Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 15.04.2010
Untertitel: In seiner Rede zur Eröffnung der Dauerausstellung "Ideologie und Terror der SS" der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg erläuterte Staatsminister Bernd Neumann, dass hier neben dem Gedenken an das Konzentrationslager Niederhagen an einem "Ort der Täter" dokumentiert wird,welche Rolle, neben biographischen Hintergründen, auch das Milieu sowie das weltanschauliche, das soziale und politische Umfeld spielten.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/04/2010-04-15-neumann-wewelsburg,layoutVariant=Druckansicht.html
in diesen Wochen begehen wir in der ganzen Bundesrepublik den 65. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager. Am Sonntag nehme ich gemeinsam mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff an einer Veranstaltung in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen teil. Es sind immer bewegende Gedenkstunden, vor allem, weil wir diese gemeinsam mit Überlebenden begehen dürfen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass heute drei der ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Niederhagen, das zum Ausbau der Wewelsburg eingerichtet wurde, anwesend sind.
Herr Leopold Engleitner, Herr Jurij Zavadski und Herr Wladimir Perfilow, Sie haben die lange Anreise aus Ihren Heimatländern auf sich genommen, um hierher zu kommen, an diesen Ort Ihrer schrecklichen Erfahrungen. Ich begrüße Sie und Ihre Familien von ganzem Herzen und danke Ihnen mit großem Respekt für dieses Zeichen auch der Versöhnung! Ihre Stimmen, die Stimmen derjenigen, die unter dem nationalsozialistischen Terror gelitten haben, werden durch Ausstellungen wie hier auf der Wewelsburg auch in Zukunft weiter zu uns sprechen und dauerhaft die authentische Erinnerung an die Schrecken dieser Diktatur erhalten. Nicht zuletzt dank Ihrer Hilfe klärt nun das Kreismuseum Wewelsburg als einzige KZ-Gedenkstätte unter den NS-Erinnerungsstätten in Nordrhein-Westfalen über das verbrecherische System der Konzentrationslager auf.
Meine Damen und Herren,
die ehemalige SS-Ordensburg mit dem KZ Niederhagen ist ein Ort der Opfer, aber sie ist darüber hinaus und auf den ersten Blick viel sichtbarer ein "Ort der Täter". Sie ist darum besonders geeignet, Einblick in die Hintergründe des nationalsozialistischen Terrors zu geben und zugleich an das von ihm ausgehende Leiden zu erinnern.
Hier in Niederhagen waren Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter inhaftiert, vor allem aus der Sowjetunion, aber auch aus Polen, der damaligen Tschechoslowakei und dem westlichen Europa; es waren Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, politische Häftlinge sowie andere Verfolgte. Ich bin dankbar, dass als Vertreter der Opfergruppen heute die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Frau Dr. Charlotte Knobloch, anwesend ist, genauso wie der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Herr Romani Rose, sowie der Repräsentant der Zeugen Jehovas in Deutschland, Herr Wolfram Schupina.
Die Geschichte der Gedenkstätte Wewelsburg spiegelt die Suche nach einem angemessenen Umgang mit der Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur und an ihre Opfer wider. Bisher waren es vor allem die Gedenkorte der Opfer, die durch den Bund gefördert wurden. Mit dem neuen Gedenkstättenkonzept von 2008 ist es nun erstmals möglich, auch Dokumentationsstätten zur Geschichte der Täter zu unterstützen. Die Wewelsburg ist beides: Täter- und Opferort zugleich. Mein Haus finanziert gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Landkreis Paderborn die Neugestaltung der Gedenkstätte. Mit über 3,1 Millionen Euro trägt der Bund 50 % der Gesamtkosten.
Dem Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen kommt in der deutschen Erinnerungskultur jetzt und für alle Zeiten eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu. Die besondere Aussagekraft der authentischen Orte ist für die Aufarbeitung der NS-Diktatur unverzichtbar. Aus diesem Grund hat mein Haus im vergangenen Jahr die westdeutschen KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Dachau, Neuengamme und Flossenbürg in die institutionelle, also in die dauerhafte Förderung aufgenommen zusätzlich zu den vier großen KZ-Gedenkstätten in den neuen Bundesländern. Darüber hinaus helfen wir mit einem kontinuierlichen Programm bei der schrittweisen Sanierung aller KZ-Gedenkstätten in Deutschland.
Natürlich war es richtig und auch verständlich, dass sich das Gedenken in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg auf die Konzentrationslager als Schauplätze der grauenerregenden Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten konzentrierte. Mit zunehmender historischer Distanz stellten und stellen sich aber die drängenden Fragen nach dem "Warum". Wie konnte es zu den Gräueltaten kommen? Wer waren die Täter? Welches Selbstbild hatten die Nationalsozialisten und aus welchen Quellen speiste sich ihre Ideologie? Auf diese Fragen können auch die Täterorte weitere Antworten geben. In Ausstellungen wie hier auf der Wewelsburg sehen wir, welche Rolle, neben biographischen Hintergründen, auch das Milieu sowie das weltanschauliche, das soziale und politische Umfeld spielten.
Hierbei sind die Berichte der Überlebenden die authentischste Quelle. Ich möchte daher noch einmal unterstreichen, von welch fundamentaler Bedeutung die Zeitzeugen für die Erinnerungsarbeit sind. Genau deshalb haben wir den regelmäßigen Austausch mit Vertretern der Opfer- und Betroffenenverbände im neuen Gedenkstättenkonzept des Bundes festgeschrieben. So werde ich in wenigen Tagen die Präsidenten der Internationalen Lagerkomitees gemeinsam mit Mitarbeitern bürgerschaftlich gewachsener Gedenkstätteninitiativen im Bundeskanzleramt treffen.
Ich bin überzeugt: Ohne die Zeitzeugen wird es viel schwerer, gerade der jungen Generation begreiflich zu machen, welche Folgen Verblendung, Intoleranz, Hass und Kriegstreiberei haben können und wie wichtig Zivilcourage und Mut sind. Da die Zeitzeugen eines Tages verstummt sein werden, ist es unabdingbar, dass in einer Gedenk- und Erinnerungsstätte wie der Wewelsburg mit einer immer wieder aktualisierten Ausstellung die Vergangenheit lebendig bleibt. Ich wünsche der Dauerausstellung einen guten Neubeginn und zahlreiche Besucher!