Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 13.09.2010

Untertitel: Staatsminister Bernd Neumann betonte in seiner Rede, dass "Kulturelle Bildung nicht nur eine grundlegende Voraussetzung für den Zugang zu Kunst und Kultur schafft, sondern dass die Teilhabe am Kulturleben für jeden unverzichtbar ist, der das gesellschaftliche Leben in unserem Land aktiv mitgestalten will".
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/09/2010-09-13-neumann-mercator-stiftung,layoutVariant=Druckansicht.html


sehr gern bin ich der Einladung der Stiftung Mercator zu diesem internationalen Symposium gefolgt. Denn Kulturelle Bildung ist eines unserer zentralen Zukunftsthemen. Sie ist fundamental für die Entwicklung jedes einzelnen, aber auch für die Gestaltung und den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens. Und zwar über nationale Grenzen hinweg: Kultur und kulturelle Bildung ist heute die Kraft, dank derer Europa immer enger zusammen wächst.

Deshalb begrüße ich an dieser Stelle besonders herzlich all jene Gäste, dies aus ganz Europa angereist sind, um mit diesem Kongress auch die deutsche Kulturhauptstadt Europas 2010 kennen zu lernen. Mein besonderer Dank gilt dem polnischen Kulturminister Bogdan Zdrojewski für sein Kommen. Im Ruhrgebiet stößt man auf Schritt und Tritt auf die kulturellen Spuren polnischer Einwanderer etwa im Ruhrmuseum, das wir beide heute noch gemeinsam besichtigen werden. Die Vielfalt unserer heutigen Kultur ist geboren aus dem geistigen Nährboden Europas, der in zweitausend Jahren erwachsen ist und nie vor nationalen Grenzen halt machte. Auch dies gilt es mit der kulturellen Bildung an junge Menschen zu vermitteln. Und ich freue mich, dass die Macher der Kulturhauptstadt dies tun.

Ich bin auch deshalb heute gern nach Essen gekommen, weil sich hier eine schöne Gelegenheit bietet, der Stiftung Mercator herzlich für ihr großartiges Engagement für die Kulturelle Bildung zu danken. Aus Gesprächen mit der Geschäftsführung weiß ich, dass die Stiftung dieses Engagement auf hohem Niveau nicht nur fortführen, sondern weiter ausbauen möchte. In Zeiten, in denen andernorts vor allem danach geschaut wird, wo der Kulturetat noch weiter beschnitten werden kann, verdient das ganz besondere Anerkennung.

Das Thema Kulturelle Bildung spielt seit geraumer Zeit in der kulturpolitischen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland eine bedeutende Rolle. Forscht man nach den Gründen für dieses Interesse, gibt es sicherlich verschiedene Erklärungsansätze. Der überzeugendste scheint mir zu sein, dass Kulturelle Bildung nicht nur eine grundlegende Voraussetzung für den Zugang zu Kunst und Kultur schafft, sondern dass die Teilhabe am Kulturleben für jeden unverzichtbar ist, der das gesellschaftliche Leben in unserem Land aktiv mitgestalten will.

Kulturelle Bildung verstehe ich im Übrigen immer auch als Dialog. Damit verbunden ist die Chance, sich über die vielfältigen und facettenreichen Einflüsse auf unsere kulturelle Identität zu verständigen. Denn nur wer sich der eigenen kulturellen Wurzeln, ihrer heterogenen Einflüsse und Entwicklungen vergewissert, kann sich in der globalisierten Wirklichkeit bewegen und Verständnis auch für andere Welten und Kulturen entwickeln.

