Redner(in): Angela Merkel
Datum: 02.06.2009
Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Professor Tietmeyer, sehr geehrter Herr Kannegiesser, Herr Kommissar Almunia, Herr Draghi, Herr Bundeswirtschaftsminister, lieber Herr zu Guttenberg, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/06/2009-06-02-merkel-insm,layoutVariant=Druckansicht.html
liebe Kollegen aus den Parlamenten,
herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Tagung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in einer außergewöhnlichen Zeit.
Herr Professor Tietmeyer, wir waren im vergangenen Jahr angesichts des 60. Jahrestags der Sozialen Marktwirtschaft gemeinsam bei einer Festveranstaltung im Bundeswirtschaftsministerium. Wir waren uns damals einig, dass die Soziale Marktwirtschaft ein Erfolgsmodell ist, dass sie "made in germany" in einer besonderen Weise und "Wohlstand für alle" in einem umfassenden Sinne verkörpert, wie es das in Deutschland noch nicht gegeben hat.
Ich habe damals in meiner Rede gesagt, dass wir natürlich vor neuen Aufgaben stehen. Da damals eine internationale Finanz- und Wirtschaftskrise in diesem Ausmaß noch nicht im Raum stand, habe ich vor allen Dingen auf die langfristigen Notwendigkeiten hingewiesen, die in Westeuropa und vor allen Dingen in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft weiter zu einem Erfolgsmodell machen lassen. Ich habe damals gesagt: Nach "Wohlstand für alle" ist es wichtig, dass wir in den nächsten Jahren dafür Sorge tragen, dass Bildung für alle hierfür die Grundlagen schafft, dass Innovation, Kreativität, Forschungsfähigkeit und Erneuerungskraft für Deutschland das Gütesiegel der Zukunft sind. Daran hat sich durch die Krise nichts geändert. Als mittel- und langfristiges Ziel wird dies auf der Tagesordnung bleiben.
Es ist zwischenzeitlich etwas passiert. Wir haben uns zwischen Bund und Ländern darauf verständigt, bis zum Jahr 2015 zehnProzent für Bildung und Forschung auszugeben, davon dreiProzent für Forschung. In den nächsten Jahren werden zum Beispiel die Südkoreaner 4, 5Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben. Das heißt, wir liegen in diesem Bereich nicht an der Spitze der Welt.
Nun aber hat uns eine internationale Krise erreicht, von der die Exportnation Deutschland in besonderer Weise betroffen ist. Just zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland haben wir wahrscheinlich den schwersten Wirtschaftseinbruch zu verzeichnen. Man glaubt den Prognosen nicht mehr ganz so wie früher, aber die Fakten des ersten Quartals lassen leider erahnen, dass die Prognose von minus sechsProzent so falsch nicht ist, was das Wirtschaftswachstum anbelangt. Wenn man sich vor Augen führt, dass der größte Einbruch bei der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bislang bei minus 0, 9Prozent lag, zeigt das die Dimension und die Herausforderung, vor denen wir stehen.
Das Gute in Zeiten einer prosperierenden Weltwirtschaft für Deutschland war und ist eine hohe Exportfähigkeit. In Zeiten daniederliegender Weltmärkte wird die Exportorientierung natürlich zu einer Herausforderung. Umso mehr hat Deutschland ein immanentes Interesse daran, dass aus dieser Krise die richtigen Lehren gezogen werden und dass die Weltwirtschaft insgesamt wieder schnell auf die Beine kommt, weil dies auch die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum bei uns ist. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich halte nichts von den Diskussionen, dass wir uns umstellen müssten und nicht mehr so stark vom Export abhängig sein sollten. Weder glaube ich, dass das machbar ist, noch glaube ich, dass wir durch die Inlandsnachfrage irgendetwas kompensieren könnten schon gar nicht angesichts unserer demographischen Entwicklung. Wir müssen unsere Stärken also weiter ausbauen.
Allerdings werden durch diese Krise die Karten auf der Welt neu gemischt. Nicht immer kennzeichnet ordnungspolitisches Verhalten das Krisenmanagement anderer Staaten auf der Welt. Ich beobachte das sehr genau. Wir brauchen gleiche Spielregeln und müssen als Exportnation alles verhindern, das dazu führt, dass durch protektionistisches oder einseitiges Verhalten einzelner Länder ein völlig verzerrtes internationales Wettbewerbsfeld geschaffen wird.
Was ist die Ursache dieser internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise? Herr Professor Tietmeyer hat das eben angedeutet. Diese Ursachen liegen lange zurück. Sie liegen sicherlich auch in bestimmten technischen Entwicklungen im Bankenbereich, in der schönen Informationstechnologie, die die Verpackung, Umschichtung und Neusortierung von schon als Original kaum verständlichen Finanzmarktprodukten so erlaubte, dass dadurch Verschleierungen eintreten konnten und sich das Ganze sozusagen in eine hohe Sphäre der Bindungslosigkeit entfernen konnte. Ein interessantes Phänomen ist, dass selbst Banker nach dreimaligem Umschichten ihre eigenen Produkte nicht mehr erklären können. So etwas passiert nach meiner Meinung in der Geschichte nur einmal, wenn die Menschheit noch einigermaßen klar im Kopf ist.
