Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 30.08.2010

Untertitel: In seiner Rede in Genshagen betonte Bernd Neumann, dass es bei der kulturellen Bildung vor allem darum geht, Chancen zu erkennen und Perspektiven für unsere Gesellschaft zu eröffnen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/08/2010-08-30-neumann-genshagen,layoutVariant=Druckansicht.html


ich begrüße Sie herzlich im Namen der Bundesregierung im schönen Schlosspark von Genshagen. Im vergangenen Jahr haben wir hier zum ersten Mal den BKM-Preis für kulturelle Bildung verliehen, damals im Rahmen einer internationalen Auftakttagung, mit der Genshagen seinen neuen Schwerpunkt vorgestellt hat. Inzwischen hat sich Genshagen zu einem wirklichen Knotenpunkt im Netzwerk der kulturell-künstlerischen Bildung in Deutschland und Europa entwickelt.

Ein schöner Ort und eine ausreichende finanzielle Ausstattung sind sicher gute Ausgangsvoraussetzungen, die hier erfüllt sind. Um aber mit einem Konzept auch erfolgreich zu sein, braucht man vor allem kluge, sensible, offene und neugierige Menschen, die die Chancen auch optimal nutzen, die sich ihnen an einem solchen Ort bieten. Dass Sie dies so hervorragend getan haben und das stille Schloss mit so viel Leben und Aufbruchsstimmung gefüllt haben, dafür danke ich Ihnen, liebe Frau Hartmann-Fritsch und natürlich auch Ihrem ganzen Team!

Binnen kürzester Zeit haben Sie Expertinnen und Experten der Kulturvermittlung und Partner aus ganz Europa nach Genshagen geholt.

So hat etwa im Dezember 2009 hier eine europäische Arbeitsgruppe zur kulturellen Bildung mit Vertretern aus allen 27 Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission getagt. Aber und das ist vielleicht noch wichtiger Sie haben über der Theorie nicht die Praxis vergessen! Hier in Genshagen haben in diesem Jahr 70 deutsche und polnische Kinder die Masken zur Kinderoper "Noahs Flut" gestaltet. Bei der Premiere am 2. Mai 2010 mit dem Brandenburgischen Staatsorchester in Frankfurt / Oder standen diese jungen Menschen dann zusammen mit den Künstlern auf der Bühne.

Und vor wenigen Tagen erst haben französische, polnische und deutsche Jugendliche Ingeborg Bachmanns "Der gute Gott von Manhatten" als Theaterstück erarbeitet und in Genshagen aufgeführt. Beides sicherlich unvergessliche Erlebnisse für alle Beteiligten!

Was könnte die Völker in Europa besser und tiefer miteinander verbinden, als eben solche gemeinsame künstlerische Arbeit junger Menschen! Genshagen steht für die guten Beziehungen zu unseren Nachbarn Polen und Frankreich und das nicht nur im Bereich der kulturellen Bildung.

So werden mein Amtskollege Frédéric Mitterand und ich im Dezember hier am Rande des Deutsch-Französischen Ministerrates den deutsch-französischen Literaturpreis an zwei Nachwuchsautoren aus beiden Ländern zu verleihen. Wir haben beschlossen, diesen Literaturpreis nach Franz Hessel zu benennen, dessen Leben und Werk mit Frankreich und Deutschland so eng verknüpft sind. Ich freue mich sehr, seinen Sohn Stéphane Hessel selbst eine überragende Persönlichkeit der Zeitgeschichte und ein unermüdlicher Kämpfer für Gerechtigkeit und Frieden begrüßen zu können! Lieber Herr Hessel, vielen Dank, dass Sie heute hier sind und so viel Interesse für die Aktivitäten in Genshagen zeigen!

Ich hoffe natürlich sehr, dass wir Sie auch im Dezember zur Verleihung des Literaturpreises wieder in Genshagen begrüßen dürfen.

