Redner(in): Angela Merkel
Datum: 01.04.2010

Untertitel: in London
Anrede: Sehr geehrter Lord Rees, sehr verehrte Festversammlung,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/04/2010-04-01-merkel-london-verleihung-king-charles-ii-medal,layoutVariant=Druckansicht.html


Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass ich heute in der Royal Society bin und die Ehre habe, die King CharlesII Medaille zu empfangen. Das ist eine große Ehre sowohl für mich als Bundeskanzlern der Bunderepublik Deutschland als auch für das Land, das ich vertrete. Ich freue mich, dass der neu gewählte Präsident der Leopoldina heute auch unter uns ist und es ein Stück deutsch-britischer Gemeinsamkeit in der Wissenschaftskooperation in dieser ehrenwerten Royal Society gibt.

Sie werden von mir keine wissenschaftliche Vorlesung verlangen, wie ich hoffe, ansonsten wären Sie sehr enttäuscht, sondern ich werde mich im Wesentlichen eher um die Rahmenbedingungen für eine gute Wissenschaft kümmern. Ich will aber zu Beginn doch noch einmal daran erinnern, dass die Royal Society im Gründungsjahr 1660 in einer Welt existierte, die im Umbruch war. Mit der Gründung von Handelskompanien im 17. Jahrhundert begann so etwas wie eine erste Welle der Globalisierung. Es wurden immer mehr Rohstoffe, Waren, Dienstleistungen und Know-how ausgetauscht. Technischer Fortschritt sorgte bereits damals für eine rasante Entwicklung des globalen Handels, auch wenn er immer wieder von Krisen erschüttert wurde.

Das 17. Jahrhundert erlebte aber nicht nur in materieller und ökonomischer Hinsicht eine Zäsur. Es markiert auch den Beginn der Epoche, der wir, wie ich glaube sagen zu dürfen, unsere heutige Lebensweise verdanken können, nämlich der Epoche der Aufklärung. Die Naturwissenschaften erfuhren eine Blütezeit. Man denke etwa an Galileo Galilei, Johannes Kepler oder an Newton, um nur wenige herausragende Vordenker zu erwähnen. Genau in diese Phase des weitreichenden Umbruchs fiel also die Gründung der Royal Society ein Kind seiner Zeit, eine Geburt neuen Denkens und auch ein Ausdruck des Interesses politischer Verantwortungsträger an den Wissenschaften.

Dafür steht auch das Motto "nullius in verba" "Nach niemandes Worten". Darin offenbarte sich der Wille der Royal Society, eine neue, experimentell begründete Wissenschaft zu entwickeln, die sich niemals damit begnügt, Autoritäten zu zitieren, und die Kraft der Royal Society, sozusagen wissenschaftliches Neuland zu betreten, die Dinge auszusprechen, wie sie sind, und sich nicht fürchten zu müssen, dass man damit Autoritäten sozusagen beleidigt. Heute ist dies in der Wissenschaft selbstverständlich. Damals aber bedeutete dies einen offenen Bruch mit der bis dahin vorherrschenden Wissenschaftsphilosophie. Es waren Initiativen wie diese, die die Naturwissenschaften begründeten, wie wir sie heute verstehen. Die Royal Society war also Vorreiter eines modernen Wissenschaftsverständnisses.

Motiviert und beseelt von Erkenntnisdrang und Forschergeist haben brillante Köpfe bahnbrechende Entdeckungen gemacht und neue Weltsichten eröffnet, Horizonte erweitert und neue Perspektiven geschaffen. Über Jahrhunderte hinweg haben uns die Fellows der Royal Society mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen sei es über die Schwerkraft, die Evolution, das Elektron, die Doppelhelix und anderes mehr immer wieder auf wunderbare Weise die Welt erklärt. Ich hatte soeben die Ehre, mir die Charta der Royal Society anzuschauen und einen Blick auf die Fellows der vergangenen Jahrhunderte zu werfen. Das ist schon etwas, das einen staunen und Hochachtung für das empfinden lässt, was geleistet wurde. Robert Hooke, Michael Faraday, Charles Darwin und natürlich der bereits erwähnte Isaac Newton finden sich in diesem wunderbaren Buch. Sie alle sind Pioniere der Wissenschaften, Menschen, die Wissenschaftsgeschichte geschrieben haben, und Menschen, die immer wieder Neuland betreten haben.