An dieser Stelle eine kurze Erläuterung für alle diejenigen unter Ihnen, die sich mit dem föderalen System in Deutschland bislang nicht befasst haben: Fast alles, was mit kultureller Bildung zusammenhängt, ob in Schulen, in außerschulischen Vereinen oder in Kultureinrichtungen, fällt in Deutschland unter die Verantwortung von Ländern und Kommunen und wird deshalb auch weitgehend von diesen finanziert. Das soll und muss auch so bleiben. Der Bund sieht sich dabei in einer übergreifenden Mitverantwortung insbesondere auch als Impulsgeber. Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich die Kulturelle Bildung deshalb zu einem Schwerpunkt meiner Arbeit gemacht. Der Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 gibt die Zielrichtung vor. Dort heißt es: "Wir wollen gemeinsam mit den Ländern den Zugang zu kulturellen Angeboten unabhängig von finanzieller Lage und sozialer Herkunft erleichtern und die Aktivitäten im Bereich der kulturellen Bildung verstärken; kulturelle Bildung ist auch ein Mittel der Integration".

Was ist zu tun? Die wichtigste Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg ist meiner Ansicht nach die Neugier. Diese entwickelt eine enorme Antriebskraft. Neugier sollte jedoch nicht nur bei Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und reiferen Menschen geweckt werden. Neugier brauchen auch die Kultureinrichtungen, die Theater, Museen und Konzerthäuser, um sich auf ein veränderndes Publikum einzustellen. Denn eines scheint mir klar zu sein: Nur wenn beide Seiten aufeinander neugierig sind, können sich interessante und spannungsreiche Beziehungen entwickeln.

Aus diesem Grund habe ich übrigens bereits vor zwei Jahren die von meinem Haus geförderten Kultureinrichtungen aufgefordert, ihre kulturell-künstlerischen Vermittlungsaktivitäten als Querschnittsaufgabe systematisch auszubauen und in den Aufsichtsgremien regelmäßig zu thematisieren. Seit diesem Jahr unterstützt mein Haus zudem bundesweit vorbildliche Modellprojekte mit jährlich einer Mio. Euro. Außerdem habe ich 2009 einen Preis für kulturelle Bildung ausgelobt, der seitdem ebenfalls jährlich von einer Fachjury vergeben wird und der mit insgesamt 60.000 Euro dotiert ist.

Einewichtige Rollespielt bei unseren Überlegungen auch die Kulturstiftung des Bundes ( KSB ) , die ebenfalls durch mein Haus gefördert wird. Sieunterstützt über ihre Fonds und in Einzelprojekten zahlreiche Modellvorhaben der Kulturellen Bildung. Dazu gehört die Initiative "Jedem Kind ein Instrument" als Beitrag zur Kulturhauptstadt Europas 2010 ebenso wie der Fonds für Theaterprojekte "Heimspiel" oder das "Netzwerk Neue Musik". In diesem Jahr läuft mit "AGENTEN" ein neues großes Modellvorhaben an, das auf eine intensive, kreative und nachhaltige Vernetzung von Schulen und Kultureinrichtungen abzielt. Ich freue mich, dass sich bei der Konzeption und Umsetzung dieses Projekts bereits intensive Beziehungen mit der Stiftung Mercator ergeben haben.

Neben der künstlerischen und kulturellen Vermittlung als integralem Aspekt der Kulturförderung habe ich einen weiteren kulturpolitischen Schwerpunkt gesetzt: Die Vernetzung der maßgeblichen Akteure und zwar nicht nur zwischen Bund, Ländern und Kommunen, zwischen schulischen, außerschulischen und kulturellen Institutionen in Deutschland, sondern vor allem auch mit und in der Europäischen Union. Der Blick über die Grenze ist ein Blick über den eigenen Tellerrand. Nutzen wir die Chance, voneinander zu lernen! Letztes Jahr konnte ich gemeinsam mit Kulturminister Bogdan Zdrojewski und dem französischen Botschafter die reformierte Stiftung Genshagen bei Berlin eröffnen: Sie ist mit Mitteln meines Hauses zu einer Plattform für kulturelle Bildung in Europa ausgebaut worden. Die Stiftung hat seither die Aufgabe, europaweit den Dialog zwischen Expertinnen und Experten der kulturellen Bildung zu pflegen und konkrete Kooperationsprojekte zu realisieren. Mit der Sprache der Kunst erhalten junge Menschen aus ganz Europa die Chance zur Begegnung über Grenzen hinweg. Ich freue mich, dass Frau Hartmann-Fritsch als Vorstandsmitglied in Genshagen auch in der Steuerungsgruppe zu dem hiesigen Kongress mitgewirkt hat. So werden tragfähige Verbindungen geknüpft, die sicherlich auch in Zukunft fruchtbar werden.

