Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 19.07.2010

Untertitel: Staatsminister Bernd Neumann hob in seiner Rede das Kunstforum als herausragendes Museum moderner und zeitgenössischer Kunst in der Region zwischen München und Nürnberg hervor, und schnitt die Themen Verleihung des Lovis Corinth PreisesundBundesförderung auf Grundlage des § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes an.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/07/2010-07-19-neumann-regensburg,layoutVariant=Druckansicht.html


das Kunstforum Ostdeutsche Galerie hat im Internet die Präsentation seiner Schausammlung mit einem sehr beziehungsreichen Zitat von dem in Bulgarien geborenen Elias Canetti überschrieben: "Prinzip der Kunst: mehr wiederfinden, als verlorengegangen ist." Und genau das tut das Kunstforum hier in Regensburg seit nunmehr 40 Jahren für das künstlerische Schaffen, das seine Wurzeln in den auch deutsch geprägten Kulturräumen im östlichen Europa hat.

Liebe Frau Madesta zum 40-jährigen Jubiläum des Kunstforums Ostdeutsche Galerie gratuliere ich Ihnen auch im Namen der Bundesregierung herzlich.

Das Kunstforum ist mittlerweile zu einem herausragenden Museum moderner und zeitgenössischer Kunst in der Region zwischen München und Nürnberg geworden. Darüber hinaus hat es einen bundesweit einzigartigen Auftrag, dem es auch seinen Namen und die Förderung durch den Bund verdankt. Der Name "Ostdeutsche Galerie" mag den einen oder anderen Besucher zunächst irritieren. Als "Ostdeutschland" bezeichnet man heute eher die Neuen Bundesländer, nicht die Ost-Gebiete des ehemaligen Deutschen Reiches.

Dieser Sprachgebrauch widerspricht den jetzigen politischen Verhältnissen! Auch vor 40Jahren, im Gründungsjahr des Kunstforums Ostdeutsche Galerie wählte man diese Bezeichnung keineswegs, um noch irgendwelche territorialen Ansprüche zu dokumentieren, sondern ausschließlich um auf die auch deutsch geprägten Kulturräume im östlichen Europa aufmerksam zu machen. Es war eine gute Entscheidung, das Kunstforum in Regensburg anzusiedeln, denn hier, in der alten Reichsstadt, ist die historische Brücke besonders leicht zu schlagen. Soeben komme ich aus dem Reichssaal im Alten Rathaus, wo ich die Ehre hatte, mich in das goldene Buch der Stadt Regensburg einzutragen.

Dort traten früher von Fall zu Fall die Kurfürsten zusammen, um über die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu beraten. Unter ihnen waren der König von Böhmen, dessen Residenz Prag war, und der Markgraf von Brandenburg, dessen Provinzen zu einem guten Teil ostwärts der Oder lagen.

In Regensburg wird förmlich greifbar, wie sehr die deutsche Siedlungs- und Kulturgeschichte im östlichen und südöstlichen Teil unseres Kontinents Teil unseres geschichtlichen Erbes ist. Zugleich wirkt sie bis in die Gegenwart in den ehemals deutsch mitgeprägten Herkunftsländern fort. Wenn wir uns also heute mit dem deutschen Kunst- und Kulturerbe der historischen Ost- und Siedlungsgebiete befassen, geht es dabei in erster Linie um einen friedensstiftenden Brückenschlag zwischen nationalen Identitäten und europäischem Bewusstsein.

Einige von Ihnen werden wissen, dass ich selbst aus dem westpreußischen Elbing stamme. Es ist leider so, dass die Minderheit, der ich angehöre, immer kleiner wird. Der wunderbare ostpreußische Dialekt wird kaum mehr gesprochen, er wird verschwinden und bald wird ihn kaum einer mehr kennen.

Heute, mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, leben nur noch wenige, die eigene Erinnerungen an ihre ehemals deutsch geprägten Herkunftsgebiete haben. Ohne eine bewusste Förderung und Pflege droht dieser Erinnerungsschatz der Erlebnisgeneration verloren zu gehen.

Es wäre fatal, wenn wir die geschichtlichen und kulturellen Wurzeln, also die Herkunft vieler Landsleute in Deutschland nicht mehr kennen und nichts über sie wissen. Um dieses zu verhindern, fördert der Bund gemeinsam mit dem jeweiligen Land und weiteren Partnern sieben Landesmuseen, die sich mit der Kulturgeschichte im östlichen Europa befassen. Unter ihnen und in der bundesdeutschen Museumslandschaft insgesamt nimmt das Kunstforum Ostdeutsche Galerie, in der zunächst die Kunstsammlungen des Adalbert-Stifter-Vereins und der Künstlergilde Esslingen vereint wurden, eine einzigartige Stellung ein.

Was den wenigsten bekannt ist: Ob im frühen 20. Jahrhundert Otto Mueller, Käthe Kollwitz oder Lovis Corinth, ob in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Katharina Sieverding, Daniel Spoerri, Sigmar Polke, Markus Lüpertz oder Peter Weibel alle diese Künstler haben ihre Wurzeln im Osten und Südosten Europas, in Schlesien, Ostpreußen oder Böhmen, Rumänien oder der Ukraine.

Sie und viele andere deutsche Maler, Zeichner und Bildhauer aus dem östlichen Europa haben mit ihren wegweisenden und mutigen Positionen die künstlerische Entwicklung unseres Landes entscheidend geprägt.

