Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 18.10.2000
Anrede: Sehr geehrter Herr Stupadt, sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/64/22064/multi.htm
Die Einladung zur Bundestagung des IKK-Bundesverbands habe ich gerne angenommen.
Die Innungskrankenkassen stehen in der Tradition der Selbsthilfeeinrichtungen der Handwerksbetriebe und ihrer Beschäftigen. Sie sind damit eine wichtige Stütze für den Mittelstand.
Ich freue mich, auf dieser Veranstaltung auch zahlreiche Vertreter des Handwerks zu treffen. Die Bundesregierung fördert Handwerk und Mittelstand im Rahmen ihrer Wirtschafts- und Steuerpolitik in besonderer Weise.
Mit dem Zukunftsprogramm haben wir im vergangenen Jahr den negativen Trend der letzten Jahrzehnte - immer höhere Staatsverschuldung, immer höhere Belastung mit Steuern und Abgaben - gestoppt.
Mit der Haushaltssanierung und den Reformprojekten auf der einen Seite verbessern wir die Chancen für die jungen Menschen in unserer Gesellschaft - und auf der anderen Seite garantieren wir den älteren Menschen die Sicherheit, die ihnen vor dem Hintergrund ihrer Lebensleistung zukommt. Wer die Zukunft gestalten will, muss die Anforderungen der Gegenwart meistern.
Die Haushaltskonsolidierung ist die Grundlage: Einsparungen im Bundeshaushalt bis 2004 insgesamt über 150 Mrd. DM. Bis 2006 ein ausgeglichener Haushalt, ein Haushalt ohne Neuverschuldung. Wir gewinnen durch Konsolidierung Spielräume zurück. Spielräume, die wir an Bürger und Wirtschaft weitergeben.
Wir senken die Steuern. Die Steuerzahler werden durch die Steuerreform und das im letzten Jahr verabschiedete Steuerentlastungsgesetz um insgesamt rund 93 Mrd. DM entlastet. Arbeitnehmer, Familien sowie kleine und mittlere Unternehmen sind die Hauptgewinner. Über 60 Mrd. DM kommen privaten Haushalten zugute, um rund 23 Mrd. DM wird der Mittelstand entlastet. Geld, das nicht im Geldbeutel bleibt.
Von der Stärkung der Kaufkraft profitieren auch Handel, Handwerk und Gewerbe und die dort Beschäftigten. Eine Politik, die soziale Gerechtigkeit und ökonomische Vernunft verbindet.
Ebenso werden wir die sozialen Sicherungssysteme umfassend modernisieren und damit zukunftsfähig machen.
Eine der aktuellen Aufgaben ist die Rentenreform. Unser Ziel ist, die Rentenversicherung zukunftssicher zu machen: Solidarisch und solide finanziert, aber auch Eigenverantwortung fordernd und fördernd. Die Rentenversicherung muss den jetzigen Rentnern Leistungen garantieren, die ihnen einen sorgenfreien Lebensabend ermöglichen. Anerkennung ihrer Lebensleistung. Sie muss aber auch den jetzigen Beitragszahlern und den jungen Menschen eine Perspektive für ihre eigene Zukunft bieten. Gerechtigkeit heißt nicht zuletzt auch Generationengerechtigkeit. Wir wollen den Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung dauerhaft niedrig halten. Unser Konzept sieht vor, dass der Satz mindestens bis 2020 unter 20 Prozent bleibt. Und anschließend - in der schwierigsten demographischen Phase - 22 Prozent nicht überschreiten soll.
Wir ergänzen das umlagefinanzierte System der GRV um kapitalgedeckte private und betriebliche Altersvorsorge. Wir fordern diese Eigeninitiative nicht nur, wir fördern sie auch: Bürgerinnen und Bürger mit geringen und mittleren Einkommen erhalten eine spürbare Unterstützung beim Aufbau der privaten Zusatzvorsorge.
Mit der Ergänzung des Umlageverfahrens durch kapitalgedeckte Systeme der privaten und betrieblichen Altersvorsorge schaffen wir die Verbindung von Altersvorsorge, Investitionen und Wirtschaftsdynamik. Wir schaffen endlich den Einstieg in die Realisierung der traditionellen Forderung nach Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Die Altersvorsorge soll sich nicht länger allein auf Abgaben auf Arbeit stützen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen am Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft partizipieren.
Zugleich verleihen wir dem Kapitalmarkt neue Impulse, verbessern die Finanzierungsbedingungen für Start ups, für schnell wachsende Hightech- und Dienstleistungsunternehmen und damit für neue Beschäftigungschancen. Ein über lange Jahre unterentwickelter Kapitalmarkt war eine der Ursachen für die mangelnde Beschäftigungsdynamik in Deutschland.
Auch in der Gesundheitspolitik setzt die Bundesregierung auf Strukturreformen. Durch die GKV-Gesundheitsreform 2000 werden Wettbewerbs- und Vertragselemente in der Krankenversicherung gestärkt. Wir setzen auf Patientenorientierung, Qualitätssicherung und auf stabile Beitragssätze.
Die Gesundheitsreform der Bundesregierung ist der erste Schritt, hochgradige Reglementierung in den Angebotsstrukturen der Gesundheitsversorgung zu überwinden.
Wir setzen stattdessen auf mehr Transparenz und Wettbewerb. Die Leistungsanbieter und Krankenkassen können künftig neue, innovative Formen der Versorgung vertraglich vereinbaren.
