Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 18.06.2009

Untertitel: In seiner Rede anlässlich des Fachkongresses "Die Branche der Zukunft. Neue Bücher. Neue Wege. Neue Jobs" im Berliner Congress Center ging Kulturstaatsminister Bernd Neumann unter anderem auf den Schutz des geistigen Eigentums, den Heidelberger Appell, e-books und das Thema Künstersozialkasse ein.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/06/2009-06-18-neumann-buchtage-berlin,layoutVariant=Druckansicht.html


ich begrüße Sie herzlich im Namen der Bundesregierung hier in Berlin zum Fachkongress 2009 des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Ich bin dem Börsenverein schon darum verbunden, weil er 1912 die Deutsche Bücherei ins Leben gerufen hat, die heute unter dem Namen Deutsche Nationalbibliothek eine der großen Einrichtungen ist, die mein Haus finanziert. In ihrem Verwaltungsrat wirken drei Mitglieder des Börsenvereins mit und achten auch in dieser bedeutenden Institution, die unser gedrucktes und mittlerweile auch elektronisch erfasstes nationales Kulturgut beherbergt, darauf, dass die Belange der Verlage und Buchhändler bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist auch ein wichtiger Partner meines Hauses, wenn es um die Entwicklung von Perspektiven für die Kultur- und Kreativwirtschaft geht. Das Verlagswesen und der Buchhandel gehören zu den wichtigsten Sparten dieses, trotz der Krise, weiterhin aufstrebenden Wirtschaftszweigs, in dem mittlerweile mehr Menschen als in der Autoindustrie arbeiten. Am 25. Februar 2009 hat mein Haus im Rahmen der gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium gestarteten Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft ein Branchenhearing zum Buchmarkt durchgeführt. Vertreter des Verlagswesens und des Buchhandels haben dabei eindrucksvoll dargelegt, dass der Schutz des geistigen Eigentums, die Bekämpfung der Internetpiraterie und der Erhalt der Buchpreisbindung von existenzieller Bedeutung, ja geradezu Schicksalsfragen Ihrer Branche sind.

Gerne nehme ich heute die Gelegenheit wahr, aus kulturpolitischer Perspektive auf diese Themen einzugehen.

Die Digitalisierung eröffnet neue, z. T. faszinierende Chancen für den Einzelnen, wie für unsere Arbeits- und Geschäftswelt: Sie macht Wissen und Information, Kultur und Bildung für breite Bevölkerungsschichten zugänglich, und sie ermöglicht neue, innovative Geschäftsmodelle. Aber: Sie eröffnet auch neue Wege des Missbrauchs. Viele Verlage und Buchhandlungen haben sich längst auf die digitale Welt eingestellt. Und sie haben erkannt, dass hier nicht nur Risiken, sondern auch neue Chancen liegen. Der Buchhandel ist ein äußerst vielfältiger Bereich. Was für Wissenschaftsverlage gut ist, muss nicht zwingend auch für den Bereich der Belletristik oder Sachbuchverlage gelten. Gerade die Wissenschafts- und Fachverlage zeigen seit einiger Zeit, dass Digitalisierung für sie Alltag ist und unterbreiten ihren Kunden längst entsprechende Angebote.

Eines der unverzichtbaren Essentials ist, auch die Autoren weiterhin in die Entscheidung über die Digitalisierung ihres Werks mit einzubeziehen. Auch wenn der sogenannte Heidelberger Appell zwei verschiedene Bereiche wie "Open Access" und Google Books zusammen gespannt hat, die nicht unbedingt zusammen gehören, so müssen wir die Bedenken der Wissenschaftler ernst nehmen. Sie sorgen sich nicht nur um ihr geistiges Eigentum, sondern auch um die Existenz von kleineren Fachbuchverlagen, auf deren stark spezialisierte Angebote Bibliotheken aus Kostengründen verzichten könnten. Ich bin der festen Überzeugung, dass solche Probleme nicht einfach abgetan werden dürfen!

Um kleinere Verlage und auch Buchhandlungen zu schützen, halte ich es zum Beispiel für unerlässlich, dass auch E-Book-Dateien dem Buchpreisbindungsgesetz unterliegen.

Buchpreisbindung erhält die Vielfalt. Wir haben es doch gerade am Beispiel der Schweiz gesehen: Dort wird die Buchpreisbindung kaum zwei Jahre nach ihrer Abschaffung wieder eingeführt. Es hat sich gezeigt, dass ein regulierter Preis für Bücher einen auch gesellschaftlich positiven Effekt hat, da ein dichtes Netz von Buchhandlungen nicht nur den Zugang der Bevölkerung zu Büchern sichert, sondern auch die Vielfalt des Angebots fördert und die Preise insgesamt niedrig hält.

Der Erhalt unserer lebendigen Verlags- und Buchhandelslandschaft im Zuge der Digitalisierung ist eines der wichtigen Ziele für die Zukunft. Ein weiteres, aus meiner Sicht nicht nur für den Buchhandel sehr drängendes, ist der Schutz des geistigen Eigentums.