Eine der Ursachen war, dass es nur einen kleinen Kreis von Kennern dieser Materie gab, die fast alle in dem Geschäft selbst verankert waren, die also an den Gewinnen partizipiert haben, und dass es deshalb keine kenntnisreiche Kontrollöffentlichkeit gab. Der zweite Punkt ist, dass sich das Ganze international abgespielt hat. Das heißt, es war dem Zugriff einzelner Nationalstaaten weitestgehend entzogen. Deshalb muss ein internationaler Rahmen geschaffen werden.
Ich stimme Ihnen voll zu, dass die Ursache nicht allein in der Wirtschaft liegt. Wirtschaftliche Akteure verhalten sich, wie sie sich verhalten. Es nützt wenig, an die moralische Qualität jedes einzelnen Akteurs zu appellieren. Das funktioniert nicht; man mag das noch so bedauern. Deshalb geht es bei der Bewältigung der Krise und der Verhinderung einer Wiederholung vor allen Dingen um die Schaffung eines richtigen Ordnungsrahmens, der allerdings nicht alle marktwirtschaftlichen Kräfte abtötet und zu weit einschränkt.
Zu den Ursachen zählt nach meiner Auffassung letztendlich eine Verhaltensweise, die auch politisch unterstützt wurde, so zum Beispiel durch die Geldpolitik in den Vereinigten Staaten von Amerika und durch die Weigerung, an den großen Börsen dieser Welt überhaupt irgendwelche Regeln anzunehmen. Wir haben während unserer G8 -Präsidentschaft einen sehr verzweifelten Kampf anhand von kleinen Beispielen geführt. Aber letztendlich steht für mich dahinter, dass man das Wachstum zur Obergröße erklärt hat und damit alle Sündenfälle unterhalb dieses Ziels in Kauf genommen hat und das lange Zeit scheinbar zum Vorteil vieler Akteure. Es ist richtig, dass auch Deutschland davon profitiert hat, weil der Export gut lief.
Man kann eine lange Diskussion im Sinne der Diskussion über Henne und Ei führen, wer nun wie Schuld hatte. Das hilft uns jetzt nicht weiter. Wir müssen diese Krise bekämpfen und aus ihr Lehren ziehen. Eines sage ich auch: Die Erfahrung der Menschen in Deutschland ist schon eine sehr elementare. Wir waren auf einem Kurs, der mit der Agenda 2010 begonnen hat und durch die Große Koalition fortgesetzt wurde, der den Menschen gezeigt hat: Reformen können Erfolge bringen. Die Zahl der Arbeitslosen war unter dreiMillionen gesunken. Die Haushalte hatten sich stabilisiert. Wir waren auf einem guten Pfad, was die Einhaltung der Stabilitätskriterien der Europäischen Union anbelangt. Wir hatten zum zweiten Mal kurz vor der Deutschen Einheit war das schon einmal unter Finanzminister Theo Waigel der Fall nach langen Jahren wieder die Chance auf einen ausgeglichenen Bundeshaushalt, indem innerhalb eines Jahres auf der Bundesebene keine Neuschulden mehr aufgenommen worden wären. Dies alles ist abrupt zerbrochen. Dies ist eine elementare Erfahrung, mit der wir politisch umgehen müssen. Trotzdem müssen wir die Menschen weiter ermutigen, sich Reformen und Veränderungen nicht zu verschließen. Das wird uns in den nächsten Jahren sehr, sehr stark beschäftigen.
Da wir keinen oder nahezu keinen Verursacher der Krise dingfest machen können, ist die einzige politische Legitimation, den Menschen zu sagen: Ja, wir haben die Lehren aus der Krise gezogen. Dies müssen Lehren der internationalen Staatengemeinschaft sein.
Es ist interessant, noch einmal auf die Anfänge der Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft zurückzublicken. Ich bin keine Expertin; das sage ich gleich. Aber es ist sehr spannend zu sehen, welche Lehren damals aus der Weltwirtschaftskrise gezogen worden sind. Die Ludwig-Erhard-Stiftung hat eine sehr schöne Schrift dazu herausgegeben. Weil uns die Soziale Marktwirtschaft so wichtig ist, neigen wir alle inzwischen dazu, sie ein bisschen für unsere jeweiligen Zwecke zu instrumentalisieren. Deshalb ist es manchmal gut, wenn man auf die Ursprünge zurückgeht.
Die Weltwirtschaftskrise war ein elementares Erlebnis, bei dem man erkennen musste, dass es Situationen gibt, in denen Marktkräfte einfach nicht mehr wirken und deshalb staatliche Ordnungsmaßnahmen sozusagen zwingend notwendig werden, um die Marktkräfte überhaupt wieder zum Wirken zu bringen. Genau das ist das Erlebnis, das wir auch jetzt hatten. Ich hatte mir nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik und seit meiner aktiven Partizipation als Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland eigentlich nicht vorgestellt, dass Vertreter der Märkte zu mir schreiten und sagen: Entweder Sie greifen staatlich ein oder aber die gesamte Volkswirtschaft bricht zusammen. Das war die Situation im Herbst des vergangenen Jahres. Es wurde nicht etwa gesagt: Denken Sie noch einmal nach, überlegen Sie noch einmal. Es wurde stattdessen nach dem Motto gesagt: Wenn es heute Nacht nicht passiert, ist alles vorbei.
