Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 25.10.2000
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Henkel, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/18/23218/multi.htm
Wir haben - das ist gesagt worden - vor zwei Jahren die Regierungsverantwortung übernommen. Wir befinden uns also in der Mitte der Legislaturperiode. Wenn ich den sozialwissenschaftlichen Daten glauben darf, dann ist das mit Ausnahme des ersten Jahres nicht schlecht gelaufen. Es ist für die Bundesregierung nicht schlecht gelaufen. Aber es wäre für die Bundesregierung nicht gut gelaufen, wenn es nicht auch für die gesamte Gesellschaft gut gelaufen wäre. Und die Wirtschaft ist ein eminent wichtiger Teil unserer Gesellschaft.
Ich denke, im Lichte der Zahlen sollte ich ebenso wie Sie einige Anmerkungen machen:
Kritische Geister, aber nicht nur sie, bescheinigen der neuen Bundesregierung, dass sie nach einem verhaltenen Start immer besser Fuß gefasst hat, den Reformstau der 90er Jahre aufgelöst, jedenfalls einen entschiedenen Modernisierungskurs eingeschlagen hat. Der BDI ist in seiner Zwischenbilanz zu der Einschätzung gelangt, dass "unter dem Strich die Investitionsbedingungen am Standort Deutschland doch merklich verbessert" worden sind. Ich kann jedenfalls mit diesem Urteil aus Ihren Reihen gut leben. Auch die Wirtschaftsforschungsinstitute geben der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung in dem gestern veröffentlichten Gutachten Gesamtnoten, mit denen wir sehr gut leben können.
Ich finde allerdings, das beste Zeugnis für die Regierungspolitik stellen die ökonomischen Fakten aus. Mit rund drei Prozent Wachstum in diesem Jahr hat Deutschland zur Spitzengruppe der Industrieländer in Europa aufgeschlossen. Gegenüber dem Vorjahr hat sich das Wachstum verdoppelt. Der anhaltende Aufschwung bringt uns Schritt für Schritt unserem wichtigsten Ziel näher: Dem Abbau der Massenarbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen ist heute um rund 280.000 niedriger als im September 1998. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen bis Ende des kommenden Jahres. In ihrem Gutachten bestätigen sie auch, dass die konjunkturellen Aussichten - trotz des Ölpreisanstiegs - für 2001 insgesamt günstig bleiben. Sie erwarten ein reales Wachstum von 2,7 Prozent, das also kaum unter dem des laufenden Jahres liegt.
Trotz einiger Konjunkturrisiken halte ich diese Zuversicht für begründet: Die Wirtschaft benötigt heute pro Produkteinheit nur noch halb so viel Primärenergie wie in den 70er Jahren. Ich will das ausdrücklich als Kompliment sagen: Hier zahlen sich Energieeinsparung und verstärkte Nutzung der erneuerbaren Energien seit dem ersten Ölpreisschock 1973 buchstäblich aus. Ein wesentlicher Teil der ins Ausland fließenden Ölmilliarden gelangt übrigens über Exportaufträge wieder zurück in die deutsche Wirtschaft.
In der Lohnpolitik haben die Tarifpartner durch den Abschluss von mehrjährigen Vereinbarungen gesamtwirtschaftliche Verantwortung bewiesen und für mehr Planungssicherheit gesorgt. Sie wissen, dass wir uns in Tarifgespräche nicht direkt einmischen, dass aber das gelegentlich geschmähte Bündnis für Arbeit nicht unerheblich zu diesen Ergebnissen beitragen konnte.
Die Attraktivität und die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft haben sich in der ersten Hälfte der laufenden Legislaturperiode nach dem Urteil nationaler wie internationaler Experten erheblich verbessert. Übrigens gibt es einen Beleg dafür. Das sind die zunehmenden Direktinvestitionen ausländischer Firmen in Deutschland. Dem neuen Weltinvestitionsbericht der UNCTAD zufolge sind diese Kapitalzuflüsse von 21 Milliarden Dollar im Jahr 1998 auf rund 27 Milliarden Dollar im letzten Jahr gestiegen. Und gleichzeitig haben sich die Abflüsse von Investitionskapital ins Ausland von 90 Milliarden Dollar auf 50 Milliarden Dollar vermindert. Dies zeigt, dass die Bundesregierung mit ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik die Weichen richtig gestellt hat. In Umfragen werden die Bürger regelmäßig befragt, wie sie die wirtschaftliche Lage einschätzen. Im September 1998 beurteilten lediglich 35 Prozent der Befragten die ökonomische Situation als gut oder sehr gut. Zwei Jahre später, im September 2000, waren dies fast 60 Prozent. Übrigens soll man diese psychologischen Aspekte nicht unterschätzen. Man sollte sie bei in- und ausländischen Diskussionen wirklich verstärkt benutzen, denn das schafft auch ein Stück Vertrauen, speziell im Ausland.
