Redner(in): Angela Merkel
Datum: 20.08.2009
Untertitel: in Greven
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/08/2009-08-20-merkel-greven,layoutVariant=Druckansicht.html
Liebe Familie Fiege
ich sage das einfach so, um mich bei den Brüdern, Kindern und Ehefrauen nicht zu verirren,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma FIEGE, soweit Sie heute hier sein können,
ich freue mich sehr, dass ich heute dieses Unternehmen besuchen kann. Ich habe schon immer vielfältige Kontakte zur Firma FIEGE gehabt sei es bei großen Konferenzen im Bereich Logistik oder in meinem Wahlkreis an der Ostsee, wo Teile der Familie Fiege sehr intensiv tätig sind. Ich habe immer wieder voller Staunen und Interesse von dem gehört, was Sie in Ihrem Unternehmen machen. Heute ist es endlich so weit, dass ich einmal hierhergekommen bin. Ich habe das schon lange versprochen. Auf meiner Reise durch den deutschen Mittelstand musste die Firma FIEGE unbedingt dabei sein.
Ich möchte Ihnen allen, und nicht nur denen, die dieses Unternehmen führen, ein herzliches Dankeschön sagen, weil Sie ein gutes Stück Deutschland sind. Sie sind international bekannt und haben inzwischen viele Beschäftigte auch außerhalb des Landes. Aber vor allen Dingen sind Sie ein großer Arbeitgeber in Deutschland.
Ich habe mich eben in einem Schnellkurs mit der Geschichte Ihres Unternehmens ein bisschen vertraut machen können. Von 1873 bis 2009 war es ein langer Weg, ein vielfältiger Weg. Er spiegelt auch das wider, was in unserem Land geschehen ist. Immer wieder hatten Menschen Ideen. Am Anfang war es der Kohlehandel. Dann hat die technische Innovation mit dem Kauf des ersten Lkw zugeschlagen. Und dann hat es in den 70er Jahren nach der Erdölkrise noch einmal einen totalen Wandel gegeben. Ich habe eben auf einem kleinen Parcours, wie das so schön von den Söhnen genannt wurde, an drei Stellen gesehen, wie moderne Logistik funktioniert, wie viele Menschen eine Arbeit bekommen können und mit wie viel unterschiedlichen Gegenständen und Waren Sie das alles durchführen.
Die Logistik ist ein Bereich, der unterschätzt wird. Die Menschen machen sich oft wenig Gedanken darüber, wo etwas herkommt und wie es wohin kommt. Aber das ist heute ein hochspezialisierter Bereich. Für dessen technische Entwicklung hat die Firma FIEGE immer wieder Maßstäbe gesetzt. Die Wettbewerber fürchten, dass Sie immer wieder so viele gute neue Ideen haben. Aber das ist genau das, was wir unter Sozialer Marktwirtschaft verstehen: Wettbewerb in geordneten Bahnen und soziale Partnerschaft. Deshalb möchte ich auch dem Betriebsrat ein Dankeschön sagen, der sich eben kurz vorgestellt hat. Ich denke, viele der Erfolge sind nur möglich, weil hier partnerschaftlich zusammengearbeitet wird.
Wenn wir uns anschauen, worin die Zukunft unserer Arbeit liegt, dann sind das immer wieder neue Bereiche. Sicherlich wird von jedem von Ihnen immer wieder erwartet, dass Sie mit neuen Ideen, guten Gedanken und natürlich auch mit der Arbeitsleistung Ihren Beitrag für diese Firma leisten, der die Kunden immer wieder zufriedenstellt. Von der Kosmetikverpackung bis zum Reifen und den Boschzulieferern ist nahezu ganz Deutschland von FIEGE abhängig. Wenn Sie nicht mehr wollen, würden wir erst einmal merken, was uns alles fehlt. Also darf es dazu nicht kommen.
Wir sind in diesem Jahr durch internationale und nicht von uns verursachte Ereignisse unerwartet in eine Krise geraten, die sich glücklicherweise nicht überall bemerkbar macht, aber die uns schon zu denken gibt. Im Grunde ist eine der Lektionen, die wir aus dieser Krise lernen und dafür werde ich mich international auch ganz gezielt einsetzen, dass wir überall Regeln brauchen, damit Märkte funktionieren. Wir brauchen Begrenzungen. Unendliche Gier nach Gewinn, ohne zu fragen, was morgen ist, geht nicht. Wir haben jetzt erlebt, dass Wenige auf der Welt für viele, viele Menschen die Situation verschlechtert haben und dass einige dieser Wenigen längst über alle Berge sind und nichts mehr zu verantworten brauchen. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.
Ich glaube, die Menschen in Deutschland erwarten zu Recht, dass wir als Politiker alles daransetzen, dass sich eine solche Krise nicht wiederholt. Das kann aber ein Land heute nicht mehr allein schaffen. Wenn wir als Bundesregierung sagen, dass wir das Notwendige dafür beschließen wollen, dann ist das schön. Aber dann halten sich nicht unbedingt auch England oder Amerika daran. Das heißt, es ist heute unsere Aufgabe, in der internationalen Gemeinschaft gemeinsam Regeln festzulegen und auch darauf zu pochen, dass sich jeder daran hält.