Heute können wir uns glücklich schätzen, dass die Wissenschaftsfreiheit zu den Grundrechten demokratischer Gesellschaften zählt. Manchmal ist es vielleicht schon zu selbstverständlich, dass wir diese Freiheiten haben. Wenn man die Freiheiten hat auch das ist eine Erfahrung, nutzt man sie manchmal gar nicht ausreichend. Deshalb sollten wir uns immer wieder bewusst sein, dass die Freiheit der Wissenschaften eine grundsätzliche Freiheit ist.

Das Schöne an der Wissenschaft ist: Kaum hat man eine Antwort darauf gefunden, was die Welt zusammenhält, tauchen auch schon wieder neue Fragen auf. Wenn ich das sagen darf: Als ich von meinem Leben als Physikerin und Wissenschaftlerin in das politische Leben übergewechselt bin, war es vielleicht die größte Veränderung, dass es in der Wissenschaft gar nichts zählt, wenn man zweimal dasselbe sagt, dass es aber in der Politik unbedingt erforderlich ist, dass man mindestens zehnmal dasselbe sagt, bis es eine relevante Menge der Bevölkerung auch wirklich aufgenommen hat. Das bedeutet: In der Wissenschaft befindet sich die Welt immer in Bewegung, es gibt immer wieder neue Herausforderungen.

Vor diesen Herausforderungen stehen wir natürlich auch heute. Heute ist die Lage eine solche, dass wir wieder einer Phase der Globalisierung gegenüberstehen, einer Phase, in der die Vorherrschaft der Länder, die die Epoche der Aufklärung durchlebt haben, nicht mehr so selbstverständlich ist, wie das über die letzten Jahrhunderte hinweg der Fall war. Wenn man nach China reist, dann knüpft man dort nicht an das 17. Jahrhundert an, sondern dort knüpft man an das 10. Jahrhundert an, als China in den Wissenschaften vorne in der Welt mit dabei war oder nicht nur mit dabei war, sondern die Wissenschaften bestimmt hat. Man sagt dort: Wir wollen zurück zu dieser Phase der chinesischen Erfolgsgeschichte.

Wir müssen uns heute einem völlig neuen Wettbewerb in Europa und auch in den Vereinigten Staaten von Amerika stellen. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir diesen Wettbewerb nur gewinnen können oder nur dann vorne mit dabei sein können, wenn wir unsere europäischen Kräfte bündeln. Wenn man wieder in das wunderbare Fellows " Book der Royal Society schaut, dann merkt man: Europa ist nicht erst seit unseren Zeiten eine gelebte Wirklichkeit. Alexander von Humboldt findet sich dort genauso wie Max Planck und manch anderer. Unter Wissenschaftlern wusste man also schon immer, was gut ist und was sich zusammenfügen sollte, damit etwas noch Besseres daraus entsteht.

Auch für uns gilt heute im wissenschaftlichen Bereich genauso wie im politischen Bereich, dass wir die Kooperation zwischen den europäischen Staaten brauchen, dass wir viele Projekte nur verwirklichen können, wenn wir eine multilaterale oder zumindest eine bilaterale Partnerschaft entwickeln. Deutschland, das darf ich sagen, ist gerne dabei, wenn es um internationale Wissenschaftskooperation geht. Deutschland freut sich über die enge Beziehung zu den britischen Wissenschaften. Ich glaube, das ist für uns beide immer wieder eine Bereicherung und festigt unsere Beziehungen insgesamt.