In jüngster Zeit - das ist zuzugeben - hat die Energieverteuerung einige Irritationen und Unsicherheiten ausgelöst. Aber es muss festgehalten werden: In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Stimmung erheblich verbessert. Die Menschen glauben wieder daran - und dies zu Recht - , dass Deutschland seine ökonomischen Probleme lösen und eine starke Rolle in der Wissensgesellschaft spielen kann. Ich halte diese Zuversicht nicht nur für berechtigt. Sie ist angemessen, weil wir neue, erfolgreiche Formen dessen, was man Public-Private-Partnership nennt, gefunden haben. Die vielfältige Zusammenarbeit aller volkswirtschaftlichen Akteure ist nach unserer Auffassung einer der Motoren konsequenter Modernisierung und nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung.
Ich sage es noch einmal: Dazu gehört auch und gerade das von manchen anfangs und gelegentlich auch während seiner Arbeit mit Skepsis begleitete Bündnis für Arbeit. Dazu gehören außerdem der mit den Unternehmen vereinbarte Umstieg in der Energieversorgung sowie vor allen Dingen unsere gemeinsame Initiative "D21 - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft". Diese positiven Ergebnisse zeigen: Die gelegentlich geschmähte Suche nach Konsens aller wichtigen gesellschaftlichen Akteure ist wirklich aller Mühen wert. Wir werden sie auch deshalb weiter unternehmen.
Auch die Reform der Betriebsverfassung sowie die neuen Regelungen zum Anspruch auf Teilzeitarbeit und zu den befristeten Arbeitsverträgen sollten wir ohne ideologischen Streit auf den Weg bringen. Uns geht es - und diejenigen, die sich intensiver damit beschäftigt haben, wissen das - nicht darum, neue bürokratische Vorschriften zu schaffen, sondern darum, flexible und zeitgemäße Regelungen zu schaffen, die den Interessen der Beschäftigten und den Anforderungen der Unternehmen Rechnung tragen.
Herr Präsident Henkel, Sie haben Beispiele gebracht. Ich will Ihnen sagen, was das, was ich Ihnen abstrakt gesagt habe, heißt: Sie kennen als Unternehmer alle die Auseinandersetzungen um das Beschäftigungsförderungsgesetz. Sie wussten und wissen, wie die Position meiner Freunde in den Gewerkschaften ist. Sie wussten und Sie wissen, wie die Position meiner Partei und der anderen Partei in der Koalition, zu dieser Frage gewesen ist, nämlich unter allen Umständen dafür zu sorgen, dass die im Gesetz befindliche Befristung bis Ende dieses Jahres auch eingehalten wird.
Der Entwurf, den der Bundesarbeitsminister vorgelegt hat, ist, wie ich finde, eine gerade auch für Sie akzeptable, weil vernünftige Mischung aus Flexibilität auf der einen Seite und Sicherheit für die Beschäftigten auf der anderen Seite, die sie auch brauchen. Das Gesetz wird entfristet werden, und es wird dann möglich sein, volle zwei Jahre lang für jeweils sechs Monate Beschäftigte ohne sachlichen Grund für diese zwei Jahre einzustellen. Beendet wird eine Übung, die man wirklich als Missbrauch bezeichnen kann, dass nämlich nach diesem Zeitraum eine befristete Tätigkeit mit sachlichem Grund vereinbart worden ist und nachdem diese vorbei war, das Spiel mit den zwei Jahren ohne sachlichen Grund wieder von vorne begann. Ich finde, das entsprach nicht den Sicherheitsinteressen der Beschäftigten, die Sie als Unternehmensführer sehen müssen und sicher auch sehen.
Auf der anderen Seite hätte es dem Gesichtspunkt der Flexibilität nicht entsprochen, wenn man die Forderungen, die seinerzeit gestellt worden sind und immer noch im Raum sind, erfüllt hätte. Was wir erreicht haben, ist ein Kompromiss, der beiden Seiten, wie ich finde, in vernünftiger Weise Rechnung trägt und den man aus diesem Grund wirklich akzeptieren kann und deshalb auch akzeptieren sollte. Ich könnte weitere Beispiele nennen, wie man in vernünftigen Gesprächen den gelegentlich unterschiedlichen Interessen beider Seiten Rechnung trägt. Ich könnte Ihnen auch Beispiele dafür nennen, dass das auch immer wieder gelungen ist.
