Redner(in): Angela Merkel
Datum: 04.06.2011

Untertitel: in Dresden
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/06/2011-06-04-kirchentag,layoutVariant=Druckansicht.html


Guten Tag Ihnen allen hier drinnen und draußen!

Liebe Frau Kirchentagspräsidentin, liebe Katrin Göring-Eckardt,

sehr geehrter Herr Nagel,

lieber Herr Präsident, lieber Herr Kufuor!

Ich freue mich, heute hier zu sein, und ich freue mich auf die Diskussion, die wir anschließend führen werden. Das Thema, das der Kirchentag uns gegeben hat, ist ja ein ganz spannendes. Wir sind verantwortlich für Gottes Schöpfung; und wenn wir uns über die Schöpfung Gedanken machen, dann kommen natürlich die Fragen nach Gerechtigkeit, nach Umweltschutz, nach Friedenssicherung, nach der Gestaltung unseres Miteinanders auf die Tagesordnung Fragen, die uns unter den Nägeln brennen.

Das Internet ermöglicht es uns heute, unsere Gedanken sozusagen an jeden Ort, in jede Ecke der Welt schweifen zu lassen und über alles Bescheid zu wissen. Und trotzdem ist es immer noch schwierig, verantwortlich zu sein und den eigenen Platz für Verantwortung zu finden. Viele Ereignisse, die nicht bei uns stattfinden, bewegen uns dennoch, weil sie weltweite Folgen haben. Wir haben ja Katrin Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen in diesem Jahr schon zwei Dinge erlebt, die uns unglaublich bewegen zum einen das Erdbeben, der Tsunami in Japan und die schwere Havarie im Kernkraftwerk Fukushima und zum anderen die Umbrüche im Norden Afrikas, die wir so nicht vorausgesehen haben. Solche Ereignisse und ihre Folgen sind Ausdruck einer zusammenwachsenden Welt einer Welt, in der die Rollen neu verteilt werden und in der wir, Deutschland und Europa, unsere Rolle finden müssen.

Wir haben 2008 und 2009 mit der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise hautnah auch in Deutschland erlebt, was es heißt, dass globales Wirtschaften aufs engste vernetzt ist. Der Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers hat nicht nur die Finanzwelt in eine maximale Turbulenz gebracht, sondern er hat die Weltwirtschaft insgesamt in eine sehr schwierige Wirtschaftskrise gestürzt. Deutschland hatte damals einen Wirtschaftseinbruch von fast fünfProzent. Wir haben damals unter dem Strich richtige Maßnahmen eingebracht und durchgesetzt, die dazu geführt haben, dass Menschen Brücken gebaut wurden und dass jetzt wieder ein Aufschwung stattfinden kann. Aber es war eine extrem schwierige Situation. Wir haben sie gemeistert, aber andere, zum Beispiel die afrikanischen Länder, waren von der Krise in maßloser Weise betroffen. Da ging und geht es oft um Hunger, um elementare Existenz. Und so war es auch ganz wesentlich im Interesse Afrikas, dass die G20 die Gruppe der 20größten Länder gesagt hat: Nicht jedes einzelne Land kann auf eine solche Krise angemessen reagieren, sondern wir müssen uns zusammentun und zusammen Maßnahmen ergreifen. Es war durchaus eine spannende Erfahrung, dass in der Not, in einer wirklichen globalen Not, Länder in der Lage waren, sich abzusprechen, Banken zu stützen, damit die Wachstumsraten nicht noch mehr einbrechen, Volkswirtschaften mit Konjunkturprogrammen zu helfen und damit insgesamt die Welt zu stabilisieren.