Ein festes Band gibt es zwischen Deutschland und Großbritannien nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch in den poltischen und persönlichen Beziehungen. Ich komme gerade aus Chequers von einem Treffen mit dem britischen Premierminister. Wir pflegen heute im Rahmen der europäischen Gemeinsamkeit und der Arbeit innerhalb der Europäischen Union natürlich einen regelmäßigen Austausch über den gesamten Bereich der politischen Fragen. Im Interesse der Öffentlichkeit steht ja meistens das, in dem man sich noch nicht einig ist. Wenn man sich aber einmal vergegenwärtigt, in wie vielen Dingen wir uns einig sind, dann ist das schon sehr beeindruckend. Wir arbeiten gemeinsam in internationalen Bündnissen. Es prägt heute natürlich auch das Bild jedes politischen Entscheidungsträgers eines Nationalstaats, dass man gar nicht mehr allein national denken kann, sondern dies immer auch mit dem Denken der Europäischen Union und der transatlantischen Gemeinschaft vernetzt.

Ich habe gesagt, dass wir vor der großen Herausforderung stehen, unsere führende Position behaupten zu können. Manchmal habe ich den Eindruck jetzt spreche ich über Deutschland, dass die Anstrengung, vor der wir stehen, vielleicht noch gar nicht jedem ausreichend bekannt ist. Wir haben deshalb in dem Zeitraum, in dem ich Bundeskanzlerin bin, als Bundesregierung immer wieder gesagt: Ein rohstoffarmes Land wie Deutschland muss seinen Wohlstand darin suchen, dass es in Forschung, Bildung und Wissenschaft investiert, und zwar überproportional. Für die Bundesrepublik Deutschland besteht die Aufgabe auch noch darin, in den nächsten Jahrzehnten einen demographischen Wandel, also eine dramatische Veränderung unseres Altersaufbaus, zu bewältigen. Das heißt, wir müssen jeden jungen Menschen durch Bildung so befähigen, dass er seine Fähigkeiten in die Gemeinschaft einbringen kann und dass wir unsere, wenn ich das in Anführungsstrichen sagen darf,"humanen Ressourcen" voll ausschöpfen.

Dabei geht es darum, wie wir es schaffen, Institutionen vernünftig zu gestalten. Deutschland ist ein föderales Land, was Probleme aufwirft, die Sie in Großbritannien in dieser Weise nicht kennen. Für die Schulbildung sind die Bundesländer verantwortlich, aber natürlich sind die Schüler, die aus der Schule kommen, Teil der Gesellschaft, für die dann wiederum alle Regierungsebenen und auch die Bundesregierung verantwortlich sind. Wir haben in Deutschland auch infolge der PISA-Studie festgestellt, dass wir im Rahmen der Bildung wettbewerbsfähiger werden müssen. Das bedeutet vor allen Dingen, dass unsere Schulbildung bessere Abschlüsse hervorbringen muss. Das bedeutet wiederum, dass wir insgesamt mehr Kraft und auch mehr Geld in das Bildungssystem investieren müssen.

In Deutschland ist es lange Jahre so gewesen, dass man das ist so etwas wie ein deutsches Sprichwort gesagt hat: Der Ernst des Lebens beginnt mit dem Eintritt in die Schule. Daran sehen Sie schon, dass man in Deutschland sehr stark davon ausgeht, dass man bis zur Schule ein spielerisches, schönes Leben hat und dann eine harte Zeit beginnt. Die modernen Erziehungswissenschaften haben uns aber die Ansicht nahe gebracht, und ich teile sie völlig, dass der Mensch von Geburt an ein lernendes Wesen ist und dass das Lernen und das Sich-Bilden so viel Freude macht, dass dabei der Einschnitt des In-die-Schule-Gehens eigentlich gar nicht auffallen darf.

Wir wollen und müssen in Zukunft siebenProzent unseres Bruttoinlandsprodukts in Bildung investieren. Das müssen wir auch deshalb tun, weil wir die große Aufgabe der Integration von Migrantinnen und Migranten vor uns haben. Ich denke, das ist auch eine Gemeinsamkeit mit der britischen Gesellschaft. Die Beantwortung der Frage, wie diese Integration gelingen kann, ist eine der Aufgaben, die wir noch nicht abschließend gelöst haben und über die es durchaus auch vermehrte und intensivere Diskussionen zwischen Bildungswissenschaftlern in Großbritannien und Deutschland geben könnte.

