biermann herzlich, dass sie sich sofort bereit gefunden haben, hier im Staatsratsgebäude aufzutreten auch wenn sie diesen Ort vielleicht mit gemischten Gefühlen betreten, denn hier hatten von 1964 bis zur Wiedervereinigung alle Staatsratsvorsitzenden der DDR ihren Sitz - von Walter Ulbricht über Erich Honecker bis Manfred Gerlach.

Meine Damen und Herren,

sicher haben Sie das Glasbild von Walter Womacka im Foyer wahrgenommen. Es ist eigentlich auch kaum zu übersehen, denn es zieht sich über die ganze Höhe des Gebäudes. Das Bild zeigt die Geschichte derArbeiterbewegung in Deutschland aus Sicht der SED. Hier, wie auch an anderen Orten im Ostteil unserer Hauptstadt, wird das Kunstverständnis in der SED-Diktatur deutlich sichtbar. Die DDR-Obrigkeit hatte gewollt, dass sich die Künstler ihrem Verständnis von sozialistischer Kultur verschreiben. Was viele getan haben. Andere aber nicht, wie die Künstler unseres heutigen Abends. Es war ein dorniger Pfad, den die DDR ihren Künstlerinnen und Künstlern vorgab. Wer ihn verließ, dem wurde oft die Förderung entzogen, Engagements wurden rarer, Bücher wurden nicht mehr verlegt, Filme verschwanden im Giftschrank, viele wurden von der Staatssicherheit bespitzelt. Selbst als in der Sowjetunion Tauwetter einsetze, hielt die DDR an ihrem harten Kurs fest. Wie unfähig und unbelehrbar die DDR-Führung noch 1987 war, zeigt sich an dem berühmten "Tapeten-Zitat" von Kurt Hager, dem Chefideologen und oberstem Kulturverantwortlichen der SED, den Wolf Biermann nachher in seiner "Ballade von den verdorbenen Greisen" noch gebührend behandeln wird.

Hager wies in einem Interview mit dem "Stern" Reformen in der DDR nach dem Vorbild von Perestroika und Glasnot mit folgenden Worten weit von sich: "Würden Sie, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?".

Zum Tapetenwechsel kam es dann auch nicht mehr. Kaum zwei Jahre später fiel die Mauer und damit das ganze System der DDR.

Meine Damen und Herren,

Diktaturen begreifen Kunst in der Regel als Mittel zum Zweck. Damit stellen sie das demokratische, in unserer Verfassung geschützte Prinzip, dass Kunst frei ist, auf den Kopf. Die DDR-Führung demonstrierte Stärke gegenüber der Kunst und schwächte sich selbst damit erheblich. Denn es waren gerade die unbequemen Künstler, die bekannt wurden und die ihre Werke nutzten, um gegen Missstände und Unterdrückung zu protestieren. Ich freue mich sehr, einige derjenigen für den heutigen Abend gewonnen zu haben.

Liebe Freya Klier, auf Ihrer Internetseite werden wir mit einer einzigen, wie ich finde, sehr nachdenklich machenden Zeile begrüßt. Da steht "Das elfte Gebot: Du sollst Dich erinnern". Sie stellen sich in den letzen Jahren ganz in den Dienst dieses Gebots. 2006 waren Sie Mitglied der Expertenkommission "Aufarbeitung der SED-Diktatur" und damit meinem Haus verbunden. In Ihren aktuellen Arbeiten als Autorin und Regisseurin geht es aber nicht nur um die DDR, sondern um die Auseinandersetzung mit dem System von Diktaturen, um Flucht und Verschleppung Andersdenkender und um die Verheerungen, die Unfreiheit und Verfolgung in Biographien anrichten.

So haben Sie sich in Büchern und Filmen mit dem Schicksal emigrierter Juden auseinandergesetzt, mit den Erlebnissen von als "lebende Reparationen" nach Sibirien verschleppten Zwangarbeiterinnen und mit der Flucht junger Menschen aus der DDR in den 60er Jahren.

