Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 05.04.2011

Untertitel: "Der in der jetzigen Ausstellung dargestellte Eichmann-Prozess mit seinen nachhaltigen Wirkungen ist für die Aufarbeitung der NS-Diktatur und des Holocausts ein unverzichtbares Dokument", so Kulturstaatsminister Bernd Neumann in seiner Rede in der Stiftung Topographie des Terrors.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/04/2011-04-05-neumann-eichmann,layoutVariant=Druckansicht.html


-der israelische Chefankläger Gideon Hausner bezeichnete den Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 als "ein lebendes und lebendiges Protokoll einer gigantischen menschlichen und nationalen Katastrophe". Die heutige Ausstellung, die wir 50 Jahre später eröffnen, zeigt, dass der Prozess mehr war als eine eindringliche Lektion in Zeitgeschichte. Er war der Beginn der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Holocaust und einer breiten Empathie mit seinen Opfern. Besonders im geteilten Deutschland erreichte die Gerichtsverhandlung in Jerusalem die öffentliche Resonanz, die den Nürnberger Prozessen der Siegermächte in den Jahren 1945 bis 1949 verwehrt geblieben war. In Deutschland und besonders in der Bundesrepublik hatte der Prozess eine tiefe Wirkung. Die anfänglich in Pressekommentaren spürbare Scheu, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, wich einem verstärkten Interesse am Verbleib anderer Täter und ihrer Helfer. Die Zahl der Anklagen wegen NS-Verbrechen stieg in Westdeutschland deutlich. Die juristische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ist bis heute nicht abgeschlossen. Das "Nürnberg des jüdischen Volkes", wie der israelische Ministerpräsident David Ben Gurion den Eichmann-Prozess nannte, gab den Überlebenden erstmals weltweit eine Stimme und machte sie von Zeugen zu Zeitzeugen. Diese Zeitzeugenschaft als lebender Beweis für das unfassbare Unrecht ist auch heute noch eine zentrale Säule unserer Gedenkkultur. In der fortgeschriebenen Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 2008 sind deshalb regelmäßige Treffen mit Vertretern der Opfer- und Betroffenenverbände verankert. Der persönliche Austausch mit Zeitzeugen, den ich diesen Januar zum dritten Mal erlebt habe, ist für mich immer wieder sehr bewegend. Es ist mir eine besondere Ehre, Herrn Gabriel Bach heute Abend hier zu begrüßen. Meine Damen und Herren,

dem Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus und dem Gedenken an seine Opfer kommt in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu jetzt und für alle Zeiten. Dazu hat sich die Bundesregierung mit der fortgeschriebenen Gedenkstättenkonzeption von 2008 klar bekannt. Dabei ist die besondere Aussagekraft der authentischen Orte die der Opfer wie die der Täter für die Aufarbeitung der NS-Diktatur unverzichtbar. Selbstverständlich haben die Orte, an denen insbesondere das Gedenken an die Opfer im Zentrum steht wie die KZ-Gedenkstätten eine herausgehobene Bedeutung. Der große Besucherzustrom der 2004 eröffneten Ausstellung über die Aufseherinnen im KZ Ravensbrück dokumentierte, wie sehr auch die Auseinandersetzungen mit denen, die für all das Leid verantwortlich waren, die Menschen interessiert. Wer waren die Täter? Was waren ihre Motive, die sie zu solch unmenschlichen Taten veranlassten? Dazu bietet z. B. die vor einem Jahr eröffnete Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg Antworten, indem sie auf der ehemaligen so genannten Ordensburg umfassend über die Geschichte der SS informiert. Das 2001 eröffnete Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg beleuchtet "Faszination und Gewalt" im Nationalsozialismus in seiner gleichnamigen Dauerausstellung. Auch die Topographie des Terrors gehört zu den so genannten "Täterorten", an denen mit Hilfe des Bundes Erinnerungs- und Gedenkstätten eingerichtet wurden. Der in der jetzigen Ausstellung dargestellte Eichmann-Prozess mit seinen nachhaltigen Wirkungen ist für die Aufarbeitung der NS-Diktatur und des Holocausts ein unverzichtbares Dokument. Der heutige Artikel in der Süddeutschen Zeitung von Klaus Bölling, der als Prozessbeobachter 1961 in Jerusalem teilnahm, enthält eine eindrucksvolle Bewertung des Geschehens. Ich zitiere: "Das Thema" Pflichterfüllung ‘ , wenn denn eine Obrigkeit den Mord an unschuldigen Menschen befiehlt, wenn ein Staat seine Diener a priori von allen Skrupeln des Gewissens freispricht, wenn also der nach dem Krieg in zahllosen Entnazifizierungsverfahren regelmäßig bemühte "Befehlsnotstand ‘ angerufen wird, es bleibt aktuell. Der Fall Adolf Eichmann ist bis auf den heutigen Tag ein grausames Lehrstück. Wer Tag um Tag den Aussagen der Opfer und Eichmanns stereotype Versicherung anhörte, er habe doch persönlich nicht einen einzigen Juden getötet, konnte seine Empörung schwer unterdrücken. Es stimmte ja, Eichmann hatte nicht in Person die Hebel in den Gaskammern betätigt. Aus" Pflichtgefühl ‘ hatte er die Juden aus den von der Wehrmacht besetzten Ländern mit glühendem Eifer zusammentreiben lassen und auf den Weg nach Auschwitz geschickt. Er entsetzte das Gericht und alle Zuhörer mit dem Satz, er habe nicht als Mensch gehandelt, sondern als Funktionär." Es ist herauszuheben, dass die erste Ausstellung dieser Art in Europa in der Topographie des Terrors gezeigt wird. Auf diesem Gelände des Dokumentationszentrums befand sich früher das Reichssicherheitshauptamt, das bei der Koordinierung des Holocausts eine zentrale Rolle spielte. Die Typologie von Eichmann ist einer der beiden Angelpunkte der Ausstellung: Dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer und seiner Verteidigungsstrategie werden bewusst die Holocaustüberlebenden und ihre Zeugenaussagen als Gegenpol gegenüberstellt. Vielfältige Blickwinkel und Erkenntnisebenen kennzeichnen das ganze Ausstellungsprojekt. Die Stiftung Topographie des Terrors, die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz haben ihre Stärken erfolgreich in dieses Gemeinschaftsvorhaben eingebracht. Da mein Haus alle drei Einrichtungen institutionell fördert, freut mich diese überaus gelungene Vernetzung und Kooperation besonders. Ich wünsche der Ausstellung viele, vor allem junge Besucher.