Es wurde ein wirklich interessanter und spannender Druck entfacht, den ich versucht habe, etwas abzufedern. Aber da war nicht viel zu machen, weil die internationale Gemeinschaft nach dem Fall von Lehman Brothers einfach diese Forderung aufgestellt hat. Meine Bitte ist nur, dass man sich ab und an daran erinnert, dass es Situationen gibt, in denen es so schlecht nicht ist, dass es Staaten gibt. Wenn es sie nicht gegeben hätte, säßen wir heute nicht mehr ganz so ruhig hier im Hotel Adlon. Der Staat hat aber nun die Aufgabe und das wird natürlich richtigerweise von der Bevölkerung und der Öffentlichkeit mit größter Sensibilität betrachtet, die marktwirtschaftlichen Kräfte wieder zum Agieren zu bringen. Das ist vor allen Dingen die Aufgabe im Bankenbereich. Darüber haben wir hinreichend viele strittige Diskussionen geführt.
Die Reaktion der amerikanischen Seite auf die Weltwirtschaftskrise war etwas anders geartet. Sie war weniger ordnungspolitisch ausgeprägt, sondern sie war zum Beispiel durch Keynes in der praktischen Umsetzung sehr viel stärker auf eine pragmatische aktive Bekämpfung der Krise ausgerichtet. Es ist recht spannend, dass wir angesichts dieser unterschiedlichen Angehensweisen heute, so viele Jahre danach, manche politische Diskussion, die wir zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika führen, besser verstehen können. Wie immer glaube ich, dass die richtige Antwort in einer guten Mischung aus beiden Ansätzen liegt: Das eine ist die konkrete Krisenbewältigung, das andere sind die langfristigen Folgerungen, die wir zu ziehen haben.
Deutschland hat sich in viele ordnungspolitische Diskussionen gestürzt. Das ging von der Aussage von Professor Sinn, dass wir die Banken verstaatlichen sollen, bis zu den Aussagen, dass dies das Allerletzte sei. Es war sozusagen alles im politischen Spektrum vorhanden.
Wir haben uns lange mit der Frage der Enteignung einer Bank herumgequält. Wir haben so lange darüber diskutiert und so viele Barrieren eingebaut, dass es dazu glücklicherweise vielleicht nicht kommen wird. Die Mühe hat sich gelohnt. Das muss man sagen. Aber es war auch etwas komisch, dass allein wegen der Tatsache, dass wir erklärt haben, dass eine systemrelevante Bank nicht Pleite gehen kann, das normale Verfahren einer Insolvenz einer solchen Bank ausschied, also ein marktwirtschaftliches Instrument nicht zur Verfügung stand und sich damit die Stoßrichtung dessen, was man dann überhaupt noch tun kann, verändert hat. Der Steuerzahler kann natürlich nicht ad ultimo für ein Institut bezahlen, das eigentlich nicht mehr existieren würde, und zwar nur wegen der systembedingten Verpflichtung, dass wir es nicht Pleite gehen lassen. Es mit den Geldern des Steuerzahlers so lange aufzupäppeln, bis es wieder hervorragende Geschäfte macht, ist eine Philosophie, die ich jedenfalls als Bundeskanzlerin schwer vertreten kann.
Wir Staaten das wird in Zukunft noch zu diskutieren sein; und auf diese Frage habe ich, das sage ich ehrlich, noch keine Antwort haben eine Zusage im Rahmen der internationalen Finanzwelt gegeben, dass Banken mit einem systemischen Risiko nicht Pleite gehen dürfen, was uns natürlich in einer außergewöhnlichen Art und Weise bindet. Wenn man das als Bank einmal weiß, muss man nur groß genug werden. Dann hat man quasi die Staaten in der Hand. Deshalb müssen wir uns fragen, welche Rahmenbedingungen wir setzen. Man muss eventuell auch überlegen vielleicht können die Diskutanten heute einmal darüber reden, ob ein Land mit relativ geringem Bruttoinlandsprodukt beliebig viele große Banken haben kann, ohne dass klar ist, was aus damit verbundenen Risiken entsteht. Denn sonst kann der Staat selbst seine Zusagen nicht mehr einhalten. Schon mit diesen Zusagen ist er in einer schwierigen Situation.
Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich mit einer gewissen Sorge sehe, dass es Banken gibt, wenn sie gut aus der Krise herauskommen, die durch die Tatsache, dass die Staaten so viel Geld für die Rettung der Banken ausgegeben haben, schon allein deshalb ein hervorragendes Geschäftsfeld haben, nämlich das Hin- und Herschieben von Staatsanleihen. Das wird noch ein paar Jahre andauern. Auch das beobachte ich kritisch, weil es gewisse Gefährdungen birgt. Das heißt, wir müssen für die Zukunft eine vernünftige eigene Risikoabsicherung der Finanzinstitutionen erreichen. Davon ist ein Element das Behalten der eigenen Produkte, die man für so toll erklärt hat. Wir sind jetzt bei fünfProzent angelangt. Schon bei zehnProzent ist das Geschrei groß gewesen. Darüber bin ich auch schon etwas verwundert gewesen. Aber okay, fünfProzent sind besser als nichts.