Wir haben sehr viel Kraft darauf gelenkt und werden das auch weiterhin tun, in Deutschland das Interesse an den mathematischen, ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Ausbildungsgängen zu stärken. Wir haben in diesem Bereich eher zu wenige Studenten als zu viele. Deshalb gehört es zu den Aufgaben, wenn man den Wohlstand und den Lebensstandard in unseren Ländern erhalten will, die Freude an naturwissenschaftlicher Bildung zu fördern. Es stellt sich heraus, dass die naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge als eher schwierig gelten. Es hat sich in Bezug auf die Berufsperspektiven immer wieder herausgestellt, dass die Akzeptanz dieser Berufsbilder in guten Wirtschaftszeiten zwar sehr gut ist, dass es aber, wenn es einmal eine Konjunkturflaute gibt, auch erhebliche Schwierigkeiten gibt, eine Stelle zu bekommen. Deshalb ist es auch eine Aufgabe von Wirtschafts- und Bildungsinstitutionen, sozusagen eine permanente Akzeptanz von Berufschancen für Absolventen mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer zu sichern. Denn die Veralterungsgeschwindigkeit des wissenschaftlichen Wissens ist rapide. Deshalb darf es keine Leerzeiten geben.

Wir sind auf diesem Weg vorangekommen, wenngleich sich hierbei ein Problem stellt, mit dem vielleicht alle entwickelten Industrieländer zu kämpfen haben, nämlich dass die Skepsis gegenüber Naturwissenschaften und die Überbewertung bestimmter Risiken Probleme aufwirft, die die Akzeptanz von Naturwissenschaften auf jeden Fall etwas mindern. Daraus erwächst meiner Meinung nach wiederum eine Aufgabe für die Wissenschaftler selbst, nämlich sich dem Rest der Gesellschaft mit einer Sprache zu öffnen, die auch der Rest der Gesellschaft mit einer mittleren Schulbildung verstehen kann. Die Expertise, das Fachwissen, die Fachausdrücke sind zwar wunderbar, aber die großen Wissenschaftler ihrer Zeit konnten ihre schwierigen Forschungsaufgaben auch immer in einfachen Worten so darlegen, dass sie die Nachbardisziplinen und vielleicht auch naturwissenschaftlich nicht gebildete Menschen verstehen konnten. Deshalb ist mein Plädoyer in Deutschland immer wieder, sich der Gesellschaft zu öffnen das ist ja geradezu die Aufgabe der Royal Society und mit der Gesellschaft in einen Disput über die Naturwissenschaften einzutreten.

Wir haben außerdem natürlich die Aufgabe, ausreichende Mittel für die Wissenschaften bereitzustellen. Hierbei geht es natürlich vor allen Dingen zum einen um Geld, aber zum anderen auch um adäquate Organisationsstrukturen. Es ist hier von meinen Vorrednern erwähnt worden, dass diesbezüglich in Deutschland mit der Max-Planck-Gesellschaft, mit den Forschungsgesellschaften und auch mit den Akademien, die wir haben, recht gute Strukturen existieren. Was sich in Deutschland wegen der föderalen Struktur immer als schwierig erwiesen hat, war, zu einer Nationalen Akademie zu gelangen. Wir sind sehr froh, dass mit Herrn Hacker heute ein Präsident einer Nationalen Akademie, nämlich der Leopoldina, hier unter uns ist. Es hat uns Jahrzehnte gekostet, so eine Akademie zu schaffen. Dafür hat es erst der deutschen Wiedervereinigung und mit Annette Schavan einer guten Forschungsministerin bedurft, die es lautlos geschafft hat, den regionalen Akademien nicht das Gefühl zu geben, dass ihre Bedeutung sinkt, wenn es einen zentralen Ansprechpartner in Deutschland gibt, an den sich zum Beispiel die Royal Society wenden kann. Wir freuen uns, dass diese Kooperation so gut klappt.

