Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 24.09.2010

Untertitel: Anläslich derdiesjährigen Mitgliederversammlung von ICOM Deutschland unter dem Thema ´Ethik des Sammelns´ unterstrich Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Bedeutung der Museen als "Schatzkammern unserer Identität" und hob ICOM Deutschland als "starke Stimme innerhalb des Internationalen Museumsrates" hervor.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/09/2010-09-24-neumann-icom,layoutVariant=Druckansicht.html


ich grüße Sie herzlich zu Ihrer ICOM-Jahrestagung hier in Leipzig! Ich denke, es ist eine Ehre für jede Stadt, die größte Organisation der Museen und Museumsfachleute in Deutschland zu Gast zu haben und vor allem für eine so kulturbewusste wie Leipzig es ist! Dank ICOM Deutschland hat unser Land eine starke Stimme innerhalb des Internationalen Museumsrates und das nicht nur wegen der hohen Mitgliederzahl, sondern auch durch die engagierte inhaltliche Arbeit, die die Bundesregierung regelmäßig jährlich unterstützt.

Besonders verdienstvoll ist die Tatsache, dass sich das deutsche Nationalkomitee nicht nur unmittelbar für die Interessen der Museen einsetzt, sondern auch insgesamt für die Bewahrung des kulturellen Erbes. Denken wir nur an ein Problem, das auch für die Ethik des Sammelns, über die Sie in den nächsten beiden Tagen sprechen werden, eine zentrale Bedeutung hat: Der Handel mit illegalem Kulturgut. Schätzungen zufolge soll ein gewaltiger Teil der archäologischen Artefakte in den Museen dieser Welt aus illegalen Quellen stammen.

ICOM Deutschland hat darum immer wieder darauf gedrungen, dass Deutschland dem UNESCO Übereinkommen gegen den illegalen Handel mit Kulturgut von 1970 endlich beitritt. Ich habe diese Situation bei Amtsantritt 2005 übernommen und sofort entschieden, den Beitritt Deutschlands einzuleiten. 2007 konnte ich es dann endgültig durchsetzen, dass dieses Gesetz in Deutschland in Kraft trat nach 37 Jahren! Nicht nur in dieser Frage ist ICOM Deutschland für mein Haus seit Jahren ein kompetenter und bewährter Ansprechpartner. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle herzlich danken!

Meine Damen und Herren,

Museen sind Hüter der Kultur, und sie sind auch bedeutende Vermittler.

Als Lernorte kommt ihnen eine hohe Bedeutung bei der kulturellen Bildung und auch bei der Integration zu zentrale gesellschaftliche Aufgaben. Der Bund will hier Zeichen setzen und den Zugang zu kulturellen Einrichtungen für alle Teile der Gesellschaft erleichtern unabhängig von Herkunft und Geldbeutel! Dafür stellen wir in diesem Jahr zusätzlich zwei Millionen Euro zur Verfügung, um Projekte der kulturellen Bildung u. a. auch in Museen zu unterstützen.

Und nun zum Kerngeschäft der Museen. Damit meine ich: Das Forschen, Sammeln und Bewahren. Museen sind neben den Bibliotheken und Archiven die wahren Schatzkammern unserer Identität. Ohne Sammlung kein Museum diese selbstverständliche Erkenntnis gerät jedoch heute oftmals nur allzu leicht in Vergessenheit. Das mag dem Zeitgeist, einer gewissen Eventkultur und auch aktuellen Sparzwängen geschuldet sein. Doch ich warne: Soll unsere Gesellschaft nicht in Amnesie verfallen, ist stetige Arbeit am Gedächtnis unserer Kultur und damit an den Beständen der Museen unabdingbar!

Die Vernachlässigung der Kernaufgaben von Museen schlägt tiefe Wunden im kulturellen Bewusstsein. Dies steht im krassen Widerspruch zu unserem Selbstverständnis als Kulturnation und auch das sollten wir selbst angesichts anschwellender Klagegesänge über die finanzielle Situation unseres Landes nicht vergessen als eine der reichsten Industrienationen der Welt!

Es ist also eine Aufgabe von nationaler Bedeutung, Sammlungen zu erforschen, zu pflegen und auch zu präsentieren. Der Bund unterhält eigene große Einrichtungen wie das Haus der Geschichte in Bonn, das Deutsche Historische Museum in Berlin und die Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zwei Direktoren dieser Häuser werden ja nachher zu Ihnen sprechen. Darüber hinaus unterstützt der Bund aber auch andere Museen in Deutschland, und zwar vor allem in den Bereichen der Provenienzrecherche, dem Ankauf von national bedeutsamen Kulturgut und bei Investitionen zum Erhalt der Bauten.

