Redner(in): Angela Merkel
Datum: 08.06.2011

Untertitel: in Washington, D.C.
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Barack Obama, liebe Michelle Obama, sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/06/2011-06-07-usa-medal-of-freedom,layoutVariant=Druckansicht.html


das erste politische Ereignis, an das ich mich aus meiner Kindheit bewusst erinnere, ist der Bau der Berliner Mauer vor 50Jahren. Ich war damals sieben Jahre alt. Dass Erwachsene, auch meine Eltern, vor Fassungslosigkeit weinten, hatte mich tief erschüttert. Die Familie meiner Mutter zum Beispiel wurde durch den Bau der Mauer getrennt.

Ich bin im unfreien Teil Deutschlands, der DDR, aufgewachsen. Viele Jahre habe ich, wie viele, viele andere, von Freiheit geträumt auch von der Freiheit, in die USA zu reisen. Ich hatte mir das sehr fest vorgenommen für den Tag, an dem ich das Rentenalter erreiche; das lag bei Frauen in der DDR bei 60Jahren, bei Männern erst bei 65Jahren so waren wir als Frauen privilegiert.

Aber dass ich einmal im Rosengarten des Weißen Hauses stehen würde und von einem amerikanischen Präsidenten die Freiheitsmedaille empfangen würde das lag jenseits aller meiner Vorstellungskräfte. Und glauben Sie mir, diese Auszeichnung ist ein wirklich sehr bewegender Moment.

Meinen Dank für diese außerordentliche Ehre richte ich an das amerikanische Volk, das so viel für uns Deutsche getan hat.

Und ich danke Ihnen ganz persönlich, Herr Präsident, lieber Barack. Sie sind ein Mann mit starken Überzeugungen. Sie berühren mit Ihrer Leidenschaft und Ihren Visionen für eine gute Zukunft die Menschen auch in Deutschland. Sie schaffen es immer wieder, wichtige internationale Impulse zu geben. Ich nenne nur das Thema Abrüstung, die Frage nach dem Verhältnis unserer Länder zu den Ländern des Mittleren Ostens und nicht zuletzt den Nahost-Friedensprozess.

Die Freiheitsmedaille sehe ich als Ausdruck der exzellenten deutsch-amerikanischen Partnerschaft an. Gemeinsam treten unsere Länder für Frieden in Freiheit ein.

Welche Kraft die Sehnsucht nach Freiheit entfalten kann, hat die Geschichte schon oft gezeigt. Sie bewegte Menschen dazu, Ängste zu überwinden und sich offen gegen Diktaturen zu stellen so auch im Osten Deutschlands und Europas vor rund 22Jahren. Einige dieser mutigen Frauen und Männer begleiten mich heute Abend. Die Freiheitsmedaille, die mir verliehen wird, wird auch ihnen verliehen.

Die Sehnsucht nach Freiheit lässt sich nicht dauerhaft einmauern. Sie war es auch, die den Eisernen Vorhang zu Fall brachte, der Deutschland und Europa, ja sogar die Welt in zwei Blöcke teilte. Amerika stand entschlossen auf der Seite der Freiheit. Dieser Entschlossenheit hatten wir Deutsche auch zu verdanken, dass unser Land die Einheit in Frieden und Freiheit wiedererlangte.

Die Sehnsucht nach Freiheit vermag auch heutzutage totalitäre Regime ins Schwanken zu bringen. Mit großer Anteilnahme begleiten wir die tiefen Umbrüche in Nordafrika und der arabischen Welt. Freiheit ist unteilbar. Jeder auf dieser Welt hat das gleiche Recht auf Freiheit sei es in Nordafrika oder in Belarus, in Myanmar und im Iran.

Doch noch immer fordert der Kampf für Freiheit viel zu viele Opfer. Dabei gehen meine Gedanken auch zu unseren Soldaten, Polizisten und unzähligen Helfern. Ich verneige mich in Demut vor allen, die für Freiheit ihr Leben in Gefahr bringen.

In diesem Jahr jähren sich die schrecklichen Anschläge vom 11. September zum zehnten Mal. In diesen zehn Jahren haben wir unseren gemeinsamen Kampf gegen Terror und für Freiheit auf vielfache Weise verstärkt. Wir sehen, dass es zwei Seiten derselben Medaille sind, Freiheit zu haben und Freiheit zu verteidigen. Denn das unschätzbare, aber alles andere als selbstverständliche Gut der Freiheit muss immer wieder aufs Neue gepflegt und erkämpft werden.

Mag dies auch manchmal als endloser Kampf gegen Windmühlen erscheinen meine persönliche Erfahrung ist: Wovon wir heute noch nicht zu träumen wagen, das kann morgen schon Realität sein.

Keine Kette der Diktatur, keine Fessel der Unterdrückung vermag der Kraft der Freiheit auf Dauer zu widerstehen. Das ist meine Überzeugung, die mich auch weiterhin leiten wird. So soll und so wird mir die "Presidential Medal of Freedom" zugleich Ansporn und Bestätigung sein.

Herr Präsident, ich danke Ihnen für die Ehre.