Redner(in): Angela Merkel
Datum: 11.05.2009

Untertitel: Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel anlässlich der Veranstaltung zur Zwischenbilanz des Nationalen Normenkontrollrates am 11. Mai 2009 in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/05/2009-05-11-rede-merkel-normenkontrollrat,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Ludewig,

liebe Mitglieder des Nationalen Normenkontrollrates,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,

werte Gäste,

ich glaube, es ist eine gute Idee, heute einmal vor einem etwas größeren Forum Zwischenbilanz aus der Arbeit des Normenkontrollrates, den Erfahrungen und aus dem, was sich seit Beginn dieser Arbeit verändert hat, zu ziehen.

Ich bin für die gute Idee belobigt worden. Ich habe, glaube ich, den Normenkontrollrat immer freudig begleitet und ihm, wenn er Schwierigkeiten hatte, auch geholfen. Aber die Ursprungsidee ist eine, die von Norbert Röttgen und Olaf Scholz für die Koalitionsvereinbarung ausgearbeitet wurde. Damals wurde zum ersten Mal vom Standardkosten-Modell und von den recht guten Erfahrungen gesprochen, die man in den Niederlanden und in Großbritannien damit hatte. Mir erschien ich glaube, genauso wie Herrn Müntefering die Idee plausibel, dass man es einmal versuchen sollte, den Abbau von Normen quantitativ zu verfolgen und damit ein Stück Rationalität in die ganze Sache hineinzubringen.

Deshalb haben wir uns dieser Sache zugewandt. Es ist ein Gesetzgebungsverfahren in Gang gekommen. Es gibt den Bundespräsidenten, der das Ganze überwacht und im Falle der Zerstrittenheit in der Regierung als höchste Instanz noch einmal eingreifen kann. Zu solchen außergewöhnlichen Aktionen musste es bisher nicht kommen. Wir haben das Ganze immer recht friedlich vorangebracht.

Es ist so gewesen, dass sich die erste breite Kenntnisnahme der Arbeit des Normenkontrollrates, so glaube ich, darauf bezog, dass die neu anzufertigenden Gesetze vom Normenkontrollrat unter die Lupe genommen wurden. Das war ein Prozess, der uns manchmal durchaus beschäftigt hat. Inzwischen denkt man schon vorab ein bisschen an den Normenkontrollrat. Man weiß ja, was Sie so über bestimmte Formulierungen denken. Insofern hat man sich dem angepasst. Es ist auch so gewesen, dass das Parlament den Normenkontrollrat manchmal zu Hilfe geholt hat, um ich glaube, bei der Unternehmensteuerreform noch Veränderungen durchzusetzen. Der Normenkontrollrat ist also bekannt. Er wird genutzt, wo immer es angebracht erscheint, und ich glaube, meistens für gute und richtige Zwecke.

Nun ist es so, dass es nahezu niemanden gibt, der nicht der Ansicht ist, dass staatliche Regelungen dem gesunden Menschenverstand entsprechen sollten. So sind auch die Statistik und Berichtspflichten um diese geht es ja beim Normenkontrollrat natürlich immer so ausgedacht worden, dass sie dem gesunden Menschenverstand entsprechen. Aber man macht bei der Verschiedenartigkeit der Menschheit halt die Erfahrung, dass nicht jeder alles gleichermaßen für verständlich und nützlich hält und dass im Laufe der Zeit und vor dem Hintergrund der Veränderung der Lebensgewohnheiten auch Dinge, die einmal nützlich und verständlich erschienen, nach 20 oder 25Jahren vielleicht gar nicht mehr so selbstverständlich sind.

Wir sind uns sicherlich einig, dass ohne Regelungen kein Staat zu machen ist. Das ist richtig. Wenn ich mir das letzte halbe Jahr anschaue, dann haben wir mehr darüber gesprochen, wo wir in Zukunft Regelungen brauchen, wo wir bis jetzt keine hatten, während die Abschaffung von Regelungen weniger im Vordergrund der Diskussion stand. Aber wie immer geht es eigentlich um die Dosis, um die Balance zwischen dem, was geregelt und was nicht geregelt werden muss. Natürlich kommen auch andauernd neue Felder hinzu. Von der Stammzellenforschung bis hin zur Gentechnologie gibt es heute Bereiche, in denen wir auch wieder eine Balance finden müssen. Lord Dahrendorf hat einmal gesagt: "Wir brauchen Bürokratie, um unsere Probleme zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindert sie uns, das zu tun, wofür wir sie brauchen." Das ist, glaube ich, der richtige Ausdruck für diese Balance, nach der wir suchen müssen.

Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung beides steht hier sozusagen als Notwendigkeit im Raum sind Ihr Thema. Sie haben sich der Sache entsprechend dem bewährten Standardkosten-Modell genähert. Es ist auch gut, dass Sie immer den Austausch mit den niederländischen Fachleuten geführt haben.

Zur Messbarmachung: Darüber, ob man nun alles genau messen kann und ob es wirklich so lange dauern muss, gibt es schon eine erbitterte Diskussion. Aber man hat eben auch versucht, die Emotionalität herunterzufahren, indem man Institutionen gewählt hat, bei denen man einfach annimmt, dass sie das fachlich richtig können. So hat zum Beispiel das Statistische Bundesamt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle gespielt.

Über das Standardkosten-Modell werden die Kosten für Informations- und Berichtspflichten ermittelt. Das erlaubt dann eine systematische, transparente und nachvollziehbare Herangehensweise an den Bürokratieabbau. Das ist schon ganz interessant, wenn man sich einmal ansieht, mit welcher Häufigkeit die einzelne Maßnahme, die unter die Lupe genommen wurde, immer wieder multipliziert werden musste. Manches, was kleinen Gruppen als eine hohe Belastung erscheint, ist gesamtgesellschaftlich nicht so teuer als manches, an das wir uns schon gewöhnt haben, aber in der Vielzahl der Vorgänge in seiner finanziellen Wirkung sehr viel umfangreicher ist. So muss man auch hierbei immer eine Balance in Bezug darauf finden, wie der Abbau vonstatten gehen soll.

Die Anforderungen an die Regelungen verändern sich. Deshalb ist ein Gesetz für den Normenkontrollrat eben eines, das sich mit der Vergangenheit beschäftigt, und eines, das sich mit der Zukunft beschäftigt. Hinsichtlich der Vergangenheit mussten wir erst einmal einige Ressortwiderstände überwinden, in dem Sinne, dass manche, wenn Sie das Wort Bürokratie hörten, geradezu meinten, sie seien angesprochen. Andere haben die ganze Sache mit relativ gutem Gewissen verfolgt. Ein Umweltminister ich war das selbst einmal denkt oft, gleich gehe man auf ihn los, dann wird sicherheitshalber erst einmal gesagt: Bei uns kommt sowieso alles aus Europa, insofern können wir gar nichts machen, weil wir nur Richtlinien umsetzen. Aber das hat sich eingespielt.

Es sind sage und schreibe 9. 500Informationspflichten der Wirtschaft gemessen worden eine wirklich beachtliche Zahl. Das war nur möglich, weil alle Ministerien mitgemacht haben und viele Mitarbeiter dabei mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Statistischen Bundesamtes zusammengearbeitet haben. Dafür möchte ich an dieser Stelle auch ein herzliches Dankeschön sagen.

Wir haben dann auch eine ganze Reihe von bürokratischen Entlastungen auf den Weg gebracht. Herr Ludewig hat eben von dreiMilliarden Euro gesprochen. Mir sind sogar noch etwas höhere Zahlen aufgeschrieben worden. Das müssten wir noch einmal abgleichen; ich will hier jetzt keinen statistischen Wirrwarr erzeugen. Ich hatte in Erinnerung, dass wir uns im Grunde den Entlastungseffekten der Unternehmensteuerreform fast angenähert haben. Ich habe immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben Herr Oetker ist ja heute hier, dass dafür aus der Wirtschaft einfach einmal ein Dankeschön kommt. Das ist bis jetzt ausgeblieben. Obwohl beim Thema Bürokratieabbau viel Messbares geschehen ist, hat das noch nicht dazu geführt, dass sich irgendjemand erleichtert fühlt. Daran müssen wir arbeiten. Denn sonst haben wir eines Tages gar keine Regelungen mehr und sprechen immer noch über Bürokratie, was natürlich komisch wäre. Insofern sollte man einmal danach schauen.

