Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 23.09.2010

Untertitel: "Der BDV repräsentiert einen starken Sektor der Kultur- und Kreativwirtschaft", so Kulturstaatsminister Bernd Neumann. In seiner Rede in Hamburg ging er auf die Veranstaltungswirtschaft als zentralen Pfeiler des Kulturlebens in Deutschland einund sprach die Förderung des musikalischen Nachwuchses, die Umsatzsteuerzwangsbefreiung sowie die Künstlersozialversicherung und das Love Parade Unglück von Duisburg an.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/09/2010-09-23-neumann-veranstaltungswirtschaft,layoutVariant=Druckansicht.html


stolz auf die Vergangenheit fit in die Zukunft "so heißt das Motto Ihrer Jubiläums-Jahresversammlung. Und ich kann Ihnen bestätigen: Sie können selbstbewusst auf das Erreichte schauen, und sie sind tatsächlich gut für die Zukunft gerüstet! Aus kleinen Anfängen ist ein Verband entstanden, der engagiert und erfolgreich die Interessen der Live Entertainment-Branche vertritt. Der bdv ist kein Wohlfühlverein, in dem man sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegenseitig seiner Bedeutung versichert, wie man es manchmal von Verbänden kennt. Er ist im Gegenteil eine Stimme, die sich dort Gehör verschafft, wo die Weichen für die deutsche Konzert- und Veranstaltungsbranche gestellt werden: im politischen Raum. Dies war schon bei der Gründung so, als sich der Verband gegen die damalige Bundesanstalt für Arbeit und deren Vorwurf der" unerlaubten Arbeitsvermittlung " zur Wehr setze und mit einem Urteil des Bundessozialgerichts mit Bravour obsiegte. Dies ist auch heute noch so vor allem auch dank so rühriger Persönlichkeiten wie Jens Michow, dem ich an dieser Stelle noch nachträglich zum runden Geburtstag gratulieren möchte alles Gute!

Meine Damen und Herren, der BDV repräsentiert einen starken Sektor der Kultur- und Kreativwirtschaft von Musikveranstaltungen und großen Konzerten bis hin zu Kabarett und Dinner Shows. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt und Lebendigkeit in den Regionen und stärken die Attraktivität eines Standortes. Was ich besonders wichtig finde: Der Live Entertainment Sektor baut junge Künstler auf und gibt Ihnen eine Chance. Im Zuge der Digitalisierung und auch der damit einhergehenden Probleme der Tonträgerwirtschaft sind Konzertveranstalter ja fast schon zum Rückgrat der Musikwirtschaft geworden.

Die Veranstaltungswirtschaft ist ein zentraler Pfeiler des Kulturlebens in Deutschland und das ist ein Aspekt, den man nicht übersehen darf auch ein internationaler Vermittler von Kultur aus Deutschland. Es hat sich einiges getan in den letzen drei Jahren, seit ich zuletzt beim Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft gesprochen habe und damit meine ich nicht nur den Namenswechsel von idkv zu bdv ( ein Kürzel, das mich als Kulturstaatsminister allerdings zuerst einmal an den Bund der Vertriebenen denken lässt … ) . Damals habe ich davon gesprochen, wie wichtig es wäre, für die Branchen der Kulturwirtschaft belastbares Zahlenmaterial und konkrete Analysen zu haben.

Heute sind wir erheblich weiter. Inzwischen habe ich ein eigenes Referat in meinem Haus eingerichtet, das sich um die Belange der Kultur- und Kreativwirtschaft kümmert. Und wir kennen mittlerweile auch die Zahlen: Die Kultur- und Kreativwirtschaft gehört zu den wachstumsstärksten Branchen der deutschen Wirtschaft überhaupt. Die jährliche Bruttowertschöpfung von etwa 63 Milliarden Euro liegt zwischen dem Anteil der Automobil- und Chemieindustrie. Die aktuellen Zahlen belegen: Die Kultur- und Kreativwirtschaft verzeichnet trotz der Krise positive Zuwächse. Beispielsweise wuchs die Zahl der Beschäftigten in 2009 auf 1.024 Millionen. Ein Jahr zuvor lag sie noch bei ca. 1 Million.