Neben ihrer anspruchsvollen künstlerischen Arbeiten geht Freya Klier auch an Schulen im Osten und Westen Deutschlands, um über ihr Leben und das Unrecht in der DDR zu sprechen. Ich finde das besonders wichtig! Die Ergebnisse der Studie von Professor Klaus Schroeder aus Berlin zeigen geradezu erschreckende Wissensdefizite von Jugendlichen mit Blick auf die Geschichte der DDR. Nur wenigen ist offenbar geläufig, was man sich unter dieser Diktatur vorzustellen hat. Freya Klier selbst hat 2005 in einem Interview einmal einen Satz gesagt, der heute leider in erschreckender Weise immer zutreffender wird: "Die DDR-Vergangenheit schrumpft für viele allmählich zu einem Glas Spreewaldgurken". Wir müssen deshalb Verklärung durch Aufklärung ersetzen!

Liebe Freya Klier, Sie werden heute Abend aus Ihrem von der Stasi beschlagnahmten, 1988 veröffentlichten Tagebuch "Abreißkalender" vortragen, und uns so wieder an die Bedeutung Ihres "Elften Gebotes" für uns als Einzelne und für die ganze Gesellschaft erinnern. Vielen Dank!

Ich denke, es ist kein Zufall, dass Freya Klier ihre Lebensmaxime "Du sollst Dich erinnern" als "Gebot" bezeichnet. Es waren schließlich auch die Kirchen, die Künstlern in der DDR Freiräume boten wenn auch unter ständiger Bespitzelung und zunehmend größeren Repressionen durch die Stasi. Die Kirche war die geistige Heimat und einzige Bühne für Freya Klier und Stephan Krawczyk. Dort traten sie als erste freie Theatergruppe der DDR auf. Lieber Stephan Krawczyk, Ihre Biographie zeigt, wie schnell man in der DDR vom gefeierten und ausgezeichneten Künstler zum verfolgten Dissidenten werden konnte.

Noch 1981 hatten Sie einen Preis des Kulturministers für die "hervorragende künstlerische Gesamtleistung" erhalten, schon 4 Jahre später wurde Ihnen die berufliche Zulassung entzogen. Der Grund: Sie hatten sich gegen den Machtmissbrauch der DDR-Oberen, gegen die Enge des Lebens in der DDR und gegen die Zerstörung der Umwelt durch die Auswüchse der Planwirtschaft gewandt. So bitter es klingen mag: Aus der Rückschau haben Sie einen klaren und geraden Weg verfolgt. Wer in der DDR Bürgerrechte und Meinungsfreiheit öffentlich einklagte, für den gab es im Grunde nur zwei Alternativen: Haft oder Ausreise. Am 17. Januar 1988 wurde Stephan Krawczyk zusammen mit Freya Klier auf dem Weg zu einer Demonstration von Bürgerrechtlern beim offiziellen Rosa-Luxemburg-Gedächtnismarsch der SED verhaftet. Zwei Wochen später, am 2. Februar folgte die Abschiebung.

Stephan Krawczyk ist auch in der Bundesrepublik ein politischer Künstler geblieben.

Er setzt seine Mehrfachbegabung als Autor, Komponist und Musiker dafür ein, unsere Gesellschaft und das Leben der Bürger in Ost und West kritisch und doch sehr poetisch zu betrachten. Viele Preise hat Stephan Krawzcyk für sein Wirken bekommen.

Sie, lieber Wolf Biermann, waren für mich immer die stärkste Stimme für die Freiheit. Ich gebe es gerne zu: Ich bin ein Fan Ihrer Kunst seit über 30 Jahren. Und seit ich Sie persönlich kenne, schätze ich Sie auch als Gesprächspartner. Ihr Leben mutet fast wie eine Parabel des in Vielem so schrecklichen 20. Jahrhunderts an: Als Sohn eines kommunistischen jüdischen Vaters, der in Auschwitz ermordet wurde, in Hamburg geboren, siedelten Sie 1953 in die DDR über.

