Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 02.09.2010
Untertitel: "Mit dieser Ausstellung wird einmal mehr auch in Deutschland daran erinnert, dass Brasilien in den 50er Jahren mit seinen großartigen künstlerischen, kinematographischen und architektonischen Leistungen weltweit zu einem Pionier einer Moderne wurde, die bis heute fortwirkt.", so Staatsminister Bernd Neumann in seiner Rede in der Akademie der Künste in Berlin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/09/2010-09-02-neumann-ausstellung-verlangen,layoutVariant=Druckansicht.html
ich grüße Sie herzlich im Namen der Bundesregierung zur Eröffnung der Ausstellung "Das Verlangen nach Form". Mit dieser Ausstellung wird einmal mehr auch in Deutschland daran erinnert, dass Brasilien in den 50er Jahren mit seinen großartigen künstlerischen, kinematographischen und architektonischen Leistungen weltweit zu einem Pionier einer Moderne wurde, die bis heute fortwirkt. Ich sehe darüber hinaus in der Ausstellung einen weiteren wichtigen Baustein in den engen Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien, die sich in den letzen Jahren so hervorragend entwickelt haben.
Die faszinierende zeitgenössische Kultur Brasiliens begleitet mich sozusagen seit Anbeginn meiner Amtszeit als Kulturstaatsminister. 2005 habe ich einen meiner ersten Termine gemeinsam mit meinem damaligen brasilianischen Amtskollegen Gilberto Gil bestritten. Es war die Vorstellung des Programms der "Copa da Cultura" im Haus der Kulturen der Welt Brasiliens Geschenk zur Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. Wenn ich an das rauschende Fest damals denke, dann können wir uns schon sehr auf die Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien freuen, die sicherlich auch in Berlin gebührend gefeiert wird!
Vor allem Tanz, Literatur und Musik aus Brasilien sind nicht zuletzt dank der Aktivitäten der brasilianischen Regierung und durch die Unterstützung der Botschaft in Deutschland sehr präsent. Neben der Kulturstiftung des Bundes, die zu meinem Haus gehört und den größten Anteil der heutigen Ausstellung finanzierte, haben das brasilianische Kulturministerium und die Botschaft ebenfalls großzügig gefördert dafür meinen herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren,
Die so vielfältige zeitgenössische Kunst des heutigen Brasiliens spart die spannungsreichen sozialen Themen nicht aus, die die rasante Entwicklung dieses großen Landes begleiten.
Darum ist es eine gute Idee, dass im Rahmen der Ausstellung heutige Künstler mit der Kunst Brasiliens vor rund 60 Jahren, die weltweit für Furore sorgte, in Dialog treten. Auf diesem künstlerischen Weg kann vielleicht noch besser als nur durch wissenschaftliche Analyse erkundet werden, was das Beeindruckende an dem großen Experiment der Moderne ist, das uns noch heute beschäftigt.
Natürlich steht besonders die Stadt Brasilia für dieses Experiment. 1987, kaum dreißig Jahre nach ihrem Entstehen, wurde sie zum Weltkulturerbe der UNESCO erhoben. Die Bauten Oscar Niemeyers sind Ikonen der Architektur und haben viele nachfolgende Generationen von Architekten beeinflusst.
Ich spreche bewusst von einem Experiment, denn es war und ist eine Herausforderung, eine solche planmäßig angelegte Stadt der Moderne mit Leben zu erfüllen. In einem viel kleineren Maßstab sehen wir dies hier im Hansaviertel, das ungefähr zeitgleich mit Brasilia entstanden ist. Die Internationale Bauausstellung 1957 wollte aus dem unweit der Zonengrenze gelegenen Hansaviertel ein Vorbild für demokratisches Bauen schaffen, in dem der Mensch das Maß aller Dinge sein sollte. Dies durchaus auch als Kontrastprogramm zu den prunkvoll-überdimensionierten Bauten im stalinistischen Stil der heutigen Karl-Marx-Allee, mit denen sich die junge DDR unter immensem Kraftaufwand ein Denkmal setzen wollte.
Oscar Niemeyer hat nicht weit von hier, in der Altonaer Straße, um die Ecke, seinen Entwurf eines Scheibenhochhauses verwirklicht. Die weiträumige Gemeinschaftsfläche in der 5. Etage, die er sich als Erholungs- und Begegnungsfläche für die Bewohner vorstellte, ist nach wie vor erhalten, denn das Haus steht unter Denkmalschutz. Aber auch hier, wie bei so vielen der idealistischen Vorstellungen der Moderne, musste man jedoch ernüchtert feststellen, dass dieses Modell nicht funktioniert: Ein Gemeinschaftserlebnis lässt sich allein selbst mit formal noch so durchdachter Architektur nicht herbeizaubern.
Trotz aller Fehlschläge und angesichts auch der denkmalpflegerischen und konservatorischen Schwierigkeiten, vor die uns mittlerweile die Architektur der 50er Jahre weltweit stellt, sollten wir nicht vergessen, dass sie ein großer Wurf war und ein politisches Symbol gegen Diktatur und Unterdrückung und für die Ideen von Freiheit und Menschenrechten. Darum finde ich es umso erfreulicher, dass die Ausstellung "Das Verlangen nach Form" hier in der Akademie der Künste im Hanseatenweg, mitten im Hansaviertel, stattfindet. Das Gebäude, ein typischer Repräsentant der Architektur für die auch Brasilien steht, wurde damals vor allem durch eine großzügige Spende des amerikanischen Großindustriellen Henry H. Reichold.
Ich bin von der Qualität des Baus mit seinen architektonischen Raffinessen immer wieder angetan. Inhalt und Form passen für mich hier ideal zusammen.
Der Zahn der Zeit hat der an sich guten Substanz etwas zugesetzt. Darum habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass dieser Bau mit in die Planungen für das Konjunkturprogramm II der Bundesregierung aufgenommen wird und 5,5 Millionen Euro in die Sanierung des Baus einflossen, sowie ein Anteil von 1,4 Millionen Euro aus dem Etat der Akademie der Künste, die aus meinem Ressort finanziert wird.
Die Geschichte der Akademie der Künste ist untrennbar mit Berlin verbunden und sie repräsentiert zugleich Kunst und Kultur für ganz Deutschland. Darum hat der Bund 2004 die Finanzierung vom Land Berlin übernommen. Die einstmals Westdeutsche Akademie der Künste mit dem Haus hier am Hanseatenweg in den 50er Jahren war ein Zeichen für die gesellschaftliche Relevanz und den demokratischen Anspruch der Kunst, auch ein Verlangen nach Form.
Nun wünsche ich dieser Ausstellung mit dem gleichen Verlangen nach Form einen regen Besucherzustrom. Ich bin sicher, dass sie die Diskussion über Architektur und Kunst aus dieser historischen Perspektive anregen wird.