Wir haben außerdem für die Organisation der Wissenschaft in Deutschland insbesondere der Naturwissenschaften und der Ingenieurwissenschaften eine Hightech-Strategie entwickelt, im Rahmen derer wir in den verschiedensten Bereichen der wissenschaftlichen Forschung eine Analyse bezüglich dessen gemacht haben, wo Deutschland steht und was zu tun ist, wenn wir an der Weltspitze stehen wollen. Wir haben uns dabei natürlich auf bestimmte Bereiche konzentriert, auf die wir Schwerpunkte setzen. Dazu gehört mit Sicherheit die Energieforschung, auch verbunden mit den Fragen des Klimawandels. Ich bin sehr froh, heute auch an dem Ort zu sein, an dem der Stern-Report vorgestellt wurde ein wichtiger Beitrag zu der Frage, wie wir dem Klimawandel begegnen.

Ich glaube, in der gesamten Frage des Klimawandels und seiner Bewältigung haben wir nach der Kopenhagener Konferenz im Augenblick eine gewisse Krise. Wir wollen natürlich, in Anlehnung an ein chinesisches Sprichwort, aus der Krise eine Chance machen. Wenn wir das wollen, dann ist es ganz wichtig, sich die wissenschaftliche Basis zur Frage des Klimawandels genau anzuschauen, weil es Irritationen über Äußerungen des IPCC gab, die dadurch, dass sie Übertreibungen des Klimawandels beinhaltet haben, nun zu einem gegenteiligen Effekt führen könnten, sodass man das Thema Klimawandel gar nicht mehr für so wichtig hält, und das gerade auch in Zeiten einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Ich glaube deshalb, alle Wissenschaftsinstitutionen sollten ein hohes Interesse daran haben, die Frage des durch den Menschen verursachten Klimawandels realistisch darzustellen, um wieder eine Akzeptanz oder eine größere Akzeptanz für dessen Bewältigung herzustellen.

Der Stern-Report war deshalb so wichtig, weil er die Frage einmal ganz anders gestellt hat, nämlich nicht, was passiert, wenn wir etwas tun, und wie viel uns das kostet, sondern was passiert, wenn wir nichts tun. Indem man diese beiden Varianten gegenüberstellt also was auf der einen Seite passiert, wenn wir etwas tun, und wie teuer das ist, und was auf der anderen Seite passiert, wenn wir nichts tun, und was uns das kostet, bekommt man ein viel besseres Gefühl für die Dringlichkeit der Aufgaben, die vor uns liegen.

Ich glaube, Großbritannien und Deutschland arbeiten sowohl politisch als auch wissenschaftlich im Bereich der Energieforschung und auch im Bereich der internationalen Rahmenbedingungen für die Bewältigung des Klimawandels in hervorragender Weise zusammen. Wir haben gemeinsam große Erfahrung bei der Entwicklung der Energieversorgung mit Hilfe von erneuerbaren Energien. Es gibt in Deutschland eine sehr kritische Diskussion über den notwendigen Energiemix aus erneuerbaren Energien, Kernenergie, Gaskraftwerken und Kohlekraftwerken. Es ist sehr interessant, auch die Entwicklung hier in Großbritannien zu beobachten, wo die gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der Kernenergie vielleicht nicht ganz so hart geführt wird, wie wir das in Deutschland kennen. Darüber können wir uns sicherlich sehr gut austauschen.

Ein zweiter großer Bereich, der indirekt auch mit dem Klimawandel zu tun hat und ebenfalls mit der Knappheit der Ressourcen, ist das Thema Mobilität, also Elektromobilität und anderes mehr. Auch hierbei sollten und werden wir in Zukunft engstens zusammenarbeiten. Die gesamte Gesundheitsforschung ist für alternde Gesellschaften wie beispielsweise Deutschland natürlich ein Topthema, das Thema Medizintechnik und ihre Entwicklung genauso wie der gesamte Informations- und Kommunikationstechnologiebereich.

