Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 07.05.2009
Untertitel: Auf dem Berliner Alexanderplatz ging Kulturstaatsminister Bernd Neumann in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Open-Air-Ausstellung der Robert-Havemann-Gesellschaft "Friedliche Revolution 1989/90" u.a. auf historische Ereignisse im Jahr des Mauerfalls ein und hob den geleisteten Widerstand der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler gegen die SED-Diktatur hervor.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/05/2009-05-07-neumann-ausstellung-havemann,layoutVariant=Druckansicht.html
die Ausstellung der Robert-Havemann-Gesellschaft ist eine Chronik von anderthalb Jahren, die nicht nur Berlin und Deutschland, sondern die ganze Welt verändert haben. Es ist nicht in erster Linie eine Chronik politischer Entscheidungen, sondern vor allem eine Chronik der Zivilcourage. Die friedliche Revolution wäre ohne den Mut vieler Einzelner nicht denkbar gewesen. Da waren einerseits die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler in der DDR, die nicht selten unter Gefahr für Leib und Leben für grundsätzliche Veränderungen in Staat und Gesellschaft eintraten.
Da waren andererseits aber auch die vielen Hunderttausend, die von Rostock bis Plauen und ganz besonders natürlich in Leipzig aufgestanden sind. Hier auf dem Alexanderplatz fand am 4. November 1989 die größte Demonstration in der Geschichte der DDR statt.
Der Fall der Mauer, dessen 20. Jahrestag wir in diesem Jahr begehen, und die spätere Wiedervereinigung sollten uns alle stolz und dankbar machen. Stolz, weil es ohne Widerstand und Opposition der Menschen in der DDR weder Freiheit im Osten Deutschlands noch die deutsche Einheit gegeben hätte. Und dankbar, weil ohne die Solidarität der Vereinigten Staaten und
ohne den Reformkurs von Michail Gorbatschow die deutsche Einheit nicht möglich gewesen wäre; ebenso wenig wie ohne das beherzte Handeln von Helmut Kohl und das Vertrauen, das er in Ost und West genoss.
Die Bundesregierung, insbesondere mein Ressort, unterstützt in diesem Jahr eine Vielzahl von Veranstaltungen und Aktivitäten, die an die friedliche Revolution und den Mauerfall erinnern. Vor knapp einer Woche haben wir z. B. im Filmhaus am Potsdamer Platz die Ausstellung "Wir waren so frei" mit privaten Bilddokumenten zum Mauerfall eröffnet. Dort wird die persönliche Perspektive auf die geschichtlichen Ereignisse nachvollziehbar und damit Teil unserer Erinnerung. In Leipzig wird eine Sonderausstellung der "Runden Ecke" an das Jahr 1989 erinnern. Und hier in Berlin haben wir diese Ausstellung der Robert Havemann-Gesellschaft mit 400.000 Euro gefördert.
Die von uns unterstützten Veranstaltungen würdigen das besondere Jubiläum der friedlichen Revolution und des Mauerfalls, aber sie geben auch Gelegenheit, sich mit der SED-Diktatur auseinanderzusetzen.
Das Wissen um die 40 Jahre währende DDR-Diktatur und deren Aufarbeitung ist wichtig, ist unverzichtbar. Ihre Narben sind noch sichtbar. Wenn wir wollen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger trotz manch enttäuschter Erwartungen zur Demokratie stehen und von ihren Vorzügen überzeugt sind, müssen sie die schlechten Alternativen kennen, müssen sie wissen, was es heißt, in einer Diktatur zu leben.
Die Wissensdefizite von Jugendlichen mit Blick auf die Geschichte der DDR sind in der Tat erschreckend. Nur wenigen ist offenbar geläufig, was man sich unter der Diktatur der SED vorzustellen hat. Was diese Studien auch deutlich machen: Dies ist nicht nur ein Versäumnis der Schulen, sondern auch das Ergebnis von Verklärung und Ostalgie.
Ein Besuch der Ausstellung hier auf dem Alexanderplatz zeigt besonders Jugendlichen, wie brutal der real existierende Sozialismus gerade auch junge Menschen behandelte, die ihren eigenen Weg frei von staatlicher Bevormundung gehen wollten. Ich erinnere hier nur, stellvertretend für die vielen Mauertoten, an Chris Gueffroy. Er fühlte sich eingeengt und bevormundet in der DDR, wiederholt war er mit Vorgesetzen aufgrund seiner kritischen Haltung aneinander geraten.