Meine Damen und Herren,

alle, die Sie hier zu Gast sind, kennen sich auf dem Feld der kulturellen Bildung vortrefflich aus. Sie werden mir zustimmen, dass es bei der kulturellen Bildung vor allem darum geht, Chancen zu erkennen und Perspektiven für unsere Gesellschaft zu eröffnen. Im Rahmen der "Akademie unter Bäumen" haben Sie in den vergangenen zwei Tagen intensiv darüber nachgedacht und diskutiert, welche Rolle Kunst und Kultur im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung haben können.

Armut ist nicht nur ein materielles Problem; oft beruht sie zumindest auch auf mangelnder Teilhabe an Kultur und Bildung oder zieht diese nach sich. Darum haben wir im Koalitionsvertrag vom 26. Oktober festgehalten, dass wir, ich zitiere: "… gemeinsam mit den Ländern den Zugang zu kulturellen Angeboten unabhängig von finanzieller Lage und sozialer Herkunft erleichtern und die Aktivitäten im Bereich der kulturellen Bildung verstärken [wollen] ; kulturelle Bildung ist auch ein Mittel der Integration". Zahlreiche Initiativen meines Hauses und der Kulturstiftung des Bundes zielen in diese Richtung ich denke da nur an "Jedem Kind ein Instrument" im Ruhrgebiet oder das neue Projekt "Agenten".

Auch müssen alle von uns geförderten Institutionen mittlerweile Angebote im Bereich der kulturellen Vermittlung nachweisen. Die Staatlichen Museen zu Berlin, die von meinem Haus getragen werden, haben beispielsweise in der vergangenen Woche eine Kinderakademie gegründet, die sich gerade an die Kinder wendet, die aufgrund ihre sozialen Herkunft noch keinen Zugang zur Kultur gefunden haben.

In den Haushaltsverhandlungen konnte ich zudem erreichen, dass wir ab 2010 zusätzliche Mittel in Höhe von einer Million Euro für die Förderung von Weg weisenden Projekten kultureller Bildung zur Verfügung haben.

Für die Stärkung des Themas kulturelle Bildung haben sich auch meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag immer eingesetzt vielen Dank!

Meine Damen und Herren,

als wir im vergangenen Jahr zum ersten Mal den Preis für Kulturelle Bildung ausgelobt haben, wollten wir erreichen, dass Kultureinrichtungen, die zum großen Teil mit öffentlichen Geldern finanziert werden wie Museen, Theater, Orchester, Kunst- und Kulturvereine, die Vermittlung als integralen Bestandteil ihrer Arbeit verstehen. Darum zeichnen wir bundesweit vorbildliche Projekte aus, die möglichst bislang unterrepräsentierten Zielgruppen einen besonderen Stellenwert einräumen.

Wir haben in Deutschland eine ungeheure Fülle an ganz ausgezeichneten Kultureinrichtungen ein Reichtum, der auch im internationalen Maßstab einzigartig ist und für dessen Erhaltung ich mich stark mache, auch und besonders in Zeiten finanzieller Krise. Dieser immense kulturelle Reichtum bedingt es, dass wir für die Vergabe des Preises ein Verfahren gewählt haben, in dem sich nicht jede Einrichtung selbst bewerben kann, sondern mehr als 40 Spitzenorganisationen und Experten der kulturellen Bildung jeweils bis zu drei bundesweit modellhafte Projekte vorgeschlagen. Für ihre Mitwirkung danke ich den Vertretern dieser Organisationen sehr. Sie bringen Ihr unentbehrliches Fachwissen und Ihre ganze Erfahrung in die Auswahl ein vielen Dank!

Die Fachjury unter dem Vorsitz von Frau Hartmann-Fritsch hat ganze Arbeit geleistet. Ich kann mir angesichts der hohen Qualität der vorgeschlagenen Projekte gut vorstellen, wie schwer Ihnen die Entscheidung gefallen sein muss, welche drei Projekte mit jeweils 20.000 Euro ausgezeichnet werden. Auch der Jury danke ich sehr herzlich!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wie gesagt, nicht jeder kann einen Preis bekommen leider. Um Ihnen jedoch zu zeigen, welche faszinierenden Vorhaben eingereicht wurden, möchte ich Ihnen kurz die Shortlist von zehn Projekten vorstellen, die in die engere Wahl gekommen sind das haben sie auf jeden Fall verdient!