Immer wieder wird es darum gehen, der Bevölkerung klarzumachen: Unser Wohlstand kann in Zukunft nur erhalten werden, wenn wir den Wissenschaften, der Forschung und ihrer Anwendung in unseren Gesellschaften eine Chance geben. Dabei ist es natürlich besonders wichtig, darum zu kämpfen, dass die Grundlagenforschung ihren Platz in unseren Gesellschaften hat, die nicht dauernd berichtspflichtig in Bezug auf das Ergebnis ist, sondern um ihrer selbst durchgeführt werden kann, weil die Entdeckungen, die daraus resultieren, schwerlich in Jahresplänen prognostizierbar sind. Ich sage immer, falls ein Thema ein Feuilleton oder Ähnliches erreicht hat: Wenn Politiker glauben, dass sie jetzt wüssten, in welcher Art und Weise sich die wissenschaftlichen Entwicklungen fortsetzen werden, dann muss man eigentlich besonders skeptisch sein und darf nicht glauben, dass man den Zug der Zeit besonders gut erkannt hat. Es gibt, wie ich glaube sagen zu dürfen, heute selbst in den wissenschaftlichen Publikationen in gewissen Fächern einen gewissen Run in Bezug darauf, zu glauben, dass man durch die quasi populärwissenschaftliche Darstellung von Entdeckungen bereits den Trip der Zeit beschrieben hat. Aber man sollte in alle Bereiche der Grundlagenforschung schauen und nicht zu früh glauben, man könnte politisch zuordnen, was wichtig ist und was nicht. Ich werde jedenfalls aus meiner Erfahrung als jemand, der früher in der Grundlagenforschung tätig war, immer eine Schlacht für die Grundlagenforschung schlagen auch in der Zukunft.

Meine Damen und Herren, Akzeptanz von Wissenschaft heißt des Weiteren, neue wissenschaftliche Entwicklungen unvoreingenommen in den Gesellschaften zu akzeptieren. Ich habe über die Kernenergie gesprochen. Ich kann auch über die grüne Gentechnologie in Deutschland sprechen ein Thema, das außerordentlich schwierig zu vermitteln ist in einem Land, das genügend zu essen hat, und in einer Europäischen Union, in der man sich eher mit der Frage beschäftigt, wie wir die Überproduktion im Agrarbereich vermeiden können, und man sich weniger damit beschäftigt, wie viele Menschen weltweit hungern und welche Segnungen die grüne Gentechnologie entfalten kann. Bei der so genannten roten Gentechnologie haben wir gesehen, dass die Akzeptanz in dem Moment vorhanden ist, in dem Menschen einen Nutzen für ihre eigene Gesundheit daraus ziehen können. Vielleicht kann uns das ein Beispiel dafür sein, wie wir auch die grüne Gentechnologie international besser verankern.

Moderne Naturwissenschaft bedeutet auch internationale Kooperation. Es gibt Projekte, die wir allein nicht mehr durchführen können. Ich habe mich innerhalb der Europäischen Union sehr dafür eingesetzt, dass wir den European Research Council, also den Europäischen Forschungsrat, so ausgestalten, dass er wirklich nach Leistung urteilt und nicht danach, welche Länder aus welchen Regionen Europas möglichst vollständig an einem Projekt beteiligt sind. Dieses Denken ist in Europa nicht selbstverständlich. Es ist auch gar nicht so einfach, eine konstante Betätigung dieses European Research Council sicherzustellen. Aber ich glaube, wir müssen immer wieder, auch in der politischen Diskussion, klarmachen: Wissenschaft ist nur dann förderungswürdig, wenn sie wirklich Spitzenleistungen hervorbringt. Dabei darf man nicht regionale Kompromisse schließen dann würde Europa insgesamt geschwächt werden, sondern dabei muss man auf Leistung setzen. Das ist eine Wahrheit, der wir uns stellen müssen.