Manchmal wird ja auch die Frage gestellt: Was kann Politik in Zeiten der Globalisierung eigentlich bewegen; ist es nicht egal, wer da zusammenkommt? Ich glaube, in der Stunde dieser Weltwirtschaftskrise ist gezeigt worden: Wenn die Welt zusammen am richtigen Strang zieht, kann sie etwas erreichen. Diese Notsituation sollte uns lehren, dass wir das auch in guten Tagen tun. Denn jetzt, da es der Weltwirtschaft wieder besser geht, da spürt man schon, dass der Eifer etwas nachlässt, dass es immer schwieriger wird, eine Bankenregulierung durchzusetzen, dass es immer schwieriger wird, dafür zu kämpfen, dass wir endlich einen weltweit freien Handel haben, dass das sogenannte Doha-Abkommen endlich unterschrieben wird. Denn das ist auch richtig: Wenn wir weltweit zusammenarbeiten wollen, dann ist es absolut notwendig, dass wir Handelsbarrieren abbauen, damit alle eine faire Chance haben, aus eigener Kraft ihren Beitrag zum eigenen Wohlstand zu leisten. Protektionismus hilft uns hierbei nicht weiter; ganz im Gegenteil.

Die G20, das sind eben nur 20Länder von über 180. Und da stellt sich natürlich die Frage: Wie kann man es arrangieren, dass diese 20 eine Legitimation bekommen, auch für viele andere zu sprechen. Dazu möchte ich zwei Dinge sagen, die uns ganz gut gelungen sind und woran wir weiterarbeiten sollten. Ich habe mich immer sehr dafür eingesetzt, dass bei diesen G20 -Treffen auch internationale Organisationen mit am Tisch sitzen. Das sind die Vereinten Nationen, das ist der Internationale Währungsfonds, das ist die Weltbank, das ist die OECD und das ist die Internationale Arbeitsorganisation, denn es geht in vielen Dingen auch um soziale Fragen, um Arbeit, um Jobs, um Zukunftsperspektiven für die Menschen. Diese Organisationen sind nun alle mit dabei; das ist wichtig, und das sollten wir auch so beibehalten.

Das Zweite sind regionale Bündnisse. Da, glaube ich, können wir noch zulegen. Es ist ein unglaublicher Gewinn, dass sich die afrikanischen Länder zur Afrikanischen Union zusammengeschlossen haben. Und es ist ein unglaublicher Gewinn, dass wir in Europa die Europäische Union haben. Diese ist zwar nicht frei von Schwierigkeiten. Aber schauen Sie: Was könnte denn selbst Deutschland als das größte Land mit 80Millionen Einwohnern bewegen, wenn wir uns vor Augen führen, dass in diesem Jahr der siebenmilliardste Mensch auf der Welt geboren wird? Es gibt Partner wie China mit über 1,3 Milliarden Menschen, Indien mit über 1, 2Milliarden Menschen. Wenn wir als Europäer auch unsere Gedanken, unsere Werte, unsere Vorstellungen in die Weltgemeinschaft einbringen wollen, dann können wir als 27Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit wenigstens 500Millionen mit mehr Nachdruck sagen, was wir wollen. Deshalb ist der Zusammenhalt in Europa neben der Frage von Frieden auf unserem Kontinent heute eine Frage der Interessenvertretung europäischer Werte. Deshalb müssen wir uns um Europa bemühen, so schwer es manchmal auch sein mag es ist zu unserem eigenen Vorteil.

Im Vergleich zu John Kufuor, als er Präsident der Afrikanischen Union war, hatte ich es während der damaligen deutschen Ratspräsidentschaft der Europäischen Union eigentlich einfach. Wir waren bzw. sind ja nur 27, in der Afrikanischen Union hingegen sind es rund 50 und eine Milliarde Menschen, die man zu vertreten hat mit eher noch größeren Problemen. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, dass wir regionale Bündnisse stärken. Unsere Partnerschaftsabkommen zwischen der Afrikanischen Union und der Europäischen Union sind immer darauf ausgerichtet: Lasst uns helfen verstanden als Hilfe zur Selbsthilfe, damit Afrika seine Probleme selbst zu bewältigen lernt. Von guter Regierungsführung bis hin zur Friedenssicherung haben wir noch viel zu tun, aber wir sind durch die Existenz der Afrikanischen Union auf einem guten Weg.

Meine Damen und Herren, ich war gerade in Singapur. In Südostasien haben sich Länder zur sogenannten ASEAN-Gemeinschaft zusammengeschlossen: Indonesien, Malaysia, Vietnam und andere. Sie schauen ganz genau auf uns in Europa und sagen: Was ihr geschafft habt, das wollen auch wir schaffen, weil auch wir verstanden haben: Nicht jedes einzelne Land kann mehr seine Interessen allein vertreten, auch wir brauchen so etwas wie einen Binnenmarkt und eine gemeinschaftliche Wirtschaftszone; auch wir müssen da vorankommen.

