Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 25.10.2000

Anrede: Sehr geehrte Frau Pili Chillida, verehrte Frau Becker, lieber Herr Becker, sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/31/22631/multi.htm


Kurze Ansprache

des Bundeskanzlers

zur Enthüllung der Chillida-Skulptur "Berlin"

vor dem neuen Bundeskanzleramt

ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute hier sind, um die Skulptur "Berlin" hier an ihrem neuen Standort willkommen zu heißen. Zur Freude kommt der Stolz, dass es Eduardo Chillida ist, dessen Kunstwerk ich enthüllen darf. Er hat mir gesagt, dies werde die letzte Großplastik in seinem künstlerischen Schaffen sein. Es ist ein großartiger Schlusspunkt im großartigen Werk des in meinen Augen bedeutendsten lebenden Bildhauers in Europa. Das darf man schon mit einer kleinen Feier würdigen.

Für mich bedeutet es sehr viel, dass es die Kunst ist, die hier im neuen Kanzleramt als erste ihren Platz einnimmt. Noch umgibt die Plastik das Bild einer Baustelle, das passt ganz gut zu Eduardo Chillidas Assoziationen zu "Berlin" - wird aber nicht mehr lange so bleiben. Schon bald wird das Kunstwerk eine Aufgabe haben: Es wird würdige Empfangskulisse sein für die zahlreichen in- und ausländischen Gäste wie auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hier ein- und ausgehen werden.

Und es wird sicher zur Bild-Ikone für das vereinigte Deutschland werden, verschmolzen mit dem Anblick des Kanzleramtes, ähnlich wie es Henry Moores "Two Large Forms" für die Bonner Republik waren. Und wenn die harmonischen, runden, weichen - fast bin ich geneigt zu sagen: die nach Konsens strebenden - Formen ein perfektes Symbol für die alte Bundesrepublik waren, so passt dieses kraftvolle, um Annäherung ringende, ja, dramatische Werk von Eduardo Chillida zur veränderten politischen Wirklichkeit der nunmehr von Berlin aus gestalteten vereinigten Republik.

Henry Moore hatte seine Plastik nicht für Bonn und nicht für die Politik konzipiert. Die "Two Large Forms" gibt es mehrfach, weltweit zu sehen in verschiedenen Sammlungen und Museen. Die Bonner Version, die der damalige Kanzler Helmut Schmidt in den Kanzlergarten holte, ist der größte und zweifellos bekannteste Abguss dieses international anerkannten Meisterwerks.

Auch Eduardo Chillida kam die Idee zu seiner Skulptur nicht, weil er ein Werk für den politischen Raum vor Augen hatte. Gleichwohl ist sein erstes, klitzekleines Modell, die Vorarbeit zur Großplastik, ein künstlerischer Kommentar, der fast ideal den Aufbruch des vereinigten Deutschlands in einem neuen, offenen Europa versinnbildlicht. Anfang 1991 war Chillida hier, um seine große Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zu eröffnen, gleich neben der eben abgeräumten Mauer. Tief beeindruckt von der Hoffnung und Freude über das wiedervereinte Deutschland, die wohl nirgends so spürbar war, wie in jenen Tagen vor nunmehr fast zehn Jahren in Berlin, schuf er nach seiner Rückkehr die ersten Skizzen.

Eduardo hat mir von diesem Gefühl berichtet, im März, als wir gemeinsam diesen Platz für die "Berlin" -Skulptur ausgesucht haben; er bekräftigte es kürzlich, im September, bei der Eröffnung seines wundervollen Skulpturenparks in Hernani, nahe seiner Heimatstadt San Sebastian. Er sprach von dieser besonderen Stimmung, die er, der Baske aus dem äußersten Westen Europas, hier in Berlin, an der Nahtstelle zwischen Ost und West damals hier gespürt hat; vom Aufbruch: von der Neugier, mit der die wiedergefundenen Landsleute aufeinander zugingen in der Überzeugung, dass man zusammen ein neues, ein wieder vollständiges Deutschland gestalten werde. Es ist dieser Dialog, den der Künstler hier in Eisen gegossen hat, die Aufforderung, aufeinander zuzugehen. Eduardo Chillida hat ein starkes, ein eigenständiges Werk geschaffen, dessen Botschaft jeder selbst erspüren sollte. Ich bin mir sicher: Besonders an dieser Stelle wird das Hoffnungsvolle, das Weltoffene, das diesem Künstler eigen ist, verstanden werden.

Liebe Pili Chillida:

Ich fühle mich geehrt, dass Sie heute die weite Reise aus San Sebastian gemacht haben, um mit uns Eduardos Skulptur zu begrüßen. Bitte übermitteln Sie Ihrem Mann meine herzlichsten Grüße und meine Freude darüber, dass das Werk gut angekommen ist.

Liebe Frau Becker, lieber Herr Becker:

Ihnen ist es zu verdanken, dass das Meisterwerk hier steht. Sie haben es gekauft, hierher bringen lassen und der Bundesrepublik Deutschland geschenkt. Sie taten das, weil Sie Eduardo Chillidas Kunst lieben und - verzeihen Sie, dass ich das ausplaudere, was Sie, sehr geehrter Herr Becker, mir gesagt haben: Weil Sie finden, dass Sie im Leben, in diesem Land Glück gehabt haben und nun der Gesellschaft etwas zurück geben wollen. Liebe Frau Becker, lieber Herr Becker: Sie sind wahre Mäzene, ich kann Ihnen nur von Herzen danken.

Lieber Professor Lehmann:

Auch Ihnen Dank. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat die künstlerische Betreuung und Pflege der Skulptur übernommen. Eduardo Chillidas Werk ist damit in bester Obhut, es ist nun, mit der Schenkung, offiziell der Sammlung der SPK zugeordnet, Teil des kostbarsten Kunstschatzes, den die Bundesrepublik besitzt.

Es ist schön, lieber Professor Lüpertz, dass Sie heute gekommen sind. Das nächste Kunstwerk, das auch prägend sein wird für das Gesicht des neuen Kanzleramtes, wird von Ihrer Hand stammen. Professor Lüpertz wird das Foyer gestalten. Wie ich weiß, sind Sie ein Freund von Eduardo Chillida und ein Bewunderer seiner Kunst. Bald werden wir also einen weiteren Dialog erleben können, den zwischen den beiden Werken, die nur durch eine Eingangstür getrennt sind.

Meine Damen und Herren,

Seit neuerem verfolgt man in San Sebastian den Wetterbericht für Deutschland - und hofft auf Regen. Auf diesem Gebiet kann Berlin durchaus mit dem Norden der iberischen Halbinsel konkurrieren. Ich verspreche: Feucht wird es werden, und rau und kalt, so wie sich Eduardo Chillida das wünscht. Die flammende Farbe, die jetzt noch zu sehen ist, wird nicht lange bleiben. Sie wird von einem Rostrot abgelöst, der sich in dunkelbraun und schließlich in ein elegantes Anthrazit verwandeln wird. Das muss so sein und tut der Plastik gut. Sieben bis acht Jahre wird das dauern und den Fernsehjournalisten einige schöne Wortspiele bescheren. Ich denke da so an Wendungen wie: "In schönster Morgenröte präsentiert sich der neue Bundeshaushalt". Sollte es irgendwann heißen: "dunkle Aussichten für eine Annäherung", bin jedenfalls ich nicht mehr der Hausherr.

Vielen Dank.