Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 07.09.2010

Untertitel: In seiner Rede im ARD-Hauptstadtstudio hob Kulturstaatsminister Bernd Neumann die herausragenden Leistungen hervor, die insbesondere auf dem Gebiet der Kultur seit der Deutschen Einheit erbracht worden sind. Dabei wies er neben dem außerordentlichen bürgerschaftlichen Engagement auch auf die staatliche Kunst- und Kulturförderung in den vergangenen 20 Jahren hin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/09/2010-09-07-neumann-sommernacht,layoutVariant=Druckansicht.html


ich grüße Sie herzlich im Namen der Bundesregierung zur 7. Zeitgeschichtlichen Sommernacht der Bundesstiftung Aufarbeitung. Der Abend steht unter dem Motto "20 Jahre Deutschen Einheit" wie könnte es anders sein! Auch der diesjährige Wettbewerb "Geschichts-Codes", für den ich gerne die Schirmherrschaft übernommen habe, trägt den beziehungsreichen Namen "Einheitsbild? Mein Foto der Deutschen Einheit".

Es geht in diesem Fall nicht um die eindrücklichen Bilder des Mauerfalls, an die wir Älteren uns alle erinnern, sondern darum, wie junge Leute, die vor 20 Jahren noch gar nicht geboren oder erst im Kleinkindalter waren, die Deutsche Einheit heute sehen. Wir dürfen auf die Ergebnisse gespannt sein! Herr Dr. Rother, Direktor der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz eine der wichtigen Einrichtungen, die zu meinem Ressort gehört, wird nachher die Laudatio sprechen. Die Deutsche Kinemathek hat sich selbst in eindrucksvollen Projekten und Ausstellungen mit Mauerfall und Wiedervereinigung beschäftigt und damit auch ein großes internationales Publikum angesprochen dafür an dieser Stelle meinen herzlichen Dank, lieber Herr Rother!

Meine Damen und Herren,

ich finde, es ist nach zwanzig Jahren durchaus an der Zeit, Bilanz zu ziehen und sich einmal vor Augen zu führen, wie sich unser Land heute darstellt so beeindruckend nach wie vor die Bilder insbesondere des Mauerfalls sind, die geradezu Teil unseres kollektiven Gedächtnisses wurden. Ich fühle mich also, ebenso wie die Teilnehmer des Wettbewerbs, aufgefordert, Ihnen ein Bild der Einheit heute zu zeichnen.

Vor rund einer Woche haben wir ja die Unterzeichnung des Einigungsvertrages im Kronprinzenpalais vor genau 20 Jahren mit einem Festakt begangen. Ich möchte mich an Artikel 35 des Vertrages orientieren, der die Maßnahmen im kulturellen Bereich behandelt, für den ich besondere Verantwortung trage.

Der Artikel 35 des Einigungsvertrages beginnt mit den Worten: "In den Jahren der Teilung waren Kunst und Kultur trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten in Deutschland eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation". Ja, es war doch gerade die Kultur, die uns Deutsche in Ost und West auch über die Jahrzehnte der Teilung hindurch miteinander verbunden hat.

Es sind eben die gemeinsame Kultur und Geschichte, die unsere Identität als Deutsche ausmachen, die uns zusammenhalten damals im geteilten Deutschland und jetzt als wiedervereinigtes Land in einem vereinigten Europa.

Auf kaum ein anderes Gebiet lässt sich das Diktum von den "blühenden Landschaften" so treffend anwenden wie auf die Kultur. Wer sich damals über Helmut Kohls Vision von einem gedeihenden, wiedervereinten Deutschland mokiert hatte oder sogar abfällig darüber sprach, der möge sich nur einmal anschauen, was in den letzen 20 Jahren allein für unsere kulturelle Infrastruktur in Berlin und den neuen Bundesländern geleistet wurde! Dies gilt nicht nur aber vielleicht am augenfälligsten für die wunderbar restaurierten Altstädte in Ost- und Mitteldeutschland, sondern auch für die international bedeutenden Sammlungen, Museen und Bibliotheken, aber auch Theater.

Flaggschiffe unserer Kulturnation wie die preußischen Sammlungen, die durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse getrennt waren, oder die Akademien der Künste in Berlin wurden in Rekordzeit und das muss man auch betonen! mit absolut beeindruckenden Ergebnissen zusammengeführt. Nehmen wir nur die Museumsinsel, denkmalpflegerisch war sie 1990 heruntergekommen. Jetzt erstrahlt sie Zug um Zug in neuem Glanz. Das Neue Museum 1990 nicht viel mehr als eine Ruine jetzt architektonische Perle in der internationalen Museumslandschaft. Die Umsetzung des Masterplans wird fast 1,4 Milliarden Euro kosten, die der Bund allein finanziert. Aber die Weltkulturerbestätte ist jeden Cent Wert. Niemand kann sich der Anziehungskraft dieser einmaligen Museumslandschaft entziehen.