Dann stellt sich die Frage der internationalen Überwachung. Was passiert mit Banken, die überregional agieren? Hierbei tun wir uns in Europa schwer. Ich sage allerdings, dass es für mich keine Alternative für eine europäische Bankenaufsicht gibt. Das ist keine Frage. Aber das alleine reicht nicht. Wir brauchen Institutionen, die das weltweit tun. Bei der Frage, ob das allein intergouvernemental geht oder ob nicht doch eine Institution wie das FSB oder der IWF in eine stärkere Verantwortung genommen werden müssen, neige ich als Europäerin, die sich schon damit abgefunden hat, dass Nationalstaaten Kompetenzen an Brüssel abgeben müssen, dazu zu sagen: Wir dürfen eine Abgabe von Kompetenzen in diesen Fragen nicht für tabu erklären. Herr Professor Issing hat für uns mit seiner Gruppe einen Risikoatlas der wichtigsten Finanzinstitutionen ausgearbeitet. Ich finde, das ist eine interessante Idee, die wir weiter verfolgen sollten.
Wenn ich die Geschwindigkeit des G20 -Prozesses betrachte, kann ich festhalten, dass wir ein sehr erfolgreiches Treffen in London hatten. Wir befinden uns jetzt auf der Ebene der mühsamen Umsetzung. Aber wir müssen aufpassen, dass uns der Schwung nicht verlässt, bevor nicht die eigentlichen Schlussfolgerungen gezogen sind. Da sind noch etliche dicke Bretter zu bohren. Die Gefahr, dass uns die Neuerstarkung der Finanzmärkte die Sache schwerer macht, sehe ich ganz klar. Jeder, der einigermaßen gestärkt aus der Krise herauskommt, wird versuchen, sich gegen zukünftige Auflagen zu wehren. Insofern wird das Treffen der G20 im Herbst in Pittsburgh pikanterweise am 24. und 25. September eine gewisse Dringlichkeit haben. Wenn es uns dort nicht gelingt, die strukturellen Dinge richtig festzuzurren, wird es sehr, sehr schwer werden, im Erholungsprozess der Weltwirtschaft voranzukommen.
Wenn es richtig ist, dass die tieferen Ursachen letztlich sind, dass wir in Kauf genommen haben, Wachstum auf Defiziten aufzubauen und Ungleichgewichte auf der Welt zu akzeptieren, bedarf es eines Prozedere ich möchte das gerne in Form einer "Charta des nachhaltigen Wirtschaftens" machen, in dem wir uns auf Grundzüge einer internationalen Finanzmarktarchitektur und bestimmte Prinzipien verständigen. Darum machen, obwohl die G20 beschlossen haben, dass wir an einer solchen Charta arbeiten, im Augenblick viele einen Bogen, weil die Entwicklungs- und Schwellenländer Angst haben, dass für sie Wachstum eingeschränkt wird das ist die Urangst, die wir auch bei allen Umweltabkommen haben, und weil die entwickelten Länder keine Lust haben, sich bezüglich ihrer Defizite zu binden.
Ich bin der festen Überzeugung: So wie wir Herrn Almunia und die Europäische Kommission haben, die uns immer wieder auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufmerksam machen, so müssen wir weltweit ähnliche Absprachen treffen. Ansonsten werden wir ein von mir angesprochenes gleiches Wettbewerbsfeld nicht erreichen. Da in der Zeit der Globalisierung Risiken immer auf alle verteilt werden und die Gewinne auf wenige konzentriert bleiben können, ist dieses Ziel für mich absolut zwingend, weil wir ansonsten nicht zu einer evolutionären kontinuierlichen und nachhaltigen Entwicklung der Weltwirtschaft kommen werden.
Wir werden strukturelle Fragen zu klären haben, auf die ich hier nicht weiter eingehen will. Wir haben noch nicht das internationale Format gefunden. Wir haben auf der einen Seite die G8 plus die G5 Indien, China, Mexiko, Brasilien und Südafrika, die wir im Heiligendamm-Prozess auf der Plattform der OECD zu einer gemeinsamen Diskussionskultur gebracht haben. Dieser Prozess wird unter der italienischen G8 -Präsidentschaft wahrscheinlich um zwei Jahre verlängert werden. Das ist gut. Dazu konkurrierend gibt es das aus dem G20 -Finanzministerformat entstandene Format der Staats- und Regierungschefs. Es gibt international noch keine Übereinkunft darüber müssen wir im Sommer in Italien sprechen, wie sich diese beiden Formate zueinander entwickeln. Die G20 ist noch keine Sicherheit dafür, dass es zu einer weltweiten Akzeptanz kommt. Deshalb muss man es schaffen, die Gruppe der 20 geschickt mit den jeweiligen regionalen Wirtschaftsorganisationen zu verknüpfen, um eine breit gestützte Akzeptanz aus der Afrikanischen Union, dem lateinamerikanischen und asiatischen Raum zu bekommen. Wenn wir uns das genau anschauen, sehen wir, dass sich die Bündnisse in den Regionen verstärken und dass wir daraus eine bessere globale Handlungsoption bekommen.