Was im Übrigen die Bereitschaft aller Mitglieder der Bundesregierung angeht, sich mit dem auseinander zu setzen, was Sie als Vertreter von Interessenverbänden oder als Menschen mit unternehmerischer Praxis vorzutragen haben, so kann man sich bei uns jedenfalls nicht beklagen. Wir haben ein eminentes Interesse daran, zu erfahren, was aus Ihrer Praxis wichtig ist. Wir werden nicht immer erfüllen können und wollen, was Sie fordern. Aber ich denke, dass die Art und Weise, wie wir uns in der Vergangenheit auseinander gesetzt haben - von Ausnahmen auf beiden Seiten einmal abgesehen - , wirklich sachlich und gemeinwohlorientiert gewesen ist.
Wir setzen in unserer Politik - Präsident Henkel hat darauf hingewiesen - auf Nachhaltigkeit, Generationenausgleich und soziale Gerechtigkeit. Wir haben das in der Steuerpolitik nachgewiesen. Mit den früher üblichen, rasch aufeinander folgenden Jahressteuergesetzen haben wir Schluss gemacht. An ihre Stelle setzen wir unsere nachhaltige Steuerreform, die bis zum Jahr 2005 Klarheit und damit auch Planungssicherheit schafft. Insgesamt werden wir Bürgerinnen und Bürger und Wirtschaft bis 2005 um exakt 93 Milliarden DM entlasten. Ich sage es auch hier: Ein Schwerpunkt ist dabei entgegen aller Kritik die Entlastung des Mittelstandes. Übrigens hat dies die unabhängige Bundesbank erst kürzlich bestätigt. Ich zitiere aus dem Monatsbericht für August 2000: "Insgesamt gesehen dürften die Personengesellschaften bei der Besteuerung des laufenden Betriebsergebnisses nicht schlechter abschneiden als die Kapitalgesellschaften". Dies hat mit einem Schritt zu tun, der immer wieder einmal versucht worden ist, aber politisch nie geschafft wurde, nämlich der faktischen Abschaffung der Gewerbeertragsteuer bei den Personengesellschaften durch die Anrechnungsverfahren.
Im internationalen Vergleich wird das Steuersystem in Deutschland attraktiver, auch weil es gerechter wird. Wir haben die Steuersätze bei der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer deutlich gesenkt und lassen in Zukunft bei der Bemessungsgrundlage - das wird auch immer wieder von Ihnen gefordert - weniger Ausnahmen zu. Dazu gehört auch, dass wir die Abschreibungsdauer stärker an die Realitäten anpassen - aber nicht nur an die vom Bundesfinanzhof aufgeschriebenen Realitäten, sondern auch an die in der betrieblichen Wirklichkeit. Dabei wird das in der Steuerreform bereits berücksichtigte Volumen von 3,5 Milliarden DM nicht überschritten. Das hat mit den Vereinbarungen zu tun, die wir getroffen haben. Das wird auch gegenüber den Länderfinanzministern so vertreten werden.
Mit dieser Steuerreform, die in der Tat die größte in der Geschichte der Bundesrepublik ist, geben wir Arbeitnehmern und ihren Familien auch den Spielraum, aus eigener Kraft mehr für die Altersvorsorge zu tun. Ich sage hier ausdrücklich auch noch einmal - Sie wissen es - , warum wir das machen. Dieser Spielraum ist notwendig. Denn im Moment gerät unser bewährtes Rentensystem von zwei Seiten unter Druck.
Erstens nimmt die Zahl der Rentenbezieher im Verhältnis zu den Beitragszahlern immer weiter zu, während die Zahl der stetigen Vollerwerbsverhältnisse abnimmt. Da aber das System vor allen Dingen an die Vollerwerbsarbeitsverhältnisse geknüpft ist, kommt es von daher natürlich unter Druck.