Lassen Sie mich zuerst auf das Thema Provenienzforschung eingehen, denn es ist aus meiner Sicht ganz entscheidend, wenn es um die "Ethik des Sammelns" geht. In den letzten Jahren hat sich zum Glück ein grundlegender Bewusstseinswandel hinsichtlich der Provenienz von Kulturgütern vollzogen. Ich zähle diese Fortschritte auch zu den Erfolgen der Kulturpolitik des Bundes. Uns geht es dabei nicht um das ganze Spektrum von Provenienzprüfungen, sondern um NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter.

Wir haben mit der Zukunftssicherung der Koordinierungsstelle in Magdeburg, der Überarbeitung der Handreichung und der Einrichtung der Arbeitsstelle Provenienzrecherche / -forschung dies gemeinsam mit der Kulturstiftung der Länder dafür gesorgt, dass heute niemand mehr an diesem Thema vorbei kommt. Es ist meine feste Überzeugung, dass die Suche nach NS-Raubkunst für die Bundesrepublik ebenso eine unkündbare moralische Verpflichtung bleibt wie die Suche nach fairen und gerechten Lösungen mit den rechtmäßigen Eigentümern oder deren Erben. Dies steht ganz im Einklang mit der "Washingtoner Erklärung" von 1998. Die Nachfrage nach den von meinem Haus zur Verfügung gestellten Mitteln in Höhe von einer Million Euro pro Jahr ist ungebrochen.

Zur Ethik des Sammelns gehört es auch, die Bestände zu erweitern und zu ergänzen. Eine Sammlung, die nicht mehr gepflegt wird, verwandelt sich ein Stück weit in totes Kapital, das keinen kulturellen Mehrwert mehr abwerfen kann. Ich wiederhole an dieser Stelle gern, was ich bereits anlässlich des diesjährigen Internationalen Museumtags gesagt habe: Auch weil Museen einen wichtigen Standortfaktor für eine Stadt oder Region darstellen, ist nicht hinnehmbar, dass viele Museen heute über keinen Ankaufetat mehr verfügen.

Hohes bürgerschaftliches Engagement hilft zwar, schmerzliche Lücken zu füllen, doch die Kommunen und Länder müssen sich ihrer Verantwortung für die Bestände bewusst sein, die teilweise in jahrhundertelanger Sammeltätigkeit gerade auch durch Bürger gewachsen sind. Es soll hier allerdings nicht zu schwarz gemalt werden: Klagen über beschränkte Ankaufsetats haben seit den Zeiten von Wilhelm von Bode eine lange und ungebrochene Tradition. Die Hilfen der öffentlichen Hand ebenso. Der Bund gibt jährlich circa 3 Millionen Euro für den Ankauf national wertvollen Kulturguts aus. In der Regel kommt dies Museen und Sammlungen zugute.

Ich will hier nur wenige herausragende Beispiele der jüngsten Zeit nennen wie den Lehmbruck-Nachlass für Duisburg, den Ankauf der Feininger-Sammlung für Chemnitz sowie die Lüneburger Silberpokale aus der Sammlung Yves Saint-Laurent für das Celler Residenzmuseum. Was für den Bund allerdings eine Prämisse ist: Wir fördern nur gemeinsam mit anderen Partnern wie der Kulturstiftung der Länder und Förderern vor Ort und mit einem Anteil von maximal einem Drittel. Ich finde, es gehört auch zur ethischen Verantwortung allerdings hier des Förderers, Häuser nicht "zwangszubeglücken", sondern eine sinnvolle Sammlungspolitik in Abstimmung mit anderen zu ermöglichen.

Wir Förderer prüfen uns quasi gegenseitig und durch unsere jeweiligen Kontrollmechanismen wie Gutachter oder Kommissionen, ob ein Ankauf wirklich zweckmäßig ist. Gelungene Förderallianzen mit namhaften Partnern sind in dieser Hinsicht auch ein Qualitätsmerkmal!

Immer wieder beeindruckt mich, wie stark das private Engagement von Fördervereinen und auch Mäzenen für "Ihr" Museum ist.