Ich nenne einmal das Stichwort BaselII. Das wird hier nicht allen etwas sagen. Aber das hat etwas mit den Kreditvergaben zu tun, wer wann unter welchen Bedingungen Kredit erhält. Wir haben BaselII international gemeinsam verhandelt. Als BaselII eingeführt wurde, haben sich die Amerikaner einfach nicht daran gehalten. Das bringt für uns Schwierigkeiten, weil man woanders Dinge billiger machen kann. Das ist nicht fair.
Deshalb ist es gut, dass wir Europa haben. Es gibt 80Millionen Deutsche im Verhältnis zu über sechsMilliarden Menschen auf der Welt. Wir können nicht mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Welt rennen und sagen: Nach uns müsst ihr euch richten. Aber wenn wir in Europa mit immerhin 500Millionen Menschen einer Meinung sind, dann haben wir schon die Möglichkeit, eine starke Stimme zu erheben und zu sagen: Leute, passt auf, wir haben nicht umsonst Regeln für unsere Soziale Marktwirtschaft; diese müssen jetzt auch weltweit gelten. Daran arbeiten wir. Ich werde vor der Bundestagswahl im September noch einmal nach Pittsburgh in Amerika fahren, weil die Amerikaner den nächsten G20 -Gipfel veranstalten. Dann müssen solche Spielregeln wirklich vereinbart werden.
FIEGE ist groß geworden. Es gibt Sie als Unternehmen FIEGE schon deutlich länger als 100Jahre, weil Sie eben immer wieder an morgen gedacht haben. Sie haben nicht nur geschaut, wie Sie heute einen maximalen Gewinn erzielen können, sondern Sie haben auch geschaut, wie Sie der künftigen Generation Zukunft eröffnen können. Deshalb sind Familienunternehmen für uns so wichtig.
Dass es Familienunternehmen gibt, dass es Wettbewerb in Deutschland und so viel Mittelstand gibt, ist im Übrigen insbesondere die Leistung von Ludwig Erhard. Ludwig Erhard hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg unglaublich hart mit den wenigen großen deutschen Unternehmen anlegen müssen. Sie wollten nämlich überhaupt kein Wettbewerbsrecht. Sie wollten, dass sie immer größer werden und die Kleinen immer wieder verdrängen können. Ludwig Erhard hat gesagt: Wenn wir ein starkes Rückgrat haben wollen, brauchen wir mittelständische und kleine Unternehmen. Sie sind flexibel. Sie können schnell agieren. Deshalb hat Ludwig Erhard damals das Kartellrecht durchgesetzt. Deshalb wird noch heute auch international darauf geachtet, dass nicht einer alle Macht über alles hat, sondern dass es immer auch ein Spiel um das beste Angebot gibt.
Ich glaube, FIEGE muss bei den allermeisten Wettbewerben keine Sorge haben. Sie sind effizient. Sie haben kluge Ideen. Ich wünsche Ihnen, dass das weiter so bleibt, dass Sie Ihr Denken über den Tag hinaus weiter so umsetzen, dass viele Menschen dadurch Arbeit erhalten. Politik kann keine Arbeitsplätze schaffen. Politik kann nur die Rahmenbedingungen setzen und die Spielregeln vereinbaren, unter denen so etwas stattfindet.
Es ist wichtig, dass wir in dieser schwierigen Situation, in der unser Land im Augenblick ist, den Zusammenhalt unseres Landes immer im Auge behalten und dass wir um die Bedeutung von jedem Einzelnen wissen, vom Auszubildenden, von denen, die im Arbeitsleben stehen, vom Zusammenspiel von Betriebsräten und Unternehmen genauso wie von der Leistung, die die, die jetzt schon in Rente sind, für ein solches Unternehmen erbracht haben.
Wenn wir das alles gemeinsam sehen, wenn wir darauf achten, dass Arbeitsleben und Familienleben ein Stück weit vereinbar sind, dann haben wir insgesamt eine gute Chance, dass wir, obwohl sich die Leute im Augenblick überall auf der Welt anstrengen, aus der Krise stärker herauskommen, als wir in sie hineingegangen sind. Ich arbeite dafür und ich möchte das weiter tun, dass es unserem Land gut geht, weil wir tolle Unternehmen und tolle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben.
Wir sind heute hier am heißesten Tag des Jahres zusammengekommen. Deshalb ist es gleichzeitig so etwas wie eine Sommerfrische mitten am Tag. Ich möchte mich herzlich bei Ihnen bedanken. Ich habe einen kleinen Einblick in das bekommen, was Sie tun. Ich wünsche Ihnen, liebe Familie Fiege, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viel Erfolg. Ich möchte mich herzlich dafür bedanken, dass Sie das hier so toll vorbereitet haben. Alles, alles Gute. Wenn ich einmal wieder ins Ausland fahre und die Firma FIEGE sehe, weiß ich, wo sie herkommt. Ich wünsche Ihnen, dass in Zukunft alles weiter gut geht.
Herzlichen Dank.