Wenn sich eine "Gratismentalität" durchsetzt, die davon ausgeht, dass Kultur per se etwas Kostenloses ist, dann haben wir einen entscheidenden Kampf verloren. Es ist in der Buchbranche sicher noch nicht so dramatisch wie in der Musikindustrie, in der durch Raubkopien und Zweckentfremdung des geistigen Eigentums jährlich Schäden in Milliardenhöhe entstehen, doch auch hier wird der Prozess mit der Verbreitung des E-Books rasant einsetzen! Da dürfen wir nicht einfach zuschauen! Die bisherige Novellierung des deutschen Urheberrechts war ein Schritt in die richtige Richtung aber weitere Schritte müssen folgen.

Mittlerweile haben andere Länder in Europa wie Frankreich Vorstöße gemacht, die Internetpiraterie zu ahnden. Wir können daraus lernen und ich denke dabei auch an die Fehler, die wir vermeiden können. Natürlich kann man das aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgangslage nicht 1: 1 übernehmen, aber es kann nicht sein, dass bei uns gar nichts geht. Selbstverständlich müssen wir Urheberschutz und Datenschutz in Einklang bringen. Wir brauchen Kooperationsvereinbarungen zwischen Providern, Rechteinhabern und Verbrauchern. Wir sind es den Kreativen und denjenigen, die diese Werke vermitteln, schuldig, endlich Lösungen zu finden. Ich erwarte vom federführenden Ressort endlich Vorschläge für innovative Lösungsansätze. Das Thema Urheberschutz muss in der nächsten Koalitionsvereinbarung ganz oben auf die Agenda.

Im Übrigen habe ich diese Thematik auch an die EU-Kulturminister herangetragen; die EU-Kommission beschäftigt sich mittlerweile damit. Wir können dieses Problem nur länderübergreifend erfolgreich lösen. Die Position von Rechteinhabern muss gestärkt werden, denn jeder Autor, jeder Künstler hat das Recht, mit seiner kreativen Arbeit Geld zu verdienen sonst tun es andere. Wie das geht, sehen wir ja gerade bei Google. Die Vorgehensweise von Google widerspricht den fundamentalsten Überzeugungen von Urheberschutz und geistigem Eigentum sowie allen europäischen Gesetzen. Google schafft Fakten vor allem auch für die langfristige Nutzung. Jetzt soll alles nachträglich durch einen fragwürdigen Vergleich legitimiert werden. Das können wir nicht taten- und hilflos verfolgen! Es gibt sogar selbst aus Amerika Stimmen, die sich eine Intervention Europas wünschen.

Natürlich sind in erster Linie die Rechteinhaber und ihre Interessenvertretungen aufgerufen, sich der rechtlichen Fragen zu widmen. Es ist sehr wichtig, dass der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die VG Wort an einem Strang ziehen, um die Interessen von Verlagen und Autoren bestmöglich zu wahren. Die VG Wort hat dafür Ende Mai auf ihrer Mitgliederversammlung die Weichen gestellt.

Ich habe das Thema Google Books auf dem Kulturministerrat im Mai auf die Tagesordnung setzen lassen und mich an EU-Kommissarin Reding gewandt.

Es geht ja bei "Google Books" nicht nur um Fragen des Urheberschutzes, sondern sozusagen um eine Grundfrage unseres Kulturverständnisses. Bücher sind Kulturgut. Sie sind Teil unserer abendländischen kulturellen Identität.

Es kann nicht angehen, dass ein Privatunternehmen faktisch ein Monopol auf die Digitalisierung dieses essentiellen Teils unserer Kultur erlangt! Die digitale Verfügungsgewalt über unser Kulturgut muss in öffentlicher Verantwortung bleiben. Gerade vor dem Hintergrund des schnellen Voranschreitens bei Google Books sollte man Alternativen auch nutzen, die sich nicht über die Belange der Autoren und Verlage hinwegsetzen. Darum fördern wir Vorhaben wie die Deutsche und die Europäische Digitale Bibliothek, die nicht nach kommerziellen Gesichtspunkten auswählen, was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Ab 2010/2011 soll die Deutsche Digitale Bibliothek in Betrieb gehen.

Im Schulterschluss mit Wissenschaft und Wirtschaft, darunter auch maßgeblich dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, werden in der DDB die Datenbanken von über 30.000 Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland vernetzt und erschlossen. Dabei kann auf erhebliche Vorarbeiten zurückgegriffen werden. Über 100 Mio. Euro wurden seit 1997 insbesondere von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in die Digitalisierung von Kulturgut und wissenschaftlicher Information investiert. Das Konzeptfür dieDDB, für das eine Fach-Arbeitsgruppe Bund-Länder-Kommunen unter Federführung der Deutschen Nationalbibliothek verantwortlich zeichnet, trägt selbstverständlich Sorge für die Wahrung der Urheber- und Verwertungsrechte. Die Nutzung der Daten soll für Privatpersonen im Rahmen des geltenden Urheberrechts nach Möglichkeit kostenfrei sein, während für kommerzielle Nutzer Marktpreise vorgesehen sind.

Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle betonen, dass "Libreka!", das vor wenigen Monaten auf der Buchmesse in Leipzig gestartet wurde, und die DDB sich in hervorragender Weise ergänzen und nicht etwa in Konkurrenz zueinander stehen. Es besteht vielmehr Einvernehmen, die beiden Portale zu verlinken. Ein Internet-Nutzer bekommt zu einem Thema jeweils das gesamte Angebot präsentiert sowohl die eher älteren Werke aus der DDB als auch die aktuellen Werke aus "Libreka". Das heißt konkret: Wer bei der DDB sucht, der kann anschließend über "Libreka!" bestellen. Es liegt nun an der Branche selbst, dieses Angebot auch zu füllen und Bücher dort einzustellen.

Ihre Tagung wird sich nicht nur mit neuen Vertriebswegen und neuen Formen von Büchern beschäftigen, sondern auch mit der Frage nach neuen Jobs.

Ich bin sicher, diese wird es geben vielleicht sogar in Bereichen, die wir heute

noch gar nicht überschauen können. Kann es nicht sein, dass angesichts etwas gesichtsloser "Book on Demand" -Ausdrucke das Buchbinderhandwerk wieder ganz neuen Aufschwung bekommt? Was auf jeden Fall sicher ist: Wir brauchen weiterhin Autoren und Schriftsteller die das schaffen, was die Vermittler dann, online oder zwischen Buchdeckeln, verkaufen. Als Kulturstaatsminister sehe ich mich als Anwalt der Kreativen und Kulturschaffenden, und ich habe mich schon in der Vergangenheit immer wieder vehement für ihre Rechte eingesetzt und werde es auch weiterhin tun. Der "Arme Poet" hat zwar als "Spitzweg" -Idyll seinen Reiz als Lebensmodell für Kreative aber ist er unzumutbar. Die Künstlersozialkasse sichert Kreative in Deutschland. Sie wurde in den letzen Jahren entscheidend gestärkt und zukunftsfest gemacht.

Durch die Gesetzesreform aus dem Jahr 2007, die eine verstärkte Überprüfung und möglichst lückenlose Erfassung der Verwerter in Gang gesetzt hat, konnte der Abgabesatz kontinuierlich gesenkt werden. Hatte er im Jahr 2005 noch bei 5,8 % gelegen, so ist er für 2009 auf 4,4 % gesunken. Durch den erweiterten Kreis der Verwerter verteilt sich die Abgabelast nun gleichmäßig auf viele Schultern, was zu größerer Gerechtigkeit geführt und die Belastung für die Einzelnen gesenkt hat. Der Abgabesatz wird weiter sinken, wenn alle Verwerter ihrer Zahlungspflicht nachkommen. Eine Abgabe bedeutet immer eine gewisse Belastung für die zahlende Gruppe. Dafür erhalten die Verwerter jedoch auch eine besonders reiche Vielfalt an künstlerischen Leistungen, ohne die die Quelle unserer Kultur in Deutschland versiegen würde.

Lassen Sie mich aus gegebenem Anlass auf ein Thema eingehen, dass eher zu den betrüblichen Kapiteln im Verhältnis von Kulturschaffenden und Verwertern gehört. Heute entscheidet, nach langen Auseinandersetzungen, der Bundesgerichtshof in Sachen Übersetzervergütung. Ich finde es misslich, dass es soweit kommen musste, dass Übersetzer mit der Frage der "angemessenen Vergütung" vor das oberste Gericht ziehen mussten. Die kulturwirtschaftlichen Branchen sind selbst aufgerufen, das Potenzial ihrer Kreativen zu stärken! Gerichtliche Lösungen sollten da nicht zur Regel werden. Gerade das Übertragen fremdsprachiger Literatur ins Deutsche leistet einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Kulturnation. Das muss genügend honoriert werden im wahrsten Sinn des Wortes. Darum fördert mein Haus schon seit langem Übersetzer. Erst im vergangenen Jahr haben wir einen deutsch-italienischen Übersetzerpreis ins Leben gerufen.

In Büchern liegt nicht nur die Seele aller vergangenen Zeiten, wie es der britische Schriftsteller und Historiker Carlyle einmal formuliert hat, sondern auch das Herz jeder Kultur. Lesen schult die kritische Reflexion und ist unerlässlich für ein tieferes Selbst- und Weltverständnis. Ohne Lesefähigkeit gibt es keine Medienkompetenz; sie ist die Grundlage Ihres Wirtschaftszweigs. Wir brauchen eine breite Vielfalt von Büchern, um die Menschen für das Lesen zu begeistern. Nicht alles kann der Bund unterstützen, aber wir streben mit unserer Literaturförderung die Bewahrung des literarischen Erbes und die Vermittlung aktueller literarischer Tendenzen an. Ich weiß, dass es dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels auch um die Qualität unserer deutschen Literaturlandschaft geht. Die überaus verdienstvolle Verleihung des Deutschen Buchpreises setzt dazu jedes Jahr ein neues, wichtiges Zeichen.

Dafür danke ich dem deutschen Börsenverein sehr herzlich - wie überhaupt für seine verdienstvolle Arbeit!

Danke.