Ich denke da auch an die vielen privaten Sammler, die ihre Kollektionen Museen zur Verfügung stellen. Wir alle wissen, dass dies ein durchaus auch zweischneidiges Thema sein kann. Es hat in der nicht allzu fernen Vergangenheit Fälle gegeben, dass Leihgaben und ganze Konvolute lediglich wie in einem "Durchlauferhitzer" zur Preisankurbelung einen Platz an der Museumswand gefunden haben. Für den Bund kann ich allerdings sagen, dass wir mit unseren großen Sammlungen in Berlin ob Museum Berggruen, Sammlung Scharf-Gerstenberg oder Sammlung Marx durchwegs positive Erfahrungen gemacht haben. Grundlage sind allerdings juristisch saubere Vereinbarungen als Absicherung für beide Seiten.

Und diese betrifft auch den Umgang mit der Sammlung. Wenn Sammelgebiete vernachlässigt werden oder gar angesichts finanzieller Engpässe lautstark über Veräußerungen von Exponaten nachgedacht wird, dann tritt ein fundamentaler Vertrauensverlust ein. In der Regel erholt sich der Ruf eines Museums davon nur schwer. Als Sammler würde ich es mir anschließend zwei Mal überlegen, ob ich einer solchen Einrichtung meine Bestände anvertrauen möchte oder eben nicht. Ich habe mich schon in der Vergangenheit dezidiert gegen Verkäufe von Kunstwerken aus öffentlichen Sammlungen gewandt und ich werde es auch weiterhin tun. Denn einmal verkauftes Kulturgut ist in der Regel unwiederbringlich verloren.

Lassen Sie mich nun zum dritten Punkt kommen, der für mich unmittelbar mit der Ethik des Sammelns zu tun hat: Die angemessene Unterbringung und vor allem auch der richtige Rahmen für die Präsentation der Sammlungen. Denn unsere Kulturschätze sollen ja nicht im Depot ihr Dasein fristen, sondern öffentlich zugänglich sein und damit gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Darüber, meine Damen und Herren, spreche ich besonders gerne in diesem schönen Raum. Leider konnte ich an der Wieder-Einweihung der Pfeilerhalle im Januar dieses Jahres nicht teilnehmen. Ich kannte dieses Juwel aber schon von einem früheren Besuch, und ich muss sagen:

Das Herzstück des GRASSI ist geradezu im alten Glanz wieder auferstanden! Dazu konnte mein Haus in nicht unerheblichem Maß beitragen. In die unter dem Dach des GRASSI vereinten Museen sind im Laufe der Jahre insgesamt fast 23 Mio. € an Bundesmitteln geflossen. Es hat sich wie ich sehe gelohnt. Was im Übrigen nach 20 Jahren auch generell für zahlreiche Museen der neuen Bundesländer gilt. Viele haben von den Förderprogrammen meines Hauses profitiert wie das Ozeaneum in Stalsund ( 15 Mio. , Bund insgesamt 30 € ) und das Deutsche Hygiene Museum in Dresden ( insgesamt über 10 Mio. € ) , in dem ich am kommenden Montag neu sanierte Säle der Öffentlichkeit übergeben werde.

Aber nicht nur die Sanierung der Schauflächen, sondern vielmehr auch die der Depots ist eine Aufgabe, die höchste Priorität genießen muss.

Wir erinnern uns mit Schrecken an den katastrophalen Brand der Anna Amalia-Bibliothek in Weimar. Es ist beruhigend, dass die ICOM- "Richtlinien für Museen" diesem Bereich eine so große Bedeutung beimessen.

Meine Damen und Herren,

wir tragen gemeinsam Verantwortung dafür, dass

Museen auch in Zukunft Brücken bauen können zwischen Kulturen und Generationen.

Wir dürfen nie vergessen, dass wir nur Treuhänder des kulturellen Erbes sind, und wir es, selbst angesichts von Sparzwängen, nicht leichtfertig preisgeben dürfen.

Ich beglückwünsche ICOM Deutschland, dass Sie in diesem Jahr ein so zentrales Thema der Museumsarbeit, wie es die "Ethik des Sammelns" ist, zum Tagungsschwerpunkt gemacht haben. Wir müssen uns in der Tat wieder auf die fundamentalen Tugenden der Museumsarbeit besinnen. Ich wünsche Ihnen auch in diesem Sinne viele Denkanstöße und der Tagung einen guten Verlauf!