Ich habe mich immer für den Begriff "Neue Soziale Marktwirtschaft" eingesetzt, und zwar fast zeitgleich mit Ihrer Initiative. Ich habe das aus dem Verständnis heraus getan, dass wir eine neue Dimension der Sozialen Marktwirtschaft brauchen, nämlich die internationale.
Herr Kannegiesser sagte mir eben, als Sie über die Soziale Marktwirtschaft sprachen und darüber, dass sicherlich nicht jede Facette exportierbar sei, so nett: Die Deutschen denken trotzdem immer zuerst an den Export. Damit sind wir ja auch nicht schlecht gefahren. Ich sage: Die Grundzüge der Sozialen Marktwirtschaft müssen Grundlage weltweiten Wirtschaftens werden, ob wir es so nennen oder nicht. Wir brauchen einen Ordnungsrahmen. Staaten oder Institutionen müssen Hüter dieses Ordnungsrahmens sein. Ansonsten wird es auf Dauer weltweit immer wieder zu schweren Eruptionen kommen.
Nun haben wir eine Krise. Ich möchte natürlich aus dem Blickwinkel der nationalen Sozialen Marktwirtschaft etwas zu ihrer Bewältigung sagen. Ich glaube, die Bankenrettung ist im Wesentlichen einigermaßen gelungen. Allerdings stehen wir vor verschiedenen Problemen.
Erstens: Wir wussten immer, dass Deutschland einen eher unter- als überentwickelten Bankensektor hat. Die Tatsache, dass sich die internationalen Banken weitestgehend aus dem deutschen Geschäft zurückgezogen haben, weil sie erst einmal mit sich beschäftigt sind, zum Teil verstaatlicht und wenig überregional tätig sind, stellt für unsere Industrienation mit Blick auf langfristige überregionale Investitionen ein erhebliches Problem dar. Es gibt weniger Akteure.
Zweitens zu den Banken. Ich lasse einmal die Deutsche Bank außen vor. Sie ist gut durch die Krise gekommen, wenn alles so bleibt, wie es im Augenblick ist. Manchmal ist es etwas komisch: Wenn eine Bank gut durchkommt ich habe nicht jede Kommunikation der Deutschen Bank geteilt und wir ein Sorgenkind weniger haben, müssen wir uns nicht aufregen, sondern können zufrieden sein, dass uns einer einmal keine Probleme macht. Das will ich an dieser Stelle auch sagen.
Die Dresdner Bank und die Commerzbank haben sich vor der Krise dazu entschlossen, zu fusionieren, was wir immer für gut befunden haben. Allerdings ist dadurch deren Kreditvolumen auch nicht gerade extensiv gewachsen. Die Schwierigkeiten, die sie in sich trugen, haben dazu beigetragen, dass sie sich nicht in kurzer Zeit zu voller Blüte entwickeln können.
Dann gibt es in Deutschland die Landesbanken. Die Sparkassen haben sich gut geschlagen. Das will ich ausdrücklich sagen. Manchmal verdrängen das die Miteigentümer, aber an dem Problem arbeiten wir noch. Auch die Landesbanken müssen sich umstrukturieren. Wenn sie sich allerdings in der Krise zu schnell umstrukturieren, wird auch deren Kreditvolumen nicht wachsen. Hier müssen wir aufpassen, dass sich das in einer vernünftigen Zeitfolge vollzieht und dass geeignete Geschäftsmodelle vorhanden sind. Es ist auch eine interessante Frage, wie man ohne Geschäftsmodell lange agieren kann.
Wir sind jetzt aus meiner Sicht in einer sehr speziellen Phase der Bankenrettung und -konsolidierung. Jeder hat eingesehen, dass intensives Eingreifen nötig war im Krankenhaus würde man von einer Intensivstation sprechen. Aber jetzt schließt sich eigentlich die Reha-Phase an, in der es um Bad Banks und toxische Papiere geht. Wir müssen aufpassen, dass wir hierbei nicht an Mühen sparen, weil wir ansonsten zwar überlebende Banken, aber nicht voll agierende Banken haben werden. Deshalb ist die Frage, wie wir mit diesen toxischen Papieren umgehen und welche Lösung wir finden, die den Steuerzahler möglichst wenig belastet, eine der entscheidenden und spannenden Fragen, mit denen sich im Übrigen die ganze Welt herumschlägt. Der Stein des Weisen wurde bis jetzt noch von niemandem gefunden, aber es sind verschiedene Ansätze im Umlauf. Das ist das, was uns im Bankenbereich beschäftigt.