Es ist ein großes Verdienst des Kunstforums, in dessen beeindruckender Sammlung sich Werke all ‘ dieser Künstler finden, dass dieser Kontext nicht in Vergessenheit gerät.

Das Kunstforum leistet hervorragende Arbeit, ein faszinierendes Bild ehemals auch deutsch geprägter Kulturräume im östlichen Europa zu präsentieren und dadurch auch Menschen für diesen Kulturraum zu interessieren, die vielleicht nur schwer Zugang dazu finden. Hier werden nicht nur zu Unrecht in Vergessenheit geratene Künstler neu entdeckt und eine hervorragende Arbeit in der Kunstvermittlung geleistet, sondern vor allem auch der Blick geöffnet auf das zeitgenössische künstlerische Geschehen in diesen Regionen heute.

Konsequent hat das Kunstforum in den beiden letzten Dekaden die Zusammenarbeit mit Museen und anderen Partnern aus Ostmitteleuropa auf- und ausgebaut. Das stärkt unser Gespür für die engen historischen und kulturellen Verflechtungen in der größer gewordenen Mitte Europas und vertieft auf diese Weise die europäische Integration.

Und das nicht nur ostwärts: Ich denke da nur an die außerordentlich erfolgreiche Lovis-Corinth-Ausstellung im Jahr 2008, die unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten stand und in Zusammenarbeit mit dem Pariser Musée d´Orsay und dem Museum der bildenden Künste in Leipzig präsentiert wurde.

Ich wünsche mir auch für die kommenden Jahre, dass das Kunstforum Ostdeutsche Galerie sowohl das künstlerische Erbe der angesprochenen Regionen im östlichen Europa bewahrt, als sich auch dafür einsetzt, das große kreative Potenzial dieser Regionen in der Gegenwart aufzuzeigen.

Ein guter Weg dazu ist die Verleihung des Lovis Corinth Preises in Zusammenarbeit mit der Künstlergilde Esslingen. Die Liste der Preisträger seit 1974 liest sich wie das "Who is Who" von Künstlern der durch deutsche Kultur beeinflussten osteuropäischen Regionen. Es ist ein hervorragendes Signal, dass der Lovis Corinth-Preis in diesem Jahr an einen jungen polnischen Künstler geht, der exakt genauso alt ist wie der Preis selbst das ist ein Aufbruch in eine neue Generation!

Bemerkenswert ist auch, dass sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht nur der Westen wieder mehr Osteuropa zuwendet, sondern dass sich die heutigen Bewohner osteuropäischer Regionen zunehmend mit den Anteilen deutscher Kultur in der Vergangenheit in ihrer Region, ihrer Stadt oder ihrer Gemeinde auseinandersetzen und sich damit häufig sogar identifizieren. Wissenschafts- , Kultur- und Bildungseinrichtungen vor Ort nehmen sich dieses kulturellen Reichtums an. Überall dort wird wie hier in Regensburg an der Ausgestaltung des neuen Europa mitgearbeitet.

Auch Deutschland trägt dazu bei, Kirchen und Denkmäler in den ehemals deutsch bewohnten Gebieten zu restaurieren und manchmal aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken. Das Stallmeisterhaus des weltbekannten Trakehner-Gestüts in Ostpreußen oder die Rettung der einsturzgefährdeten Wehrmauern der siebenbürgischen Kirchenburg in Donnersmarkt sind nur zwei Beispiele dafür.

Der grenzüberschreitende, dauerhafte und intensive Einsatz für den Erhalt und die gemeinsame Weiterentwicklung des kulturellen Erbes ist ein aktiver Posten auf dem Weg in die Zukunft eines vereinigten Europas!

Darum fördert mein Haus sowohl die breitenwirksame Präsentation als auch die Erforschung der deutschen Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Ich habe diese Förderung zu Beginn meiner Amtszeit sofort deutlich erhöht. Allein 2010 beträgt die Bundesförderung auf der Grundlage des § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes wieder mehr als 17 Mio. Euro.

Die Pflege, Dokumentation, Erforschung und Vermittlung der deutschen Kultur und Geschichte im östlichen Europa ist eine Aufgabe, der sich Deutschland als Kulturnation auf Dauer verpflichtet fühlt. Und als der dafür verantwortliche Minister stelle ich mich gern dieser Aufgabe.

Damit weiß ich mich im Einvernehmen mit allen, die sich seit vier Jahrzehnten für das erfolgreiche Wirken des Kunstforums Ostdeutsche Galerie einsetzen. Ganz besonders gilt das natürlich für die langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Team des Kunstforums unter Leitung der neuen Direktorin Frau Dr. Andrea Madesta. Ihnen allen danke ich herzlich!

Wie bei vielen anderen Museen und Kultureinrichtungen in Deutschland tragen auch hier in Regensburg Ehrenamtliche entscheidend zum Gelingen bei.

Lieber Herr Dr. Weidinger, lieber Herr Dr. Schulz, stellvertretend für die vielen tatkräftigen Mitglieder des Vereins der Freunde und Förderer des Kunstforums und der Künstlergilde Esslingen danke ich Ihnen für Ihre wertvolle und verlässliche Arbeit.

Meine Damen und Herren,

ich wünsche dem Kunstforum Ostdeutsche Galerie eine erfolgreiche Zukunft, weiterhin eine glückliche Hand bei Ihren Ausstellungen und Projekten und natürlich zahlreiche Besucher.