Erfreulicherweise legt auch die Kulturhauptstadt Europas 2010 "Essen für das Ruhrgebiet" einen Schwerpunkt auf die kulturelle Bildung. Da dieses großartige Kulturprojekt überregionale und gesamteuropäische Bedeutung besitzt, steuere ich aus meinem Haushalt einen sehr großen Beitrag nämlich - 19 Millionen Euro - zum Gesamtbudget der Kulturhauptstadt bei. Kulturvermittlung und kulturelle Bildung ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm der Kulturhauptstadt. Aktionen wie der "Day of Song" brachten im Juni eine ganze Stadt, das Ruhrgebiet und seine Gäste aus ganz Europa zum Singen und Klingen. Ich finde es sensationell, dass beim Abschlusskonzert am 6. Juni 2010 sage und schreibe 60.000 Menschen gemeinsam in der Veltins-Fußball-Arena gesungen haben. Chöre, Opernsänger, Popstars und Orchester und vor allem alle Gäste auf ihren Plätzen haben mit vereinten stimmlichen Kräften in ein nie dagewesenes Konzert veranstaltet.

Auch das Projekt "Jedem Kind ein Instrument" ist einzigartig: Jedem der 200.000 Grundschulkinder des Ruhrgebiets steht die Möglichkeit offen, ein Musikinstrument zu erlernen, das es sich selbst ausgesucht hat. Im Mittelpunkt steht das gemeinsame Musizieren der Kinder vonder ersten bis zur vierten Klasse. Dieses Projekt wurde von der Kulturstiftung des Bundes, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Zukunftsstiftung Bildung entwickelt. Mein Haus engagiert sich hierbei über die Kulturstiftung des Bundes mit 10 Mio. Euro.

Besonders am Herzen liegt uns bei all diesen Projekten die europäische Vernetzung. Das Ruhrgebiet steht damit im Kleinen auch ein wenig für das, was die Europäische Union im Großen sein kann und soll: Das Miteinander einer beeindruckenden Vielfalt an Menschen und Kulturen, die jeder im Einzelnen die Region mit prägt, ganz der europäischen Grundidee gleich: Vereint in Vielfalt. Deshalb freue ich mich, dass die Europäische Kommission mit dem Generaldirektor für Kultur im Laufe dieser Tagung hochrangig vertreten sein wird. Mit der Agenda zur Europäischen Kulturpolitik und dem Ratsarbeitsplan Kultur 2008 - 2010 haben sowohl die Europäische Kommission als auch die europäischen Kulturminister die kulturelle Bildung zu einem Thema in Brüssel gemacht. Kürzlich hat eine europäische Arbeitsgruppe, in der auch mein Haus vertreten war, einen Bericht mit Handlungsempfehlungen vorgelegt. Wichtig ist nun, dass auch konkrete Initiativen folgen. Wie auf nationaler Ebene gilt ja auch hier: Wir haben vielfach kein Erkenntnis- , sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem!

Wollen wir ein Europa der Bürger aufbauen, so kommt es darauf an, Bindekräfte zu mobilisieren und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln. Was könnte uns mehr verbinden als unsere in über zweitausend Jahren gewachsene gemeinsame europäische Kultur? In kulturellen Fragen, so sagte einst Kommissionspräsident Barroso, ist Europa eine Supermacht. Wie sollte da nicht auch die Aufgabe, den kulturellen Reichtum Europas zu vermitteln, eine gemeinsame europäische sein? Nur auf dem Fundament der Kultur kann eine gemeinsame europäische Identität, ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürger entstehen. Und nur wenn wir mit kultureller Bildung die junge Generation erreichen, wird unser Kulturerbe auch für die Zukunft lebendig bleiben.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen anregende Diskussionen und interessante Tage auf diesem Kongress.