Die Zeichen standen schon früh auf Sturm: Schon 1961 wurden Sie mit einem befristeten Arbeitsverbot für ein halbes Jahr belegt, 1963 hat man Ihnen das Philosophie-Diplom vorenthalten. Erst im vergangenen Jahr hat die Humboldt-Universität zu Berlin diesen Skandal wieder gutgemacht, indem Sie Ihnen die Ehrendoktorwürde verlieh. 1965 erschien im Wagenbach-Verlag der Gedichtband "Die Drahtharfe", rund zehn Jahre später, 1976, wurde Wolf Biermann während einer Konzertreise in den Westen aus der DDR ausgebürgert. Das war eine Bankrotterklärung der DDR.

Die Ausbürgerung löste eine Welle der Solidarität aus im Osten wie im Westen. Die Haltung der zahlreichen DDR-Oppositionellen radikalisierte sich von Kritik hin zu völliger Abwendung.

Sie, lieber Herr Biermann, haben 2007 bei der Verleihung des Leo-Baeck-Preises an Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt: "Wer von klein auf in einer totalitären Diktatur lebte, hasst die Freiheit, weil er sie fürchtet, oder er liebt sie mit umso größerer Inbrunst". Sie stehen für diejenigen, die die Freiheit lieben und Sie haben vielen Menschen geholfen, die Furcht vor ihr zu verlieren.

Sie sind auch im wiedervereinigten Deutschland ein unbequemer und freiheitsliebender Geist geblieben, der nach wie vor viele Menschen, und zwar jeder Generation, anzieht und begeistert!

Meine Damen und Herren,

die Aufarbeitung der SED-Diktatur und ihrer Folgen ist ein Schwerpunkt der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. In diesem Bereich sollen die Anstrengungen des Bundes deutlich verstärkt werden. Für mich sind die Berichte der Zeitzeugen nach wie vor das eindrücklichste, das am unmittelbarsten berührende Mittel, sich der Vergangenheit zu nähern.

Wir müssen Ihnen zuhören, wenn wir wissen wollen, wie es eigentlich gewesen ist.

Die Gedenktage im Erinnerungsjahr 2009 geben uns Gelegenheit, die Geschichte unseres Landes lebendig zu halten und vor allem der jungen Generation nahe zu bringen.

Darum unterstützt mein Haus in diesem Jubiläumsjahr zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen zur Erinnerung an die friedliche Revolution und den Mauerfall.

Heute Vormittag habe ich gemeinsam mit Außenminister Steinmeier und dem Regierenden Bürgermeister die Open-Air-Ausstellung der Havemann-Gesellschaft auf dem Alexanderplatz eröffnet, und im Filmhaus am Potsdamer Platz zeigt die Deutsche Kinemathek eine ganz besondere Ausstellung mit privaten Bilddokumenten zum Mauerfall.

Das Ziel aller unserer Förderungen ist es, eine möglichst breite, gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in Deutschland anzustoßen und der Relativierung des Unrechts, dem Vergessen wie dem Verklären entgegenzuwirken

Der Fall der Mauer, dessen 20. Jahrestag wir in diesem Jahr begehen, sollte uns alle stolz und dankbar machen. Stolz, weil es ohne Widerstand und Opposition der Menschen in der DDR weder Freiheit im Osten Deutschlands noch die deutsche Einheit gegeben hätte. Und dankbar, weil es ohne Prag 1968, ohne Solidarnosc in Polen, ohne die Ungarn 1989, ohne die Solidarität der Vereinigten Staaten, und auch ohne den Reformkurs von Michail Gorbatschow die deutsche Einheit kaum möglich gewesen wäre; ebenso wenig wie ohne das beherzte Handeln von Helmut Kohl und das Vertrauen, das er in Ost und West genoss. Dass dies gelungen ist und letztlich in ganz Europa zum Fall des Eisernen Vorhangs geführt hat, gehört sicher zu den großen politischen Leistungen in unserer Geschichte!

Heute Abend werden Freya Klier und Stephan Krawczyk mit Teilen aus ihrem Programm "Kamen wir ans andere Ufer" auftreten, danach folgt die Lesung von Freya Klier, die Stephan Krawczyk mit Musik begleitet.

Wolf Biermann wird anschließend am Flügel und an der Gitarre Lieder und Gedichte vortragen. Ich freue mich nun mit Ihnen auf die Künstler.