Die Zahlen bestätigen eindrucksvoll, dass die Kultur und Kreativwirtschaft ein bedeutender Arbeitsmarkt ist! Die Potentiale dieser wichtigen Zukunftsbranche für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland waren ein entscheidendes Motiv dafür, dass mein Haus gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Inzwischen blicken wir auf gut zwei Jahre erfolgreicher Kooperation von Wirtschafts- und Kulturpolitik zurück. In den ersten anderthalb Jahren haben wir intensive Dialoge mit den elf kulturwirtschaftlichen Teilbranchen geführt, u. a. auch mit Ihrem Bereich "Live-Entertainment". Die Ergebnisse dieser Branchenhearings sind zwischenzeitlich als Broschüren veröffentlich, die auch abgerufen werden können.

Das Live Entertainment ist in Deutschland ein Markt, auf dem derzeit 3,6 Milliarden Euro umgesetzt werden. Auch darum ist es von besonderer Bedeutung, dass die Veranstaltungswirtschaft als eigenständiger Zweig der Kulturwirtschaft behandelt wird und nicht als Teil der "Musikindustrie", wie es häufig so usus ist. Die Veranstaltungswirtschaft hat so viele Facetten, man täte ihr Unrecht, würde man sie nur auf den Musikbereich reduzieren. Aus den Erkenntnissen dieser ersten Phase der Kultur- und Kreativwirtschaft sind einige konkrete Maßnahmen erwachsen.

In Eschborn bei Frankfurt am Main wurde das Kompetenzzentrum "Kultur- und Kreativwirtschaft" eingerichtet und 8 Regionalbüros eröffnet unter anderem eines hier in Hamburg, die vor Ort Kulturunternehmern und Kreativen Hilfestellung bei ihrer wirtschaftlichen Weiterentwicklung leisten. Sie werden an bestehende Förderprogramme, Instrumente und Strukturen zur Qualifizierung herangeführt. Die kompetenten Ansprechpartner unterstützen auch Veranstalter auf ihrem Weg von der innovativen Geschäftsidee zum wirtschaftlichen Erfolg. Dabei arbeiten sie eng mit externen Spezialisten, Branchenkennern und Netzwerkpartnern zusammen.

Die Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein wichtiger und auch innovativer Teil der Kulturförderung in unserem Land. Im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien darauf verständigt, dass wir weiterhin diesen Wirtschaftszweig stärken wollen: "Die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft wird fortgesetzt und weiter ausgebaut." Die hierfür erfolgende Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsministerium und meinem Haus ist beispielhaft und nutzt der Wirtschaft und der Kultur. Klar ist aber auch, dass ich mich als Kulturstaatsminister in erster Linie nicht als Wirtschaftsförderer, sondern als Anwalt der Künstler und Kreativen verstehe. Wir fördern natürlich künstlerisches Arbeiten vor allem als Selbstzweck. Kunst und Kultur sind primär um ihrer selbst willen zu fördern und nicht unter kommerziellen Aspekten, weil sie unserer Gesellschaft unverzichtbare Impulse geben und zur Identität unseres Landes entscheidend beitragen.

Ohne die Künstler, die mit großem Idealismus ihrer Berufung folgen und die oftmals lange darauf warten müssen, dass sie von Ihrer Arbeit auch leben können, gäbe es auch keine Kultur- und Kreativwirtschaft und keinen Veranstaltungssektor. Künstler bilden den Kern der Kultur- und Kreativwirtschaft. Sie stehen am Beginn der volkswirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise wird derzeit manchmal lauter oder auch dezenter die Frage gestellt, ob wir die 150 Theater und 130 Orchester, die die öffentliche Hand finanziert, die tausenden von Museen, Galerien und Ausstellungshallen überhaupt brauchen?

Trotz der überbordenden Angebote in den elektronischen Medien, trotz der vielfältigen privaten Freizeitangebote und Veranstaltungen oder der Offerten des Tourismus? Darauf lautet meine Antwort: Ja, ja und nochmals ja! Es sind die Künste, die uns zum Reflektieren und Besinnen ermuntern, es ist dieses gleichsam überflüssig Scheinende, das ganz wesentlich die Basis unseres Gemeinwesens bildet. Lassen Sie es mich plastisch sagen: Kunst ist nicht das Sahnehäubchen, sondern die Hefe im Teig. Diese Hefe setzt Prozesse in Gang und legt Energien frei. In der Kunst sind es geistig-ästhetische, aber auch sehr sinnliche Energien, die uns nicht zuletzt zu einem Blickwechsel ermutigen.