Zweitens werden die Menschen älter. Und das ist gut so. Sie beziehen deswegen länger Renten. Das ist der Grund, warum wir das gegenwärtige Umlagesystem, das ohne exorbitante Beitragssteigerungen bei den Unternehmen und bei den Aktiven in den Betrieben und Dienstleistungszentren nicht zu finanzieren wäre, sinnvoll ergänzen, aber nicht abschaffen. Wir bauen also eine kapitalgedeckte Vorsorge gleichsam als zweite Säule der Alterssicherung. Damit halten wir die künftigen Beitragssätze zur Rentenversicherung in erträglichen Grenzen und verhindern einen dramatischen Anstieg der Arbeitskosten.
Ich erinnere mich noch, als ich damals als Ministerpräsident eines Bundeslandes mit Herrn Hundt, der hier sitzt, über die Frage geredet habe, ob man zulassen könne, dass die Beitragssätze für die Rentenversicherung auf 21 Prozent - oder sogar darüber - steigen könnten. Wir waren beide der Meinung, das dürfe nicht sein. Da es keinen anderen Ausweg gab, haben wir vereinbart, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das war damals unsere Leistung im Bundesrat, als wir dort eine Mehrheit hatten. Die damalige Bundesregierung hat keine andere Möglichkeit gesehen, als genau das vorzuschlagen. So ist es dann auch gekommen. Ich lege also Wert darauf, dass wir diese Beitragssätze gesenkt haben. Seit wir regieren, sinken sie kontinuierlich. Das hat etwas damit zu tun, dass alles, was wir aus der Ökosteuer bekommen, direkt in die Rentenkasse geht - und das wird so bleiben - , weil das dazu führt, dass die Aktiven in den Betrieben von Lohnnebenkosten entlastet werden.
Bei der Reform der Rente geht es darum, für die aktiv Beschäftigten die Rente bezahlbar zu halten und sie für die älteren Menschen sicherer zu machen, als sie ohne eine zweite Säule sein könnten. Dabei wissen wir, dass nicht alle aus eigener Kraft eine Kapitaldeckung aufbauen können. Deswegen helfen wir ihnen. Die Säule der privaten Vorsorge wird deshalb durch ein System direkter Zulagen gestützt, das kinderfreundlich ausgestattet werden wird. Für diejenigen, die etwas mehr verdienen, wird dies durch steuerliche Vergünstigungen erreicht. Alles in allem ist dies bis zum Jahr 2008 ein Volumen von fast 20 Milliarden Mark - genau 19,8 Milliarden DM. Noch einmal: Dies wird familienfreundlich eingesetzt.
Übrigens ist das - in diesem Kreis darf man das ja vielleicht sagen - ein hilfreicher Effekt, um in Deutschland mit dem Aufbau von Kapitalsammelstellen voran zu kommen, wie das in den angelsächsischen Ländern durchaus üblich ist. Die sind ihrerseits nicht ganz unattraktiv, wenn es um die Bereitstellung von Investitionskapital geht. Dieser Aspekt steht nicht im Vordergrund bei uns, aber er ist nicht unwillkommen. Das will ich Ihnen ausdrücklich sagen. Die Mittel dafür können wir aufbringen, weil wir eine solide Finanzpolitik gemacht haben. Ich will das nicht weiter ausführen. Herr Henkel hat darauf hingewiesen. Nur so viel gegenüber der einen oder anderen Diskussion: Der Bundesfinanzminister hat mit meiner Unterstützung von Anfang an zwei Dinge gesagt, was die UMTS-Milliarden angeht.
Erstens: Die nicht ganz unerheblichen Erträge - das muss man ja sagen - werden vollständig zur Schuldentilgung eingesetzt. Er hat zweitens von Anfang an ebenso mit meiner Unterstützung gesagt: Das, was wir an Zinsaufwendungen ersparen, wird investitionsfördernd eingesetzt. Exakt so ist es gekommen. Ein Teil der fünf Milliarden DM, die wir sozusagen an Aufwendungen "erspart" haben, sind für Investitionen bei der Bahn eingesetzt worden. Wir werden darauf achten, dass die Bahn AG ihre inneren Reformen nicht stoppt, weil sie jetzt "fresh money" bekommt, sondern das wird in den Ausbau der Schieneninfrastruktur investiert werden. Ein weiterer, nicht unerheblicher Teil wird in den Ausbau der Straßen gesteckt. Das ist dringend notwendig. Das hat übrigens eine stimulierende Wirkung. Wie Sie wissen, ist das im Tiefbau eine alte Forderung, nicht zuletzt auch aus den Reihen der Verbandsangehörigen.