Mich beschäftigt ein Weiteres: Wir in der Europäischen Union haben ordentlich, wie wir sind das Basel-II-Abkommen natürlich eins zu eins und mit einer schönen Richtlinie umgesetzt. Die Amerikaner haben das nicht getan. Darüber hatte ich schon während unserer G8 -Präsidentschaft mit dem damaligen Präsidenten gesprochen. Das, was richtig gedacht ist, erweist sich nun in der Krise erstens als wettbewerbsverzerrend gegenüber Amerika und zweitens als mit unglaublichen prozyklischen Effekten ausgestattet. Das heißt, BaselII, die prozyklischen Effekte und die Bilanzierungsregeln sind Punkte, an denen wir arbeiten müssen, und zwar für die Zeit der Krise. Für die Zeit danach haben wir bereits festgelegt, dass wir sozusagen Kapitalreserven bei den Banken brauchen werden, die in guten Zeiten angelegt werden und dann in Krisenzeiten zur Verfügung stehen. Das ist aber Zukunftsmusik, an die wir denken müssen, die uns aber in der Gegenwart nicht hilft.
Nach allem, was ich höre, ist es so, dass, wenn wir bei den prozyklischen Effekten von BaselII nicht etwas tun, in den nächsten Monaten des Sommers und des Herbstes erhebliche Krediteinschränkungen auf uns zukommen werden und der Effekt, dass das Wachstum langsamer in Gang kommt, als es in Gang kommen könnte, sehr stark werden wird. Deshalb meine herzliche Bitte, gerade an Herrn Draghi und Herrn Almunia: Widmen Sie sich dieser Frage. Es ist ein Hin- und Hergeschiebe, keiner ist so richtig verantwortlich und keiner möchte einen ordnungspolitischen Sündenfall begehen. Aber wenn wir auch nur einen Anflug der Vehemenz, mit der wir andere Dinge gemacht haben, auch in Bezug auf diesen Part haben würden, dann wäre das sehr gut. Wir werden jedenfalls seitens Deutschlands immer wieder darauf drängen.
Wie kommen wir nun durch das Tal der Krise? Es wird manchmal so getan, als ob, wenn wir den Tiefpunkt erreicht haben, die Krise vorbei wäre. Die Krise ist natürlich erst dann vorbei, wenn wir wieder den Punkt erreicht haben, an dem wir 2008 einmal waren. Wie aber sieht der Konjunkturverlauf aus, die Form dessen, wie wir aus dieser Krise herauskommen? Ein V-förmiger Verlauf wäre das Schönste: schnell runter, schnell hoch. Das wird es aber wohl nicht werden. Die Frage, welches Land auf der Welt wie stark oder wie schwach aus dieser Krise herauskommen wird, entscheidet sich entlang eines U-förmigen Verlaufs, sozusagen an einer "Badewanne" ob es nun eine Sitzbadewanne, eine Streckbadewanne oder eine Kinderbadewanne sein mag. Jedenfalls ist entscheidend, dass man nicht lange unten verharrt, sondern möglichst schnell wieder herauskommt. Deshalb wird es in den nächsten Jahren auch so wichtig sein, dass wir auf ein vernünftiges nachhaltiges Wachstum setzen und uns nicht Restriktionen auferlegen, die uns immer weiter einschnüren.
Wir haben jetzt reagiert und uns gefragt, was unser größter Schatz in Deutschland ist. Das sind unsere Facharbeiter, Meister und Ingenieure; gar keine Frage. Deshalb tun wir alles, um in Form von Kurzarbeit, von Infrastrukturprogrammen und auch von Bürgschaften, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, die Marktkräfte dort, wo sie noch nicht wieder richtig funktionieren, zu stützen und Brücken zu bauen. Ich glaube, dass die Idee der Kurzarbeit eine sehr vernünftige war. Ich will hier deutlich sagen: All unsere Maßnahmen sind so ausgestaltet, dass sie für Freiberufler, die einen Beschäftigten haben, bis hin zu Unternehmen, die hunderttausend Beschäftigte haben, immer die gleichen Kriterien anlegen. Auch bei der Vergabe von Bürgschaften wird jetzt viel davon gesprochen, dass man nur den Großen helfe und den Kleinen nicht. Es gibt aber, glaube ich, bereits 345Fälle, in denen auch kleineren Unternehmen geholfen wurde. Die sind nur nicht so bekannt, dass sie es in die allgemeinen Nachrichten schaffen würden. Aber diesbezüglich wird sehr viel getan.
Wir haben bei den Steuer- und Abgabenlasten Entlastungen verabredet, die insbesondere zum 1. Juli wirksam werden sowohl im steuerlichen Bereich im Rahmen der Kalten Progression und der Steuerfreibeträge als auch bei den Abgaben hinsichtlich der Gesundheitskosten, was dann die Lohnzusatzkosten auf weniger als 40Prozent bringen wird. Das ist etwas, was für die Wirtschaft natürlich auch ein leichterer Rucksack als in anderen Zeiten ist.
Mit all diesen Dingen haben wir zweierlei getan. Erstens haben wir einen Beitrag für uns selbst in Deutschland geleistet, sodass die Binnenkonjunktur und insbesondere der Konsum bislang nicht eingebrochen sind. Zweitens ist dies auch ein Beitrag, den wir für die Bewältigung der internationalen Krise leisten. Denn allein in diesem Jahr wird sich unsere Handelsbilanz um mindestens 130Milliarden Euro zugunsten der Importe verändern, weil die Exporte eingebrochen sind, die Importe aber weiterhin stark sind, da wir weiterhin konsumieren. Damit sind wir eines der Länder das hat uns der IWF auch bestätigt, die zur Stabilisierung der Weltmärkte einen erheblichen Beitrag leisten. Hinzu kommen die automatischen Stabilisatoren, die wir in Deutschland haben und die angesichts unseres breit ausgebauten sozialen Sicherungssystems natürlich sehr viel stärker wirken, als das in anderen Ländern der Fall ist. Insofern haben wir wirklich gute Beiträge geleistet.