Wenn wir jetzt nach einer Weltordnung fragen, dann ist zu sagen: Wir haben die 20Länder der G20, die nicht mehr für sich allein sprechen, sondern die in diesem Rahmen eigentlich nur Positionen vertreten, die sie vorher in ihren regionalen Bündnissen abgestimmt haben. Legitimation für Entscheidungen resultiert dann überhaupt erst aus Beschlüssen der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen sind sozusagen das legitimierte Dach der Welt, von dem aus Beschlüsse wirklich festgelegt und in Resolutionen verbindlich gemacht werden können. Das heißt, es ist durchaus wichtig, dass wir Gremien haben, in denen wir uns vorbereiten. Aber dann ist es auch wichtig, dass eine Legitimation für alle hergestellt wird.

Dabei möchte ich auch an das erinnern, was John Kufuor erwähnt hat zum einen diese wunderbare Menschenrechtscharta, die die Vereinten Nationen als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg entwickelt haben. Jedes Mitglied der Vereinten Nationen hat sich dazu verpflichtet, die grundlegenden Menschenrechte einzuhalten. Deshalb braucht man eigentlich gar nicht lange sagen, dass wir dafür noch eintreten müssen. Das hat im Grunde schon jeder versprochen. Doch es ist an der Zeit, dass auch jeder die Menschenrechte einhält, und zwar an jeder Stelle auf der Welt.

Aber richtig ist auch, dass das wenn ich es einmal technisch so ausdrücken darf eigentliche Steuerungskomitee der Vereinten Nationen, der UN-Sicherheitsrat, die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg reflektiert, aber nicht mehr die heutige Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges. Deshalb brauchen wir dringend eine Reform des UN-Sicherheitsrates. Wir sollten uns aber nicht verheben und sagen, die Veto-Rechte müssen aufgehoben werden; ich glaube, da sind wir beide schon nicht mehr auf dieser Erde, wenn das einst passieren wird. Aber wir sollten zumindest dafür kämpfen, dass wir neue permanente Mitglieder im UN-Sicherheitsrat bekommen, die einfach auch deutlich machen: Es gibt heute mehr Länder, die Gewicht haben, als diejenigen, die damals als Veto-Mächte und permanente Länder in den UN-Sicherheitsrat gewählt wurden.

Zum anderen ist es natürlich notwendig, dass wir, wenn wir auf die globale Ordnung schauen, Themen benennen. Es hat ja keinen Sinn, dass wir schöne Gremien und Institutionen haben, wenn diese nichts beschließen. Da will ich an dieser Stelle nur sagen: Es bedarf einer Diskussion über einen modernen Wachstumsbegriff des 21. Jahrhunderts, der auf die Chancen aller siebenMilliarden und später noch mehr Menschen abstellt. In unserem Grundgesetz steht: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Aber das steht dort eben für jeden Menschen und nicht nur für die Menschen in Deutschland und nicht nur für die Menschen in Europa. Deshalb muss sich in Zukunft nachhaltiges Wachstum nicht nur daran messen lassen, wie sich das Bruttoinlandsprodukt entwickelt, sondern auch daran, wie wir mit den Ressourcen umgehen und ob wir für eine gerechtere Welt eintreten. Darüber können wir sicherlich gleich noch sprechen.

Dabei geht es um Klimaschutz, um Friedenssicherung, dabei geht es um die Einhaltung von Menschenrechten und das ist mein letzter Punkt auch darum, dass wir unsere Religionen gegenseitig achten und dass Menschen nicht wegen ihres Glaubens verfolgt und diskriminiert werden. Da reichen wir als Christen allen anderen Religionen die Hand zu einem guten Dialog. Aber wir erwarten als Christen auch, dass das, was bei uns zu Hause selbstverständlich ist, auch für Christen in allen anderen Ländern dieser Welt gilt, meine Damen und Herren.