Man kann mit Fug und Recht sagen: Hier ist nach 1990 zusammengewachsen, was zusammengehört!

Doch ich möchte heute nicht darüber sprechen, wie viel der Bund für die Kultur in der Hauptstadt tut fast so viel nämlich wie der Berliner Senat selbst, sondern den Fokus auf die Förderung in der Breite richten. Es ist heute kaum noch vorstellbar, was es vor 20 Jahren bedeutete, die gesamte Kulturförderung in den neuen Ländern umzustellen. Die Förderung von Kunst und Kultur war in der DDR hochgradig zentralisiert, in der Bundesrepublik hingegen dezentral und eine Angelegenheit der Länder und Kommunen.

Im Einigungsvertrag wurde vereinbart, das föderalistische Prinzip auch auf die neuen Länder zu übertragen. Da diese allein mit dem für sie neuen Aufgabenbereich zumindest kurzfristig überlastet sein würden, erklärte sich der Bund bereit, einzelne kulturelle Maßnahmen und Einrichtungen in den neuen Ländern mitzufinanzieren, damit die "kulturelle Substanz" dort keinen Schaden nimmt so formuliert es Absatz 2 des Artikels 35 des Einigungsvertrags.

Denkmäler und alle historischen Innenstädte wurden renoviert und restauriert und erstrahlen jetzt wieder im alten Glanz. Die kulturelle Substanz wurde weitgehend erneuert und damit gerettet die Stiftung Weimarer Klassik, das Bauhaus Archiv Dessau, das Bach-Archiv in Leipzig, die Luther-Stätten, die Frankeschen Stiftungen in Halle, die UNESCO-Weltkulturerbestätten in Wörlitz / Bad Muskau oder die Preußischen Schlösser und Gärten fallen mir ein.

Was mich aber fast noch mehr als das staatliche Engagement beeindruckt, ja wirklich auch tief bewegt, ist der Enthusiasmus der Bürger für die Kultur! Als Symbol dafür steht natürlich die Dresdner Frauenkirche fast zwei Drittel der Gesamtkosten von180 Mio. Euro wurden durch Spenden aufgebracht! Und Dresden ist nur ein Beispiel. Bei meinen Besuchen vor Ort sehe ich überall viele weitere. Die Liebe zu unserer reichen Kulturlandschaft und der Wille, sie zu pflegen und zu erneuern, ist in West und Ost gleichermaßen riesengroß!

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern wie es war, als ich im Auftrag von Helmut Kohl zur Vorbereitung der ersten freien Wahlen in der DDR 1990 durch die Noch-DDR reiste. Es hat mich damals tief erschüttert, in welch schlechtem Zustand sich die großartigen Baudenkmale und historischen Stadtkerne befanden.

Die mittlerweile wunderbar sanierte Kulturlandschaft im Osten unseres Landes ist ein Glücksfall, der ohne Wiedervereinigung nicht möglich gewesen wäre. Dennoch ist noch eine Menge zu tun; im Übrigen auch im Westen. Das sieht man spätestens, wenn man z. B. einmal das Neue Palais in Potsdam besucht wahrlich kein abgelegener Geheimtipp, sondern ein zentraler Teil des Schlösserensembles!

Aber es wird nicht nur kulturelles Erbe saniert, sondern es entsteht Neues.

Denken wir nur an das OZEANEUM in Stralsund, dessen 2008 eröffneter Neubau der Bund mit 60 Millionen € gefördert hat, oder an den Neubau des "Museums für Bildende Künste in Leipzig". Und derzeit entsteht in Halle der Neubau für die Kulturstiftung des Bundes, der auch neue städtebauliche Akzente setzt.

Dies alles ist ein Bekenntnis zum Föderalismus und zur Stärkung der neuen Länder!

Meine Damen und Herren,

ich habe bewusst die Kultur herausgenommen, weil sie ein besonders positives Beispiel für die Wiedervereinigung darstellt. Ich weiß, dass es Bereiche gibt, wo die Ergebnisse schlechter sind und wo es noch einen größeren Nachholbedarf gibt.

Ich sehe natürlich Probleme im mentalen Bereich, wo das innere Zusammenwachsen sicherlich noch Zeit braucht. Aber das Schönste, das Wichtigste an der Wiedervereinigung ist trotz allem nicht die mittlerweile blühende, kulturelle Landschaft. Es ist die Überwindung der SED-Diktatur in einer friedlichen Revolution und die Erlangung von Freiheit und Demokratie. Und hier ist eine unverzichtbare Aufgabe, diesen Prozess aufzuarbeiten, an ihn zu erinnern auch als Mahnung für die Zukunft → meine Aufgabe in der Bundesregierung.

Viele der zentralen Einrichtungen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wie die Birthler-Behörde und auch die Bundesstiftung Aufarbeitung haben ihren Sitz in Berlin. Dort leisten sie hervorragende Arbeit. Auch eine Vielzahl bedeutender Gedenkeinrichtungen, die allesamt Bundesförderung erhalten, befindet sich in der Hauptstadt, so wie die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen, die Gedenkstätte Berliner Mauer oder der Tränenpalast, in dem derzeit eine Ausstellung eingerichtet wird.