Zu den sogenannten "Top Ten" gehört

Das springende Pferd ", ein Audioguide von Kindern für Kinder, entwickelt für das Franz-Marc-Museum in Kochel am See in Bayern.

Bemerkenswert ist auch die "Kunstfähre", eine Kulturagentur in Rheinland-Pfalz, die sich als Bindeglied zwischen Schulen und Künstlerinnen und Künstlern versteht.

Anerkennung durch die Jury fand auch das Projekt "kunst raum erinnerung" des Bildungsverbunds für die internationale Jugendbegegnungsstätte Sachsenhausen, die Geschichte an Gedenkorten insbesondere für bildungsbenachteiligte Jugendliche aus ländlichen Regionen vermittelt.

Ebenfalls im ländlichen Raum angesiedelt ist das Musiktheaterprojekt "Dorf macht Oper!" in der Prignitz, im Land Brandenburg. Aus einem ehemaligen Schweinestall wurde ein kleines "Festspielhaus", in dem 60 Laien und Profis den "Sommernachtstraum" aufgeführt haben.

Eine ganz anders ausgerichtete Form des Musiktheaters ist "Frühling erwache!" Eine Inszenierung von gehörlosen Jugendlichen und hörenden Profis aus unterschiedlichen Kulturen für Gehörlose und Hörende in Berlin.

Gleich von mehreren Vorschlagsberechtigten wurde das Projekt "Hauptschule der Freiheit" der Münchner Kammerspiele für den BKM-Preis 2010 vorgeschlagen. Gemeinsam wurden Theaterstücke entwickelt und inszeniert - u. a. auch ein "Beschwerdechor" von Lehrern auf dem Schulhof. Da ich früher mal Lehrer war, finde ich das natürlich besonders interessant!

Als herausragend wurde auch das Projekt "Lokale Liaison" des Kunstvereins Wolfsburg gewürdigt. Dessen Ausstellungsprogramm wird konsequent mit konkreten Fragen und Anliegen verbunden, die die Bürgerinnen und Bürger vor Ort artikulieren.

Besonders bemerkenswert ist zweifellos auch das Theaterprojekt "Die Kanzlerin kommt!" der Kulturkate Neu Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern. Hier wurde unterhaltsames und künstlerisch überzeugendes Volkstheater gemacht fern der großen Kunstzentren und mit besonderem Blick auf Menschen, die nicht zum Stammpublikum der öffentlich geförderten Kultureinrichtungen zählen.

Gelobt wurde auch die "Winterakademie" des Theaters an der Parkaue in Berlin. Dabei wurden künstlerische Labore mit freischaffenden Künstlern, Dramaturgen, Theaterpädagogen, Kindern und Jugendlichen organisiert, um sich über jährlich wechselnde Themen zu verständigen.

Mit Lob bedacht wurde zudem das märchenhafte Projekt "Götterspeise und Suppenkasper Vom Essen und Gegessenwerden" aus Bremen. Kinder und Jugendliche gestalteten dort ihre Ideen zu den Themen Essen, Lebensmittel und gemeinsames Tafeln mit 50 Künstlern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

jetzt ist der Moment gekommen, auf den Sie schon mit Ungeduld gewartet haben. Ich darf Ihnen den Namen des ersten Preisträgers nennen. Es ist Festland e. V. Klein Leppin für sein Musiktheaterprojekt "Dorf macht Oper! Sommernachtstraum".

Ich darf Frau Volke um eine kurze Laudatio bitten.

Ebenfalls mit einem Preis in Höhe von 20.000 Euro ausgezeichnet werden die Münchner Kammerspiele für ihr Projekt Hauptschule der Freiheit.

Laudatorin ist Frau Prof. Seitz.

Ebenfalls einen Preis erhält die Quartier gGmbH Bremen für das Projekt Götterspeise und Suppenkasper Vom Essen und Gegessenwerden.

Frau Bockhorst, ich darf Sie um die Laudatio bitten.