Ich weiß, dass unsere Förderpolitik bei der Veranstaltungswirtschaft hin und wieder auch auf Kritik stößt. Manche fragen, warum die Filmwirtschaft so beträchtliche Unterstützung erhält? Aber was für viele Kulturbereiche in Deutschland in weiten Teilen nicht gilt ja vielleicht auch nicht gelten kann, nämlich mit Gewinnchancen im Wesentlichen marktwirtschaftlich zu operieren, trifft zu meiner großen Freude für die Veranstaltungswirtschaft zu. Sie machen es in ihrem Bereich mit sensationellen Umsätzen möglich, die Finanzierbarkeit von Kultur durch den Markt zu erreichen. Das ist lobenswert, auch wenn es sich nicht auf andere Bereiche der Kultur übertragen lässt.

Lassen Sie mich betonen: Wir sollten kein Konkurrenzverhältnis zwischen den Kulturveranstaltungen der öffentlichen Hand und privaten Anbietern aufbauen. Ich bin vielmehr froh, dass es in unserem Land ein so herausragendes privatwirtschaftlich organisiertes Kulturangebot gibt. Gerade unsere Initiative Kultur und Kreativwirtschaft zeigt: wir setzen auch auf private Angebote und wollen Kulturunternehmer auch potentielle unterstützend mit Rat und Tat zur Seite stehen. Andererseits ist klar, dass die öffentliche Hand in der Verantwortung steht, die flächendeckende Infrastruktur zu wahren und diejenige Kunst zu fördern, die sich am Markt nicht ohne weiteres durchsetzen kann.

Dazu gehört unbedingt die Förderung des musikalischen Nachwuchses. Ich denke hier zum Beispiel an die Junge Deutsche Philharmonie, die ausgewählten Musikstudenten die Möglichkeit gibt, auf sehr hohem Niveau professionelle Orchesterpraxis zu erwerben. Zu nennen ist auch eine ganze Bandbreite von Projekten des Deutschen Musikrates vom Dirigentenforum über den Deutschen Musikwettbewerb bis zum PopCamp, dem Meisterkurs für populäre Musik. Mit der von meinem Haus initiierten und mitfinanzierten Initiative Musik gibt es zum ersten Mal auf Bundesebene eine systematische Förderung in den Segmenten Pop, Rock und Jazz. Die Initiative zielt auf die Stärkung der Musikwirtschaft in Deutschland, vor allem in den Bereichen Nachwuchs und Export.

Hinter diesem marktwirtschaftlichen Ansatz stehen aber auch kulturpolitische Überlegungen. Wir haben in Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern lange an einer strikten Trennung zwischen Hoch- und Populärkultur festgehalten. Diese Trennung ist zumindest in Teilen überholt. Ablesbar ist dies zum Beispiel am Einfluss der Popmusik auf andere Künste, sei es Film, Literatur oder bildende Kunst. Popmusik aus Deutschland ist darüber hinaus auch ein wichtiger Kulturbotschafter im Ausland. Darum hat mein Haus gemeinsam mit der Musikwirtschaft die Initiative Musik ins Leben gerufen. Der Aufsichtsrat, der die Förderentscheidungen trifft, ist je zur Hälfte mit Vertretern der Musikbranche und des Bundes besetzt.

Ich freue mich, dass auch der bdv in Person seines Präsidenten Jens Michow sein Know-how einbringt! Die Initiative fördert in erster Linie mit zwei Programmen, der Künstlerförderung und der Infrastrukturförderung. Der Live-Bereich kommt dabei nicht zu kurz. Mit einem Gutteil der Projekte in der Künstlerförderung werden zum Beispiel auch Tourneen unterstützt. Besonders erfreulich ist es aus meiner Sicht, dass es der Initiative Musik gelungen ist, Schnittstellen zu den Förderungen auf Landesebene herzustellen und neue Fördermodelle zu etablieren. Ich denke hier zum Beispiel an vier Projekte der Spielstättenförderung, die gemeinsam mit Ländern und Regionen realisiert werden. Hier geht es nicht um flächendeckende Subventionen, sondern um gezielte Anreize für kleinere Veranstaltungsorte, die insbesondere dem Nachwuchs eine Chance geben, der erst am Anfang einer möglichen Karriere steht.