Doch auch in anderen Teilen des Landes wird an die SED-Diktatur und an die Teilung erinnert. Dazu gehören die Gedenkstätte Marienborn und das Grenzlandmuseum Eichsfeld. Auch in Mödlareuth in Bayern und am Point Alpha wird am authentischen Ort deutlich, dass die Grenze eine brutale Realität war.

Wo wären die so notwendige Erinnerung und das Gedenken besser angesiedelt als an diesen authentischen Orten, die die Geschichte hautnah erfassbar machen? Sie schaffen die überzeugendste Möglichkeit, die heutige Jugend, die die deutsche Teilung und deren Folgen eben nicht mehr aus dem unmittelbaren Erleben kennt, für dieses Thema zu sensibilisieren. Denn Aufarbeitung ist unverzichtbar, wollen wir nicht in den Pessimismus verfallen, den Mahatma Gandhi einst zum Ausdruck gebracht hat: "Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt."

Ich teile diese Sichtweise nicht. Klar ist aber auch, dass wir uns unserer Geschichte bewusst sein müssen. Es ist unsere Aufgabe, uns und den nachfolgenden Generationen zu verdeutlichen, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Die DDR war ein undemokratischer Staat, der seine Bürger hinter Mauern und Stacheldraht einsperrte. Ich halte Aussagen für völlig abwegig und nicht nachvollziehbar, nach denen die DDR kein Unrechtsstaat gewesen sei, sondern nur kein vollkommener Rechtsstaat. Im Gegenteil: Die DDR war ein Unrechtsstaat durch und durch. Sie verwehrte ihren Bürgern fundamentale Rechte wie Reise- , Meinungs- , Presse- und Versammlungsfreiheit.

Die DDR verfügte über keine unabhängige Justiz, die staatliche Maßnahmen hätte überprüfen und Bürger vor staatlicher Willkür und Unrecht hätte schützen können. Es war im Grunde ungeheuerlich, sich als "demokratische Republik" zu bezeichnen. Die Wesensmerkmale der Demokratie wie Gewaltenteilung, Herrschaft auf Zeit, freie Wahlen usw. waren alle ausgeschaltet. Mit der Feststellung, dass die DDR ein Unrechtsstaat, eine Diktatur war, soll ja die Lebensleistung der Bürger nicht herabgewürdigt werden, die in der Tat Bedeutendes unter schwierigsten Bedingungen vollbracht haben. Wie notwendig es ist, auch mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall die Aufarbeitung der DDR-Diktatur und des SED-Regimes weiter voranzutreiben, machen zum Teil erschreckende Defizite im Wissen unserer Schülerinnen und Schüler aller Altersgruppen in Ost und West um den Charakter der DDR und die dortige Lebenswirklichkeit deutlich.

Bei diesen doch erschreckenden Feststellungen geht es nicht nur um die Frage von Wissensvermittlung, wichtiger ist dabei die Frage der Wertschätzung von Freiheit und Demokratie. Wer den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie nicht kennt, die Vorzüge einer freiheitlichen Gesellschaft nicht zu benennen weiß, wie soll derjenige extremistischen Ansichten oder Bestrebungen wirksam und überzeugend entgegentreten? Aktuelle Umfragen machen immer wieder deutlich, dass Unwissenheit und Verklärung der SED-Diktatur in der Bevölkerung weiter zugenommen haben. Während der Anspruch sozialer Gleichheit auf dem Vormarsch ist, haben Freiheit und Demokratie in der Werteskala deutlich an Bedeutung verloren.

Meine Damen und Herren,

Freiheit und Demokratie aber waren die wichtigsten Forderungen der Bürgerinnen und Bürger, die 1989 auf den Straßen und in den Kirchen für Veränderungen eintraten. Man kann mit Stolz sagen, dass Ost-Deutsche die einzige erfolgreiche Revolution in Deutschland vollbracht haben. Das auch noch auf friedliche Art und Weise. Ein Regime wurde gestürzt und das Recht auf Freiheit und Demokratie durchgesetzt von den Bürgern selbst. Das dürfen wir nie vergessen!

Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin, dessen Siegerentwurf wir am 3. Oktober vorstellen wollen, wird daran erinnern.

Lassen Sie uns entgegen der Aussage Mahatma Gandhis aus der Geschichte lernen. Institutionen wie die Bundesstiftung Aufarbeitung leisten dafür unverzichtbare Arbeit. Ich weiß um die Vielzahl ihrer Aktivitäten und das herausragende Engagement ihrer Mitarbeiter.

Lieber Rainer Eppelmann ich möchte Ihnen als Vorsitzendem für die Arbeit der Stiftung sehr herzlich danken und wünsche Ihnen noch eine interessante und anregende zeitgeschichtliche Sommernacht!