Nun gibt es immer auch günstige Nebeneffekte. Es hat sich nämlich bei der systematischen Durchforstung von Vorschriften herausgestellt, dass der Bestand des Bundesrechts durch Rechtsbereinigung um rund 16Prozent gesenkt werden konnte. Man hat also bei der systematischen Durchsicht einfach festgestellt, was man verschwinden lassen kann. Auch das ist relativ unauffällig geschehen. Es hat kaum einer gemerkt, deshalb will ich es hier noch einmal ansprechen. Es gibt außerdem das will ich auch noch einmal betonen im Grunde einen wirklichen Mehreffekt dadurch, dass neue Gesetzentwürfe schon anders geschrieben werden und dass auch versucht wird, sie, was Bürokratie- und Statistikpflichten anbelangt, günstiger entstehen zu lassen.

Wir können auch sagen: Das Zwischenziel, das wir uns für diese Legislaturperiode vorgenommen haben, nämlich die Reduzierung von Bürokratiekosten um 12, 5Prozent, also um die Hälfte von 25Prozent, haben wir erreicht. Wir wollen bis 2011

25Prozent erreichen. Meistens ist es in solchen Fällen so, dass die zweite Hälfte schwerer als die erste ist. Das sind nicht unbedingt lineare Prozesse. Insofern hoffen wir auf Mithilfe, denn auch das ist schon angeklungen in diesem Zusammenhang haben natürlich sehr viele die Möglichkeit, tatkräftig mitzuhelfen. Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen, die Träger der Selbstverwaltung, zum Beispiel im Bereich der Sozialversicherungen, und natürlich Betroffene selbst können uns aufgrund ihrer Praxiserfahrungen mit ihren Anregungen den Weg ebnen.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch ausdrücklich positiv erwähnen, dass es zwei Pilotprojekte gibt. Herr Ludewig mit seiner langjährigen Erfahrung in Bezug auf Bürokratieabbau wusste, dass die Nachvollziehbarkeit und das Miterleben bei diesem recht abstrakten Thema natürlich oft auf der Strecke bleiben. Er hat von Anfang an gesagt: Lasst uns erst einmal in ausgewählten Regionen Bürokratieabbau versuchen, bevor wir ihn umfassend durchsetzen. Die Bundesregierung, der Normenkontrollrat und Experten untersuchen gemeinsam anhand der Beispiele Elterngeld und Wohngeld, welche Belastungen die Antragsverfahren sowohl bei den Bürgerinnen und Bürgern als auch bei der jeweiligen Behörde verursachen. Mit entsprechender Erkenntnis wird dann anschließend nach Mitteln und Wegen zur Vereinfachung und Entlastung gesucht. Ich weiß nicht, ob man den Kinderzuschlag noch hinzunehmen sollte. Der ist so kompliziert, sodass ich glaube, das wäre auch noch ein weiteres Feld. Ich glaube, dass solche Projekte auch Vorbildcharakter für andere Bereiche gewinnen können.

Die Beschlüsse der FöderalismuskommissionII sind, was Leistungsvergleiche innerhalb der Verwaltungen anbelangt, sicherlich auch ein Ausdruck dessen, was wir jetzt durch den Normenkontrollrat als ein mögliches Arbeitsergebnis gesehen haben. Leistungsvergleiche sind wirksame Instrumente. Lange haben sich viele dagegen gesträubt, sozusagen einmaliges Handeln so transparent zu machen, dass man es vielleicht vergleichen kann. Ich finde es recht gut, dass sich jetzt auch die Bundesländer einem solchen Weg geöffnet haben. Wenn man die Beschlüsse der FöderalismuskommissionII liest, findet man das, muss ich ganz ehrlich sagen, zuerst etwas trivial, aber dahinter scheint ziemlich viel Spannung versteckt zu sein, die irgendwann aufgelöst werden könnte. Aber wir wollen ja einen Wettbewerbsföderalismus, in dem die Vielfalt dazu genutzt wird, den Staat und seine Tätigkeit möglichst bürgernah und klar für die Menschen erscheinen zu lassen.