Versicherte werden schon bald die Wahl zwischen verschiedenen Versorgungsangeboten haben, wie z. B. neue ambulant / stationäre Gesundheitsdienste und Hausarztmodelle. Dies wird den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen um attraktive Angebote beleben. Die Einführung eines echten Preissystems für die Krankenhäuser ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zu mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Koalition sah noch eine wesentlich weitergehende Reform des Krankenhaussektors vor.
Die staatliche Investitionslenkung und Bettenplanung sollte durch leistungsbezogene Verträge ersetzt werden. Damit hätten die Vertragsparteien die Möglichkeit erhalten, Überkapazitäten abzubauen und eine bedarfsgerechte Versorgung zu sichern. Das hätte die Chance geboten, das größte Kostenproblem der gesetzlichen Krankenversicherung zu lösen. Diese Regelung ist am Widerstand einer Mehrheit der Länder im Bundesrat gescheitert.
Es ist noch viel Überzeugungsarbeit notwendig, um die überkommenen staatswirtschaftlichen Lenkungsinstrumente im Gesundheitswesen durch Vertragswettbewerb zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen zu überwinden.
Zwischen den Krankenkassen besteht bereits reger Wettbewerb. Die solidarische Wettbewerbsordnung hat sich bewährt. Sie hat für die Versicherten weitgehende Wahlrechte und für die Krankenkassen eine verstärkte Konkurrenzsituation gebracht. Die Versicherten machen in zunehmendem Maße von ihren Wahlrechten Gebrauch. Und die Krankenkassen entwickeln sich schrittweise zu modernen, kundenorientierten Dienstleistern. Der Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen ist notwendige Voraussetzung für funktionierenden Wettbewerb in der Krankenversicherung.
Weil die Bundesregierung von den positiven Wirkungen des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung überzeugt ist, wird sie die bestehenden Verzerrungen und falschen Anreize korrigieren, die die Wettbewerbsordnung bisher noch bietet.
Bisher können Krankenkassen, die wenige chronisch Kranke versichern, günstigere Beitragssätze anbieten. Künftig sollen die Krankenkassen keinen Nachteil mehr zu befürchten haben, wenn sie chronisch Kranke versichern. Es sollen positive Anreize geschaffen werden, die es für die Krankenkassen attraktiv machen, sich vermehrt um die Versorgung chronisch kranker Versicherter zu bemühen. Dies liegt nicht nur im Interesse der Versicherten. Denn alle Experten sind sich darin einig, dass gerade bei der besseren Versorgung chronisch Kranker auch große Wirtschaftlichkeitsreserven liegen.
Deshalb wird die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorlegen, der den Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung weiterentwickelt
Das Gesundheitswesen ist einer der innovativsten und zukunftsträchtigsten Bereiche unserer Wirtschaft.
Angesichts der Belastung des Faktors Arbeit mit Lohnzusatzkosten sind die Möglichkeiten der Finanzierung von Gesundheitsleistungen durch die Sozialversicherung allerdings begrenzt, wenn nicht ausgeschöpft. Durch die strikten Vorgaben für stabile Beitragssätze stützt die gesetzliche Krankenversicherung eine Absenkung der Lohnzusatzkosten als Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Jede Verbesserung der Beschäftigungslage schafft wiederum über den Lohn-Beitrags-Zusammenhang finanziellen Handlungsspielraum für die gesetzliche Krankenversicherung.
Zusätzliche Wachstumsspielräume sehe ich in dem durch private Nachfrage finanzierten Teil des Gesundheitsmarktes. Es ist nicht Aufgabe des Staates, die private Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zu begrenzen. Die solidarische Absicherung existenzieller Risiken wird dabei nicht in Frage gestellt.
Wir wollen den mündigen Patienten. Seine Eigenkompetenz und Entscheidungsfreiheit soll gestärkt werden.
Die Gesundheitsreform stellt die Patienten ins Zentrum der gesundheitlichen Versorgung. Deshalb sollen die gesetzlichen Krankenkassen auch Modellversuche zur Patientenberatung durchführen.
Darüber hinaus sollen die Krankenkassen die Selbsthilfearbeit stärker als bisher unterstützen. Und auch Gesundheitsförderung und Prävention bekommen wieder einen größeren Stellenwert, so dass die Krankenkassen ihre Versicherten dabei unterstützen können, selber mehr zum Erhalt ihrer Gesundheit zu tun. Wir setzen konsequent auf Vorbeugung. Deshalb werden die Krankenkassenleistungen bei Gesundheitsförderung, Prävention, Kuren und Rehabilitation verbessert.
Mit der Gesundheitsreform haben die Krankenkassen und die gemeinsame Selbstverwaltung größere Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Ich möchte den Krankenkassen ausdrücklich dafür danken, dass sie in den vergangenen Wochen und Monaten intensiv daran gearbeitet haben, mit ihren Vertragspartnern die Aufträge des Gesetzgebers konstruktiv in Vereinbarungen umzusetzen.
Die ersten Schritte zur Erneuerung der Strukturen des Gesundheitswesens sind getan
Die Innungskrankenkassen haben einen festen Platz im Gefüge der gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre Nähe zum Handwerk ist die große Chance der Innungskrankenkassen auch unter den neuen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen.
In diesem Wettbewerb im Interesse Ihrer Kunden wünsche ich Ihnen viel Erfolg.