Wir werden nachhaltig und längerfristig ein Programm auflegen, das etwa 400 Millionen DM pro Jahr für Wärmedämmung in der Altbausubstanz mobilisiert. Das schafft Arbeitsmöglichkeiten für die Handwerksbetriebe, und es ist wichtig, um Klimaschutzziele zu erreichen.
Schließlich werden wir - Sie haben dies genannt, Herr Präsident Henkel - massiv aus diesen Geldern in Bildung und Ausbildung investieren. Ich finde es übrigens interessant, dass in den Gutachten, die Sie zitiert haben, dieser Aspekt außerordentlich positiv aufgenommen worden ist. Diejenigen, die die Gutachten machen, haben begriffen, dass in einer bestimmten Situation - nämlich in der, in der wir sind - Sparpolitik auf der einen Seite - 100 Milliarden DM Schuldenabbau - und Verstärkung von Investitionen auf der anderen Seite - aber wirklich nur von Investitionen und nicht von konsumtiven Ausgaben - zwei Seiten einer Medaille sind, wenn man den Wirtschaftsaufschwung vor dem Hintergrund dessen, was wir an internationalen Problemen haben, nachhaltig machen will. Das wollen wir, und das werden wir auch hinbekommen.
Zu einer Halbzeitbilanz gehört auch dies: Sie werden wissen, dass ich mich sehr für das engagiert habe, was Sie zur Zwangsarbeiterstiftung gesagt haben. Ich glaube, das ist nicht nur moralische Verpflichtung. Die ist es in erster Linie. So will ich es auch sehen. Es ist auch notwendig gewesen, um unserer Wirtschaft auf internationalen Märkten - ich will nicht sagen: zu schützen - , aber eine gefestigtere Position zu geben, als sie sie hätte, wenn wir diese Maßnahmen nicht gemacht hätten. Was damit an Erwartungen an die Wirtschaft verbunden ist, nämlich die fünf Milliar-den DM, die wir als Bundesregierung hereingegeben haben, selbst auch zu bringen, haben Sie dankenswerterweise selbst hier sehr deutlich formuliert. Ich unterstreiche das, mehr muss ich aber nicht sagen.
Zur Ökosteuer haben wir eine unterschiedliche Position. Das ist bekannt. Sie haben die Wirtschaftsinstitute zitiert. Sie haben sich mit der Form kritisch auseinander gesetzt und nicht mit dem Prinzip. Es ist richtig, sich auch mit Zukunftsthemen zu beschäftigen, wenn es um Halbzeitbilanzen geht. In einem Punkt sind wir einer Meinung: Wenn die Produkte der Zukunft immer mehr wissensbasierte Produkte sein werden, dann wird dies eines der zentralen Felder, wenn es um unsere Wettbewerbsfähigkeit und um die Chancen der Zukunft bei uns geht. So sehe ich es, und genauso werden wir handeln. Deswegen die erwähnten Investitionen in diesem Bereich.
Deswegen im Übrigen auch der verstärkte Ausbau der Informations- und Kommunikationstechnologien. Ich finde es auch richtig, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass es eine kritische, aber eben doch nicht in erster Linie angstbesetzte Diskussion um Chancen und Risiken der Biotechnologien gibt. Diese kritische Diskussion soll man nicht abwehren. Das wäre schädlich für die Sache selber. Aber ich denke, es hat sich in der letzten Zeit ein Wandel ergeben. Es werden mehr die Chancen als die Risiken betont. Das ist doch ein guter Aspekt, denn beides sind Märkte, deren erfolgreiche Entwicklung über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheidet.
Sie haben auch darauf hingewiesen, dass wir in der Frage der Internationalität Deutschlands, die mit der Zuwanderungsfrage zusammenhängt, wirklich Fortschritte gemacht haben. Die Tabuisierung dieser Diskussion oder - noch schlimmer - ihre Ausnutzung auf sehr einseitige Weise hätte, wenn das so weitergeführt worden wäre, Deutschland isoliert. Es hätte nicht nur ein Arbeitskräfteproblem mit sich gebracht, sondern es hätte Deutschland wirklich isoliert. Ich habe die Green-Card-Initiative auch immer als eine Möglichkeit verstanden, Menschen, die Angst vor Zuwanderung und Globalisierung haben - die gibt es, und damit müssen wir uns auseinander setzen - klar zu machen, dass ein Mangel an Internationalität, dass ein Mangel an Bereitschaft, auch Menschen anderer Nationen, Kulturen bei sich arbeiten und leben zu lassen, und zwar unbeanstandet, letztlich uns allen schadet. Es ist nicht nur eine moralische Frage, die uns dazu zwingt, entsprechend unserer Werte mit Angehörigen anderer Kulturen, anderer Nationen, mit Menschen anderer Hautfarbe, anderer Religionen umzugehen. Das auch. Es ist auch ein nüchternes, ökonomisches Interesse. Beides gehört zusammen, und beides muss realisiert werden.