Nun ist klar, dass sich, nachdem die Banken etwas aus dem Fokus herausgekommen sind, die gesamte politische Meinungsbildung und Diskussion natürlich auf die einzelnen Fälle konzentriert, in denen Unternehmen in Schwierigkeiten geraten sind. Diesbezüglich möchte ich auf zwei Dinge eingehen und anhand des Beispiels Opel und des Beispiels Arcandor erklären, wie das Vorgehen ist.
Ich bleibe dabei, dass wir im Fall Opel einen besonderen Fall hatten, zu dem ich im Vergleich keinen zweiten solchen Fall sehe, und dass wir allerdings für alle anderen Fälle ein klares Prozedere eingeführt haben, das nicht von der ersten Sekunde an politikabhängig ist. Wir haben ein Bürgschaftsprogramm und Kriterien für dieses Bürgschaftsprogramm verabredet das ist im Kabinett beschlossen worden und haben einen Bürgschaftsausschuss eingesetzt. Es gibt einen so genannten Lenkungsausschuss, der durch Staatssekretäre politisch besetzt ist. Aber wir haben auch einen Lenkungsrat installiert, der wiederum Wirtschaftssachverständige hat, und bei Fällen von grundsätzlicher Bedeutung oder oberhalb einer bestimmten Bürgschaftsgrenze, die bei 300Millionen Euro liegt, seine Empfehlung im Lichte der Ergebnisse des Bürgschaftsausschusses abgeben muss, bevor dann der Lenkungsausschuss beschließt.
Ich habe die feste Absicht ich glaube, das eint mich mit dem Bundeswirtschaftsminister; und das ist auch innerhalb der ganzen Regierung so verabredet, nach diesem Prozedere und manche denken, man sollte dieses und jenes tun nicht anders zu verfahren. Wenn wir das nicht tun, dann kommen wir natürlich in eine extrem schwierige Situation, weil es dann nur um Sympathien, um Antipathien und um vorhandene oder nicht vorhandene Unternehmensgrößen geht. Das kann auf gar keinen Fall mit einem Bürgschaftsrahmen in Höhe von 100Milliarden Euro oder 115Milliarden Euro, wenn man den Mittelstand hinzunimmt, funktionieren. Deshalb wird diese Prozedur auch im Falle Arcandor genau so ablaufen. Danach wird sich auch die Meinungsbildung der Politik richten.
Wir hatten über die Frage der Zukunft von Opel zu entscheiden. Hier stellte sich die Situation als außergewöhnlich kompliziert heraus. Ich glaube, das war auch Grundlage unserer gesamten Diskussion. Hierbei ist es sehr schwer, die Risiken zu bewerten. Wir haben eine Verhandlungssituation einer amerikanischen Mutter mit einem europäischen bzw. einem in großem Maße deutschen Unternehmen gehabt. Dieses amerikanische Unternehmen gehört nunmehr im Wesentlichen, zu 60Prozent den US-amerikanischen und zu 12Prozent den kanadischen Regierungsvertretern, also zu 72Prozent staatlichen Institutionen. Mit dieser Eigentumsgestaltung ging es nun in ein spezielles amerikanisches Insolvenzverfahren, in dem aber die Rahmenbedingungen, der Ordnungsrahmen für die Insolvenz, staatlich vorgegeben worden sind. Es lag uns sehr daran, eine Trennung des europäischen Bereichs vom amerikanischen Bereich hinzubekommen.
Wir können jetzt lange darüber spekulieren, ob es gelungen wäre, diese Trennung zu erreichen, wenn wir in Europa und in Deutschland gleich auf eine Insolvenz gesetzt hätten. Den hier anwesenden Wirtschaftsvertretern will ich nur sagen: Das wäre für Sie natürlich auch nicht so toll geworden. Der schöne Pensionssicherungsverein hätte erst einmal eine Last in Höhe von vierMilliarden Euro offeriert bekommen. Ob sie das dort so geschätzt hätten, weiß ich nicht. Ich schaue jetzt einmal Herrn Kannegiesser an, weil er heute früh etwas dazu gesagt hat. Ich habe mich aber schon über alles mit ihm ausgetauscht. Dann gibt es natürlich die Tatsache, dass wir keine Gläubigerbank für Opel haben. Das heißt, wenn es zu dem gekommen wäre, was es jetzt zum Beispiel bei Qimonda gibt, nämlich zu einem Insolvenzverfahren, im Rahmen dessen das Insolvenzgeld von der Bundesagentur gezahlt wird und die Betriebsmittel von den Gläubigerbanken bezahlt werden, dann wären die Gläubigerbanken für die Bezahlung der Betriebsmittel staatliche Banken gewesen. Das alles musste man abwägen.