Es gibt die gleiche Diskussion in Deutschland. Als wir in Deutschland zum Beispiel Exzellenzuniversitäten ausgewählt haben, lagen diese alle im Süden Deutschlands. Der Norden war davon natürlich nicht begeistert. Aber es ist keine Lösung des Problems, wenn man das Geld dann mit der Gießkanne verteilt, sondern man muss den Universitäten im Norden sagen: Werdet so wie die im Süden, dann habt ihr auch eine Chance.

Meine Damen und Herren, wir stehen auch vor der gesellschaftlichen und politischen Aufgabe, für die Ausübung von Wissenschaft und die Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse natürlich auch die Infrastruktur zu schaffen. Die Implementierung der modernen Technologien ist der Antreiber dafür, dass weitere technologische Fortschritte erzielt werden. Das gilt für die erneuerbaren Energien genauso wie für die Bereitstellung von Breitbandanschlüssen und natürlich auch für die Frage von intelligenten Netzen in der Energieversorgung sowie für vieles andere mehr. Hier stellt sich eine spannende Aufgabe, denn wir sind im Grunde wieder in einer Zeit, die vergleichbar mit der Zeit ist, als Eisenbahnschienen und Straßenbahnen gebaut wurden. Damals war das natürlich in großem Maße eine Aufgabe des öffentlichen Bereichs, während wir heute sehr stark auf private Investitionen setzen.

Ich glaube, es ist durchaus eine Aufgabe der Politik in den jeweiligen Ländern, für vergleichbare Lebensverhältnisse für alle Teile der Bevölkerung zu sorgen. Das bedeutet, wenn ich über Deutschland spreche, vor allen Dingen, die städtischen und die ländlichen Regionen gleichermaßen mit den Möglichkeiten der neuen Technologien zu versorgen. Das wirft erhebliche Probleme auf. Ich vermute einmal, dass das auch in England Probleme aufwirft, wenn ich mir die schöne englische Landschaft anschaue, die nun durchaus nicht nur durch Ballungsgebiete gekennzeichnet ist. Die Frage, wie sich ländliche Gebiete entwickeln, hängt aber natürlich auch von der Frage der Versorgung mit moderner Infrastruktur ab.

Meine Damen und Herren, wir stehen außerdem vor der Aufgabe, dass unsere Wachstumsstrategien, die wir brauchen, um unseren Lebensstandard zu erhalten oder sogar zu entwickeln, dem Gebot der Nachhaltigkeit entsprechen müssen. Die Industriegesellschaften haben sich sehr stark so entwickelt, dass sie mehr Ressourcen verbraucht haben, als sie der Natur wieder zurückgegeben haben. Dies wird in einer Welt, in der die Wachstumsraten in den aufkommenden Schwellenländern dramatisch steigen, natürlich nicht mehr so einfach möglich sein. Deshalb tun wir gut daran, unsere wissenschaftliche Kraft auch darauf zu lenken, mit Ressourcen sparsam umzugehen und das, was in Deutschland entstanden ist, nämlich den Begriff der Nachhaltigkeit, auch umfassend umzusetzen. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist in der deutschen Forstwirtschaft entstanden, als man die Beforstung und Anpflanzung der Wälder so organisiert hat, dass der Holzeinschlag und das Nachwachsen des Waldes in eine vernünftige Balance gebracht wurden. Dieses Prinzip hat sich dann bis zum Rio-Prozess durchgesetzt, wird aber leider weltweit noch nicht eingehalten. Das sollte aber auch eine Aufgabe der Wissenschaften sein.

Meine Damen und Herren, die Royal Society beweist in all den Bereichen, die ich genannt und natürlich aus deutscher Perspektive dargestellt habe, immer wieder Vorbildcharakter. Sie beleben die Ausbildung in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern. Sie führen Nachwuchsförderung durch und haben dies zu Ihrer strategischen Priorität erkoren. Ich glaube, das ist genau die richtige Entscheidung. Denn wer, wenn nicht die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst, können am erfolgreichsten für die Wissenschaften werben?