Wir haben unsere EU-Präsidentschaft genutzt, um auch innerhalb der Europäischen Union darauf hinzuweisen, dass eine solche Herangehensweise sinnvoll wäre, wenn sie schon in vielen der Mitgliedsländer ausprobiert wurde. Das hat dann wieder zu sehr interessanten Effekten geführt, weil der Gedanke, dass sich die EU-Kommission von Experten von außen sagen lässt, was vielleicht nicht so gut ist, für die Kommission sehr viel schwieriger zu verstehen war, als es zum Beispiel für eine Bundesregierung zu begreifen war. Ich habe mich darüber eigentlich sehr gewundert. Aber in dem Dreieck eines zum Teil auch ziemlich kohärenten Vorgehens von Kommission und Parlament bei dem das Parlament gesagt hat: Wir überwachen ja die Kommission, deshalb brauchen wir keine Experten, die sich von außen einmischen " und einer Vielzahl von Mitgliedstaaten, die keine Lust darauf hatten, dass die Kommission einen Normenkontrollrat sozusagen als Beispiel dafür ansehen kann, die Beschlüsse von Ministern und Staats- und Regierungschefs in Frage zu stellen, hat dann eine umfassende Diskussion stattgefunden, bei der wir auf der europäischen Ebene zwar vorangekommen sind, aber noch nicht dort sind, wo wir auf der nationalen Ebene sind.

Das Ganze ist dann in die Bestellung einer Expertengruppe gemündet, die von Edmund Stoiber geleitet wird, der wenn er anwesend wäre, würde ich das auch sagen dadurch etwas pro-europäischer geworden ist, der aber von José Manuel Barroso eingesetzt wurde, weil er als ein Mann galt, der nicht nachgibt, wenn einmal ein dickes Brett zu bohren ist. So hat sich das eigentlich besser gefügt, als man dachte. Ich würde mich freuen und werde das auch auf europäischer Ebene sagen, wenn das Mandat für diese Arbeit, das 2010 auslaufen wird, verlängert werden sollte. Ich glaube, dass sich auch die Kommissare langsam daran gewöhnt haben, dass ihnen ab und zu jemand von außen einen Tipp geben kann.

Meine Damen und Herren, die Frage "Wo brauchen wir Regulierung und wo ist sie sozusagen ein Hemmschuh?" wird uns auch in den nächsten Jahren begleiten. Deshalb ist es sicherlich auch richtig und gut, dass sich der Normenkontrollrat auf die Statistik- und Berichtspflichten konzentriert. Ansonsten könnte man sich über einen zu schnellen Vorstoß in weiten Feldern verlieren. Man muss schrittweise vorgehen. Denn es muss erst einmal in einem begrenzten Gebiet Vertrauen wachsen.

Ich möchte deshalb ganz herzlich allen danken, die im Normenkontrollrat mitarbeiten sowohl denen, die den Normenkontrollrat selbst bilden als auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Manch einer hat kurz nach der Berufung schnell das Weite gesucht, weil er sich die Aufgabenbelastung irgendwie etwas geringer vorgestellt hatte. Die allermeisten sind geblieben. Deshalb möchte ich Herrn Ludewig, Herrn Catenhusen, Frau Prof. Färber, Herrn Prof. Wittmann, Herrn Bachmaier, Herrn Barbier, Herrn Kreibohm und Herrn Schoser ganz herzlich Dank sagen.

Es stecken viele Stunden in der Arbeit des Normenkontrollrates. Dass es wirklich um die Sache ging, konnte man in der Tat daran ermessen, dass selbst in den kritischsten Zeiten wenig in der Zeitung stand. Die Drohung, dass, wenn wir uns als Regierung nicht sputen würden, dann die Öffentlichkeit als ultimative Waffe eingesetzt werden könnte, hing manchmal im Raum. Die Waffe der Öffentlichkeit wurde heute für die Präsentation einer guten Zwischenbilanz eingesetzt. Das ist richtig und gut so.

Herzlichen Dank und auf weitere gute Zusammenarbeit.