Redner(in): Angela Merkel
Datum: 19.08.2009

Untertitel: in Fertörákos /Kroisbach
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Herr Bürgermeister, Herr Magas, sehr geehrte Kollegen,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/08/2009-08-20-merkel-kroisbach,layoutVariant=Druckansicht.html


liebe Freunde,

meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute mit Ihnen den 20. Jahrestag des Paneuropäischen Picknicks zu feiern.

Das Paneuropäische Picknick war wohl das folgenreichste Picknick der Menschheitsgeschichte. Es war weitaus mehr als nur ein Picknick. Ich würde sagen, es war auch mehr als eine Bürgerbegegnung über den Eisernen Vorhang hinweg. Es war in Wirklichkeit eine kleine Revolution. Es war die Weichenstellung auf dem Weg zur offiziellen Grenzöffnung am 10. September.

Dieser Meilenstein wäre ohne den Mut der Organisatoren des Paneuropäischen Picknicks aus Sopron und Debrecen und auch ohne den Mut der Reformer in der damaligen ungarischen Regierung um Ministerpräsident Németh und Staatsminister Pozsgay nicht denkbar gewesen. Bewegend ist, wie Bundeskanzler Helmut Kohl von seinem geheim gehaltenen Treffen mit Ministerpräsident Németh und den Außenministern Horn und Genscher auf Schloss Gymnich am 25. August 1989 in wenigen Tagen vor 20Jahren, also kurz vor der Bekanntgabe der endgültigen Grenzöffnung Ungarns, berichtet: "Mehrmals fragte ich bei Miklós Németh nach, ob die Ungarn dafür keine Gegenleistung erwarteten, und jedesmal winkte er mit den Worten ab:" Ungarn verkauft keine Menschen. ‘ "

Diese Hilfsbereitschaft und dieser Mut haben den Menschen in der ehemaligen DDR den Weg in die Freiheit und allen Deutschen den Weg zur Einheit geöffnet. Sie, die Ungarn, haben dem Freiheitswillen der Deutschen Flügel verliehen. Ihr Mut war ein entscheidender Schlag auf den Meißel, der die Berliner Mauer zum Einsturz gebracht hat. Ungarn hat einen großartigen Beitrag zur Überwindung des Eisernen Vorhangs und für die Freiheit und Einheit Europas geleistet. Dafür möchte ich Ihnen im Namen der Bundesrepublik Deutschland, seiner Menschen und auch ganz persönlich danken. Diese Anerkennung gilt all denen, die damals Solidarität mit den Flüchtlingen gezeigt haben, die den Weg zur Grenze gewiesen haben, die Unterkunft und Unterstützung angeboten haben. Das war keineswegs selbstverständlich. Besondere Hilfe kam von vielen Vertretern der Kirchen, von Oppositionsgruppen wie MDF und FIDESZ sowie Hilfsorganisationen. Pater Kozma steht hier stellvertretend für viele.

Unterstützung kam aber auch von jenseits des Eisernen Vorhangs. So war Otto von Habsburg einer der Schirmherren des Paneuropäischen Picknicks. Der Malteser Hilfsdienst um Csilla von Boeselager, den "Engel von Budapest", hatte eine entscheidende Rolle bei der Betreuung der Flüchtlinge. Wichtig war zudem die Rolle der freien Medien. Sie haben die Bilder vom Abbau der Grenzanlagen in die gesamte DDR übermittelt. So wurde der Ruf der Freiheit weitergetragen. Auch die vielen helfenden Menschen auf der anderen Seite der Grenze, im Burgenland und in ganz Österreich, möchte ich in meinen Dank einschließen. Ungarn, Deutsche, Österreicher und alle die Freiheit liebenden Europäer haben heute gemeinsam Grund zum Feiern. Dazu haben auch andere Europäer einen großen Beitrag geleistet. Ich erinnere an Papst Johannes PaulII. , die polnische Solidarno?? , die tschechoslowakische Charta' 77 und den baltischen Weg.

Dieser Weg zur Verwirklichung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten begann lange vor 1989. Er war nicht frei von Rückschlägen. Das zeigt die Niederschlagung sowohl des Aufstands in der DDR 1953 als auch des Ungarn-Aufstands 1956 und des Prager Frühlings 1968. Aber 1989 war die Massenbewegung nicht mehr aufzuhalten. Die entscheidende Person an der Spitze der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, wollte sie auch nicht aufhalten.

All dies hat die Menschen in der damaligen DDR inspiriert und die friedliche Revolution vorangebracht. Einerseits versuchten tausende DDR-Bürger über Ungarn in die Freiheit zu gelangen sie setzten das marode Regime in Berlin von außen unter Druck, andererseits entschieden sich auch Unzählige bewusst dafür, zu Hause zu bleiben und dort den Wechsel des Systems voranzutreiben.

Heute, meine Damen und Herren, leben wir alle in einem freien und einigen Europa. Das ist etwas, das wir gar nicht hoch genug schätzen können. Das zeigt auch die großartige Tradition der Europakonzerte hier im Felsentheater von Fertörákos. Auf dem Weg in das Felsentheater hängt eine Gedenkplakette. Sie weist auf die Zwangsarbeiter hin, die hier Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigt waren. So nahe liegen mitunter freudige und traurige Erinnerungen. Sie begleiten uns bei der Gestaltung des vereinten Europas, die Ungarn und Deutschland heute Seite an Seite als Freunde und Partner betreiben.

Wir erleben heute einen Auftritt der jungen Musiker der Musikhochschule Franz Liszt Ferenc Liszt aus Weimar, der die historische Verbundenheit genauso wie die hochaktuelle freundschaftliche Partnerschaft unserer beiden Länder symbolisiert.

Jahrzehntelang haben die Mächtigen im Ostblock versucht, ein geeintes, freies und demokratisches Europa aus den Köpfen der Menschen zu verdrängen. Sie haben es nicht geschafft. Was über Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg nur Vision war, ist für uns heute Wirklichkeit. Wir haben unsere Zukunft selbst in der Hand. Wir merken, dass auch das nicht immer einfach ist, aber wir sollten es als unseren Auftrag begreifen und dabei auch an die Geschehnisse vor 20Jahren denken. Wir können etwas verändern, wir können etwas zum Guten verändern. Wir haben dazu heute die Möglichkeiten in Freiheit. Und nun müssen wir sie auch nutzen. Das ist unser Auftrag.

Herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier sein kann.