Für den Fall, dass es Veränderungen geben muss, weil die Green-Card nicht so angenommen wird, wie sich die Unternehmen das vorgestellt haben, sind wir gesprächsbereit. Ich bin übrigens auch der Auffassung - und bestärke die Forschungsministerin ausdrücklich darin - , dass man sagt: In Deutschland ausgebildete Studenten, vor allen Dingen, im Maschinenbau und in den Naturwissenschaften, müssen die Möglichkeit haben, ihre erworbenen Kenntnisse auf Zeit oder wie lange auch immer in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Ich denke, das wird ein Punkt sein, an dem wir auch weiterkommen werden. Das hilft in einer globalisierten Wirtschaft, zu einem Mehr an Internationalität zu kommen. Dieses Mehr an Internationalität brauchen wir notwendig.
Letzte Bemerkung: Ich glaube im Übrigen, dass all diejenigen - Sie haben es heute auch getan - , die darauf hinweisen, dass wir im internationalen Vergleich nicht mehr die Bestmarken setzen, sich das noch einmal überlegen müssen. Es mag sein, dass es in bestimmten Forschungsbereichen in den Vereinigten Staaten, vielleicht auch in Japan und in anderen westeuropäischen Ländern bessere Ergebnisse gibt als in Deutschland. Das sollte uns auch nicht beunruhigen. Wahr bleibt nämlich - und wir sehen es in einem bestimmten Sektor - , dass wir immer noch absolute Spitze bei der Umsetzung dessen sind, was es an neuen Möglichkeiten gibt, etwa in den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.
Bei dieser Fähigkeit der Integration von Neuem in Bewährtes ist Deutschland nach wie vor - jedenfalls weisen das alle Indikatoren auf - wirklich sehr, sehr gut. Das macht auch aus - und keineswegs nur die Rahmenbedingungen - , dass wir auf den weltweiten Märkten immer noch mit Qualität überzeugen und entsprechende Erfolge einfahren können. Deswegen denke ich, dass man gerade diesen Aspekt nicht so negativ sehen sollte. Wer ein Beispiel braucht, wird es in den Biotechnologien finden. Wir hatten die Situation, dass Grundlagenforschung an andere Standorte ausgewandert ist. Man muss einräumen, dass dies so gewesen ist, weil wir auch die Rahmenbedingungen falsch diskutiert haben. Das ist gar keine Frage. Warum sollte man das nicht sagen? Die Grundlagenforschung ist weggegangen, aber sie kommt zurück. Bayer in Leverkusen ist ein gutes Beispiel dafür - und nicht nur diese Firma. Aber was sich inzwischen verändert hat, ist, dass gerade in den Bereichen unsere Start-up-Unternehmen wirklich Spitze bei der Umsetzung sind. Es gibt gerade in diesem Sektor eine Reihe höchst erfolgreicher Börsengänge. Diese haben etwas damit zu tun, dass sich auf diesem Sektor eine Menge bewegt hat.
Ich behaupte nun nicht, dass all die positiven Aspekte, die ich Gott sei Dank habe nennen können, in erster Linie auf die Tätigkeit der Bundesregierung zurückzuführen wären. Das behaupte ich mit Sicherheit nicht. Ich finde, das sollte man gerade den Menschen, die uns zuschauen, sehr deutlich sagen: In erster Linie sind die Fortschritte das Ergebnis von Anstrengungen aus der Mitte unserer Gesellschaft, nämlich von denen, die als Beschäftigte oder als Unternehmensleiter bei Ihnen diesen Erfolg bewerkstelligen.
Was ich der Bundesregierung, meiner Regierung, und der hinter ihr stehenden Koalition als Erfolg anrechne, ist, dass wir für dieses Engagement den Rahmen verbessert haben. Dabei will ich einräumen, dass das noch längst nicht genug ist. Das ist ganz klar. Das ist ein wichtiger Anfang. In den zwei Jahren ist eine Menge passiert. Aber es kann ja auch nicht genug sein. Was sollten wir sonst die nächsten zehn Jahre tun, wenn schon alles getan wäre?