Ich respektiere trotzdem auch die Bedenken des Bundeswirtschaftsministers und möchte an dieser Stelle noch einmal ein ausdrückliches Dankeschön aussprechen, weil hierbei natürlich auch Interessen des deutschen Staates zu vertreten sind. Wenn man von Anfang an alles zu jeder Kondition annimmt, dann ist das natürlich nicht besonders hilfreich. Der Wirtschaftsminister hat an dieser Stelle sehr darauf geachtet, dass wir unsere Interessen in vollem Maße vertreten haben.
Wir haben verabredet, dass wir jetzt den Weg der Überbrückungsphase und des potentiellen Investors Magna gehen. Man muss sehr deutlich sehen: Magna hat noch keinen bindenden Vertrag unterzeichnet. Das sind Absichtserklärungen. Wir haben das politisch so dingfest gemacht, wie man es tun kann, aber jedes Rechtsanwaltspapier hier werden auch etliche Rechtsanwälte sein beginnt ja erst mit all dem, was noch nicht bindend ist, und erst dann kommt das, was man vorhat. Da ich Physikerin bin und den Unterschied zwischen dem richtigen Ergebnis und dem bindenden Ergebnis nicht kenne, muss ich dabei jedenfalls mit größter Achtsamkeit ausgestattet sein.
Wir geben Opel also eine Chance. Ich halte das für fair. Aber ich sage auch: Wir haben in der Regierung verabredet, dass der Bürgschaftsrahmen begrenzt ist. In der neuen Rechtskonstruktion muss Opel mit diesem Bürgschaftsrahmen auskommen. Wir wissen um die Risiken. Wir wissen, dass es Chancen gibt. Aber ohne jedes finanzielle Engagement des Staates wäre es in keinem Fall gegangen. Wir wünschen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Opel wirklich von Herzen alles Gute.
Uns haben Insolvenzanwälte auch gesagt, man hätte vielleicht Rechtsgeschichte schreiben können, indem man einmal geschaut hätte, wie sich deutsche und europäische Insolvenzverfahren mit "Chapter 11" vertragen und wie sich das dann hin- und herbewegt. Aber in diesen Zeiten waren wir alle weniger an neuen Promotionsarbeiten auf juristischem Feld als eher an einer praktischen Rettung interessiert. Insgesamt halte ich das Ergebnis für vertretbar, aber nicht risikolos, um das vollkommen klar zu sagen. Dass man in dieser komplexen Risikoabschätzung zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, versteht sich von selbst.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der komplizierteste Abschnitt in Bezug auf die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft wird beginnen, wenn wir die Krise überwunden haben werden. Schaffen wir es das Gegenteil dessen ist das eigentlich Schlimme an den vergangenen Krisen gewesen, wieder auf den Pfad der Tugend zurückzukommen, was unter anderem die Staatsverschuldung anbelangt? Wann wird dieser Punkt erreicht sein? Dass die Europäische Kommission im Augenblick schlechterdings "business as usual" machen kann, obgleich sie uns als Staaten vorher dazu aufgefordert hat, möglichst viel Geld auszugeben, um die Konjunktur wieder in Gang zu bringen, weiß sie, glaube ich, selbst. Aber die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank muss erhalten bleiben, und die Dinge, die andere Notenbanken jetzt machen, müssen wieder zurückgefahren werden. Ich sehe mit großer Skepsis, welche Vollmachten zum Beispiel die Fed hat und wie sich im europäischen Bereich auch die Bank of England ihre kleinen Linien erarbeitet hat. Auch die Europäische Zentralbank hat sich dem internationalen Druck mit dem Aufkauf von Pfandbriefen schon etwas gebeugt. Wir müssen gemeinsam wieder zu einer unabhängigen Notenbankpolitik und zu einer Politik der Vernunft zurückkehren. Ansonsten werden wir in zehn Jahren wieder an genau diesem Punkt stehen.
Weil es das ist ja die Lehre aus der Sozialen Marktwirtschaft ohne Mechanismen, ohne Regeln und ohne soziale Absprachen nicht gehen wird, ist es so wichtig, eine internationale Finanzmarktordnung aufzubauen. Und für uns als Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist es wichtig, uns in die Disziplin unserer eigenen Verträge zu nehmen. Das wird noch härteste politische Arbeit von uns allen verlangen. Wenn sich die einen wieder kurzfristiges Wachstum erkaufen, indem sie an diesen Regeln vorbeigehen, dann wird es für die anderen politisch nahezu unmöglich, die Regeleinhaltung von ihrer eigenen Bevölkerung zu verlangen. Deshalb wird die Lösung dieser internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise eine Bewährungsprobe auch für das Miteinander auf der Welt sein. Ich werde das weiterhin sehr stark einfordern.
Wir alle haben im Augenblick so viele tägliche Probleme zu lösen, sodass der Blick auf die langfristige Perspektive verlorengehen kann. Aber das darf nicht passieren, weil wir ansonsten in eine schwere Krise des gesamten politischen Systems geraten werden. Das möchte ich nicht, weil ich ein Freund der Demokratie bin und sie durch die Deutsche Einheit auch als eine wunderbare Lebenserfahrung erlebt habe. Deshalb werde ich dafür kämpfen, dass wir die richtigen Lehren ziehen. Herzlichen Dank.