Beim Reeperbahnfestival, das ich im Anschluss an diese Veranstaltung eröffnen werde, gibt es mit dem "Club International" ein Projekt, das von der Initiative Musik gefördert wird und das sich mit dem Thema Spielstätten befasst. Die Initiative Musik hat ihre Zusammenarbeit mit der Veranstaltungswirtschaft auch dadurch unterstrichen, dass sie in diesem Jahr erstmals das Preisgeld für den "Club des Jahres" im Rahmen des LEA [Live Entertainment Award] übernommen hat. Auch mit dieser Auszeichnung setzt die Initiative ein Zeichen für diejenigen Veranstalter, die mit einem anspruchsvollen Programm für musikalische Qualität und Vielfalt sorgen. In den gut zwei Jahren ihrer Tätigkeit hat die Initiative Musik insgesamt knapp 300 Projekte mit einem Volumen von rund 5,5 Mio. Euro unterstützt. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Politik und Musikwirtschaft sollten sich weiterhin gemeinsam darum bemühen, mit ihren Beiträgen zum Ausbau der Initiative Musik beizutragen.

Meine Damen und Herren, finanzielle Hilfen sind der eine, die Gestaltung der Rahmenbedingungen der andere Weg, die Kultur zu fördern. Da kommt auch die Veranstaltungswirtschaft wieder ins Spiel. Herr Michow hat beim Branchenhearing in Berlin vor fast einem Jahr eindrücklich geschildert, welche Fragen das Live Entertainment bewegen von der so genannten Umsatzsteuerzwangsbefreiung bis zur Gema-Tarifauseinandersetzung. In beiden Bereichen hat es ja in der Zwischenzeit Lösungen gegeben. Mir ist bewusst, dass Ihre Branche sehr unter dem Problem der sogenannten "Umsatzsteuerzwangsbefreiung" leidet. Nach jahrelangem Ringen ist im April dieses Jahres endlich Bewegung in diese Debatte gekommen.

In intensiven Verhandlungen mit dem federführenden Bundesministerium der Finanzen ist es gelungen, im Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2010 eine Änderung aufzunehmen. Mit der geplanten Novellierung können die Bescheinigungen im Regelfall rückwirkend nur noch für einen Zeitraum von 4 Jahren ausgestellt werden. Damit haben wird nicht nur für mehr Rechtssicherheit gesorgt, sondern insbesondere auch die finanziellen Risiken durch die Rückzahlungsforderungen der Finanzbehörden begrenzt. Sicherlich haben wir damit keine Ideallösung gefunden. Dennoch stellt dieser Kompromiss nach meiner Überzeugung eine Verbesserung in der bisher festgefahrenen Problematik dar. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Regelung nach Abschluss der Gesetzgebungsverfahrens Anfang Januar 2011 in Kraft treten wird.

Zu den Rahmenbedingungen zählt für mich unbedingt auch die Gestaltung der Künstlersozialversicherung. Die Ressource der Veranstaltungswirtschaft ist der Mensch und seine künstlerische Leistung. Es ist jede Anstrengung wert, die Künstlersozialversicherung zukunftsfest zu erhalten sie ist als Kranken- und Alterssicherungsinstrument für die Künstlerinnen und Künstler unverzichtbar. Wir haben kontinuierlich den Abgabesatz senken können. 2005, zu Beginn meiner Amtszeit, betrug er noch 5,8 % in diesem Jahr werden es nur noch 3,9 % sein. Die Abgabe ist nun faktisch auf mehr Schultern verteilt. Sie ist damit gerechter geworden. Von einigen Anliegen Ihrer Branche werden wir nicht alles umsetzen können. Vieles andere entzieht sich generell den Kompetenzen des Gesetzgebers, so wie das Problem, dass immer mehr eigentlich fachfremde Unternehmen in den Veranstaltungsbereich drängen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass ich mich auch in Zukunft für die Belange der Veranstaltungswirtschaft einsetzen werde!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Lassen Sie mich abschließend noch auf einen mir wichtigen Punkt eingehen: Das Love Parade Unglück von Duisburg ( 24. 07. ) hat uns alle erschüttert und mit großer Trauer erfüllt. Eine solche Tragödie darf sich nicht wiederholen. Ich halte es deshalb völlig unabhängig von der juristischen Aufarbeitung für sehr wichtig, ganz intensiv darüber nachzudenken, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um Gefahren für Leib und Leben von Besuchern solcher Veranstaltungen auszuschließen.

Es ist ein richtiger Schritt, dass sich ein Beitrag des heutigen Meetings der Frage nach der Sicherheit der Veranstaltungen widmet. Und ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie, Herr Michow, nach dieser Tragödie auch in der Öffentlichkeit klare Worte gefunden haben.

Meine Damen und Herren, ich wünsche dem Branchenmeeting heute viel Erfolg und gratuliere dem bdv zum 25 jährigen Jubiläum! Alles Gute!