Meine Damen und Herren, Wissenschaften leben von Neugier und der Fähigkeit, sich eigene Urteile zu bilden. Wissenschaftlicher Fortschritt entsteht dadurch, dass wir das, was wir zu wissen glauben, immer wieder hinterfragen. Sich wissenschaftlich zu betätigen, ist sozusagen die Grundlage dafür, dass wir nicht stehenbleiben, sondern dass wir uns beständig fortentwickeln.

Die wissenschaftliche Politikberatung hat für die Royal Society, ebenfalls getreu ihrem Leitmotiv, schon lange Tradition. Den ersten Bericht hat die Royal Society bereits 1664 veröffentlicht. Ihren ausgezeichneten Ruf als unabhängige Stimme der Wissenschaft hat sie sich in Großbritannien, in Europa und in der internationalen Politik bis heute bewahrt. Sie haben auch im 350. Jahr ihrer Existenz die Weichen in Richtung des Fortschritts und der Zukunft gestellt. Mit der Gründung des "Science Policy Centre" haben Sie ihr Betätigungsfeld noch einmal ausgeweitet. Damit soll sich die Royal Society als Knotenpunkt in der Debatte über die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik weiter etablieren. Vielleicht ist das auch eine Anregung für unsere Nationale Akademie, die Leopoldina.

Nun freue ich mich natürlich nicht nur darüber, dass der neue Präsident der Leopoldina, Herr Professor Hacker, heute hier ist, sondern auch ganz besonders darüber, dass es eine enge Kooperation gibt. Gemeinsam wollen sich die Royal Society und die Leopoldina noch besser für die Anforderungen der Politikberatung rüsten. Ich habe mich in dem Moment, in dem wir endlich eine Nationale Akademie hatten, dazu entschlossen, ähnlich dem britischen Vorbild die Politikberatung in Deutschland auf neue Füße zu stellen. In dieser Art und Weise werden auch wir als Bundesregierung uns in Zukunft von der Leopoldina sowie der acatech einer technischen Akademie, die auch nationalen Charakter hat beraten lassen.

Noch in diesem Jahr wird der "European Academies Science Advisory Council", ein Zusammenschluss von Nationalakademien aus den EU-Staaten, umziehen, und zwar von der Royal Society zur Leopoldina nach Halle. Darauf sind wir natürlich stolz. Es war eigentlich ganz lustig, dass wir, als Deutschland im Jahr 2007 die G8 -Präsidentschaft innehatte, noch keine Nationale Akademie hatten und eigentlich das einzige Land waren, das keinen natürlichen Ansprechpartner hatte, aber schon damals weitsichtig die Leopoldina ausgewählt haben, was sich dann auch als richtig erwiesen hat.

Ich möchte Ihnen abschließend noch einmal ganz herzlichen Dank für die außergewöhnliche Ehre aussprechen, die ich heute habe, nämlich zu Ihnen sprechen zu dürfen und die King CharlesII Medal zu bekommen. Das ist für mich natürlich auch eine schmerzliche Erinnerung daran, was ich aus der Zeit als aktiv arbeitende Naturwissenschaftlerin alles vergessen habe. Aber es ist auf der anderen Seite eine große Herausforderung für mich, das Wissen über die generellen Zusammenhänge von wissenschaftlicher Arbeit, das in meinem Kopf verblieben ist, in politische Handlungen umzumünzen. Das macht mir immer wieder Spaß. Man kann gestalten, man kann Prioritäten setzen.

Wenn wir als Bundesregierung in dieser Legislaturperiode zwölfMilliarden Euro mehr für Wissenschaften und Bildung ausgeben, dann ist das eine Möglichkeit, auch in praktischer Arbeit die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Ich bitte Sie, die Wissenschaftler: Scheuen Sie sich nicht, es uns zu sagen, wenn Sie glauben, dass wir das Geld falsch ausgeben. Denn Geld ist das eine, und das Richtige damit zu machen, das andere. Deshalb darf ich Ihnen sagen: Der Dialog zwischen Wissenschaft und Politik muss eher enger als weniger eng werden.

Herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier sein darf.