Chris Gueffroy war gerade 20 Jahre alt, als er in der Nacht zum 6. Februar 1989 beim Versuch, die Mauer zu überwinden, im Kugelhagel der Grenzschützer starb. Wir dürfen die Opfer nie vergessen.
In dem von mir im letzen Jahr vorgelegten Gedenkstättenkonzept, dem der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit zustimmte, ist die Erforschung der SED-Diktatur eine wichtige Säule. Es ist das Ziel der Bundesregierung, die erinnerungspolitische Aufarbeitung des SED-Unrechts zu verstärken und in diesem Zusammenhang Widerstand und Opposition besonders zu würdigen. Hier spielt die Robert-Havemann-Gesellschaft eine wichtige Rolle. Ihr beeindruckendes Archiv zur Opposition in der DDR leistet dazu einen herausragenden Beitrag.
In diesem Zusammenhang fehlt mir jedes Verständnis dafür, dass ein amtierender Ministerpräsident meint, zur DDR habe immer auch "ein Schuss Willkür und Abhängigkeit gehört", aber er verwahre sich dagegen, die DDR "als totalen Unrechtsstaat zu verdammen". Das ist nicht nur eine Verharmlosung brutalen Unrechts, sondern gleichzeitig auch ein massiver Affront gegenüber all denjenigen, die in der DDR unter dem Einsatz ihrer Freiheit und ihrer Existenz Widerstand geleistet haben, bis hin zu den Bürgerrechtlern des Jahres 1989. Wolfgang Thierse hat Recht: "Das System ist gescheitert, nicht die Menschen", und viele haben trotz Diktatur Beachtliches geleistet. Aber es kann doch keinen Zweifel geben, dass die DDR die typischen Merkmale eines Unrechtsstaates aufwies.
Die fundamentalen Bürgerrechte wie Meinungs- , Presse- , Reise- und Versammlungsfreiheit und freie Wahlen wurden versagt, Andersdenkende wurden bespitzelt, verfolgt und inhaftiert. Deshalb bewundere ich auch den Mut, den gerade die Bürgerrechtler aufgebracht haben, die Diktatur zu überwinden!
Die friedliche Revolution, die einzige dauerhaft gelungene Revolution in der deutschen Geschichte, ist der beste Beweis dafür, dass auch ein System von Willkür, Repression und Bevormundung die Menschen nicht brechen kann!
Die vom bürgerschaftlichen Engagement getragene Robert-Havemann-Gesellschaft steht selbst für die gesellschaftsverändernde Kraft der Zivilcourage. Sie verdankt ihre Gründung im November 1990 DDR-Oppositionellen, die das Ziel hatten, die Geschichte und Erfahrungen der Bürgerbewegung in der DDR nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Das war ein bedeutender Schritt, ohne den wir das Ziel einer lebendigen Kultur des Gedenkens und Erinnerns nicht erreichen könnten! Ihre Archive liefern wichtige Grundlagen für die Forschung, die, das wissen Sie, lieber Herr Sello, selbst am besten, sehr
rasch voranschreitet.
Ich finde, wir sollten uns auch außerhalb von Jubiläumsveranstaltungen immer wieder klar darüber werden, dass die friedliche Revolution, der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung zu den glücklichsten Ereignissen in der Geschichte unserer Nation zählen!
Aber Gedenken, meine Damen und Herren, darf nicht in Ritualen erstarren, sondern muss Öffentlichkeit schaffen und aufklären, so wie es diese Ausstellung tut. Sie ist eine große Leistung der Havemann-Gesellschaft. Ich wünsche Ihnen und uns, dass damit möglichst viele Berlinerinnen und Berliner, aber auch viele Touristen und Gäste unserer Stadt erreicht werden, auch diejenigen, die vielleicht nicht unbedingt in ein Museum oder eine Gedenkstätte gehen würden.
Mit Wolf Biermann tritt gleich eine Persönlichkeit auf, die schon in jungen Jahren zur Symbolfigur des konsequenten Widerstands gegen die kommunistische Diktatur wurde. Ihre Ausbürgerung 1976, lieber Wolf Biermann, war eine Bankrotterklärung der DDR! Zeitzeugen wie Ihnen, Stimmen wie der Ihren müssen wir zuhören, wenn wir wissen wollen, wie es gewesen ist. Ich wünsche dieser Ausstellung viele interessierte und neugierige Besucher und freue mich nun, lieber Wolf Biermann, auf Ihren Zwischenruf.